Mittwoch, 22. Mai 2019

Über Artikel 9 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland

Weil Sport im Verein am schönsten ist

Die Bildung von Vereinen – etwa zum Sporttreiben, zur Brauchtumspflege, zur Hühnerzucht, zur Förderung von Kunst oder Wissenschaft und zur Pflege spezieller Lebensweisen – ist ein in Artikel 9 des Grundgesetzes verbrieftes Recht deutscher Bürger. Die Rechte und Pflichten von Vereinen sind im Vereinsrecht festgelegt, und unter bestimmten Voraussetzungen sind Vereine steuerlich begünstigt. Vereine dürfen, das ist eine der wenigen Einschränkungen, die das Grundgesetz macht, nicht gegen das Strafrecht verstoßen.
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Vereine sind eine deutsche „Erfindung“, eine sehr alte obendrein. Im Sport – und darauf konzentriert sich dieser Beitrag, was die lieben Leserinnen, lieben Leser und lieben Leserlein aus der Züchterfamilie der Stallhasen verzeihen mögen – ist der Heidelberger Schützenverein von 1490 bekannt, der 529 Jahre nach seiner Gründung noch immer höchst lebendig ist und etliche deutsche Meister, Europa- und Weltmeister hervorgebracht hat. In lebhafter Erinnerung ist der Pistolenschütze und zweifache Olympia-Teilnehmer Erwin Glock (1925 - 1993). Der Sportlehrer an der Johannes-Kepler-Realschule in Neuenheim war bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal mit 51 Jahren der älteste Athlet der deutschen Mannschaft und wurde Sechster.

Mitte der 1850-er Jahre, als Studenten und einfache Bürger ein Revolutiönchen wagten, um demokratische Gedanken und Rechte durchzusetzen, schossen Sportvereine wie Pilze aus dem Boden, den die von Johann Friedrich Ludwig Christoph Jahn (1778 - 1852) begründete deutsche Turnbewegung bereitet hatte. Viele junge Männer – die Frauen wirkten damals am Herd und waren mit dem Kinderkriegen beschäftigt – wollten dem „Turnvater“ Jahn nacheifern. Der TSV Mannheim, der Heidenheimer SB, die TSG Backnang und der Heidelberger Turnverein sind 1846 entstandene Sportvereine, die heute noch überregional im Fechten, Fußball, Hockey, Rugby, Schwimmen und Volleyball aktiv und erfolgreich sind. Mancher Turnverein von 1846 hat sich zu einem Großverein mit mehreren tausend Mitgliedern entwickelt. Der SSV Ulm, 1846 von Leichtathleten und Turnern gegründet, ist gegenwärtig mit 9320 Mitgliedern der viertgrößte Sportverein in Baden-Württemberg und beschäftigt 550 ehrenamtliche Mitarbeiter in 20 Abteilungen.

Sportvereine sind gegenüber anderen Vereinigungen (Gesellschaften bürgerlichen Rechts, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Kommanditgesellschaften) privilegiert, sofern sie sich als „eingetragener Verein“ (e.V.) konstituiert haben, den Sport als Vereinszweck nennen, nur für diesen Zweck wirken und deshalb vom zuständigen Finanzamt als „gemeinnützig“ und/oder „mildtätig“ anerkannt worden sind. Dies haben die vier Frauen und 66 Männer im Parlamentarischen Rat, die am 8. Mai 1949 das Grundgesetz beschlossen haben, deshalb ermöglicht, weil sie der Überzeugung waren, dass sportliche Bewegung der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger mehr nützen könne als Arztbesuche und Pillen. Sie konnten damals nicht wissen, dass Ärzte und Pillen im Sport unserer Zeit eine oft ungute Rolle spielen und Athleten erst zu Betrügern und dann krank machen.

