Mittwoch, 23. Dezember 2020

Kommt der vom Titicacasee?

 Über Fußball im ZDF 

Mein Papagei, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, gehört nicht zu jenen Geschöpfen, für die früher alles besser war. Er hat sich am Freitagabend neugierig auf die Couch gekuschelt, um die „Eiserne Union“ in ihrem Kampf gegen Dortmund zu beobachten. Das ZDF, eine mit satten Zuschauergebühren unterstützte öffentlich-rechtliche Anstalt, hatte sich dazu durchgerungen, ein Bundesligaspiel live zu übertragen. Das ist selten, nachdem der Volkssport Fußball mit Bezahlsendern paktiert und auf sein ganz großes Publikum des Geldes wegen verzichtet.

 

Mein Papagei war entzückt, dass Béla „Rauchzart“ Réthy am Mikrofon Platz nahm, er ist beim ZDF-Fußball die Nummer eins im Stall und beherrscht etwas, wofür die jüngeren Kolleginnen und Kollegen den 64-Jährigen beneiden sollten: Er weiß, dass Fernsehen nicht Radio ist und kann den Sport auch mal zwei Minuten lang schweigend genießen. Nachdem Réthy gefühlt 15-mal angemerkt hatte, dass der BVB-Torjäger Erling Haaland (20) wegen Verletzung nicht mitwurschteln könne, schwieg er eine Weile und nannte Haalands Vertreter (16) in der 56. Minute erstmals beim richtigen Namen: Ja, Youssoufa Moukoko heißt der Kleine, nicht Moukaku und auch nicht Moukaka, und er stammt auch nicht vom Titicacasee, wie mein südamerikanischer Papagei vermutet hatte, sondern aus Yaoundé. Das liegt in Kamerun.

 

In der zweiten Halbzeit, als der Nationalstürmer Marco Reus nach nur einem Schuss aufs Tor und wenigen Ballkontakten beleidigt vom Feld schritt, wurden auf unserem Sofa doch Erinnerungen an die Reporter früherer Jahre wach. Die mussten zwar nicht Youssoufa Moukoko sagen, waren aber trotzdem Koryphäen.

 

Zum Beispiel Harry Valérien († 2012 mit 88) oder Joachim Sniegocki (84), die Trainern live im ZDF auch mal kritische Fragen zu stellen wagten. Oder Hartmann von der Tann (77) aus Villingen, der außer jedem Kicker auch jedes Pferd im Lande kannte und nach Bundestagswahlen amtierende Bundeskanzler in der „Elefantenrunde“ darum bat, sich in der Öffentlichkeit anständig zu benehmen. Oder Adolf Furler († 2000 mit 67 nach einer missglückten Bandscheiben-Operation) und der Luxemburger Ernest Rodolphe Huberty (93). Huberty wurde „Mister Sportschau“ genannt und erfand, stets selig lächelnd, das „Tor des Monats“, Furler den „Traber des Jahres“; Reus hätte gute Siegchancen.

 

Der Regensburger „Domspatz“ Manfred Vorderwülbecke (80) genießt seinen Lebensabend in Südafrika, wo seine Tochter als Meeresbiologin wirkt, und Hans-Joachim Rauschenbach († 2010 mit 87) ist auch deshalb in Erinnerung, weil er in einer Sportschau-Moderation behauptet hatte, auf zehn schlechte Schiedsrichter käme ein guter und weil er sich auch im Eiskunstlaufen auskannte. Über die Schweizer Läuferin Karin Iten hatte er gesagt: „Wer als Zwiebel geboren ist, kann nicht wie eine Rose blühen.“

 

So unmöglich würde sich Béla Réthy nie äußern. Da schweigt er lieber.

 

Claus-Peter Bach am 21. Dezember 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

Sonntag, 20. Dezember 2020

Abschied von Dieter Schröder

Nachruf auf einen Rugby-Nationalspieler

Abschied von Dieter Schröder

 

Dieter Schröder ist tot. Der 10-malige Rugby-Nationalspieler des TSV Handschuhsheim verstarb am 4. Dezember nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 79 Jahren. Der gebürtige Handschuhsheimer lebte seit vielen Jahren mit seiner Familie in Eberbach, wo er mit seiner Ehefrau Ruth die Bahnhofsbuchhandlung führte.

 

Dieter Schröder genoss in der TSG 78 Heidelberg eine gründliche Ausbildung als Leichtathlet und war badischer Jugendmeister über 800 und 1000 Meter. Beim Blick über den Sportplatzzaun entdeckte er das Rugbyspiel und schloss sich den TSV-Löwen an, mit denen er drei Mal ins Endspiel der deutschen Meisterschaft einzog. Beim 0:17 gegen 08 Ricklingen 1960, beim 3:11 gegen Odin Hannover 1963 und beim 6:8 gegen Hannover 78 im Frühling 1968 in Stuttgart gelang allerdings kein Titelgewinn – der Norden war damals einfach zu stark.

 

Mit 17 Jahren bestritt Dieter Schröder, ein Flankenstürmer, der weite Wege rennen und hart verteidigen konnte, und ein ebenso kampfstarker wie eleganter Innendreiviertel, ein Junioren-Länderspiel in Newport gegen Wales (0:8), ehe er in vier Spielzeiten in die deutsche Männer-Nationalmannschaft berufen wurde. Wertvollstes Ergebnis war am 15. April 1962 in Hannover ein 14:6-Sieg gegen Spanien, als Schröder neben Martin Ritter von der Rudergesellschaft einziger Heidelberger im Nationalteam war. Bemerkenswert gute Ergebnisse erzielten Schröder und seine Teamkameraden auch 1962 in Berlin mit 11:13 gegen Italien und 1963 in Frankfurt/Main mit 9:16 gegen Frankreich. Auch ein 42:6-Sieg in den Niederlanden, errungen 1961 in Breukelen, würde der Nationalmannschaft unserer Tage gut schmecken.

 

Mit seinen drei vorzüglichen Länderspielen gegen Italien hatte Dieter Schröder internationales Interesse geweckt, ein Angebot, als Profi in das Land zu wechseln, in dem Zitronen blühen, lag vor. Weil Dieter Schröder in einem Spiel der badischen Oberliga gegen den Heidelberger Ruderklub einen Schienbeinbruch erlitt, blieb er als Amateur in der Heimat.

 

Nach seiner Rugby-Laufbahn spielte Dieter Schröder begeistert Tennis in Eberbach und gründete eine Rugby-Familie. Sohn Roman spielte ebenfalls für den TSV Handschuhsheim, Tochter Nicole heiratete den TSV-Auswahlspieler Alexander Bung.

 

Claus-Peter Bach am 15. Dezember 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

Freitag, 20. November 2020

„In der Pandemie ein offener Ratgeber für die Politik“

 Interview mit Hauptgeschäftsführer Ulrich Derad vom LSV Baden-Württemberg

Der 55-jährige Ulrich Derad ist in Rottweil geboren und seit 2012 Hauptgeschäftsführer des Landessportverbandes Baden-Württemberg. Derad war Linksaußen im Handball und spielte von 1986 bis 1997 für Frisch Auf Göppingen, VfL Gummersbach, TuS Nettelstedt und Bayer Dormagen in der Bundesliga. Mit Gummersbach war er 1991 deutscher Meister. Für die deutsche Nationalmannschaft bestritt er 22 Länderspiele. Nach seiner aktiven Laufbahn wurde er Sportlicher Leiter und Hauptgeschäftsführer in Dormagen und 2009 Geschäftsführer der Spielbetriebs-GmbH von THW Kiel.

 

Herr Derad, viele Sportfunktionäre beschäftigen sich mit den Auswirkungen des Coronavirus auf den Sport. Haben Sie im Februar 2020 geahnt, welche schwerwiegenden Folgen die beginnende Pandemie auf den Sport haben könnte?

 

Schwierig. Mir war zwar bewusst, dass sich da etwas zusammenbraut, aber in diesem Ausmaß habe ich es nicht kommen sehen.

 

Wann war Ihnen klar, dass die Olympischen Spiele in Tokio 2020 nicht stattfinden können?

 

Nachdem wir die ersten Rückmeldungen der Sportwelt und der sportmedizinischen Untersuchungszentren erhalten haben, habe ich mir so etwas schon gedacht. Schlussendlich wurde es mir aber mit der sich immer weiter zuspitzenden Situation um Qualifikationswettbewerbe zu den Olympischen Spielen klar. Im Sinne des Sports wäre es unter diesen Umständen auch nicht hilfreich gewesen. So hatten viele Weltklasseathleten bis dato noch keine Qualifikation, und Olympische Spiele ohne diese Athleten ist kein Olympia.

 


Halten Sie es für realistisch, 2021 Olympische Spiele auszutragen?

 

Ich denke, unter bestimmten Voraussetzungen ist das möglich und wünschenswert. Es wird aber etwas ganz anderes als die Athleten es kennen. Das große Fest der Begegnungen kann es schon aus Infektionsschutzgründen wohl nicht geben. Der Austausch untereinander ist aber neben dem Kräftemessen in den jeweiligen Disziplinen ein großer Bestandteil der Spiele. Grundsätzlich halte ich es für wichtig, dass die Spiele trotz aller Einschränkungen stattfinden – gerade für die Athleten.

 

Der LSVBW vertritt den baden-württembergischen Sport gegenüber der Politik und ist Gesprächspartner des Ministerpräsidenten und der Ministerinnen und Minister. Ist der LSVBW auch Ratgeber der politischen Entscheider?

 

Wenn es um die politischen Fragestellungen geht, ist der LSVBW ein offener Ratgeber für die Politik. Wir versuchen, stets in einem guten Austausch mit den jeweiligen Institutionen und Vertretern zu stehen. Nur durch diesen guten Austausch sind wir auch in der Lage, Entscheidungen zu beeinflussen. In der Krise zeigt sich das ganz besonders. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht mit den zuständigen Ministerien in Kontakt stehen, um unserer Rolle als Vertreter des Sports gerecht zu werden – mit Erfolg, denke ich, wie es Anpassungen in den Verordnungen, Öffnungen oder Auflagen von Finanzhilfen des Landes zeigen.

 

Sie gehören einer Expertengruppe an, die über die Corona-Landesverordnungen für den Sport berät. Wie intensiv ist die Zusammenarbeit mit den zuständigen Ministerien Soziales und Gesundheit sowie Kultus, Jugend und Sport?

