Sonntag, 29. Oktober 2023

Südafrikas Springboks sind Rekord-Weltmeister

Handre Pollard entschied den Kampf der Rugby-Titanen beim 12:11-Sieg über Neuseeland mit vier Straftritten

Das eiskalte Kalkül des südafrikanischen Teammanagers Rassie Erasmus (50) ist voll aufgegangen. Nachdem sich der für die Kubota Spears in Tokio hakelnde Malcolm Marx zu WM-Beginn am Bein verletzt hatte, nominierten Erasmus und Cheftrainer Jacques Nienaber (51) keinen Stürmer nach, sondern holten den 29-jährigen Verbindungshalb Handre Pollard von den englischen Leicester Tigers ins WM-Team nach Frankreich, der die Springboks 2019 in Japan zum Weltmeistertitel gekickt und danach bis 2022 in Heidelbergs Partnerstadt Montpellier einen Ball nach dem anderen zwischen die Malstangen gekickt hatte. Erasmus und Nienaber beherzigten die Feststellung des Heidelberger Steuerberaters und Rugby- Samstagabend Historikers Rudolf S. Eberle, der immer wieder gesagt hatte: „Rugbyspieler gewinnen einzelne Spiele, Kicker aber entscheiden Meisterschaften.“

Am Samstag vor 80 000 Zuschauern im Stade de France in St. Denis, unter ihnen die Tennis-Asse Roger Federer und Novak Djokovic, gewann Südafrika das Endspiel der X. Rugby-Weltmeisterschaft gegen Neuseeland mit 12:11 (12:6) Punkten und eroberte den goldenen Webb-Ellis-Cup nach 1995, 2007 und 2019 zum vierten Mal. Die Springboks sind damit alleiniger Rekord-Weltmeister vor Neuseeland (3 Titelgewinne), Australien (2) und England (1). Alle zwölf Punkte des alten und neuen Weltmeisters erzielte Handre Pollard durch vier Straftritte in der 3., 13., 19. und 34. Spielminute.

Eine konkrete Versuchschance hatte Südafrika über die gesamten 80 Minuten des super-spannenden, weitgehend fairen und von dem Engländer Wayne Barnes (44) korrekt geleiteten Endspiels nicht, aber die Springboks begingen kaum gröbere Fehler und verteidigten ihren permanenten Vorsprung mit eiserner Disziplin. Kapitän Siya Kolisi, der sein Team zum zweiten WM-Titel nach 2019 in Tokio geführt und am späten Samstag den Pokal von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron überreicht bekam, und Flügelflitzer Cheslin Kolbe übertrieben zwar den körperlichen Einsatz und wurden in der 46. und 74. Minute mit zehnminütigen Abkühlungspausen bestraft, doch brachten ihre Teamkameraden den Ein-Punkte-Triumph über die Zeit. Kolbe, bereits 2019 Weltmeister, durfte den Cup an seinem 30. Geburtstag in den Pariser Nachthimmel recken.

Neuseeland lag stets zurück, war in der zweiten Spielhälfte die bessere Mannschaft und erzielte durch Schlussmann Beauden Barrett in der 58. Minute auch den einzigen Versuch dieses Endspiels zum 12:11, nachdem Kicker Richie Mounga in den 17. und 38. Minute mit zwei Strafkicks getroffen hatte. Doch zum einen mussten die All Blacks ab der 29. Minute ohne ihren Flankenstümer und Kapitän Sam Cane auskommen, und zum anderen verfehlten Moungas Erhöhungskick und Jordie Barretts weiter Straftritt, die den nicht unverdienten Sieg der Neuseeländer hätten bringen können, knapp das Goal.

Dass Sam Cane nach einem unbeabsichtigten Schulterstoß gegen den Kopf eines Südafrikaners vom Referee mit einer gelben Karte bestraft wurde, geht vollkommen in Ordnung. Dass eine anonyme Disziplinarkommission die Zeitstrafe binnen acht Minuten in einen dauerhaften Platzverweis umwandelte, obwohl der Springbock quietschfidel weiterspielen konnte, zählt zu den Merkwürdigkeiten dieser WM.

Die Bronzemedaille gewann am Freitagabend England durch ein 26:23 (16:10) gegen Argentinien, und auch in diesem Match sorgte ein Kicker für die Entscheidung. Beide Teams legten zwei Versuche – England durch Ben Earl und Theo Dan, die Pumas durch Tomas Cubelli und Santiago Carreras – und trafen durch Owen Farrell und Emiliano Boffelli auch mit beiden Erhöhungen, doch hatte Englands Kapitän mit vier Straftritten und zwölf Punkten Erfolg, während die Argentinier Boffelli (6 Punkte) und der nach seinem letzten Rugbyspiel bittere Tränen vergießende Nicolas Sanchez (3) eine mögliche Verlängerung verpassten. 

