Samstag, 20. Oktober 2018

Über eSport in der Sportwelt von heute


Sie wollen doch nur spielen
Der Kampf tobt wild. Immerhin: Für den 1. Dezember 2018 wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Wie lange er halten wird, ob ein Friedensschluss möglich ist, steht in den Sternen.
Sie erinnern sich, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein? Nach Wochen der Verhandlungen, der Annäherungen und Entfernungen, war „Jamaika“ im Bund mausetot. Nächtelang debattiert wurde über ein Politikziel der FDP, die deutschen Lande flächendeckend und gerecht zu digitalisieren, so dass nicht nur der Bürger in der Hauptstadt und die Bürgerlein in den 16 Landeshauptstädten rund um die Uhr eSport betreiben können, sondern wir alle – also auch Sportler in Heidelberg, in Sandhausen oder auf dem Waldhof. An diesem Diskussionspunkt – das wissen wir nun sicher – ist „Jamaika“ nicht gescheitert, denn ein paar Wochen später haben die Großkoalitionäre in seltener Einmütigkeit in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, dass die Digitalisierung eines der wichtigsten Regierungsziele und eSport dem Sport, so wie ihn Turnvater Jahn verstand und Sportvater Hörmann gegenwärtig versteht, gleichzustellen sei.
Wir wissen nicht, ob die Frau Bundeskanzlerin, die eigentlich dafür berühmt ist, Probleme und deren Lösungen vom Ende, also vom Ergebnis, her zu durchdenken, in den Minuten, in denen über das Thema eSport gesprochen wurde, weggedämmert oder einfach nur mal schnell die Nase pudern war, denn sie, wenigstens sie!, hätte ahnen müssen, dass dieser eine kleine Satz im Koalitionsvertrag Unruhe in der ganzen Republik auslösen würde. Und Unruhe ist etwas, das die Frau Bundeskanzlerin noch weniger mag als Horst Seehofer und Andreas Scheuer. Letzteren aber hat sie zum Bundesminister für Digitalisierung ernannt.
Die Kernfrage lautet: Ist eSport Sport? Und: Muss dieses aus Amerika ins Land geschwappte neumodische Zeug von der Regierung – letztendlich von der Steuerzahlerin, dem Steuerzahler und dem Steuerzahlerlein – so gefördert werden wie der edle Fechtsport, das Turnen, Schwimmen und die Leichtathletik, die sich gerne „Kernsportarten“ nennen, um ganz tief in den Steuertopf greifen zu dürfen, wie die populäreren Ballspiele Basketball, Fußball, Handball und Volleyball oder die ähnlich schweißtreibenden Spiele Eishockey, Hockey und Beachball?
Die Regierung, oft mutig mit Postulaten und feige bei deren Umsetzung, weicht inzwischen aus. Auf eine Kleine Anfrage mehrerer FDP-Abgeordneter des Deutschen Bundestages (die Drucksachen 19/3768 und 19/4060 liegen der RNZ vor), die im August 2018 einfach mal wissen wollten, wie weit die Anerkennung des eSports als Sport in dieser Legislaturperiode gediehen ist, ist zwar ein gewisser guter Wille zu erkennen und das Begehren des eSport-Bundes Deutschland (ESBD) auf Gleichstellung mit dem Deutschen Turnerbund, dem Deutschen Basketball-Bund oder dem Deutschen Leichtathletik-Verband nicht rundweg abgelehnt worden, aber Entscheidungen wurden noch nicht getroffen.
Ist eSport Sport?
Das erzürnt den ESBD-Präsidenten Hans Jagnow, der sagt: „Die Antworten der Bundesregierung sind in der Gesamtbetrachtung aufschlussreich, aber von Indifferenz geprägt.“ Ob der Mann Diplomat ist?
Die Regierung, insbesondere der für den Sport zuständige Innenminister, haben den FDP-Fragestellern nämlich geantwortet, für die Anerkennung eines Sports – zum Beispiel in Fragen der Spitzensportförderung, der Gemeinnützigkeit und der steuerlichen Behandlung von Vereinen und Profisportlern – sei nicht die Regierung, sondern einzig und allein der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) zuständig, der für die Beleuchtung tausender Aspekte eine Kommission eingesetzt hat, die am 1. Dezember auf den Düsseldorfer Rheinterrassen bei der DOSB-Mitgliederversammlung Handlungsempfehlungen aussprechen soll. Und danach – Prost Mahlzeit! – sollen die Sportler gefälligst selbst entscheiden, ob sie eSportler in ihrem Dachverband haben wollen.
Die gegenwärtigen Debatten darüber, ob man eSport als Sport im klassischen Sinne mit Trainingsstunden, Übungsleitern, Aufwärmen, Schwitzen, Reingrätschen, Hipp-hipp-hurra und Siegesgesängen im Duschraum betrachten solle, zielen am Thema vorbei.
Möglicherweise kommt man, wenn man sechs Stunden vor der Spielkonsole sitzt und dabei zehntausend Finger- und Handbewegungen macht, auch mal ins Schwitzen. Ganz sicher ist man nach derartiger Tortur müde und durstig. Manche eSportler werden das Bedürfnis nach einer heißen Dusche haben, bevor sie zum Siegesbier greifen. Zweifellos wird sich unter denen, die im eSport-Team des SV Sandhausen oder des SV Waldhof am weltweiten Wettbewerb teilnehmen oder – im Gegensatz zu ihren im Auf- und Abstiegskampf auf dem Rasen herumhechelnden Vereinskameraden – um einen Europacup kämpfen dürfen, Teamgeist, Zusammenhalt und Kameradschaft entwickeln, und ganz sicher werden die Schiedsrichter beim elektronisch betriebenen Sport weniger heftig beschimpft, sofern man sie überhaupt benötigt.
Diese Überlegungen, lieber eSportler und liebe Sportlerin, sind müßig. eSport existiert, ist – sofern man nicht die blödsinnigen und im wahrsten Wortsinn unsportlichen Shooter Games betreibt – genauso Sport wie das lange schon anerkannte Schach und hat allein deshalb seine Berechtigung, weil es einer zunehmenden Anzahl von Menschen auch hierzulande Spaß macht.
In Wirklichkeit geht es gegenwärtig ums Geld. Muss dieser unser Staat Menschen, die Wettkämpfe nicht auf Sportplätzen, in Stadien und in Hallen austragen, sondern zu Hause und in Klubhäusern, indem sie auf ihren vier Buchstaben sitzen und Daumen und Zeigefinger bewegen, Steuergelder gewähren, um sie bei ihrem Tun zu unterstützen? Muss er ausländischen eSport-Profis dauerhaften Aufenthalt gewähren? Muss er Vereinen gestatten, steuermindernde Spenden zu sammeln? Muss es Förderprogramme für besonders talentierte eSportler geben? Alle diese Fragen kann man so oder so beantworten.
Stets bedenken muss man allerdings, dass es ein Gleichbehandlungsgebot im Grundgesetz gibt. Die Artikel 3 und 19 gelten für alle Bürger. Mein Papagei, der über den Dingen flattert, erkennt in den eSportlern übrigens keine Gefahr. Die meisten seien nicht militant, liebenswert und ganz gemütlich. Er sagt: „Sie wollen doch nur spielen.“
RNZ vom 6./7. Oktober 2018


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