Mittwoch, 29. August 2018

Die 1. European Championships in Berlin und Glasgow

Die Heimat der Champions

 Nur wenige Wochen nach dem Amtsantritt des neuen Sportministers ist die Welt für die deutschen Athleten, Trainer und Fachverbände fast wieder in Ordnung. Horst Seehofer ist in bayerischen Bierzelten ein bejubelter Kraftmeier, die von ihm geförderten Sportler haben in den Arenen von Berlin und Glasgow sowie im kühlen Nass des Loch Lomond mehr Medaillen gesammelt als sein heillos überforderter Vorgänger Thomas de Maizière je zu erträumen gewagt hatte.

Mit einem schiefen Vergleich an den Olympischen Spielen 2016 in Rio gemessen, haben sich die Beckenschwimmer von null auf acht Plaketten gesteigert, die Leichtathleten haben ihre Bilanz um 633 Prozent (3 auf 19) verbessert. De Maizière hatte durch die Spitzensportreform nur 30 Prozent mehr Medaillen haben wollen, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein. „Was macht der Minister nun mit so viel Edelmetall?“, fragt mein Papagei und glaubt eigentlich kaum, dass Seehofer der Frau Bundeskanzlerin eine glitzernde Kette schmieden lässt.

Edelmetall für die Kurpfalz

Der Samstagabend in Berlin mit Gold für MalaikaMihambo und Mateusz Przybylko, Silber für Nadine Müller und Bronze für ShaniceCraft hat die älteren Leichtathletik-Fans an den Goldenen Sonntag von München 1972 erinnert, als Hildegard Falck über 800 m, Bernd Kannenberg im 50 km Gehen und Klaus Wolfermann im Speerwurf an einem Nachmittag drei Olympiasiege gefeiert hatten. Das Berliner Publikum trug die Athleten zu diesen Erfolgen – wie am Donnerstag, als die Heidelbergerin Bettina Augenstein den Speerwurf-Triumph von Thomas Röhler und Andreas Hofmann miterleben durfte. Die Staffel-Europameisterin von 1994 in Helsinki, die damals mit „Hipp, Zipp, Hurra!“ gefeiert wurde, war einer Einladung des Deutschen Leichathletik-Verbandes (DLV) für die Champions früherer Jahre gefolgt und hat – 24 Jahre danach! – ihre Kameradinnen Melanie Paschke, Silke Knoll und Silke Lichtenhagen, die mit 42,90 Sekunden gewonnen hatten, „sofort wiedererkannt.“

„Bettina ist noch immer auf Zack“, findet mein Papagei, nachdem die Verwaltungsangestellte des Olympiastützpunkts Rhein-Neckar schon am Samstag wieder daheim war, um im Weinheimer Sepp-Herberger-Stadion die SGK Heidelberg mit ihrem Sohn Moritz anzufeuern. Sie tat das temperamentvoll wie immer, aber vergeblich. Kirchheim, ohne Moritz, verlor.

Die Kurpfalz ist wieder – auch dank der guten Leistungen von Hannah Mergenthaler und Nadine Gonska über 4x400 m – eine Hochburg der Leichtathletik, Baden-Württemberg ist es dank Arthur Abele (Gold im Zehnkampf), Marie-Laurence Jungfleisch (Bronze im Hochsprung) und den Topplatzierungen von Alina Reh über 10 000 Meter (5.) und Johannes Vetter im Speerwurf (4.) wieder. Das ist auch das Resultat einer langfristig angelegten und planmäßigen Leistungsförderung nach dem Solidarpakt III zwischen Politik und Sport, von der andere Bundesländer nur träumen können. Im Spitzensport ist es wichtig, dass Verbände, Trainer und Athleten langfristig planen, in Ruhe trainieren und testen und ohne Existenzangst arbeiten können. „Angst lässt Speere nicht weit fliegen“, weiß mein Papagei.