Sonntag, 22. Oktober 2023

All Blacks gegen Springboks

Die beiden dreimaligen Weltmeister bestreiten das Endspiel der X. WM in Frankreich

Heidelberg. Die All Blacks aus Neuseeland und die Springboks aus Südafrika stehen sich am Samstag um 21 Uhr im Stade de France am nördlichen Stadtrand von Paris im Endspiel der X. Rugby-Weltmeisterschaft gegenüber. Beide Nationen haben den höchsten Titel im Rugbysport bereits drei Mal gewonnen: Neuseeland 1987, 2011 und 2015, Südafrika 1995, 2007 und 2019. Es ist die Neuauflage des Endspiels vom 24. Juni 1995, als Südafrikas Verbindungshalb Joel Stransky, ein Barmann aus Kapstadt, im Ellis-Park von Johannesburg mit drei Straftritten und zwei Dropgoals alle Punkte beim 15:12-Sieg nach Verlängerung gegen die von einer Magen-Darm-Verstimmung geplagten Neuseeländer erzielte und Staatspräsident Nelson Mandela den Webb-Ellis-Cup an Springbok-Kapitän Francois Pienaar überreichte. Das Finale der III. WM markiert das Ende des Amateurismus im Rugby.

Die All Blacks, die sich nach der 13:27-Auftakt-Niederlage gegen Gastgeber Frankreich von Spiel zu Spiel zu alter Klasse gesteigert haben, hatten es am Freitagabend ziemlich eilig, um Argentinien mit 44:6 zu überrollen. In einem Match, in dem ihnen alles gelang, erzielten die Männer von Trainer Ian Foster (58) sieben Versuche durch den schlanken Flügelflitzer Will Jordan (3), den Flankenstümer Shannon Fritzell (2), Innendreiviertel Jordie Barrett und Gedrängehalb Aaron Smith. Der einfallsreiche Spielmacher Richie Mounga besorgte mit drei Erhöhungen und einem Straftritt die restlichen neun Zähler. Die mit ausgefahrenen Krallen ins Spiel gestarteten Pumas des australischen Trainers Michael Cheika mussten sich mit zwei Straftritten ihres in Edinburgh spielenden Schlussmannes Emiliano Boffelli bescheiden.

Europäischen Rugby-Fans sind etliche Argentinier auch aus der französischen Top-14-Liga bekannt. Nicolas Sanchez spielt für Brive, Juan Mallia und Santiago Chocobares für Meister Toulouse, und der 2,04 Meter lange Marcos Kremer wird in Paris von den angenehmen Strahlen der Capri-Sun beschienen.

Die Hoffnungen mancher europäischer Rugby-Fans, dass wieder einmal eine Mannschaft aus der nördlichen Hemisphäre in das Finale einziehen könnte, wie es Frankreich 1987, 1999 und 2011 sowie England 1991, 2003 mit dem bisher einzigen Titelgewinn für Europa, 2007 und 2019 gelungen war, erfüllten sich am Samstagabend in St. Denis nicht. Denn Südafrikas eingewechselter Spielmacher und Superkicker Handre Pollard traf in der 77. Spielminute, drei Minuten vor dem Schlusspfiff, mit einem Straftritt aus 49 Metern Entfernung ins Goal und brachte seine Springboks damit erstmals und mit 16:15 entscheidend in Führung. Die 15 Punkte der zuvor defensiv fast unüberwindlichen Engländer hatte Kapitän Owen Farrell mit vier Straftritten und einem kunstvollen Sprungtritt besorgt. Wie Rugby-Experte Manuel Wilhelm (Heidelberg) bei Pro7 Maxx wissen ließ, ist Pollard mit 1,9 Millionen Dollar Jahressalär bei den englischen Leicester Tigers der bestbezahlte Rugbyspieler der Welt. 2019 hat er Südafrika zum WM-Titel gekickt, nun ins Enspiel…

Allerdings ist der Sieg der Titelverteidiger nicht unverdient, denn dem 2,06 Meter großen 28-jährigen Rudolph Gerhardus Snyman war in der 68. Minute der einzige Versuch dieses Handfinales gelungen, das stark von taktischen Kicks beider Teams und weniger von taktischen Finessen geprägt wurde. 

Montag, 16. Oktober 2023

Das bittere Aus für Gastgeber Frankreich

Springboks gewannen WM-Halbfinale mit 29:28

England war 2003 die erste und bisher einzige europäische Rugby-Nationalmannschaft, die die Weltmeisterschaft gewinnen konnte. Acht der neun seit 1987 ausgespielten WM-Titel wurden von Teams der südlichen Hemisphäre erobert. England ist auch die einzige Mannschaft Europas, die 2023 Weltmeister werden könnte, denn wenigstens die Erfinder des Rugbyspiels haben sich für die Halbfinals qualifiziert, während der Weltranglisten-Erste Irland, das siebtplatzierte Wales und am späten Sonntagabend auch Gastgeber Frankreich in den Viertelfinals ausgeschieden sind.  