 

Nicht in einer Expertengruppe, aber wir stehen in einem intensiven Austausch mit den zuständigen Ministerien und tun, was wir tun können – übrigens auch in engem Austausch mit den sportmedizinischen Zentren, um unsere Anliegen entsprechend zu unterlegen. Unser Austausch mit dem Sportministerium ist sehr konstruktiv. Das bedeutet allerdings nicht, dass alles so umgesetzt wird, wie wir uns das wünschen. Da gibt es noch weitere Gremien über das Sportministerium hinaus, die schlussendlich entscheiden.

 

Zum Sportministerium hat sich, nicht zuletzt durch die langjährige Zusammenarbeit im Präsidialausschuss Leistungssport des LSVBW, ein gutes, ja freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Wie bewerten Sie die Kooperation?

 

Wie bereits erwähnt, sind wir als politische Interessensvertretung an einem guten Verhältnis interessiert und leben das. Die Erfahrung hat gezeigt, dass uns nicht Schlagzeilen, sondern fundierte Sportpolitik weiterbringen. Das gute Verhältnis ermöglicht dem LSVBW, gehört zu werden. Das ist wichtig und hilft nachweislich den Verbänden und Vereinen.

 

Die Corona-Landesverordnung vom 2. November verfügt einen Shutdown für den Amateursport und Zuschauerverbote für den Profisport. Welche Härten konnten durch Ihre Gespräche abgemildert oder verhindert werden?

 

Sicherlich sind die Regelungen sehr, sehr hart. Allerdings können immerhin Sportlerinnen und Sportler bis einschließlich der Landeskaderebene und bis zu den dritten Ligen weiterhin trainieren. Auch eine Verlängerung der Antragsfrist für die Soforthilfe Sport Baden-Württemberg für Vereine und Verbände bis Mitte nächsten Jahres steht im Raum. Da bin ich sehr optimistisch, das wird kommen. Insgesamt können wir froh sein, dass es zumindest in Teilen möglich ist, weiterhin Sport zu treiben, wenn auch schwer zu verstehen ist, dass zum Beispiel kein Kinder- und Jugendsport stattfinden kann. Aus meiner Sicht kann Sport Lösung des Problems sein, Sport und Bewegung leisten einen wichtigen Beitrag zu physischer und psychosozialer Gesundheit der Menschen. Sport stärkt die Abwehrkräfte und das Immunsystem. Ein starkes und stabiles Immunsystem ist unsere beste Prophylaxe gegen Krankheiten und Ansteckungen. Das gilt für Neugeborene bis hin zu Hochbetagten. Wann wäre das wichtiger als in der gegenwärtigen Corona-Pandemiephase?

 

Viele Sportlerinnen und auch ehemalige Sportler an den Stammtischen beklagen, dass seit März 2020 für den Fußball viele Extrawürste gebraten wurden. Bei den TV-Übertragungen kann man beobachten, dass den Profis und auch etlichen Trainern und Funktionären die Abstands- und Hygieneregeln ziemlich wurscht sind. Was sagen Sie dazu?

 

Das Thema ist weitaus facettenreicher, als ich es hier darstellen kann. Hier geht es um Berufssport. Erst einmal muss man dazu sagen, dass im Profifußball ein sehr hoher Anteil der Einnahmen durch die Fernsehrechte erzielt wird. Das ist in den anderen Profiligen anders, deshalb gibt es für diesen Bereich auch Hilfen auf Bundesebene – wir alle sollten die Daumen drücken, dass diese für die betroffenen Sportligen und Sportarten ausreichen. Allein schon die Vorbilder sind für unseren Nachwuchs wichtig. Der Fußball profitiert von diesen Hilfen nicht, da wird das Geld anders erwirtschaftet. Allein schon deshalb ist das nicht vergleichbar, und ich finde, wir im Sport sollten solidarisch bleiben, zumal die Öffnungen im Frühjahr und dann für die anderen Profiligen, was Zuschauer betrifft, ohne Fußball sicher zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich gewesen wären. Der gesamte Sport vom Nachwuchskicker bis zum Seniorensportler hat ein Stück weit davon profitiert. Ich hoffe, dass wir Anfang Dezember zum Trainingsbetrieb zurückkehren können, wie es im Oktober noch möglich war. Natürlich gilt es, sich an die Regeln zu halten, das ist elementar. Und ich bin überzeugt, unsere Vereine sind in der Lage, zahlreiche Sportangebote zu unterbreiten, die auch bei hohen Inzidenzwerten verantwortbar sind, um die genannten positiven Effekte zu erzielen und damit die Pandemiebekämpfung zu unterstützen. Abschließend dazu: Sicher dabei ist, der Fußball hat mitgeholfen, Sport wieder möglich zu machen.

 

Die Landesregierung hat Soforthilfen für Fachverbände und Vereine bereitgestellt, die durch die Pandemie in ihrer Existenz bedroht sind. Wie werden diese Hilfen in den drei Sportbünden des Landes in Anspruch genommen und wie schnell werden die Hilfen gewährt?        

 

Meines Wissens sind aktuell von den zur Verfügung gestellten rund 11,6 Millionen Euro ungefähr sieben Millionen abgerufen worden. Durch den neuerlichen Lockdown stehen wir im Austausch über eine Verlängerung der Soforthilfe. Diese Verlängerung über den 30. November hinaus halte ich für extrem wichtig. Die Gewährung der Hilfen funktioniert relativ schnell. Das Geld ist nach Antragseinreichung meistens schon in wenigen Tagen auf dem Konto des Antragstellers. Da machen die Sportbünde einen guten Job.

 

Claus-Peter Bach am 18. November 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

 

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Ulrich Derad ist seit 2012 Hauptgeschäftsführer des Landessportverbandes Baden-Württemberg.

Dienstag, 17. November 2020

Bayern wichtiger als Deutschland?

 Über Stammtisch-Gespräche von Sportlern in diesen Zeiten

Kürzlich hat uns eine Nachricht des Instituts für Management- und Wirtschaftsforschung in Hamburg erstaunt. Darin wurde, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, behauptet, dass der „FC Bayern München auch an den Stammtischen auf Platz eins“ liege, was die Forscher dadurch herausgefunden haben wollen, dass sie 430 Millionen Online-Quellen belauscht hatten. Damit haben die Wissenschaftler auf unerhört rüde Weise dem DFB-Manager Oliver Bierhoff widersprochen, der vor dem Mittwochs-Kick gegen Tschechien kühn behauptet hatte, die deutsche Nationalelf sei „die wichtigste Fußballmannschaft Deutschlands“.

 

Da RNZ-Journalisten grundsätzlich jede Meldung auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen und mein Papagei seit dem Eintritt in den Ruhestand noch viel mehr herumflattern kann, haben wir bis zum Beginn des November-Lockdowns unseren beliebtesten Stammtisch regelmäßig besucht. Interessant war: Über die Bayern wurde so gut wie nie debattiert. Sie sind gut, das haben auch Nichtfußballer begriffen, was sollte man darüber streiten? Themen waren Schalke und der Metzger Tönnies, Aufsteiger VfB Stuttgart und die neuen Nöte des Karlsruher SC und des SV Sandhausen. Nach den Nations League-Spielen der DFB-Elf knurrte Gérard, der Altinternationale mit dem knirschenden Hüftgelenk, nach vier Vierteln und zwei 600-ern Ibuprofen: „Jogi, Jogi, genug ist genug!“ Nach dem 1:0 gegen Tschechien schlüpfte mein Papagei in Gérards Rolle und fragte: „Welchen Sinn hat ein Vorbereitungsspiel, wenn alle Stammspieler fehlen?“

 

Vor dem Lockdown waren auch dies Stammtisch-Themen: Erstens das nette Wesen der neuen Klubhauswirtin und zweitens Bibiana Steinhaus. Walter, der sich „Walt“ nennt, seit er mit seiner fünften Ehefrau im Camper durch den nordamerikanischen Mittelwesten gebrettert war, brachte die Rede wieder einmal auf die 41-jährige Polizeihauptkommissarin, die ihre Schiedsrichter-Laufbahn nach je einem WM- und Olympiafinale der Frauen und 36 Einsätzen in der Bundesliga und 2. Liga der Männer aus freien Stücken beendet hat – als freie Frau und mit Applaus, nachdem sie erkannt hatte, dass Fußball nicht alles ist. „Walt“ erinnerte sich daran, dass Stammtischfreunde das Ende der Welt prophezeit hatten, als Bibiana Steinhaus vor ihrem ersten Einsatz bei den tätowierten Männern gestanden hatte. „Jetzt kommt auch noch diese Seuche über uns“, hatte „Walt“ damals recht unreflektiert beigepflichtet.

 

Dass „Walt“ die blonde Frau mit einer Seuche verglichen hatte, ist ihm heute peinlich, aber dadurch zu erklären, dass er von vier Ehefrauen schuldhaft geschieden worden ist. So etwas ist teuer, es trübt die Laune. Nun wissen wir, dass die Schiedsrichterin weit weniger gefährlich gewirkt hat als die aktuelle Pandemie, denn an den 36 Bundesligaspielen der Frau Steinhaus ist kein Mensch gestorben. Weil auch die Stammtischbrüder weiterleben wollen, bleiben sie gegenwärtig brav zuhause und gucken Fußball mit Mund- und Nasenbedeckung, die sie nur kurz lüpfen, um die trockene Wohnzimmerluft zu befeuchten.

 

Eine rasche Telefonumfrage unter den Stammtischfreunden hat ergeben, dass sie sich in einem Schockzustand befinden, seit bekannt wurde, dass immer mehr der stressgeplagten Hoffenheimer Fußballer aus heiterem Himmel am Coronavirus erkranken und dass Heintjes „Mama“, die berühmteste Holländerin der späten 1960-er Jahre, mit Covid-19 gestorben ist.

 

Vielleicht geben diese ebenso bedrohlichen wie traurigen Nachrichten den „Querdenkern“ zu denken – falls diese dazu überhaupt in der Lage sein sollten...

 

Claus-Peter Bach am 14. November 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

Samstag, 3. Oktober 2020

Der Sohn des „Wassergottes“

Über einen 88-jährigen Sportler, der 1951 deutscher Basketball-Meister war


Damals war für Gesprächsstoff gesorgt: Bei einem Fußballspiel der mittelbadischen Landesliga im Jahr 1980 zwischen dem FV Malsch und dem ASV Durlach sah sich der Schiedsrichter bemüßigt, vier Spielern der Gastgeber die Rote Karte zu zeigen. Hinterher verkündeten die Durlacher, der Referee sei ihr bester Mann gewesen, während die Malscher die Spruchkammer des Badischen Fußball-Verbandes anriefen und Freisprüche für das bestrafte Quartett beantragten. Der Vorsitzende Richter Hans-Joachim Schäfer studierte den Schiedsrichter-Bericht, hörte einen Schiedsrichter-Obmann an, der das Spiel beobachtet hatte – und sprach die vier Spieler von allen Vorwürfen frei.

