Montag, 26. November 2018

Über das Abschneiden der Rugby-Nationalmannschaft bei der WM-Qualifikation in Marseille

„Schwarze Adler“ haben sich Respekt verschafft

Die deutsche Rugby-Nationalmannschaft wurde mit viel Beifall ihrer Schlachtenbummler und angemessenem Lob der Fachleute aus der zweiwöchigen WM-Qualifikation in Marseille entlassen. Das Team von Kapitän Michael Poppmeier (SC Frankfurt 1880) hat zwar wegen der 10:29-Niederlage gegen Turniersieger Kanada das drittgrößte Sportereignis nach der Fußball-WM und Olympia verpasst, sich aber mit allen drei Turnierspielen und vor allem mit dem abschließenden 43:6-Erfolg gegen Kenia Respekt verschafft.

Im Rugby zählt jeder Sieg und wirkt sich direkt auf die Weltrangliste aus. Die Deutschen sind auf Platz 29 ins Turnier gestartet und werden am heutigen Montag erfahren, was der Lohn ihrer Mühen ist. World Rugby wird die neueste Rangliste veröffentlichen. Im Rugby ist es bei einer Tournee im Ausland aber auch von Bedeutung, die Serie zu gewinnen, was den Spielern von Bundestrainer Mike Ford (England) mit 2:1 gelungen ist.

Bill Beaumont (66) hätte seine Serie auch gerne gewonnen. Der englische Zweite-Reihe-Hüne, der sein Nationalteam 1980 zum Grand Slam im Fünf-Nationen-Turnier geführt hatte, war im gleichen Jahr Kapitän der British & Irish Lions, die bei ihrer Südafrika-Tournee mit 0:3 scheiterten und von den „Springboks“ drei Mal bezwungen wurden. Heute ist Bill Beaumont Präsident von World Rugby und sagte in Marseille: „Die deutsche Mannschaft hat mich beeindruckt und keinesfalls enttäuscht. Das Team ist auf einem guten Weg und hat mit Mike Ford, den ich sehr gut kenne, einen exzellenten Trainer. Ich hoffe, dass sie ihren Weg weiter gehen können und dass es dem Verband gelingen wird, Rugby gut zu entwickeln.“ Und Gilbert Celli (San Marino), seit zwei Jahren Generalsekretär von Rugby Europe, sagte: „Gegen Kenia hat mich das deutsche Team begeistert. Leider waren die Kanadier noch einen Tick besser. Sie haben es verdient, bei der WM 2019 in Japan zu spielen.“

Darüber gab es in Marseille keine zwei Meinungen. Das deutsche Team, nach der Nachnominierung von Steffen Liebig (Heidelberger Ruderklub) für den verletzten Jamie Murphy (Bridgend Ravens) 31 Spieler und 16 Mitglieder des Funktionsstabes, hatte in jedem ihrer drei Turnierspiele sehr starke, aber auch einige unglückliche Spielphasen. Beim 26:9 gegen Hongkong war die erste Halbzeit (6:6) von überhastetem Spiel geprägt, ehe Ruhe einkehrte und der Knoten platzte. Bei der Verteidigungsschlacht gegen Kanada waren die ersten Minuten der zweiten Halbzeit fehlerhaft und spielentscheidend, als aus dem 7:10 ein 7:17 wurde. Und gegen Kenia wurden in der ersten Halbzeit (zu) viele Chancen vergeben, ehe die Afrikaner unter den Augen ihres kontinentalen Präsident Abdelaziz Bougja (Marokko) dem deutschen Powerplay nicht mehr gewachsen waren und klassisch ausgespielt wurden. Als Fazit bleibt: Wenn die „Schwarzen Adler“ viel verteidigen müssen und kontern können, sind sie gut. Wenn sie das Spiel machen müssen und der Gegner nur wenige Chancen zulässt, haben sie Steigerungspotenzial.

In Marseille war Flankenstürmer Sebastian Ferreira, in Chambéry unter Vertrag, der beste Spieler aller vier Teams und hat sich das Prädikat „Weltklasse“ verdient. Bester Punktesammler war Verbinder Raynor Parkinson vom SC Frankfurt 1880 mit 26 der insgesamt 79 deutschen Punkte aus vier Straftritten und sieben Erhöhungen. Ferreira erzielte mit drei Versuchen 15 Punkte, Hakler Kurt Haupt zehn Punkte, Matthias Schösser, Dash Barber, Jacobus Otto, Steffen Liebig und Harris Aounallah jeweils fünf und Christopher Hilsenbeck drei Punkte.

Ob Mike Ford die Fünfzehn weiter betreuen darf, wird sich am 8. Dezember entscheiden, wenn DRV-Präsident Robin Stalker (Nürnberg) den Führungsgremien seinen Geschäftsplan, den Personalplan und das Budget vorlegen wird. Kapitän Poppmeier (36) sagte zu seiner Zukunft: „Ich bin dabei, wenn Ford weitermacht.“ Das gilt auch für andere.


