Samstag, 3. Oktober 2020

Der Sohn des „Wassergottes“

Über einen 88-jährigen Sportler, der 1951 deutscher Basketball-Meister war


Damals war für Gesprächsstoff gesorgt: Bei einem Fußballspiel der mittelbadischen Landesliga im Jahr 1980 zwischen dem FV Malsch und dem ASV Durlach sah sich der Schiedsrichter bemüßigt, vier Spielern der Gastgeber die Rote Karte zu zeigen. Hinterher verkündeten die Durlacher, der Referee sei ihr bester Mann gewesen, während die Malscher die Spruchkammer des Badischen Fußball-Verbandes anriefen und Freisprüche für das bestrafte Quartett beantragten. Der Vorsitzende Richter Hans-Joachim Schäfer studierte den Schiedsrichter-Bericht, hörte einen Schiedsrichter-Obmann an, der das Spiel beobachtet hatte – und sprach die vier Spieler von allen Vorwürfen frei.

 

„Es waren nach Überzeugung der Spruchkammer vier unberechtigte Platzverweise“, erinnert sich Hans-Joachim Schäfer, der damals ganz unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen hat. Spieler und Vereine lobten die Courage des Sportrichters, die Schiedsrichter – und besonders ihr Verbandsobmann – fühlten sich im Stich gelassen und waren beleidigt. „Dabei haben wir doch bloß Recht gesprochen“, sagt Hans-Joachim Schäfer rückblickend.

 

Der mutige Mann lebt heute 88-jährig im Seniorenheim „Agaplesion Bethanien-Lindenhof“ in Rohrbach und gebraucht seit wenigen Monaten, „weil die Kniegelenke nicht mehr so wollen“ einen Rollator. Noch im letzten Jahr hat er sich mit regelmäßigem Training bei Pfitzenmeier jung gehalten, wo er in den letzten 30 Jahren Sportlerinnen und Sportler kennengelernt hat, die zu Freunden geworden sind: „Sie kaufen für mich ein, sie fahren mich zum Arzt. Und jetzt dürfen sie mich auch wieder besuchen“, freut sich Hans-Joachim Schäfer über diese Hilfen nach den Corona-Lockerungen im Alltag. Er hatte bis zum 70. Geburtstag eine Anwaltskanzlei und eine Inkassogesellschaft geführt.

 


Natürlich hatte Hans-Joachim Schäfer als Bub, wie jeder Junge, Fußball gespielt, was ihm Vater Heinrich nach einer Verletzung aber verbot. Der strenge Herr Papa arbeitete als Installateur bei den Stadtwerken und wurde von allen „Wassergott“ genannt, weil er die Schlüsselgewalt über die Heidelberger Trinkwasserspeicher hatte. Also wechselte Hans-Joachim nach dem Abitur bei der von Queen Elizabeth II geadelten Dame Gladys Fischer am Englischen Institut zum Turnerbund Heidelberg, zurück in die heimische Altstadt.

 

In der Leyergasse war Hans-Joachim Schäfer im November 1931 zur Welt gekommen, Mutter Anna und Vater Heinrich schickten ihn in die Hindenburgschule, die heute Friedrich-Ebert-Schule heißt, und weil Hans-Joachim in seinem schicken Matrosenanzug ein sehr guter Schüler war, erhielt er von seinem Lehrer die Empfehlung für eine Napola. In den Nationalpolitischen Erziehungsanstalten bildeten die Nationalsozialisten ihre künftigen Eliten aus. Sie impften den Jungen ihr Weltbild ein, „aber wir trieben auch viel Sport“ (Schäfer), wozu auch ein „Mutsprung“ aus dem vierten Stock des Schulgebäudes zählte. Schäfer war in den Napolas im elsässischen Rouffach, im südbadischen Achern, in Rottweil und in der Schlossschule Salem stationiert, doch als er 14 war, war der Krieg zu Ende, bevor er irgendwo als Kindersoldat missbraucht werden konnte.

 

Nach dem Abitur begann Schäfer ein Jura-Studium, war als Referendar am Amtsgericht Schwetzingen und arbeitete dann als Staatsanwalt und Notar in Heidelberg und war Rechtsanwalt in der Kanzlei von Dr. Paul Schlatter – den Präsidenten des Tennis-Clubs Schwarz-Gelb und Heidelberger „Förderer des Sports“ nennt er sein berufliches Vorbild. 26 Jahre lang war Hans-Joachim Schäfer Vorsitzender der Anwaltskammer. Trotz starker Konzentration auf den Beruf war er ein sehr guter Basketballer und Tennisspieler.

 

Der TB Heidelberg war 1948 der dritte deutsche Basketball-Meister nach dem LSV Spandau und Schwabing München und wiederholte den Titelgewinn 1951, 1952 und 1953. In der Meistermannschaft von 1951 in Berlin war Hans-Jürgen Schäfer „Stürmer, rechts oder links“ und hatte prominente Teamkameraden wie die späteren Meister- und Bundestrainer Dr. Wolfgang Heinker, Torry Schober und Kurt Siebenhaar oder Toni Kartak, der von 1973 bis 1984 Präsident des Deutschen Basketball-Bundes war. Zwei Jahre später wurde Hans-Joachim Schäfer mit der Uni Heidelberg in Dortmund Zweiter der Internationalen Deutschen Hochschulmeisterschaft; Medaillen, Anstecknadeln und Teilnehmerausweise zeugen von diesen Erfolgen.

 

Im Tennis war er ein ehrgeiziger Vereinsspieler im Polizei-Sportverein Heidelberg und im TC St. Ilgen, der es sich später leisten konnte, Steffi Graf und Boris Becker zu den Grand Slam-Turnieren in Roland Garros, dem Londoner Queens Club, in Wimbledon und in Flushing Meadows zu begleiten und Sternstunden des deutschen Sports zu erleben – wie 1954 in Bern-Wankdorf, als er den 6:1-Sieg der späteren Fußball-Weltmeister über Österreich im Stadion erleben durfte.

 

Nach Fußball als Junge und Basketball in den besten Jahren hatte Hans-Joachim Schäfer eine dritte aktive Zeit im Sport. Durch seinen Beruf lernte er Erich Balles, Werner Kindermann und Theo Machmeier, die führenden Persönlichkeiten in den Oberliga-Jahren des SV Sandhausen, kennen, die ihn dazu überredeten, für die Position des 3. Vorsitzenden zu kandidieren. Am 1. Juli 1971 trat er in den SVS ein und erinnert sich an unvergessliche Erlebnisse: Eine tolle Kameradschaft im Vorstand und an Gespräche mit dem ganz jungen Hansi Flick, von dem er sagt: „Er war und ist und bleibt ein anständiger Mensch.“ Als Flick mit den Bayern die Champions League gewann, „habe ich gejubelt – bis spät in die Nacht!“

 

Claus-Peter Bach am 19. September 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

 

Bildtext: Hans-Joachim Schäfer in seiner Heidelberger Seniorenresidenz mit den Ehren- und Meisterabzeichen aus seiner sportlichen Laufbahn. Foto: Helmut Pfeifer



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