Insofern ist es erfreulich, dass Horst Seehofer im Einklang mit den Haushalts- und Sportausschüssen des Deutschen Bundestages die von seinem Vorgänger verantwortete Blockade der Reform blitzschnell aufgehoben und dem Sport rund 23 Millionen Euro Mehrmittel gewährt hat. Damit können nun die Trainer besser bezahlt, der Kampf gegen das Doping verstärkt und die duale Karriere der Athleten gefördert werden. Für Berlin und Glasgow konnte die bessere Ausstattung zwar noch nichts bewirken, doch im Sport muss sich Seehofer weder als „Totengräber“ noch als „Terrorist“ oder „Rassist“ beschimpfen. Hoffentlich bleibt das so.
 
(Linksaußen am 13. August 2018)

 
 

Donnerstag, 16. August 2018

Über die Sprache im Sportjournalismus

 Deutsche Sprache – schwere Sprache

 Was tun an einem Tag, an dem es nureinmal regnet? Bei „Sky Bundesliga“,in der „Sportschau“ und im „Sportstudio“gab’s wenigstens ein paar Toremit verblüffenden Kommentaren.Kurz zusammengefasst haben wir dasgehört: „In der 47. Minute spielte A nach einem unnötigen Fehlpass von Beinen langen Ball auf C, der von D aufder Strafraumgrenze gefoult wurde. Eerzielte mit dem Elfmeter, den F beinaheumden Pfosten gelenkt hätte, das1:0.“ In der Pressekonferenz sagteTrainer G Folgendes: „Obwohl meineTruppe präsenter war und auf Augenhöhegespielt hat, sind wir durchdiesen unnötigen Elfmeter in Rückstandgeraten. Meine Erwartungshaltungwurde aber nicht enttäuscht,denn die Nachwuchstalente haben gutgespielt. Dennoch tut die Niederlageweh, weil sie unnötig ist.“ Hier zappt mein Papagei zu 3sat oder ARTE.

Wirklich um Inklusion bemühteImmigranten versichern, dass diedeutsche Sprache eine sehr schwereSprachesei.Manchefürchten,Deutschmit all den Substantiven für ein unddieselbe Sache und den vermaledeitenunregelmäßigen Verben nie richtigzu lernen. Die Gefahr steigt, je häufigersie Sport im Fernsehen guckenoder dem Radio lauschen. Verwirrendesfindet man aber auch in derRNZ: Da galoppieren Nachwuchstalentewie weiße Schimmel durch dieSpalten, und aus einem Landesliga-Spielbericht erfuhren wir, dass derentscheidende Treffer per Kopf gefallensei, obwohl man Tore im Allgemeinenmit einem Ball schießt. Derallerdings ist nie lang, sondern immerrund – das wusste schon Sepp Herberger,der gelebt hatte, als man dieWahrheitenunserer Zeitnochnicht beiWikipedia googeln konnte.

"Deutsche Sprache,
schwere Sprache"
What it means:
German is hard
 
"Beschreiben Sie die deutsche Sprache!"
"Umfahren ist das Gegenteil von umfahren."

 
Von unnötigen Niederlagen
 
Das Geplapper vom unnötigen Fehlpassund dem unnötigen Foul bewegtmeinen Papagei und mich im Innersten. Es kann ja sein, dasssich eine unnötige Niederlage im Kopfeines Trainers zu einer nötigen Niederlagemausert, weil sie allzu sorglosenSpielern die Augen öffnet, denTrainingseifer erhöht und für bessereKonzentration im nächsten Matchsorgt. Doch muss man sich fragen, obes nötige Fehlpässe oder nötige Foulswirklich gibt. Das eine würde jederTrainer strikt verneinen, während wenigstenseiner aus der Zunft der Fußballlehrergegenüber dieser Zeitungkleinlaut zugegeben hat, dass er Foulsnicht grundsätzlich für unnötig hältund manchmal sogar trainieren lässt –nach dem Motto: Lieber ein Foul als einGegentor.DaswirfteinschlechtesLichtauf die Branche,denneigentlich soll derSport gut und edel sein.