RNZ am 26. November 2018

Über die WM-Qualifikation im Rugby in Marseille


Bei Bouillabaisse und Andouillette

Frankreich ist blockiert. Aus Protest über die Benzinpreis-Erhöhung und die Kürzung von Sozialleistungen haben fast 300 000 Bürgerinnen und Bürger in gelben Signalwesten rund 2080 Verkehrsknotenpunkte im ganzen Land besetzt. Die Aktionen zeigen Wirkung, zumal die Sonntagsfrage eines Nachrichtensenders ergeben hat, dass nur 25 Prozent der Franzosen ihren Staatspräsidenten Emmanuel Macron noch mögen. „Hauptsache, das Essen schmeckt!“, flötet mein Papagei angesichts der gut frequentierten Restaurants im Alten Hafen von Marseille und fügt ein bisschen altklug hinzu: „Zum Demonstrieren braucht man Kraft.“

Zum Rugbyspielen auch, weshalb es kein Wunder ist, dass während der WM-Qualifikation in Europas größter Hafenstadt immer wieder Gruppen von Nationalspielern den Quai des Belges oder den Quai du Port entlangschlendern. Den Anfang machten die Spieler aus Hongkong, die vom Weltverband in Marseille einquartiert wurden, weil sie vor dem Turnier in der Weltrangliste am besten platziert waren. Hongkong hat mit Yiu Kam Shing nur einen einzigen Spieler mit chinesischen Wurzeln im 30-er Team, alle anderen Akteure kommen aus Australien, Großbritannien, Neuseeland oder Südafrika. „Einer heißt Max Denmark“, weiß man Papagei, „das verrät doch alles!“ Die Spieler Hongkongs sind fröhlich und bevölkern gerne die Filialen des Fußballklubs Olympique, dessen weiß-blaue Trainingsanzüge tatsächlich todschick sind.

Am Sonntagabend marschierten die etwas außerhalb wohnenden Hünen aus Kanada an den gut 2 000 großen und kleinen Yachten vorbei, angeführt von Jamie Cudmore (40), dem berühmtesten kanadischen Rugbystürmer, der mit seinen 118 Kilogramm auf 1,96 Meter bei seinen europäischen Klubs in Llandovery, Llanelli und Grenoble einen tiefen Eindruck hinterlassen hatte und 2010 mit dem AS Clermont-Auvergne als erster Kanadier französischer Meister geworden war. Cudmore führte seine am Vorabend gegen Deutschland siegreichen jungen Landsleute – in einen Irish Pub...

Dabei hat der starke Mann gewiss gewusst, dass in Marseille Besonderes geschieht. Hier geht die Küche des Mittelmeers mit den leckeren Gemüsen, der würzigen Bouillabaisse, den zarten Goldbrassen und den frischen Krustentieren mit den Spezialitäten aus der Provence, den Schinkenbraten, den Kalbsnieren oder den Andouilletten, dicken Würstchen aus Darm und Magen von Schweinen, eine glückliche Ehe ein. Nicht von ungefähr sind die Griechen um 600 vor Christus hier angelandet, und dass zum Anwärmen des Magens der Pastis de Marseille erfunden wurde, ist auch kein Zufall.

Misserfolg wird im Rugby bestraft. Weil die meisten deutschen Asse die fünf Spiele der Europameisterschaft 2018 bestreikt hatten, war das Team auf Ranglistenplatz 29 abgesunken und erhielt wie Kenia ein Quartier im Novotel von Aix-en-Provence, gute anderthalb Stunden vom Alten Hafen entfernt. „Wir haben es dort gut“, versicherte Teamchef Kobus Potgieter, zumal es ihm gelungen sei, den Küchenchef etwas umzuschulen: „Weniger Pommes frites und nicht so viel Weißbrot, mehr Sportlernahrung.“ Die Spieler, obwohl alle schon über 18, trinken nur Wasser, Orangina oder Apfelsaftschorle, die Trainer dürfen ihre Zungen durchaus auch mal im Merlot oder dem zu Meeresfrüchten besonders gut passenden Picpoul de Pinet baden.

Am Dienstag freilich, als mein Papagei über dem Hafen kreiste und seinen Freundinnen, den Möwen mit den gelben Schnäbeln, zusah, wie sie sich auf den Beifang der Fischer stürzten, spazierten auch die deutschen Nationalspieler durch Marseille. Nach dem kräftezehrenden Spiel gegen Kanada und zwei Analyse- und Pflegetagen hatten sie ihren freien Tag und genossen in der Drei-Millionen-Stadt das sonnige Wetter. Im Hafen gab’s Erfrischungen und ein leckeres Mittagessen, aber keinen „Beifang“, schließlich ist der deutsche Nationalspieler ein durch und durch anständiger Mensch und wird, sofern zur Unterstützung auch im dritten Spiel ans Mittelmeer gereist, von seiner Ehefrau oder Lebensabschnittsgefährtin begleitet.

Gestern Abend aber, nach dem abschließenden Match gegen Kenia, war es endlich soweit: Michael Poppmeier und seine Kameraden durften ein Glas Bier oder einen Wein genießen. Wenn es nach Kobus Potgieter ging, „sogar zwei oder drei...“

RNZ, Aufgespielt am 24. November 2018


Sonntag, 4. November 2018