 

„Es waren nach Überzeugung der Spruchkammer vier unberechtigte Platzverweise“, erinnert sich Hans-Joachim Schäfer, der damals ganz unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen hat. Spieler und Vereine lobten die Courage des Sportrichters, die Schiedsrichter – und besonders ihr Verbandsobmann – fühlten sich im Stich gelassen und waren beleidigt. „Dabei haben wir doch bloß Recht gesprochen“, sagt Hans-Joachim Schäfer rückblickend.

 

Der mutige Mann lebt heute 88-jährig im Seniorenheim „Agaplesion Bethanien-Lindenhof“ in Rohrbach und gebraucht seit wenigen Monaten, „weil die Kniegelenke nicht mehr so wollen“ einen Rollator. Noch im letzten Jahr hat er sich mit regelmäßigem Training bei Pfitzenmeier jung gehalten, wo er in den letzten 30 Jahren Sportlerinnen und Sportler kennengelernt hat, die zu Freunden geworden sind: „Sie kaufen für mich ein, sie fahren mich zum Arzt. Und jetzt dürfen sie mich auch wieder besuchen“, freut sich Hans-Joachim Schäfer über diese Hilfen nach den Corona-Lockerungen im Alltag. Er hatte bis zum 70. Geburtstag eine Anwaltskanzlei und eine Inkassogesellschaft geführt.

 


Natürlich hatte Hans-Joachim Schäfer als Bub, wie jeder Junge, Fußball gespielt, was ihm Vater Heinrich nach einer Verletzung aber verbot. Der strenge Herr Papa arbeitete als Installateur bei den Stadtwerken und wurde von allen „Wassergott“ genannt, weil er die Schlüsselgewalt über die Heidelberger Trinkwasserspeicher hatte. Also wechselte Hans-Joachim nach dem Abitur bei der von Queen Elizabeth II geadelten Dame Gladys Fischer am Englischen Institut zum Turnerbund Heidelberg, zurück in die heimische Altstadt.

 

In der Leyergasse war Hans-Joachim Schäfer im November 1931 zur Welt gekommen, Mutter Anna und Vater Heinrich schickten ihn in die Hindenburgschule, die heute Friedrich-Ebert-Schule heißt, und weil Hans-Joachim in seinem schicken Matrosenanzug ein sehr guter Schüler war, erhielt er von seinem Lehrer die Empfehlung für eine Napola. In den Nationalpolitischen Erziehungsanstalten bildeten die Nationalsozialisten ihre künftigen Eliten aus. Sie impften den Jungen ihr Weltbild ein, „aber wir trieben auch viel Sport“ (Schäfer), wozu auch ein „Mutsprung“ aus dem vierten Stock des Schulgebäudes zählte. Schäfer war in den Napolas im elsässischen Rouffach, im südbadischen Achern, in Rottweil und in der Schlossschule Salem stationiert, doch als er 14 war, war der Krieg zu Ende, bevor er irgendwo als Kindersoldat missbraucht werden konnte.

 

Nach dem Abitur begann Schäfer ein Jura-Studium, war als Referendar am Amtsgericht Schwetzingen und arbeitete dann als Staatsanwalt und Notar in Heidelberg und war Rechtsanwalt in der Kanzlei von Dr. Paul Schlatter – den Präsidenten des Tennis-Clubs Schwarz-Gelb und Heidelberger „Förderer des Sports“ nennt er sein berufliches Vorbild. 26 Jahre lang war Hans-Joachim Schäfer Vorsitzender der Anwaltskammer. Trotz starker Konzentration auf den Beruf war er ein sehr guter Basketballer und Tennisspieler.

 

Der TB Heidelberg war 1948 der dritte deutsche Basketball-Meister nach dem LSV Spandau und Schwabing München und wiederholte den Titelgewinn 1951, 1952 und 1953. In der Meistermannschaft von 1951 in Berlin war Hans-Jürgen Schäfer „Stürmer, rechts oder links“ und hatte prominente Teamkameraden wie die späteren Meister- und Bundestrainer Dr. Wolfgang Heinker, Torry Schober und Kurt Siebenhaar oder Toni Kartak, der von 1973 bis 1984 Präsident des Deutschen Basketball-Bundes war. Zwei Jahre später wurde Hans-Joachim Schäfer mit der Uni Heidelberg in Dortmund Zweiter der Internationalen Deutschen Hochschulmeisterschaft; Medaillen, Anstecknadeln und Teilnehmerausweise zeugen von diesen Erfolgen.

 

Im Tennis war er ein ehrgeiziger Vereinsspieler im Polizei-Sportverein Heidelberg und im TC St. Ilgen, der es sich später leisten konnte, Steffi Graf und Boris Becker zu den Grand Slam-Turnieren in Roland Garros, dem Londoner Queens Club, in Wimbledon und in Flushing Meadows zu begleiten und Sternstunden des deutschen Sports zu erleben – wie 1954 in Bern-Wankdorf, als er den 6:1-Sieg der späteren Fußball-Weltmeister über Österreich im Stadion erleben durfte.

 

Nach Fußball als Junge und Basketball in den besten Jahren hatte Hans-Joachim Schäfer eine dritte aktive Zeit im Sport. Durch seinen Beruf lernte er Erich Balles, Werner Kindermann und Theo Machmeier, die führenden Persönlichkeiten in den Oberliga-Jahren des SV Sandhausen, kennen, die ihn dazu überredeten, für die Position des 3. Vorsitzenden zu kandidieren. Am 1. Juli 1971 trat er in den SVS ein und erinnert sich an unvergessliche Erlebnisse: Eine tolle Kameradschaft im Vorstand und an Gespräche mit dem ganz jungen Hansi Flick, von dem er sagt: „Er war und ist und bleibt ein anständiger Mensch.“ Als Flick mit den Bayern die Champions League gewann, „habe ich gejubelt – bis spät in die Nacht!“

 

Claus-Peter Bach am 19. September 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

 

Bildtext: Hans-Joachim Schäfer in seiner Heidelberger Seniorenresidenz mit den Ehren- und Meisterabzeichen aus seiner sportlichen Laufbahn. Foto: Helmut Pfeifer



Schneller schlauer mit der Rhein-Neckar-Zeitung! 

Montag, 21. September 2020

So gut wie die Franzosen

Rugby-Nationalspieler Manfred Friedel wird am 22. September 2020 80 Jahre alt

Als Manfred Friedel zwischen 1961 und 1967 seine 14 Länderspiele bestritt, zählte die deutsche Rugby-Nationalmannschaft auf dem europäischen Kontinent zu den besten Teams. Friedel gewann fünf Mal gegen den heutigen B-Europameister Niederlande, in Michelstadt im Odenwald auch gegen die Tschechoslowakei, und gegen Belgien stellte Deutschland B-Mannschaften – ohne Friedel.

EM-Spiele gegen Italien, Rumänien und Frankreich, das seinerseits mit B-Teams antrat, in dem Weltstars wie Roland Bertranne und später Serge Blanco, Didier Cambérabéro, Pierre Lacans oder Eric Champ ihre ersten internationalen Erfahrungen sammelten, gehörten damals zum Jahresprogramm der deutschen Fünfzehn. Und die Resultate überraschen aus heutiger Sicht: 1965 in Hannover verloren Friedel und seine Freunde aus Berlin, Hannover und Heidelberg mit 3:8, und ein Jahr später in Chalon-sur-Saone war Frankreich B mit 8:6 nur ganz knapp besser. Hannover erlebte 1965 eine 8:9-Niederlage gegen Rumänien, und die Berliner Rugbyfans rieben sich die Augen, als am 30. Oktober 1966 ein 3:3 gegen Italien gelang. Neben Manfred Friedel spielten sein Vereinskamerad Otto Haaß und der Neuenheimer Martin Frauenfeld in der Dreiviertelreihe, und im Sturm kämpfte Reinhard Goecke vom HRK als einziger Heidelberger.

 Manfred Friedel, am 22. September vor 80 Jahren in Handschuhsheim geboren, erlebte den Krieg vom Speicher des elterlichen Hauses aus, wo man sehen konnte, wie Mannheim im Bombenhagel versank. Er musste aber nie Hunger leiden, ging in die Tiefburgschule und begann mit 13 Jahren eine Lehre als Vermessungstechniker, ehe er die Ingenieurschule in Karlsruhe besuchte und als Diplom-Ingenieur (FH) abschloss. Noch heute arbeitet er zehn Wochenstunden in seinem Beruf, „weil das Arbeiten mit jungen Leuten Spaß macht.“

Bis zum 15. Lebensjahr turnte er beim TSV Handschuhsheim mit den Lieblingsgeräten Boden und Reck, dann folgte er seinem älteren Bruder Willi zum Hockey in der TSG 78 Heidelberg, ehe er sich 1957 den Rugbyspielern des TSV anschloss. Die waren auf dem Hans-Hassemer-Platz des HTV soeben deutscher Meister geworden, und der junge Manfred sagte sich: „Das will ich auch!“ Obwohl er sich alle Mühe gab und einer der besten Innendreiviertel seiner Zeit war, wurde daraus nichts. Mit Manfred Friedel (Foto: privat) war der TSV deutscher Vizemeister 1960, 1963, 1968 und 1978, und auch das Pokalfinale 1978 ging verloren. „1968 in Stuttgart beim 6:8 gegen Hannover 78 waren wir ganz nahe dran, da hätten wir eigentlich gewinnen müssen“, erinnert sich der Jubilar, der mit 44 Jahren noch in der Bundesligamannschaft spielte, mit Martin (56) und Sabine (47) Rugby-Kinder hat, die Nationalspieler wurden, und mit Gabi eine Ehefrau, die ihn seit 57 Jahren auf den Sportplatz begleitet.

Sein schönstes Rugby-Erlebnis hatte er bei einer Tour der Alten Herren nach Bordeaux, denn in den Kellern von St. Emilion hat er gelernt, dass Rotwein Medizin sein kann, die einen Menschen jung hält. Auch weil er seit 30 Jahren nicht mehr raucht, ist er noch so fit.

Claus-Peter Bach am 22. September 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

 

Sonntag, 20. September 2020

Heidelberg trauert um Peter Bews

 Ein Nachruf für einen unermüdlichen Förderer der Rugby-Jugend

Die Rugbyspieler trauern um Peter Bews. Der langjährige, verdienstvolle Jugendwart des Rugby-Verbandes Baden-Württemberg (RBW) verstarb am 12. September 2020 im Alter von 76 Jahren an einer kurzen, heimtückischen Krankheit in seiner Wahlheimat Heidelberg. Vor sechs Wochen wusste er noch nicht, dass er krank ist, sein Leben rasch zu Ende gehen würde, dass die Ärzte ihm nicht würden helfen können.