Die überwiegende Anzahl der knapp 90 000 im Deutschen Olympischen Sportbund organisierten Vereine wirken durch gemeinnütziges und ehrenamtliches Engagement durch die Begeisterung und den Einsatz unbezahlter oder gering honorierter Übungsleiter. Deren Leistungen werden, sofern sie eine Fachausbildung durchlaufen und eine Staatsprüfung bestanden haben, staatlich honoriert: Gegenwärtig mit 2,50 Euro für maximal 200 Übungsstunden pro Kalenderjahr. Kommunen wie die Stadt Heidelberg legen 500 Euro pro Übungsleiter dazu. Natürlich haben Großvereine und die größeren der Fachverbände – auch sie sind e.V. – auch hauptamtliche Mitarbeiter, doch dürfen sie nur dann Geschäftsführer, Sportliche Leiter oder Trainer einstellen und als Arbeitnehmer entlohnen, wenn das in der Vereinssatzung so erlaubt wird. Eingetragene Vereine dürfen durch ihren wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb pro Jahr nicht mehr als 45 000 Euro brutto einnehmen, um ihre Umsatz- und Körperschaftssteuer-Freiheit nicht zu verlieren.

Vereine mit höheren Einnahmen, Profi-Spielbetrieb und mehreren hauptberuflichen Mitarbeitern sind also gut beraten, wenn sie aus ihren umsatzstarken Abteilungen eigenständige GmbHs bilden, die nicht mehr dem Vereinsrecht, sondern dem GmbH-Gesetz unterliegen und fiskalisch so behandelt werden müssen. Der Vorteil eines eingetragenen Vereins besteht freilich auch darin, Spenden von Mitgliedern und Gönnern in unbegrenzter Höhe entgegennehmen und dafür Zuwendungsbescheinigungen ausstellen zu dürfen, die sich für den Spender oder Mäzen beträchtlich steuermindernd auswirken. Vereinsvorstände müssen also ganz genau überlegen, welche Rechtsform für ihren Verein (und seine Abteilungen) die beste ist.

„Der gemeinnützige Sport ist eine wesentliche Säule der Gesellschaft in einer zunehmend globalisierten Welt. Die Sportvereine bieten den Menschen vor Ort Zugänge zu gesellschaftlicher Teilhabe und leisten immense Beiträge zu Bildung, Gesundheit, sozialer Integration und Inklusion in und durch Sport“, heißt es im Leitbild des DOSB, und Elvira Menzer-Haasis ergänzt: „Sport verbindet und begeistert Menschen. Unsere Sportvereine und Fachverbände leisten tagtäglich wertvolle Arbeit für die Gesellschaft und sind eine tragende Säule des lebendigen Miteinanders in den rund 1100 Kommunen in Baden-Württemberg.“ Die Präsidentin des Landessportverbandes Baden-Württemberg (LSV) sagt auch: „Das Ehrenamt ist Grundlage und Raum für Mitwirkung und Teilhabe. Die demokratischen Strukturen bieten jedem Mitglied die Möglichkeit, sich in Vereinsangelegenheiten einzubringen und mitzuentscheiden. Nur dort, wo Menschen sich beteiligen können, fühlen sie sich auch heimisch.“
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Der Sportverein als Demokratie-Schule? So haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes es sich gewünscht, und ganz sicher haben viele der über 27 Millionen Menschen im DOSB verstanden, dass sie sich in ihrem Sportverein engagieren müssen, damit ihr Sportverein funktioniert und seine Ziele erreichen kann. Mitreden und mitentscheiden ist wichtig, aber es ist nicht ausreichend, um aus Kindern begeisterte Sportler, aus Talenten erfolgreiche Athleten, aus Kreismeistern Weltmeister und aus Jugendmeistern Olympia-Teilnehmer zu machen, die die verfassten Regeln des Sports und die ungeschriebenen Regeln des Fairplay kennen und achten. Nur wer sich und seine Schaffenskraft in den Dienst seines Vereins stellt, hilft mit, sein Bestehen und Blühen zu sichern.