Es ist schön, dass eine Mannschaftam Samstag um 15.30 Uhr präsent ist.Wäre sie nicht da, könnte das Spielnicht beginnen. „Daer“ als da kannman freilich nicht sein, präsenter als präsent auch nicht. Ja, es gibt in unsererMega-Sprache Worte, die mannicht steigern kann, wohl aber werdentagtäglich neue Begriffe erfunden.Vor einigen Jahren zog im Morgenblau die „Erwartungshaltung“ inunser Land und löste dank ihrer FürsprecherPhilipp Lahm und Jogi Löwfast unbemerkt die Jahrhunderte alte „Erwartung“ ab. Das ist vielleicht nicht so schlimm. Dann aber schlichsich die „Augenhöhe“ in unser Leben;seither ist nichts mehr, wie es war. Wurde früher mit Fußballstiefelnauf dem grünen Rasen gekickt, so spielendie Volkshelden unserer Zeit lieber„auf Augenhöhe“ – wie bei Mainzgegen Hoffenheim. Bildlich betrachtet stellen wir uns das lustig vor, wie sieda rennen und schießen und jubeln –alles einen Meter siebzig über dem Boden,also auf Augenhöhe, wobei es beiLahm und Mario Götze rund zwanzigZentimeter tiefer heiß hergeht. Das hatdie Natur so gewollt. Den Greenkeepern,
die früher Platzwart hießen, gefällt’snatürlich, wenn auf Augenhöhegegrätscht wird. Es schont den Rasen.

Wir aber fragen uns, wo bei denen,die auf Augenhöhe unnötige Foulsmachen, die Stirnhöhe liegt, und rufenvor der „Sportschau“ am nächstenSamstag verzweifelt: Herr, lass’Hirn regnen!
 
(Linksaußen am 7. Oktober 2013)
 

Über die Transfersummen im Fußball

Fast so teuer wie ein Stadion

Wer in Paddington Station den Intercitybesteigt und London gen Westenverlässt, kann in zwei Stunden im Cardydd Canolog sein. Der Zug fährt nicht über Mainz und hält nur selten, zum Beispiel in Reading, wo kürzlich Daniel Williams hinausgehüpftist. Der Karlsruher Bub hat das Paradies in Zuzenhausen verlassen und sucht sein Fußballer-Glück nun in der Kleinstadtan der Bahnlinie nach Cymru.

Cymru ist gälisch und heißt in der Sprache der dort ungeliebten Engländer Wales. Früher gab’s dort nur Bergwerke, Schafe und Rugby, heute bietet zumindest die Hauptstadt Cardydd (Cardiff) mehr. Vom Canolog (Hauptbahnhof) bummelt man durchmalerische Straßen, das Auge erfreut sich an gepflegten Parks, wie Heidelberg sie früher auch hatte, und die alte englische Mär, dass in Wales die Schafe hübscher seien als die Mädchen, hat meinen Papagei schon immer empört. Das Opernhaus hat Weltstars wie den hochdramatischen Sopran Dame Gwyneth Jones aus Pontnewynyddund den mächtigen Bariton Bryn Terfel aus Pant Glas im County Gwyneddhervorgebracht. Vor der Markthalle,die an die alten Pariser Hallenerinnert, ist das Bronzestandbild des Sir Gareth Edwards ein beliebtes Fotomotiv. Edwards hatte die „Roten Drachen“, das Rugby-Nationalteam, in den 1970-er Jahren zum Hattrick im Fünf-Nationen-Turnier geführt und war Spielmacher der British and Irish Lions, einer Nationalspieler Auswahl mit den Stars aus England, Schottland, Cymru und Gesamt-Irland.

 Gareth Bale aus Cymru
 
Das Schärfste an Cymru sind aber seine Prinzen! Der gegenwärtige Regent Charles ist bekannt geworden, weil er die liebliche Diana verschmähthat und in seiner Freizeit mit Blumen und Sträuchern plaudert. Thronfolger William ist, wenn man das Lächeln seiner Gattin Kate richtig interpretiert, in jeder Hinsicht perfekt.