Argentinien gegen Neuseeland am Freitag um 21 Uhr sowie England gegen Titelverteidiger Südafrika am Samstag um 21 Uhr kämpfen im Stade de France in St. Denis um den Einzug ins Endspiel der X. WM. Die südafrikanischen Springboks besiegten die tief enttäuschten Franzosen mit 4:3 Versuchen und 29:28 Punkten – hauchdünn, aber auch nicht unverdient. Wenn man bedenkt, dass zu einem Nationalteam nicht nur die 15 Startspieler, sondern auch acht Männer auf der Ersatzbank gehören, dann hat die bessere Mannschaft eines der fantastischsten Spiele der WM-Geschichte gewonnen. Denn die Einwechselspieler der Springboks waren allesamt besser als die der Equipe Tricolore, die mit der zu frühen Auswechslung der Stürmer Baille, Mauvaka, Atonio und Alldritt ihre Souveränität verlor.

Frankreichs Kapitän Antoine Dupont, dem eine schwere Gesichtsverletzung nicht anzumerken war, gratulierte den Springboks für ein „sehr, sehr starkes Spiel“, nannte aber auch den neuseeländischen Referee Ben O’Keeffe beim Namen, dessen letzte Straftritt-Entscheidungen zugunsten Südafrikas zumindest diskutabel waren. Spielentscheidend war, dass Cheslin Kolbe einen Erhöhungskick von Thomas Ramos ersprintete und den Ball niederschlug – diese zwei Punkte fehlten den Franzosen zum Sieg.

England schlug Fidschi in einem weniger hochklassigen Match mit 30:24. Nachdem die Insulaner ihren frühen 0:10-Rückstand in der 70. Minute zum 24:24 ausgeglichen hatten, führte Kapitän Owen Farrell England mit einem Dropgoal und einem Straftritt zum Sieg. Und das nachdem sein nur 16 Jahre älterer Vater Andy als Chefcoach von Irland aus der WM ausgeschieden war.

Sonntag, 15. Oktober 2023

Die Wiedergeburt der All Blacks

Über die ersten Viertelfinals der Rugby-WM 2023

Argentinien, der Bronzemedaillen-Gewinner von 2007, und der dreimalige Titelträger Neuseeland bestreiten Freitag um 21 Uhr im Stade de France in St. Denis das erste Halbfinale der X. Rugby-Weltmeisterschaft. Im zweiten Semifinale am Samstag um 21 Uhr am gleicher Stelle stehen sich England als 30:24-Sieger über Fidschi, 2003 bisher einziger Weltmeister aus Europa, und der Sieger des Viertelfinales zwischen Gastgeber Frankreich und Titelverteidiger Südafrika gegenüber, deren Spiel bei Redaktionsschluss noch nicht beendet war.

Über 15 000 SchIachtenbummler feuerten im Vélodrome von Marseille die „Pumas“ an und verwandelten das Stadion des Fußballklubs Olympique in ein weiß-blaues Fahnenmeer, als die Argentinier mit ihrem 56-jährigen australischen Manager Michael Cheika ihren 29:17-Sieg über das leicht favorisierte Wales erzielt hatten. Die Entscheidung in diesem sehr ausgeglichenen Match fiel erst drei Minuten vor Schluss, als der eingewechselte Waliser Sam Costellow einen Ball genau in die Hände von Nicolas Sanchez passte und der 34-Jährige freie Bahn zum Siegesversuch hatte. Beide Teams schafften zwei Versuche, doch den Ausschlag für den Erfolg der Südamerikaner gab Kicker Emiliano Boffelli, der mit beiden Erhöhungen und vier Straftritten gegen die zu unsauber spielenden „Roten Drachen“ 16 Punkte erzielte.

Europäischen Rugby-Fans sind etliche Argentinier aus der französischen Top-14-Liga bekannt. Sanchez spielt für Brive, Juan Mallia und Santiago Chocobares für Meister Toulouse, und der 2,04 Meter lange Marcos Kremer wird in Paris von den angenehmen Strahlen der Capri-Sun beschienen.Die 25 000 Neuseeländer in Stade de France erlebten beim 28:24-Sieg über den Weltranglisten-Ersten Irland die Wiedergeburt ihrer All Blacks, die viele Experten nach einem schwachen Jahr bereits abgeschrieben hatten. Doch zeigten die Enkel und Söhne der Weltmeister von 1987, 2011 und 2015 eine fast fehlerfreie Leistung, kamen zu 3:2 herausgespielten Versuchen und waren mit ihren Kickern Richie Mounga und Jordie Barrett (13 Punkte) besser als Irlands 38-jähriger Chef Johnny Sexton (9), der seine Länderspiel-Karriere als Punkte-Rrkordmann seines Landes mit 1090 Zählern beendete.