 

Mit Peter Bews verlor der deutsche Rugbysport einen seiner Vordenker, aber auch einen scharfen Kritiker von gedankenlosem Handeln, Bequemlichkeit und Müßiggang. „Warum tun Sie das nicht?“, fragte Peter Bews laut in die Runde, wenn Vereinsjugendleiter wieder einmal verschwitzt hatten, einen Zuschussantrag fürs Schul- und Vereinsrugby beim Sportbund zu stellen. Hart und unermüdlich in der Sache, verbindlich im Ton, ein echter Freund, der seine Meinung ohne Scheu vertrat und immer nach Mitstreitern und Verbündeten suchte – und sie fand. Zu keinem Zeitpunkt gab es in seinem Jugendausschuss, den er von 1999 bis 2009 und nochmals von 2012 bis 2016 mit klaren Vorstellungen, aber auch locker und unterhaltsam führte, einen offenen Posten; alle Funktionen waren stets kompetent besetzt, auffällig oft von tatkräftigen und zuverlässigen Frauen.

 

Peter Bews wurde am 17. Juni 1944 im englischen Birmingham geboren. Die Verwüstung seiner Heimatstadt durch deutsche Bomben erlebte er nicht bewusst. Er setzte sich aus tiefer Überzeugung für die Verständigung junger Menschen ein, ab 1975 als Lektor am Anglistischen Seminar der Universität Heidelberg und später als RBW-Jugendwart, der die Sportpartnerschaften mit den Klubs in Cambridge, Shelford und Selkirk und mit der Bedford School in seiner Heimat pflegte, aber auch die Partnerschaftsprogramme mit Polen und Tschechien nutzte und über das Deutsch-Französische Jugendwerk den Austausch mit bedeutenden Rugby-Regionen ankurbelte, damit der baden-württembergische Nachwuchs von Besseren lernen konnte. Rhone-Alpes, Alpes-Maritimes/Cote d’Azur, Var, Midi-Pyrénées und Ile de France waren neben dem nahen Elsass und Lothringen regelmäßige Spielpartner der baden-württembergischen Landesauswahlen. Das internationale Siebenerrugby-Turnier „SAS Heidelberg Juniors & Girls Sevens“ mit den U16-Nationalteams aus Belgien, Israel, den Niederlanden, Polen, Rumänien, der Schweiz und Tschechien sowie den Regionalauswahlen aus British Columbia, Saskatchewan, Venetien und den deutschen Bundesländern baute er zu Europas wichtigstem Nachwuchsturnier aus und erweiterte es 2014 für die U18-Mädchen. Das alljährliche SAS Sommercamp mit 100 Jugendlichen und drei Nationaltrainern aus Wales war ebenso sein „Baby“ wie der SAS Juniorcup und der SAS Wintercup, die dem U8- bis U12-Nachwuchs unzählige Turnierspiele boten. „Wer viel und regelmäßig spielt, wird gut“, war seine Überzeugung.

 


Peter Bews kam durch seinen heute 35-jährigen Sohn James, der als Jurist in Berlin lebt, zur Rudergesellschaft Heidelberg, in der er half, wo Hilfe nötig war. Der selbstlos fleißige Mann fiel durch seine Freundlichkeit und soziale Kompetenz auf. Peter und seine Familie erlitten 2016 einen fürchterlichen Schicksalsschlag, als der neunjährige Sohn Ben durch einen Verkehrsunfall vor den Toren seiner Schule in der Heidelberger Altstadt ums Leben kam. Seither engagierte sich Peter Bews für die Verkehrssicherheit in Heidelberg und machte mit einem von ihm gegründeten und geleiteten Verein Schulwege sicherer.

 

Peter Bews, ein überzeugter Europäer, gab seine britische Staatsbürgerschaft aus Protest gegen die Brexit-Politik Boris Johnsons zurück und wurde am 21. März dieses Jahres für seine unzähligen Verdienste in der Jugendarbeit vom Sportausschuss des Heidelberger Gemeinderates zum „Förderer des Sports“ gewählt. Wegen des Coronavirus-Lockdowns konnte diese hohe Ehrung nicht durchgeführt werden. Die Sportplakette wird ihm posthum verliehen.

 

Er hinterlässt neben James seine Ehefrau Kirsten und die 17-jährige Tochter Lucy, die in Heidelberg zur Schule geht. Ihnen gilt unser Mitgefühl. Peter Bews wird am Samstag, 26. September, um 11 Uhr auf dem Friedhof Köpfel in Ziegelhausen beigesetzt. Um 12.30 Uhr folgt eine Trauerfeier in der Heiliggeistkirche, an der nach den Corona-Bestimmungen 160 Personen teilnehmen können. Claus-Peter Bach



Schneller schlauer mit der Rhein-Neckar-Zeitung! 

Dienstag, 1. September 2020

Flick ist kein Hans(i) im Glück

 Warum Hansi Flick mit dem FC Bayern München die Champions League gewonnen hat

Hansi Flick hat am Abend des 23. August 2020 den höchsten Gipfel erklommen, den ein Vereinstrainer erreichen kann. Sein FC Bayern ist deutscher Meister, DFB-Pokalsieger und Champions League-Sieger in einem Jahr, nachdem er 2014 als rechte Hand und Ratgeber des Bundestrainers Joachim Löw den Weltmeistertitel errungen hatte.

 

Flick ist aber kein Hans(i) im Glück, dieses Etikett haftet dem gebürtigen Heidelberger, der sein Fußballspiel beim BSC Mückenloch und der SpVgg Neckargemünd gelernt und in den Junioren- und Oberligamannschaften verfeinert hatte, zu Unrecht an. Nichts überlässt der Trainer Flick dem Glück, nicht beim FC Bammental, nicht bei der TSG 1899 Hoffenheim, nicht in Salzburg, nicht beim Nationalteam und nicht bei den Bayern. Hansi Flick ist ein sehr fleißiger, sehr gewissenhafter Arbeiter, der Tag und Nacht über seinen Planungen tüftelt und unentwegt überlegt, wie er seine Spieler besser machen kann. Fleiß, Akribie und Bescheidenheit haben ihn, der im Mittelfeld der Bayern als Arbeitsbiene viermal deutscher Meister war, auch als Spieler ausgezeichnet.

 

Wir erinnern uns an den 26. Mai 1985, an das Aufstiegsrunden-Rückspiel zur 2. Liga Süd. Nach einem 3:3 im Hinspiel drei Tage zuvor verlor der SV Sandhausen bei Viktoria Aschaffenburg durch ein kurz vor Schluss erzieltes Tor mit 1:2. Als der große Regen einsetzte, saß der 20-jährige Hansi Flick wie zerstört auf dem grünen Rasen und ließ nach einer überragenden Leistung keinen Trost gelten. „Wie kann ich nach einem solchen Spiel zu den Bayern wechseln?“, fragte er sich immer wieder.

 

Er hat es geschafft – damals wie heute. Hansi Flick ist ein großer Trainer, weil er verstanden hat, dass seine Spieler neben Können, Disziplin und Ordnung auch Freiräume benötigen und Spaß am Fußball haben wollen.

 

Claus-Peter Bach am 26. August 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung


Ein Sommer in Bayreuth

Was geschieht in einer Festspielstadt, wenn keine Festspiele stattfinden dürfen?

 

Obwohl die 109. Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth, die vom 25. Juli bis zum 30. August geplant waren und bei denen ein neuer „Ring des Nibelungen“ hätte geschmiedet werden sollen, dem Conoravirus zum Opfer gefallen sind, ist das Festspielhaus auf dem Grünen Hügel nicht ganz verschlossen. Und an Opern-Fans herrscht in der Bezirkshauptstadt Oberfrankens kein Mangel. Dreimal täglich öffnet sich eine Tür an der westlichen Flanke des Hauses, und eine junge Frau begrüßt jeweils maximal zwölf Gäste, die sich telefonisch anmelden und selbstverständlich eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen, zu einer 45-minütigen Führung. Erwachsene zahlen sieben Euro und dürfen im fast 2000 Besucher fassenden hölzernen Resonanzraum des Hauses auf Klappstühlen der ersten Reihen Platz nehmen. Bei einer Festspiel-Aufführung kostet solch ein Platz 590 Euro. Es handelt sich um die dritte Bestuhlung seit der Einweihung des Festspielhauses mit dem „Ring“ im Jahr 1876 – damals hatte Hans Richter, ein Trauzeuge des dichtenden Komponisten, das vierteilige Mammutwerk im verdeckten Orchestergraben drei Mal dirigiert.

 

Dort erklimmt nun ein Besucher den Dirigentenstuhl, schaut so grimmig wie einst Hans Knappertsbusch und fuchtelt ein bisschen mit den Armen herum – leider herrscht im ganzen Haus ein unerbittliches Fotografier-Verbot. Durch das Königsportal, das 1882 zu Ehren von Wagners treuestem Mäzen Ludwig II. anbaut worden ist, verlassen die Besucher das Festspielhaus und schwärmen hinaus in die Stadt.

 

Dort ist kaum weniger los als in den früheren Festspiel-Sommern. Touristen aus aller Welt bummeln durch die historischen Straßen, viele Geschäfte haben bis 20 Uhr geöffnet, die Restaurants aber müssen um 22 Uhr schließen; offenbar ist das Virus im Frankenland nachtaktiv. In den angesagten Speisehäusern, dem „Oskar“, dem „Miammiam glouglou“, dem „Dötzer“, dem „Liebesbier“ und selbst im „Bürgerreuth“ ganz oben auf dem Grünen Hügel, bekommt man ohne Reservierung keinen Platz. In die „Lamperie“, die früher „Vogels Kartoffelkäfer“ hieß und ein angenehm ruhiger Biergarten ist, lockt ein Filmfestival – Zutritt nur mit im Vorverkauf erworbenen Tickets –, schräg gegenüber im Hof der Pianoforte-Manufaktur Steingräber gibt es ein täglich wechselndes Kulturprogramm mit Klaviermusik von Beethoven und Wagner mit dem Pianisten Hans Martin Gräbner und der Sopranistin Gesche Geier. Uwe Hoppe, der jahrelang mit seinen humoristischen Versionen von Wagners Werken ein begeistertes Publikum gefunden hatte, bietet „Lili Marleen – das Leben der Lale Andersen in Liedern und Texten“ an. Am letzten Tag der Steingräber-Festspiele 2020 gibt’s „Die Nibelungen“, einen Kinofilm von Fritz Lang von 1924. Wer Bayreuth mit dem Auto besucht, findet etliche attraktive Parkhäuser. Am Rotmain-Center kostet eine Parkstunde 80 Cent. Nach vier Stunden zahlt man den Tageshöchstbetrag von 2,80 Euro und darf 24 Stunden parken.