 Wir fassen zusammen: Wales ist eingepflegter Landstrich mit einer hübschen Hauptstadt, lustigen Prinzen, einem Castle, das weniger zusammengerumpeltist als das Heidelberger Schloss (weil es der Franzmann nie bis dorthin geschafft hat), Mädchen, die auf jeden Fall viel hübscher sindals Schafe, und einem Rugbyteam, das bei der WM 2011 im Halbfinale war.
Und Fußball? Diese Frage, lieber Leser, darf man in Cymru niemandem stellen, man würde ausgelacht. Das Nationalteam steht in der Weltrangliste auf Platz 46. Natürlich gab es vor vielen, vielen Jahren mal diesen Ian Rush aus Flint, der – Sie werden sich erinnern, liebe Leserin – ganz genauso aussah wie „James Bond“ Daniel Craig, aber im Dienste des FC Liverpool229 Tore erzielte. Zur gleichen Zeit hütete Neville Southall aus Llandudno 578-mal das Tor des FCEverton, erzielte aber kein Tor. Daswar’s dann aber schon mit der Fußball-Herrlichkeit Cymrus, das nureinmal (1958) an einer WM teilnehmen durfte und im Viertelfinale an PelesBrasilianern scheiterte (0:1).

 Und nun das! Wie aus dem Nichtsschoss Gareth Bale in die Schlagzeilen,wofür er selber freilich wenigkann. Denn die 100 Millionen Euro, diedie Tottenham Hotspurs für seinen Abschied kassiert haben, zahlt ja nichtder 24-jährige Renner aus Cardiff,sondern Real Madrid. Die „Königlichen“haben eine gewisse Erfahrungdarin, besonders viel Geld auszugeben,wenn sie besonders wenig haben.

Das Millennium Stadium in Cardiffmit seinem wundervollen Schiebedachhat 1999 knapp 150 MillionenEuro gekostet. Nur ein Drittel davonhat die Nationale Lotterie übernommen.
100 Millionen, den Wert des FußballersBale, hat die Welsh Rugby Unionvon Privatleuten und Firmen ausaller Welt erbettelt, weshalb es dortzum Beispiel einen Dankstein für den keineswegs wohlhabenden HeidelbergerMarko Protega gibt.

 In Wales versteht niemand, warumjemand für einen Fußballer 100 Millionenbezahlt. Es ist so verrückt, „dasswir es auch nicht verstehen müssen“, findet mein Papagei.

(Linksaußen am 9. September 2013)

Zur Leichtathletic-Weltmeisterschaft 2013 in Moskau


Hat Deutschland keine Staatsanwälte?
 
Die deutschen Leichtathleten haben beider WM in Moskau mit sieben Medaillenund einigen Endkampf-Platzierungengut abgeschnitten. Sie haben imMedaillenspiegel, der zwar„inoffiziell“,für die Verantwortlichen in Politikund Sportpolitik aber das allein seligMachende ist, den fünften Rang belegt.Wenn wir Wert darauf legen, dürfenwir Deutschen auf unsere Athletenalso stolz sein, was drei Wochen vor derWahl eines neuen IOC-Präsidenten undfünf Wochen vor der Bundestagswahlauf jeden Fall nicht stört.

Alle Athleten, die nicht beim Dopenerwischt wurden, dürfen behaupten,sie seien „sauber“. Das giltfür Christina Obergföll, Robert Harting,Raphael Holzdeppe oder DavidStorl genauso wie für UsainBolt. Nachden Wettkämpfen im Lushniki-Sportparkhaben die deutschen Medailleneinen besonderen Glanz. „Unsere“Läufer sind den Russen,Amerikanernund Jamaikanern zwar hinterher gehechelt,das aber mit dem reinstem Gewissen.Denn sie wurden am häufigstenkontrolliert. 8567 Trainingskontrollenhatte die Nationale Antidoping-Agentur (NADA) alleine 2012durchgeführt. Diese Kontrollen haben ergeben, dass acht Athleten, also 0,093Prozent der Getesteten, betrogen haben.Das klingt erfreulich, steht aber –wie die Süddeutsche Zeitung aufgedeckthat – in krassem Widerspruch zueiner anonymisierten Erhebung derStiftung Deutsche Sporthilfe von 2013,wonach 5,9 Prozent der befragten AthletenDoping eingeräumt haben und40,7 Prozent die Frage aller Fragen unbeantwortetließen.

Nur 0,093 Prozent Betrüger?