„Sport ist im Verein am schönsten“, hieß vor 40 Jahren ein Slogan des damaligen Deutschen Sportbundes (DSB), was Gotthilf Fischer so begeisterte, dass er aus dem Wahlspruch ein Lied komponierte und es von seinen Chören singen ließ. Ob das heute noch gilt, muss jeder Sportler selbst bewerten. Auf jeden Fall ist Sport im Verein preiswerter als im Studio. In ländlichen Vereinen ist der Jahresbeitrag so hoch wie der Monatsbeitrag im Gym, dafür ist das Ambiente oft weniger stylisch.

Sportvereine sind ein wertvolles Instrument zur Integration von neu ins Land gekommenen Menschen und zur Inklusion von Benachteiligten. Manchen Sie mal einen Test, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein: Gehen Sie auf die Neckarwiese und werfen Sie den dort versammelten jungen Menschen unterschiedlichster Provenienz einen Ball zu. Sie werden feststellen, dass die nach einem kurzen Moment der Überraschung sofort anfangen, miteinander zu spielen. Im Verein dürfen sie nach dem Spiel sogar gemeinsam duschen, scherzen, erzählen, essen und trinken. Was kann es Schöneres geben?

Freitag, 17. Mai 2019

Über den Umgang von IAAF und CAS mit Caster Semenya

Hier endet der Spaß am Sport

Darf ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, Frau Caster Semenya vorstellen: Geboren vor 28 Jahren im südafrikanischen Pietersburg, Beruf: Läuferin und Sportwissenschaftlerin, 1,78 Meter groß und 73 Kilogramm schwer, verheiratet mit ihrer Partnerin Violet Raseboya, Bestzeit: 1:54,25 Minuten, 2012 in London und 2016 in Rio de Janeiro Olympiasiegerin über 800 Meter, dreimalige Weltmeisterin, Trainerin: Maria Mutola (Mosambik, 800-m-Olympiasiegerin 2000 in Sydney, Bestzeit: 1:55,19 Minuten).


Caster Semenya hat das Glück, eine der besten und faszinierendsten Sportlerinnen unserer Zeit zu sein, und sie hat das Pech, seit ihrem ersten internationalen Auftritt bei der Junioren-WM 2008 im polnischen Bromberg unter Dopingverdacht zu stehen. Denn Caster Semenya hat einen muskulöseren Körper und breitere Schultern als die meisten anderen Frauen, sie kann im Zorn finster blicken – und sie rennt allen davon, wenn die Startpistole abgefeuert wird.

Wir wissen nicht, ob sich Caster Semenya während ihrer elfjährigen erfolgreichen Laufbahn jemals gedopt hat. Mit den 150 bis 200 Urin- und Bluttests, die sie bisher über sich ergehen lassen musste, wurde sie nicht ein einziges Mal des Sportbetrugs überführt, und der ganz böse Verdacht, Frau Semenya sei eigentlich keine Frau, wurde von den neugierigen Männern im Leichtathletik-Verband ihres Heimatlandes ausgeräumt. Denen erging es wie Siegfried in der gleichnamigen Wagner-Oper, der in der dritten Szene des dritten Aufzugs erst den von Wotan und Loge gelegten Feuerring durchschreitet, ohne sich Brandblasen zu holen, mit seinem alles könnenden Schwert die eisernen Panzerringe um Brünnhildes Oberkörper durchschneidet, den Panzer abnimmt und dann – zur Erheiterung des Publikums – ausruft: „Das ist kein Mann!“