 

An der Stadthalle, Bayreuths drittem Konzerthaus nach dem zum Weltkulturerbe zählenden barocken Opernhaus der Markgräfin Wilhelmine – der kleinen Schwester des Preußenkönigs Friedrich II. ist auch das Sommerschloss Eremitage mit schattigem Park zu verdanken – und Wagners Festspielhaus, wird seit Jahren renoviert. Nun werkelt man am neuen Dachstuhl, mit donnernden Hammerschlägen wie man sie aus dem „Rheingold“ kennt. Man erinnert sich an die begeisternden Einführungsvorträge, die der Bayreuther Journalist und Mundart-Schriftsteller Erich Rappl bis in die 1990-er Jahre und danach der Klaviervirtuose Stefan Mickisch aus Schwandorf über die zehn Wagner-Opern, die periodisch in Bayreuth aufgeführt werden, gehalten haben.

 

Auch das Festspielhaus wird immer repariert, diesmal im Bereich der Hinterbühne und der Probenräume, denn Proben gibt es keine. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreises war auf dem Platz vor der ehemaligen Markgrafen-Buchhandlung, wo mit viel Lärm das Pflaster erneuert wird, zu erfahren, dass Festspielleiterin Katharina Wagner wieder gesund sei und die Vorbereitungen für die ersten Festspiele nach Corona beginnen könnten. Da in diesem Jahr nicht gesungen und gespielt, nicht geklatscht und gebuht wird, ist auch das Steigenberger-Festspielrestaurant verrammelt. Stets offen ist nur die Tür zum Büro der „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth“, wo Ina Besser-Eichler und Pierre Soldatenko die spendablen Mitglieder begrüßen und viel Zeit zum Waafen (fränkisch: Plaudern) haben. Ein Cellist aus Weimar hofft, „dass 2021 wieder alles wie immer ist“, schließlich haben alle Musiker unter der Pandemie sehr zu leiden. Er trifft sich mit Orchester-Kollegen zum Essen.

 

Wer erfahren will, wie „Bayreuth“ klingt und wirkt, ist im neu errichteten Kiosk links des Wolfgang-Wagner-Platzes willkommen, wo man für kleines Geld DVDs denkwürdiger Produktionen erwerben kann. Katharina Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ von 2007 oder die „Meistersinger“ von Barrie Kosky von 2017 – jeweils mit Klaus-Florian Vogt als Stolzing sowie Franz Hawlata und Michael Volle als Sachs. Oder den „Lohengrin“ von 2010, inszeniert von Hans Neuenfels und verkörpert von Jonas Kaufmann mit Annette Dasch als Elsa und Georg Zeppenfeld als König Heinrich. Sogar Harry Kupfers „Fliegenden Holländer“ von 1985 mit dem monumentalen Simon Estes in der Titelrolle, mit Matti Salminen als Daland und dem walisischen Rugby-Gedrängehalb Graham Clark als Steuermann – legendäre Momente, die jetzt für 19,90 Euro zu haben sind. Dass das wie das Festspielhaus mit roten Backsteinen gebaute „Häusel“ auch eine hypermoderne Toilettenanlage hat, werden besonders ältere Opernfreunde zu schätzen wissen, die nach fünfeinhalb Stunden „Götterdämmerung“ nicht nur Rücken, sondern auch hohen Druck haben...

 

An den schönen Sommertagen im August lohnen ein Besuch in der Lohengrin-Therme oder im Kreuzsteinbad. Ein Ausflug zum Fichtelsee, zum Waldschwimmbad in Warmensteinach mit seinem herrlich kühlen Wasser aus dem Roten Main, in das Café der Eremitage, wo Windbeutel mit Heidelbeeren der Geheimtipp sind, oder nach Bad Berneck bieten Abwechslung. Vor dem „Schwarzen Ross“ in Goldmühl parkt der 911-er mit dem amtlichen Kennzeichen „B - CT....“, und Maestro Christian Thielemann – gesellig und fröhlich wie immer – genießt mit Freunden den Zwiebelrostbraten und das Schäufele, das mit Semmelklos, Dunkelbiersoße und Krautsalat serviert wird. Dazu munden ein großes Helles aus einer der vielen lokalen Brauereien oder ein Silvaner im Bocksbeutel.

 

Im Bayreuther Stadtbild ist Richard Wagner weniger präsent als sonst. In den Schaufenstern sieht man kaum Büsten des Meisters, in den gepflegten Parks nur wenige Plastik-Nachbildungen von Wagners Hund „Russ“, den der Künstler Ottmar Hörl einst vielhundertfach ausgesetzt hatte. Die Parsifal-Apotheke hat sich wegen Corona aber ebenso wenig umbenannt wie die Nachtbar „Mohrenstübchen“ am Bahnhof oder die Mohren-Apotheke in einem der schönsten Wilhelminischen Häuser in der Sofienstraße. Auch wenn am Grünen Hügel keine Musik erklungen ist, gibt es die Brünnhildenstraße und die Lohengrinstraße und die Tannhäuserstraße noch, und Harald Kaiser tischt in der „Eule“, Wagners Lieblingslokal, Evchens Senfsüppchen und Wotans Hirschragout auf. Das wird auch nach Corona so sein.

 

Claus-Peter Bach am 29. August 2020 im „Magazin“ der Rhein-Neckar-Zeitung 

Sonntag, 23. August 2020

Über die Absage der Rugby-Bundesliga im Herbst 2020

Weil Rugby anders ist

 

„Früher“, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, „war auch die Zukunft besser“. Das jedenfalls behauptete Karl Valentin. Da der Münchener Komiker von 1882 bis 1948 gelebt hat, machte er keine Bekanntschaft mit dem Coronavirus und konnte auch nicht in den vielstimmigen Chor der Virologen einstimmen, die seit Monaten vor den von diesem Winzling ausgehenden Gefahren warnen.

 

Bei „Hart, aber fair“, „Maischberger“, „Lanz“ (allabendlich!), „Anne Will“ und sogar in seriösen Magazinen kämpfen Wissenschaftler bis zur Erschöpfung gegen die irren Auffassungen von Corona-Skeptikern, die – vornehmlich anonym im Internet oder verhüllt bei Demos der krassen Art – glauben machen wollen, das fiese Virus sei „vom Chinesen“ gezüchtet worden, um „den Ami“ auszurotten oder in Ischgl „vom Putin“ ausgesetzt worden, um „die Merkel“ zu ärgern. Karl Valentin hätte dazu bemerkt: „Es wurde schon alles gesagt, aber noch nicht von allen.“

 

Der Sport hat auf die Bedrohungen weitgehend vernünftig reagiert: Die Fußball- und Basketball-Bundesligen wurden geisterhaft zu Ende gespielt, die Amateurkicker haben wie die Handballer, Eishockeycracks und andere Sportler ihre Saison abgebrochen. Sebastian Vettel und seine Kollegen treiben Lewis Hamilton vor sich her, ohne von ihren Fans ausgepfiffen zu werden – wo keine Zuschauer sind, können sie nicht pfeifen.

 

Seit ein paar Tagen aber ist mein Papagei doch stark beunruhigt. Zwei harte Entscheidungen sind gefallen: Die Innenminister des Bundes und der Länder waren ausnahmsweise mal einer Meinung und haben Fußball-Bundesligaspiele mit Zuschauern für diesen Herbst untersagt. Und kurz danach hat die Mehrheit der 47 Erst- und Zweitligaklubs im Rugby mehrheitlich entschieden, dass das Ansteckungsrisiko zu groß sei und deshalb 2020 keine Bundesligaspiele mehr stattfinden werden. Bei seinem Urlaubsrundflug über die deutsche Heimat hat mein Papagei die Wut der Fußballfans und die Enttäuschung der Rugbyspieler gespürt: „Da braut sich was zusammen!“

 

Siebenerrugby als Nothilfe

 

Während sich die Bosse im Fußball sorgen, wie sie die Attraktivität ihres Geschäfts erhalten und ihre teuren Teams finanzieren können, müssen sich die Klubchefs im Rugby Gedanken machen, wie sie ihre Amateurspieler ohne ernsthafte Wettkämpfe bei der Stange halten. Eine Wettkampfpause bis März 2021 – das wirft jeden Sport zurück, da brauchen wir Karl Valentin gar nicht in die Zukunft schauen lassen.

 

Man wird, hier wie da, kreativ sein müssen – und klug und vernünftig und verantwortungsbewusst. Corona-Verniedlichende dürfen insbesondere im Rugby keine Stimme haben. Denn Rugby ist anders als Fußball und jedes andere Ballspiel. Während beim Basketball, Handball und Fußball der ballführende Akteur immer versucht, den Verteidiger zu umspielen, ihn auszutricksen oder per Doppelpass zu überwinden (weshalb man von Kontaktsportarten spricht), ist es ein Merkmal des Rugbysports, dass der balltragende Angreifer absichtlich auf den Verteidiger aufläuft, um ihn zu binden und Raum für Angriffsaktionen der Mitspieler zu schaffen. Rugby ist ein Kollisionssport, wie Verbandsarzt Colin Grzanna ganz richtig sagt. Beim Rugby kämpfen Stürmer Schulter an Schulter. Ihr Schweiß vermischt sich im Gedränge. Sie atmen sich aus fünf Zentimentern Entfernung direkt an. Mundgeruch ist eklig. Das wissen auch Ringer und Judoka, die im Herbst ebenfalls keine Kämpfe austragen.

 

Wer nun meint, Freundschaftsspiele oder ein Cup-Wettbewerb der Sorglosen könnten die Bundesliga im Herbst ersetzen, hat bei all den Corona-Fernsehdiskussionen nichts verstanden. Man kann übrigens auch nicht die Bundesligen pausieren lassen und die Saison der Regional- und Verbandsligen durchführen. Nein, gerade ein Nischensport wie Rugby in Deutschland ist auf Solidarität und kluges Handeln seiner Akteure angewiesen, sonst verliert er jede Reputation. Die wurde gerade durch die Erfolge der Siebenerrugby-Nationalmannschaft mit der Vizeeuropameisterschaft 2018 und dem EM-Titelgewinn 2019 aufgebaut.