Der gemeine deutsche Sportfreund,also nicht das halbe Prozentder 27 Millionen Mitglieder des DeutschenOlympischen Sportbundes(DOSB), das vom Sport lebt, stellt sichangesichts einer so geringen Trefferquoteder NADA Fragen: Wollen dienichts finden? Dürfen sie nichts finden?Oder können sie nichts finden,weil die NADA chronisch unterfinanziertist und in der Regel nur diepreiswerten Urintests statt der wesentlichteureren und für DopergefährlicherenBluttests durchführenkann? Ärzte, Wissenschaftler und mein Papagei weisendarauf hin, dass die Suche nachCannabinoiden (macht ruhig und mutig,mildert Schmerzen), Alkohol (beruhigtbeim Zielen die zitternde Hand)oder Anabolika und Wachstumshormonen (machen stark, schnell und frühtot) überholt seien, weil nur dieDümmsten diese leicht zu findendenSubstanzen noch verwenden. Das Dopingvon heute heiße Gen-Doping undsei nicht zu entdecken. Vitamin-Dopingsteht nicht auf dem Index.
Aus einer Studie der Unis Berlinund Münster war, wie DOSB-PräsidentThomas Bachbetonte, zwar„nicht viel Neues“ zu erfahren, dochimmerhin soviel, dass Dopingforschung in Westdeutschland von staatlichenStellen gefördert und finanziellunterstützt worden ist. Die Arbeitder Forscher war schwierig, weil – eigentlicheine Spezialität desBundesinnenministeriums– im Bundesinstitutfür Sportwissenschaft Akten geschreddert wurden und Verschwiegenheitsklauselndie Offenlegung derForschungsergebnisse verhinderten.

Wer die veröffentlichten Teile derüber 800 Seiten starken Studie gelesenhat, den treibt nur noch eine Frageum: Warum gibt es 2013 in diesemDeutschland, einem demokratisch verfassten Staat mit Gewaltenteilung(keiner Bananenrepublik!), nicht eineneinzigen Staatsanwalt, der demAuftrag des Volkes gerecht wird, einErmittlungsverfahren einleitetunddieLeistungssportakten des DOSB unddes BMI beschlagnahmt, um in akribischem Aktenstudium zu ermitteln,welche Straftaten die Chefs des Sportesund der Politik tatsächlich begangenhaben? – An Minderjährigenundan von der Gunst ihrer TrainerundVerbandsfunktionäre abhängigenSportlern, die sogar die Zumutungendes Meldesystems ADAMS ertragen,um international starten zu dürfen.

„Wir Athleten lassen uns freiwilligtesten“, behauptet DOSB-AthletensprecherChristian Breuer zwar immerwieder.Dochdas ist Quatsch,dennwerbeiADAMSnicht mitmachte, flöge ausdem Kader und verlöre alles.

zur Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2013 in Moskau


Whistleblower im Lushniki-Park

Bei der Leichtathletik-WM spielten sich im Wettkampf zwischen der ARDund Eurosport dramatische Szenen ab. Als die ersten Marathon-Läuferinnenin den Lushniki-Park fußelten, behaupteten die beiden Reporter des„Ersten“, dass das Rennen noch ganz spannend werden würde, weil die führendeEdna Kiplagat „höchstens zehnMeter“ vor Valeria Straneo liege. Mein Papagei und ich warenzwarnichtvor Ort, konnten aber– am frühen Nachmittag! – schon mitbloßem Auge erkennen, dass der Vorsprung der Keniatin einen Kilometer vor dem Ziel gut 50 Meter betrug, was– zapp, zapp – die Experten von Eurosport sofort bestätigten.

Beim Einbiegen ins Stadion, wo die knapp 5000 Marathon-Fans unter den85 000 Sitzen frei wählen durften (unddas in Russland!), war das Rennen laut ARD immer noch spannend. 300 Meterspäter hatte Kiplagat trotz zweimaliger Babypause in jüngerer Vergangenheit mit 14 Sekunden oder 80Metern Vorsprung gewonnen. Spannend war auch, wie die Japanerin Fukushieine knappe Minute später als Dritte und deren LandsfrauKizaki weitere 45Sekunden später als Vierteins Ziel liefen. Spannende Stundenverbrachten wir beim Warten auf die beste Deutsche. „Ja, wo läuft sie denn?“, fragte mein Papagei. Wir warten noch immer, denn es war keine gestartet.