„Ob sie eine solche Untersuchung auch bei einer weißen Frau gewagt hätten?“, fragt sich mein Papagei und freute sich für Caster Semenya, als medizinische Tests zutage förderten, dass diese Frau offenbar von Geburt an mehr Testosteron in ihrer Blutbahn hat als die meisten anderen Frauen. Biologisch ist Caster Semenya eine Frau und ganz sicher kein Mann, aufgrund ihres Hormonhaushalts gilt sie als intersexueller Mensch, als besonders sportlicher Mensch des dritten Geschlechts, den wir in dieser Kolumne stets als „liebes Leserlein“ begrüßen, weil wir ihn als liebenswerte Laune der Natur gern haben und ehren. Ein solcher Mensch hat es schwer genug und nicht verdient, von Funktionären des Leichtathletik-Weltverbandes und Richtern des Internationalen Sportgerichtshofes (CAS) diskriminiert zu werden. Genau das aber ist wieder geschehen. Drei CAS-Richter haben entschieden, dass die sogenannte „neue Testosteron-Regel“ des Weltverbandes (IAAF) zulässig und ab dem 8. Mai strikt anzuwenden sei. Demnach müssen Sportlerinnen wie Caster Semenya ab sofort so viele weibliche Hormone schlucken, dass der Grenzwert von fünf Nanomol körpereigenes Testosteron pro Liter Blut nicht überschritten wird.

Dass IAAF-Präsident Lord Coe und das IOC die CAS-Entscheidung begrüßten, ist klar. „Das sind ja auch komische Vögel, aber nicht lustig“, sagt mein Papagei, der sich in der Fauna auskennt. Andere äußern Kritik. „Furchtbar unfair“ und „prinzipiell falsch“ nennt Martina Navratilova das Urteil, die übrigens angesichts ihrer sportlichen Dominanz von Zeitgenossen auch auf diskriminierende Weise beäugt worden war. Südafrikanische Zeitungen werfen dem CAS „Rassismus“ und „Verletzung der Menschenwürde“ vor, der Heidelberger Sportrechtler Dr. Michael Lehner empfiehlt die Überprüfung des Urteils durch ein staatliches Gericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Die IAAF will gleiche Bedingungen für alle Athletinnen. Das ist gut und in den meisten Stadien gegeben: Die Bahn ist für alle Sprinter gleich lang, Kugel, Diskus und Speer sind für alle Stoßer und Werfer gleich schwer, die Latte müssen alle überspringen; unten durchhüpfen gilt nicht. Hier aber endet die Kompetenz von Sportfunktionären.

Wenn eine Frau eine Frau und nicht gedopt ist, muss sie ohne – gesundheitlich problematische – Zugaben von Hormonen ihren Sport ausüben dürfen. Dauerhafte Hormonbehandlung kann bei Frauen Brustkrebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen, Knochenbrüche bewirken und die Psyche verändern.

„Was noch?“, fragt sich mein Papagei. Müssen bald auch andere Disziplinen die natürlichen körperlichen Vorteile mancher Athleten durch medizinische Eingriffe ausgleichen? Usain Bolt war der beste Sprinter, weil er seine unglaublich langen Beine schneller bewegen konnte als die Konkurrenten. Droht ähnlich begabten Sprintern eine Unterschenkelamputation? Manche Center sind größer, andere kleiner. Soll Chancengleichheit unter dem Basketball-Korb durch hormonelle Verzwergung der Riesen erreicht werden? Im Gewichtheben beginnt das Superschwergewicht bei 109 Kilogramm. Müssen die schwereren Athleten nun zum Fettabsaugen? Und was macht man mit Fußballern, die mit zwei linken Füßen auf die Welt kommen? Da helfen keine Hormone.

Unsere Fallbeispiele mögen Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser und vor allem Ihnen, liebes Leserlein, zeigen, wie absurd das CAS-Urteil bei näherer Betrachtung ist. IAAF und IOC sind gut beraten, die ungeschriebenen Regeln des Anstands und der Moral zu beachten und Athletinnen und Athleten in allen Erdteilen so zu fördern, dass sie ihr Talent voll entfalten können. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob eine Frau schmale oder breite Schultern hat. Wenn die schändliche Manipulation von Athletinnen und Athleten durch durchgeknallte Funktionäre nicht bald ein Ende hat, verlieren wir den Spaß am Sport.