 

Die Traditionalisten des Rugbyspiels werden diese Sätze nicht gerne lesen, doch mein Papagei ist unerbittlich: „Spielt Siebenerrugby, nur in diesem Herbst, aber mit Mann und Maus. Nur so könnt Ihr fit und gesund bleiben!“

 

Siebenerrugby, seit 2016 ein olympischer Sport, wurde 1883 von Adam Haig „erfunden“, einem Zeitgenossen Karl Valentins. Auch der Metzgergeselle ahnte nicht, dass sein Spiel 2020 während der Coronavirus-Pandemie Hochkonjunktur haben sollte. Weil im schottischen Melrose am Freitagabend, nach der Auszahlung des Wochenlohns, heftig gesoffen wurde, standen tags darauf beim Rugbymatch gegen einen Nachbarort mit Adam Haig nur sieben Spieler für Melrose zur Verfügung. Die anderen hatten Kopfschmerzen und waren zuhause geblieben.

 

„Das haben sie gut gemacht“, findet mein Papagei.

 

Claus-Peter Bach am 22. August 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung


Donnerstag, 6. August 2020

Die Vereine melden nur wenige Transfers

Über die Spielerwechsel in der Rugby-Bundesliga Süd

 

Am 31. Juli um 24 Uhr war vieles klar, denn zur Geisterstunde endete die Wechselfrist in den Rugby-Bundesligen. Nachdem die Spielzeit 2019/20 aufgrund der Coronavirus-Pandemie nach dem achten Spieltag beendet werden musste und keine Meister und Absteiger ermittelt wurden, waren die Heidelberger Bundesligisten HRK, RGH, TSV Handschuhsheim und SC Neuenheim sowie der Zweitligist HTV mit Neuverpflichtungen zurückhaltend. Sie bauen auf Nachwuchskräfte aus den eigenen Talentschuppen.

 

Der TSV Handschuhsheim, deutscher Vizemeister 2019 und beim Saisonabbruch hinter Titelträger SC Frankfurt 1880 auf dem zweiten Tabellenplatz der Bundesliga Süd, hat die Mannschaftsführung in neue Hände gegeben. Sportlicher Leiter ist nun Alexander Hug, der Michael Reinhard abgelöst hat. Neue Trainer sind der Engländer Max Stelling und der Südafrikaner Jacobus Otto, der seinen Platz im Olympiakader der deutschen Siebenerrugby-Nationalmannschaft verlassen hat, um das Engagement bei den „Hendsemer Löwen“ einzugehen. Der TSV meldet mit den Nationalstürmern Antony Dickinson, Alexander Metz (beide von der RGH) und Justin Renc (von Hannover 78) drei prominente Neuzugänge. Außerdem kehrt der Stürmer Felix Krause vom schottischen Erstligisten Boroughmuir RFC in den Lions Park zurück. Aus dem starken U18-Team rücken Conor Arnold, Peer Dickhaut, Yannis Hartmann, Joshua Kühnel, Karl Römming, Julian Schenk, Marius de Giacomini und Attila Oeß in die beiden Männer-Teams auf.

 

Die Rudergesellschaft Heidelberg belegte im März den dritten Tabellenplatz und wird weiterhin von Sportchef Kai Nagel und den beiden Trainern Mustafa Güngör und Tim Kasten betreut. Die RGH hat mit Siebenerrugby-Ass Bastian Himmer, der nach zehn Jahren zu seinem Heimatverein Hannover 78 zurückkehrt, Johannes Schreieck (zu Meister Frankfurt) sowie Dickinson und Metz vier prominente Abgänge, hat sich aber fünf Verstärkungen geholt. Vom irischen Sunday Wells RFC aus Cork kommt Eoin Hurley, vom TV Pforzheim der im TB Rohrbach ausgebildete türkische Nationalspieler Ali Sürer, vom SCN die beiden Stürmer Willians Portillo (Paraguay) und Guillermo Garcia Vallina (Spanien) sowie Vincent Moser vom RC Regensburg. Paul Pfisterer kehrt vom München RFC zurück. Aus dem Juniorenteam rücken Joris Ahlborn, Dennis Fabian Bollian, Clemens Kienzler, Marc Zöller, Nick Hittel und Raffael Strauß in die beiden Männer-Teams auf.

 

Der Sportclub Neuenheim schaffte es als Aufsteiger bis zum Saisonabbruch auf den vierten Rang. Die Verantwortlichen sind weiterhin der Sportvorsitzende Axel Moser und die beiden Trainer Alexander Widiker und Clemens von Grumbkow. Neu sind der Spielausschuss-Vorsitzende Kevin Wilke, die vom RC Rottweil gekommenen Stürmer Mo’unga Taufateau aus der neuseeländischen Rugby-Hauptstadt Auckland und Markus Brausam sowie Nationalspieler Felix Lammers vom HRK. Aus dem U18-Team rücken Jakob Dipper, Maximilian Heid, Jakob Helms, Luis Herzog, Lennart Okafor, Marco Radoccia, Finn Schwager, Paul Sengewitz, Anton Troch und Christoph Weißberg in die beiden Männer-Teams auf. Portillo, Garcia Vallina (zur RGH), Kevin Landsberg (Ziel unbekannt) und Tomás van Gelderen (Karriere beendet) stehen nicht mehr zur Verfügung.

 

Beim Heidelberger Ruderklub sind neuerdings Peter Ulrik Kessel und Alexander Wiedemann neben den beiden Trainern Pieter Jordaan und Kehoma Brenner für die beiden Männer-Teams verantwortlich. Der Verein, der Außendreiviertel Felix Lammers an den SCN abgegeben hat, meldet aufgrund der Unsicherheiten in der Coronavirus-Pandemie noch keine neuen Spieler, möchte aber eine zweite Mannschaft für die Verbands- oder Regionalliga Baden-Württemberg melden.

 

Beim Heidelberger Turnverein, zu Saisonabbruch Fünfter der 2. Liga Süd, gab es einen Trainerwechsel. Anstelle von Thomas Kurzer wirken nun Nationalspieler Ben Scherrer, Jannis Kruse und der Ire Daithy Kerr gemeinsam. Spielleiter Rob Williams ist aufgrund der Pandemie in Wales gebunden, wo er seine betagte Mutter pflegt. Der HTV hat sich mit Oliver Seelinger vom TSV Handschuhsheim und mit Jules Mallet, einem jungen Studenten der Universität Nancy, verstärkt.

 

„Unser Saisonziel ist es, wieder Rugby zu spielen“, fasste Vorstandsmitglied Ralf Schindler von der RGH die Hoffnungen aller Heidelberger Rugbyspieler zusammen. Vom Deutschen Rugby-Verband (DRV) ist ein Saisonbeginn Mitte September angepeilt worden, doch Verbandsarzt Colin Grzanna (Berlin) äußerte sich in diesen Tagen zurückhaltend: „Das Risiko eines Wettkampfbetriebes wird den Nutzen der Sportausübung nicht überschreiben. Es ist derzeit sehr unwahrscheinlich, dass wir Mitte September mit einem vertretbaren Risiko unseren Sport ausüben können“, teilte der frühere Nationalmannschaftskapitän den Vereinen mit.

 

Claus-Peter Bach am 3. August 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

 

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Nationalspieler Alexander Metz kehrt nach einigen Jahren bei der Rudergesellschaft Heidelberg zu seinem Heimatverein TSV Handschuhsheim zurück. Foto: F&S


Mittwoch, 29. Juli 2020

Mein Papagei stürzte fast vom Himmel

Über den Stellenwert Olympischer Spiele ein Jahr vor Tokio 2021


Am Freitagabend haben mein Papagei und ich uns auf dem Sofa nett eingerichtet, ein paar Kissen im Rücken, Erdnussflips, Stachelbeeren, Cola Zero und frischen Filterkaffee – was man so braucht für eine lange Fernsehnacht. Vier Jahre zuvor, bei Olympia in Rio, war das schön. Schon in der ersten Nacht erlebten wir Unterwasserrudern auf einer windgepeitschten und von toten Fischen verseuchten Lagune, bewunderten den Straßenrennen-Sieger Greg van Avermaet beim Biss in die Goldmedaille und empörten uns, als ein Reporter verkündete, der erste Aufschlag von Andrea Petkovic und Jelina Switolina sei mit unter 50 Prozent schlecht gewesen, „was bei Frauen oft so“ sei.

 

Diesmal verzehrten wir Erdnussflips, Stachelbeeren und Kaffee zu „Ein Fall für zwei“, „SOKO Leipzig“, „Tatort“ und „Mankells Wallander“, und irgendwann schlummerten wir hinweg, denn auch Herr Dr. Thomas Bach, bekanntester Ratgeber in allen olympischen Lebenslagen, tauchte an diesem Abend nicht auf.

 

Kürzlich ist mein Papagei bei einem Rundflug über „Sportdeutschland“ beinahe vom Himmel gestürzt. Er hatte beobachtet, wie fleißig unsere Athletinnen und Athleten sich auf die Olympischen Spiele 2020 im Jahr 2021 in Tokio vorbereiten, wie sie unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln aus 1,50 Metern Entfernung Judo- und Ringergriffe ansetzen, mit auf fast zwei Meter verlängerten Armen boxen und in einem auf 40 Meter Länge ausgebauten Achter den Neckar hinauf- und hinunterrudern. Da gelangte die Radio-Nachricht an sein Ohr, dass Thomas Bach entschlossen sei, 2021 nochmals für das Amt des IOC-Präsidenten zu kandidieren. „Das darf doch nicht wahr sein!“, entfuhr es meinem Papagei, dem sofort klar war, wie demotivierend diese Nachricht auf die Sportlerinnen und Sportler wirken wird.

 

Keine Ethik, keine Moral

 

Gut, dass Tokio 2020 aufgrund der Coronavirus-Pandemie verschoben werden musste und kein Mensch weiß, ob das Sportfest im Juli 2021 stattfinden kann, ist dem IOC-Präsidenten nicht anzulasten. Dieses kleine fiese Virus, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, hat Bach nicht erfunden und auch nicht verbreitet. Andere Krankheiten, die den Weltsport plagen, aber schon. Alfons Hörmann, der ehrenwerte Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, hat in dieser Zeitung zwar mal behauptet, „Thomas Bach ist nicht Teil des Problems, sondern dessen Lösung“, doch mein Papagei hält dagegen und sagt: „Dieser Satz enthält zwei Irrtümer“.