Dass Eurosport die präziseren Abstände kannte, mag daran liegen, dass der paneuropäische Sender besser mit den russischen Sicherheitskräften vernetztist. Während im Lushniki-Park

nur wenige Lauffans die Frauen anfeuerten, stand unter jedem Baum einPolizist mit auffällig großer Mütze aufkleinem Kopf. Wie aus gewöhnlich gutunterrichteten Kreisen verlautete, soll Wladimir Putins neuer Sicherheitsberater Edward Snowden die Bewachung der Bäume angeordnet haben, schließlichkönne unter den Spechten dort ein Whistleblower sein. Russlands Reporterrieten den ARD-Kollegen übrigens,ihre tägliche Ration Wodka erst nach Dienstschluss zu trinken.
Die deutschen Zehnkämpfer hattenbeim Hochsprung, der vierten Disziplin,mit enormen Problemen zukämpfen. Pascal Behrenbruch zähmtevergeblich seine vom SeitenwindverwehteFrisur, Rico Freimuth hadertemitseinemStab. BeijedemAnlauffuhrsich der Hallenser erst mit der linken,dann mit der rechten Hand über dieenge Hose, um Ordnung zu schaffen.„Hoffentlich hat er keine Läuse“,sorgte sich mein Papagei, der ein aufmerksamer Leichtathletik-Fan ist. Mitaufgeräumter Hose sprang Freimuthpersönliche Bestleistung. Mein Papageiund ich waren zunächst beruhigt.Als die Kamera aber zu den 400-m-Vorläufen der Frauen schwenkte,schrie mein Pagagei auf: „Hast Du dasgesehen?“ Eine Viertelmeilerin aus denUSA hatte sich wie Freimuth mit flinkenHandbewegungen auf ihren Startvorbereitet. Hoffentlich sind Sextestsim Pflichtprogramm dieser WM.
 
(Ferngesehen am 12. August 2013)

Zur Europameisterschaft der deutschen Fußball-Frauen


Warum nur spielen Frauen Fußball?

 Man könnte die Uhr danach stellen. Im Sommer eines jeden ungeraden Jahres wird an Stammtischen, wo Männer Erholung von Arbeit und Familie suchen, eine Grundsatzfrage diskutiert: Warum nur spielen Frauen Fußball? Wer sich als Christenmensch einbisschen auskennt, hat die Antwortschnell parat, denn sie steht im Buch der Bücher. Im 1. Buch Mose, Kapitel2 wird beschrieben, wie der Herr dem ersten Menschen Adam eine Rippe abknackte,um daraus Eva, das erste Weib, zu basteln. Ob dem Herrn wirklich bewusst war, was er damit anrichtete,wissen wir nicht. Wir hinterfragen
es auch nicht, denn es entspricht gegenwärtig nicht der deutschen Staatsräson, die Taten des Herrn sowie der Menschenkinder Angela Merkel, Benjamin Netanjahu, Barack Obama, Wladimir Putin und Thomas de Maizière zu hinterfragen.

 Mit Eva führte der Herr jedenfalls auch Dinge ein, die es vorher im Paradiesund auf Erden nicht gegeben hatte: Neben der Liebe, von der Männer wie Frauen gleichermaßen etwas haben, auch Weiberkram wie Eleganz, Charme, Liebreiz, Mode, Chic, Shopping und Neugier, Jahrhundertespäter auch Strickzeug, Nähnadeln, Küchenherde, Wischmopps und Spüli, für das sich Männer selten interessieren.Schon in den Jahren um die Geburt von Gottes Sohn aber delektiertensich Männer in allen Teilen derWelt, selbst im fernen China oder beiden Azteken, am Spiel mit einem ballähnlichenSpielzeug, woraus sich überdie Jahrtausende der Fußball mit Regelnund Spielen bei knapp 40 Grad,der DFB, die FIFA, der Kaiser, JogiLöw und Sepp Blatter entwickelten.