 

Lesen bildet, Radiohören auch. Am 18. Juli hat Bianka Schreiber-Rietig im Deutschlandfunk kommentierend zusammengefasst, warum es keine gute Idee sei, dass das IOC mit Bach an der Spitze weiterwursteln wolle. Wir zitieren ein paar Sätze der Kollegin, weil sie so schön und so treffend sind:

 

„Auch in einer zweiten Amtszeit wird sich nicht viel ändern. Das IOC bleibt in vielem ignorant und aus der Zeit gefallen.“ – Dann wird Frau Schreiber-Rietig konkret: „Der 100 Delegierte starke IOC-Hofstaat huldigt König Thomas. Kritik? Keine. Dabei kam sein zauderndes Pandemie-Management außerhalb seines Königreiches nicht gut an – weder bei den Athletinnen und Athleten, noch dem Gros der Sportfamilie, geschweige denn bei vielen Menschen weltweit.“ Mein Papagei erinnert sich: „Das IOC stimmte einer Verschiebung der Spiele erst zu, als tausende Menschen gestorben waren.“

 

„Bachs IOC-Agenda 2020 sollte die Spiele reformieren. Ergebnisse: Bisher mau“, stellt Frau Schreiber-Rietig fest, und mein Papagei erinnert an Bachs Hinhalte-Politik im Doping-Skandal um Russland, an seine zerstörende Kritik an der unterfinanzierten WADA, an seine Ferne zu den Athleten und seine Nähe zu Despoten in aller Welt. Natürlich: Olympia hat einen Wert. Mit Bach an der Spitze hat es aber keine Ethik und keine Moral.

 

Claus-Peter Bach am 27. Juli 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

Sabine Kusterer hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben

Über eine deutsche Gewichtheberin, die 2021 bei Olympia in Tokio starten möchte


Sabine Kusterer aus Karlsruhe lebt in Leimen und ist Gewichtheberin in der Bundesliga-Staffel des KSV Durlach. Die 29-Jährige ist Berufssoldatin und Studentin der Volkswirtschaftslehre. Sie dient als Oberfeldwebel in der Sportfördergruppe der Bundeswehr in Bruchsal, und als wir uns im Grün vor dem Olympiastützpunkt Rhein-Neckar treffen, hat sie sich schon ein paar Stunden auf eine Klausur an der Uni Heidelberg vorbereitet.

 

Die vielfache deutsche Meisterin der Gewichtsklassen bis 58 und bis 63 Kilogramm hat eine große internationale Erfahrung: 2008 war sie Jugend-Europameisterin, bei den Frauen-Europameisterschaften 2011 und 2013 belegte sie siebte Plätze, und bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro schaffte sie ihre persönlichen Bestleistungen mit 90 Kilogramm im Reißen und 110 Kilogramm im beidarmigen Stoßen; damit gewann sie in der Klasse bis 58 Kilogramm die B-Gruppe und belegte im Gesamtklassement den zehnten Rang.

 

Die Olympiasiegerin Sukanya Srisurat ist inzwischen lebenslang gesperrt worden. Die Thailänderin, bereits 2013 des Dopings überführt und für zwei Jahre suspendiert, hatte in Rio 110 und 130 Kilogramm zur Hochstrecke gebracht und sich 2017 bei einem anderen Wettkampf erneut beim Betrug erwischen lassen. Das Olympia-Gold durfte sie behalten. „Das macht mich wütend“, sagt Sabine Kusterer, zumal die International Weightlifting Federation (IFW) lapidar erklärt hat: „So ist das System, und so sind die Regeln.“



Sabine Kusterer hat in ihrem langen Sportlerleben schon viel Betrug und viele Ungerechtigkeiten erlebt und sagt: „Es ist ganz schlecht, dass im internationalen Gewichtheben permanent gegen das Fairplay und die Werte des Sports verstoßen wird, denn Doping hat im Training und in den Wettbewerben nichts zu suchen. Leider wissen diese Betrüger nicht, was sie sich und anderen Athleten antun.“ Für viele Konkurrenten stehe der Erfolg über allem. Da gebe es zum Beispiel den viermaligen Weltmeister Ilya Ilyin aus Kasachstan, der bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking und 2012 in London wegen Dopings disqualifiziert wurde, aber auf Instagram immer noch Millionen Follower habe. Ein Betrüger als Volksheld? Im Gewichtheben ist das in manchen Ländern möglich.

 

Sabine Kusterer, die über den Tellerrand ihres Sports hinausblickt, seit September 2018 auch ehrenamtliche Vizepräsidentin des Badischen Sportbundes Nord ist und als Botschafterin eines regelgerechten und anständigen Sports in die Vereine hinein wirkt, lässt das nicht kalt: „Wer betrügt und erwischt wird, gehört geächtet. Denn er zerstört den Ruf unseres Sports und vernichtet die Trainingsarbeit seiner Konkurrenten und bringt deren Leben in Gefahr. Denn wer permanent betrogen wird, gerät in Gefahr, sein inneres Gerüst zu verlieren.“ Die deutschen Antidopingregeln müssten weltweit gelten: Wer betrügt, verliert seinen Kaderstatus, wird ausgeschlossen und muss die Zuwendungen der Stiftung Deutsche Sporthilfe und alle Prämien komplett zurückzahlen.“

Diese Bedingungen müssen Athletinnen und Athleten unterschreiben, wenn sie in einen Bundeskader aufgenommen werden. Sabine Kusterer gehört gegenwärtig dem „Topteam Future“ der Sporthilfe an und wird mit monatlich 300 Euro als Zulage zu ihrem Bundeswehr-Sold unterstützt: „Davon kann man leben“, sagt sie und freut sich auf das in einer halben Stunde beginnende Krafttraining im OSP.

 

„Topteam Future“ heißt, dass man von Sabine Kusterer – wenn sie gesund bleibt und weiterhin konzentriert trainieren kann – noch einiges erwartet. Trainingsziel ist die erneute Qualifikation für die Olympischen Spiele, bei denen sie 2021 in der Gewichtsklasse bis 63 Kilogramm antreten möchte. Neue Gegnerinnen, neue Herausforderungen – es ist nicht möglich, ein konkretes Leistungsziel zu formulieren. Die hundert Kilogramm im Reißen möchte Sabine Kusterer aber schon irgendwann noch schaffen.

 

Immerhin hat sie ganz leise Hoffnungen, dass der Sport in der IWF künftig ein wenig sauberer und fairer wird: „Ich glaube nicht, dass Gewichtheben jemals dopingfrei sein wird. Aber mit richtiger Schulung der jungen Athletinnen und Athleten in aller Welt und mit einem durchgreifenden Kontrollsystem könnte der Betrug stark minimiert werden. Es mag eine Utopie sein, aber die IWF muss endlich zeigen, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher.“

 

Hoffnung verleiht der schonungslose Report des kanadischen Jura-Professors Richard McLaren (75), der das Geschäftsgebaren der IWF in den letzten 25 Jahren untersucht und im Rahmen einer ARD-Dokumentation am 7. Juni dieses Jahres öffentlich gemacht hat: Unter dem Ungarn Tamas Aján (81) aus Ungarn, der nach 25 Jahren als Generalsekretär seit 2000 als IWF-Präsident amtierte, Council-Mitglied der Wada und IOC-Mitglied war, gab es alles: Wahlbetrug, Vertuschung von rund 40 prominenten Doping-Fällen gegen Geldleistung, Bedrohung, Erpressung und Abservierung von Andersdenkenden wie den deutschen Verbandspräsidenten Dr. Christian Baumgartner aus IWF-Gremien und persönliche Vorteilsnahme. McLaren hat ausgerechnet, dass unter Aján 9,27 Millionen Euro aus der Kasse des Weltverbandes verschwunden und nicht mehr aufzufinden sind. Für diese großartigen Leistungen hat Tamas Aján am 28. Februar 2010 den Olympischen Orden, die höchste Auszeichnung des IOC, erhalten. Da war IOC-Präsident Thomas Bach noch im Anflug auf den olympischen Thron, doch schon 2011 ließ er sich, von Aján umarmt, ohne jedes Schamgefühl ablichten.

 

Die Hoffnung Sabine Kusterers und ihrer Kolleginnen und Kollegen in aller Welt ruhen nun auf der US-Amerikanerin Ursula Papandrea, die nach Lektüre des McLaren-Reports als Interimspräsidentin der IWF versprochen hat, die „klar benannten Probleme“ anzugehen: „Wir wollen in eine neue Ära der Transparenz, Verantwortung und guten Unternehmensführung eintreten“, versprach Ursula Papandrea in der ARD. Sabine Kusterer wünscht ihr viel Kraft, Glück und Erfolg.

 

Claus-Peter Bach am 27. Juli 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

Samstag, 27. Juni 2020

Gegen Anfeindungen hat sie gute Strategien

Serena Benavente über Diskriminierung und Rassismus in den USA und in Deutschland

Auf diese Frage zeigt Serena Benavente ihr schönstes Lächeln, und ihre Hände, mit denen sie so viele Emotionen ausdrückt, wirbeln begeistert durch die morgendlich noch kühle Luft. „Ich liebe Heidelberg! Die Altstadt, der Fluss, die Alte Brücke, das Kopfsteinpflaster, die Cafés, der Wald, die Thingstätte fürs Konditionstraining, das Radfahren. Oh, es gibt so viel Schönes hier“, ruft die beinahe übersprudelnde Basketball-Trainerin: „Heidelberg ist wirklich meine zweite Heimat. Aber Heimat ist für mich auch Kalifornien, wo meine Eltern leben und wo ich aufgewachsen bin.“

Serena Benavente wurde vor 35 Jahren in dem 34 000-Einwohner-Städtchen Seaside im Landkreis Monterey geboren. Die Eltern sind als junge Leute aus Guam, der südlichsten Insel des Marianen-Archipels im pazifischen Ozean, eingewandert. Guam hat rund 160 000 Einwohner, ist so breit wie die Strecke von Heidelberg nach Mannheim und so lang wie die Autobahn zwischen Patrick Henry Village und Karlsruhe. Es liegt irgendwo zwischen Japan, den Philippinen und Hawaii und ist ein nicht inkorporiertes Territorium der USA, hat also Seine Peinlichkeit Donald Trump als Staatsoberhaupt, aber keinen Stern auf der US-Flagge. Mutter Millie ging „mit 17, 18 Jahren zum Studium nach San José“ und ist Fitnesstrainerin, Vater Pete – ein guter Baseballspieler – hat auch studiert und wirkt als Techniker an einer Krankenpflegeschule.

Serena Benavente lebt seit elf Jahren in Heidelberg, zunächst als erste Profispielerin im Team der BasCats USC Heidelberg, seit 2017 als Co-Trainerin der Heidelberger Bundesliga-Damen an der Seite von Chefcoach Dennis Czygan und nun auch als Athletiktrainerin der MLP Academics in der 2. Bundesliga der Herren. Man sieht Serena Benavente an, dass sie nicht die Tochter eines Handschuhsheimer Landwirts und seiner Magd ist, sondern „von auswärts“ gekommen ist. Ihr Wesen ist fröhlicher als das der Kurpfälzer Ureinwohner, ihr Lächeln ist ansteckend, ihre Hände schwingen erklärend durch die Luft, sie antwortet auch auf intimere Fragen mit einer Offenheit, die große Selbstsicherheit ausstrahlt.


Wo ist Ihre Heimat?, lautete die Eingangsfrage, die ihr eine Liebeserklärung zu Heidelberg entlockt. Haben Sie in den USA oder in Deutschland jemals Diskriminierung erlebt oder Rassismus erlitten? Serena Benavente muss nur kurz nachdenken: „Von den USA kann ich nicht sprechen, denn ich kenne eigentlich nur Kalifornien richtig gut. Die Vereinigten Staaten sind so groß. Ich war beispielsweise noch nie an der Ostküste und kann mir darüber kein Urteil bilden. Ich sehe natürlich die Fernsehbilder und weiß über die Black Power-Bewegung und #blacklivesmatter Bescheid“, erklärt die 165 Zentimeter große Sportlerin, die im Kampf mit den längsten deutschen Athletinnen als Spielmacherin der BasCats maßgeblich dafür gesorgt hat, dass der einst so starke Heidelberger Basketball gegenwärtig wenigstens eine Erstliga-Mannschaft hat.

„Meine Familie ist von Diskriminierung sicher nicht unberührt – ich persönlich weniger, aber von meinen Brüdern gibt es schon ein paar Geschichten“, deutet Serena Benavente an, dass Einwanderer aus Guam auch Benachteiligungen erfahren können, besonders dann, wenn sie im Leben und Beruf erfolgreich sind. Bruder Chris ist Luftwaffensoldat, Jonathan freiberuflicher Fotograf, dort wie hier ein harter Job. Was die Rassismus-Erfahrungen der Brüder anbelangt, möchte Serena nicht ins Detail gehen.
In Deutschland kann Serena Benavente mit ihrer 32-jährigen Freundin Toni in Ruhe und Frieden leben. Sie weiß natürlich, dass sich hierzulande Rassisten, die jahrzehntelang im Schatten gewirkt haben, mehr und mehr ans Tageslicht trauen und dass es viele rassistische Gruppen und sogar gefährlichen rassistischen Terror gibt, doch war sie von solchen Anfeindungen noch nie persönlich betroffen. Weder aufgrund ihrer Herkunft, noch aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. „Anfangs war das natürlich ein bisschen kompliziert, aber wir haben einfach unser Leben gelebt und unser Privates nicht an die große Glocke gehängt. Wir sind nicht jeden Sonntag Händchen haltend durch die Hauptstraße gelaufen“, lacht Serena Benavente und fügt fast ein bisschen trotzig hinzu: „Heute machen wir das aber schon ab und zu, und wer sich daran stört, soll sich eben daran stören. Das trifft mich nicht, denn ich mache vieles mit mir selbst aus und brauche andere nicht dazu. Natürlich pflegen wir einen Lebensstil, der nicht jedem gefällt. Aber das berührt uns nicht.“

Dann lässt Serena Benavente aber wissen, dass sie gute Gespräche mit Freunden, entspannende Stunden mit Kaffee und Kuchen und den Gedankenaustausch mit liberalen Menschen durchaus sehr schätzt und genießen kann: „Ich weiß, dass es in jeder Gesellschaft faule Äpfel gibt. Deshalb versuche ich, das Beste in einem Menschen zu erkennen. Wenn ich aber überhaupt nichts Gutes entdecke, beschäftige ich mich nicht weiter damit. Anfeindungen solcher Leute wären mir egal, doch mit anderen Menschen bin ich stets zur Diskussion bereit.“

Serena Benavente ist Bachelor und Master in Kinesiologie und berät ihre Spielerinnen und Spieler in Fragen der sportlichen Lebensführung und Trainingssteuerung. Wie viel Training ist gut? Wie viel Schlaf brauche ich? Welche Ernährung ist die richtige? Welche Kraftübungen nützen mir? Welche Muskelgruppen benötigen Regeneration? – solche Themen eben. Als sich während des Gesprächs vor der „Cantina“ des Olympiastützpunkts im Neuenheimer Feld ein Rugby-Ass nähert und höflich fragt, ob Serena sich mal ein befreundetes Mädchen nicht aus dem Basketball anschauen könne, die körperliche Probleme habe, erscheint wieder dieses wunderschöne Lächeln in ihrem Gesicht. Sie sagt zu: „Das empfinde ich als Wertschätzung.“

Claus-Peter Bach am 27. Juni 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

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Serena Benavente im Gespräch mit der Rhein-Neckar-Zeitung. Foto: vaf

Samstag, 20. Juni 2020

So war es im Olymp doch schon immer

Über Ethik und Moral im Internationalen Olympischen Komitee

Ich hoffe sehr, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, sie können verzeihen, dass mein Papagei der vielen, vielen Stunden erst in der Quarantäne und dann im Homeoffice ein bisschen überdrüssig geworden ist. Er ist kürzlich davongeflattert und hat in einer Buchhandlung das knapp 500 Seiten dicke Werk „Percy Jackson erzählt griechische Göttersagen“ aufgestöbert.  

Der Autor Rick Riordan, ein Englisch- und Geschichtslehrer aus Boston in Trumponien, lässt den 16-jährigen New Yorker Percy die alten Geschichten erzählen, die wir von Homer römisch I (um 850 vor Christus) kennen, der sie in Hexametern aufgeschrieben hatte. Percy erzählt mehr in der Sprache von Homer II (Simpson, um 2020 nach Christus), so dass wir zwar alles prima verstehen und dennoch überrascht sind, dass Percy sich als Halbgott, als Sohn des Meeresgottes Poseidon in Menschengestalt, vorstellt.
Percy hat die Geschichten zunächst seiner Freundin Annabeth vorgelesen, die ihn immer dann, wenn es besonders grausam und blutig wurde, einbremsen konnte. Irgendwie sind 16-jährige Mädchen vernünftiger als gleichaltrige Jungs, wenngleich sie in der Schule gerne damit prahlen, mit einem Halbgott liiert zu sein...

Percy schildert detailgenau das Leben und Wirken der Götter im Olymp und lässt nichts aus, was sie zwischen Himmel und Hölle angestellt haben. Insgesamt kann man festhalten, dass die olympischen Götter der Antike mit Ausnahme der dem Bündnis 90/Die Grünen zuzuordnenden Demeter große Schlingel, ja regelrechte Gauner waren: Dionysos ein hemmungsloser Säufer, Ares ein Mörder und Vergewaltiger, Aphrodite eine Verführerin selbst minderjähriger Jungs, Hades ein einfallsreicher Folterer von Seelen der Verstorbenen bis in alle Ewigkeit, oder Hermes, der mit geflügelten goldenen Schuhen durch die Welt flitzte und die unheilvollen Strafmaßnahmen seiner Kolleg*innen (oft zu spät) ankündigte. Und dann bei allen immer diese Gier nach Glamour und Gold...

Da auch im Olymp die Weisheit „wie der Herr, so das Gescherr“ galt, war Göttervater Zeus der Übelste von allen. Er trat oft inkognito als Adler, Schlange, Schwan oder Ameise in Erscheinung, war – obwohl eigentlich für Recht und Ordnung im Universum zuständig – ein Gewalttäter, der andere das Fürchten lehrte, und wenn ihm etwas gegen den Strich ging, schleuderte er einen tödlichen Blitzstrahl aus dem Olymp; dann gab es Nachschub für Hades. Den Hashtag #greeklivesmatter ignorierte er konsequent, und als das Volk der Thessalier ihm zu wenige Tiere opferte, rottete er kurz mal die ganze Menschheit aus, indem er einen Tsunami über die Küsten schwappen ließ. Als der hochstaplerische Prinz Salmoneus mit einem goldenen Wagen poste und lauthals verkündete, er sei Zeus, traf ihn ein gezackter Blitzstrahl. Der Göttervater büxte oft aus dem Olymp aus, strich als Wanderer durch die Welt (wie es auch sein nordischer Kollege Wotan gerne tat) und hinterließ überall schwangere Frauen. Ob das auch heute noch so ist, wissen weder Percy noch mein Papagei.

„Irgendwie hat sich aber nicht viel geändert“, stellte mein Papagei fest, nachdem er „Fair Play im Sport“ aus der Schriftenreihe der Deutschen Olympischen Gesellschaft (Zweigstelle Darmstadt) studiert hatte. Wie die Redakteure Rainer Paepcke und Walter Schwebel in einem Epilog und nicht in Hexametern (!) betonen, geht es der DOG nicht nur um Fair Play, sondern auch „um Leistungsbereitschaft, Teamgeist und Völkerverständigung“, um die Kernpunkte der Charta des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) also.

Auf den Seiten 10 und 11 dieser Schrift kommen die Autoren auf die olympischen Götter der Neuzeit zu sprechen und behaupten kühn: „Das IOC heute: Bodenhaftung verloren“. Im Olymp werde vermisst: „Die Förderung und Pflege der Ethik des Sports“.
„Hoffentlich trifft die Jungs jetzt nicht ein gezackter Blitzstrahl“, betet mein Papagei für das Leben der Darmstädter, die in ihrer IOC-Kritik auch zwei namhafte Sportler zu Wort kommen lassen. Franz-Josef Kemper (72), 1972 in München Olympiavierter über 800 Meter, stellt fest: „Auf der Sportbühne werden nicht nur schöne Stücke gespielt. Die Unfähigkeit des IOC, den Spielen einen vernünftigen Umfang vorzuschreiben, bei der Vergabe der Spiele die klimatischen und ökologischen Argumente vor den ökonomischen zu berücksichtigen, die unbefriedigenden Ergebnisse der Dopingfahndung und die ungezählten Korruptionsfälle im höchsten Gremium selbst haben dessen Image stark ramponiert.“ Und Harald Pieper (80), langjähriger Chefredakteur von „Olympisches Feuer“, äußert sich explizit zu Zeus: „Dr. Thomas Bach setzt seine Ziele eher in persönlich gute Beziehungen zu Königen und Staatslenkern und drückt sich vor angemessenen Sanktionen gegen zum Beispiel Russland, von dessen Staatsdoping er die volle Kenntnis haben musste.“

Die IOC-Kritik der DOG schließt philosophisch: „,Ethik ist wichtiger als Religion’, sagt der Dalai Lama. Auf jeden Fall ist Ethik wichtiger als das Durchsetzen persönlicher Interessen, als Gewinnmaximierung und Großmannssucht im Umfeld des IOC!“
Dem hat mein Papagei ausnahmsweise mal nichts hinzuzufügen.

Claus-Peter Bach am 20. Juni 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung



Schneller schlauer mit der Rhein-Neckar-Zeitung!