Debatten am Stammtisch

 
Weil aber nicht nur Männer, sondernauch Frauen schon im 1. BuchMose von der Neugier geplagt werden,war es völlig klar, dass Frauenauch den Fußball entdecken würden.Es dauerte zwar lange, bis Adamcheckte, was da lief, und er einen dickenHals bekam – mein Papagei spricht vom „Adamsapfel“ –, aber nachdem derDFB sein von 1955 bis 1970 geltendesstriktes Frauenfußball-Verbot aufgehobenhatte, gab es für die Frauenin ihrem Lieblingssport kein Haltenmehr. Heute hat der DFB unter seinen6,7 Millionen Mitgliedern schonüber eine Million Frauen. Deshalb istes kein Wunder, dass die deutsche Nationalmannschaftvon Anbeginn derinternationalen Meisterschaften eineFührungsrolle einnimmt.

 Es sind immer Männer, die denFrauen das Spiel mit dem runden Plastikvermiesen wollen. Die Redakteureeiner bilderreichen Tageszeitungschrieben nach der 0:1-Vorrundenniederlage gegen Norwegen das böse Wortvon den „Rumpelfüßlerinnen“, und derPotsdamer Turbinen-ankurbler BerndSchröder vertrat im gleichen Mediumdie Auffassung, dass Männer die besserenFrauentrainer seien.
Wäre Silvia Neid ein Mann, so hättesie darauf mit einer Wutrede reagiertwie weiland der Rumpelfüßler-Trainer Rudi Völler im Dialog mit„Waldi“ Hartmann. Neid aber ist keine Hauptsünde, wie uns die KatholischeKirche lehren will, sondern eineDame mit Manieren, die ihren Ärgerstill mit den Spielerinnen teilte und sieso zu einer wesentlichen Leistungssteigerunganstachelte. Nach dem EM-Finale sagte sie auch wenig,sie lachte einfach ein bisschen mehr.
Wenn also in zwei Jahren erneut dieFrage aufkommen sollte, warum dieFrauen unbedingt Fußball spielen wollen, wird mein Papagei ganz pragmatisch antworten: Weil es ihnen Spaß machtund weil sie es können. Dabei ist es unerheblich,dass unser Praktikant Kilian(14) nach dem 1:0 über Italien dieMeinung geäußert hat, dieses deutscheFrauenteam werde „von jeder U14-Landesligamannschaft rasiert.“ Dennim Einklang mit den schulischen Lehrplänenvon Baden-Württemberg sindwir der Meinung, dass 14-Jährige nichtdie Aufgabe haben, Europameisterinnenzu rasieren. Sie sollten vielmehr einbisschen mehr trainieren, damit sie auch mal wieder einen Titel gewinnen.

(Linksaußen am 29. Juli 2013)

Samstag, 11. August 2018

Olympische Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro, Tag 4


Auf dem Rücken der Pferde
Alles Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde. Andiesem von demniedersächsischen SchriftstellerFriedrich von Bodenstedt aufgeschriebenen „Arabischen Sprichwort“haben sich die deutschen Sportlerin Rio orientiert und durch Opgun Louvo, Hale Bob, Samourai du Thotund den goldigen Sam die erste Medaillegewonnen. Zur Feier des Tagestrug das beste Vielseitigkeitspferd einschickes schwarzes Häubchen mit goldener Kordel; mein Papageiwarhinund weg, als das edle Ross unter seinemschwäbischen Reiter durch denFernseher galoppierte und den Wassergrabenübersprang als sei er eineRegenpfütze. Michael Jung und seineversilberten Mitstreiterinnen wurden von Claus Kleber im „heute journal“hymnisch gefeiert, die vierbeinigenSportler nicht mit einem Wort erwähnt.„Typisch Hautevolée, dieschwitzende Klasse zählt gar nichts“,grollte mein Papagei.
Pardon, liebe Leserin und lieberLeser, gestern haben wir pausiert.Mein Papagei brauchte eine neue Brille,nachdem er beim 4:2-Sieg des NigerianersArunaQuadri gegen unseren Fahnenträger den flinken kleinenBall noch seltener gesehen hatte alsTimo Boll. Mit neuem Nasenfahrradhat er den 40-jährigen WeißrussenWladimir Samsonow bewundert, der unseren Europameister DimitrijOvtcharov (27) beim 4:2 verzweifeltzurückließ. Erneut hat sich gezeigt,dass im Sport das Alter keine Rollespielt – es gilt nur gut oder schlecht.

Viele bunte Schalensitze

„Nicht doch!“, schimpft mein Papagei,„,schlecht’ ist verboten.“ Das steht so zwar nicht in der OlympischenCharta, aber wenn man darauflauscht, welche Pirouetten die Reporter drehen, um nicht zu sagen, dass beispielsweise die Neidlinge beim 1:2gegen Kanada im dritten Spiel hintereinandereinen großen Haufen Mistzusammengekickt haben, dann könnte man das meinen. Eine Mittelfeldspielerin,die natürlich nichtauchnochin der Zeitung namentlich genanntwerden möchte, habe „gegenwärtignoch Mühe, ihre Leistungskurve nach oben zu führen“, hieß es da, und selbstdie Bundestrainerin bedauerte, dasseinige Spielerinnen „ihre beste Formnoch nicht abrufen konnten.“ Manstelle sich das bildlich vor: Da stehensie im Mittelkreis, rufen bei ihrer Forman und hören: Kein Anschluss unter dieser Nummer!
Auch die vier ausgeschiedenenBoxer haben die – zugegebenermaßen populistische – Anfeuerungmeines Papageis („Jetztbatsch ihm doch mal eine!“) vornehm ignoriert und ihren Gegnern zu keinemZeitpunkt ihrer Kämpfe weh tunwollen. Als Vladimir Pletnev seinemSchützling David Graf das Antlitz abtrocknete,behauptete der Reporter, der Trainer des Schwergewichtlersfiebere daheim auf dem Sofa mit...
Sorgen machen wir uns um dieliebliche Kira Walkenhorst. DieBeachvolleyballerin überraschte ander Copacabana mit neuem Outfit.Beim 21:17, 21:11-Sieg gegen die KanadierinnenJamie Broder/KristinaValjas trug die Hamburgerin an derSeite von Laura Ludwig außer dembranchenüblichen Bikini und derSonnenbrille auch ein schwarzes Haarband und großflächige schwarzeBandagen an Schulter, Arm und Hüfte.
„Ob sie nach Ägypten wechselnwill?“, sorgt sich mein Papagei, der beiall den Übertragungen bis in die späteNacht hinein gerne diese wundervollenbrasilianischen Schalensitze in denArenen bewundert: Weiße am Beach,grüne beim Judo, blaue beim Hockey,türkisfarbene beim Fußball, rote beimTurnen und orangerote beim Wasserspringen.
Wennausnahmsweisemalgerudert werden kann, sind auch rundum die Lagune mehr tote Fische alsFans. Wenn schon nicht die Zuschauer,so sind wenigstens Rudi Cerneund seine Kollegen im Sendezentrumbegeistert, besonders dann, wennsie den bunten Plüschtukan an ihreGäste überreichen dürfen.
Am Nachmittag, als die Springerinnenauf ihren Turm klettern durften,war das Wasser im Becken nichtmehr klar und blau, sondern grüngelb.Reporter Stefan Bier stellte sichviele Fragen und fand keine plausibleAntwort. Mein Papagei meint, das IOChabe zur Erhaltung der moralischenBeweglichkeit Wassergymnastik gemacht.Inkontinenz sei eine lästige Begleiterscheinungdes Alters.
 
(Ferngesehen am 11. August 2016)

Olympische Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro, Tag 3

John Nettles als Tom Barnaby by Midsomer Murders Serie Quelle: Google
 
Inspektor Barnaby kam zu Besuch

In der Nacht zum Montag – mein Papageihatte sich soeben das Gefiedergeputzt und das Nachthäubchen festgebunden– war Katrin Müller-Hohenstein,die zahllose Sendungen an
der Seite Oliver Kahns schadlos überstandenhat, dann doch perplex. Aufgrundeines Feueralarms im internationalenFernsehzentrums gab’s imZDF keine aktuellen Bilder mehr ausRio. Stattdessen wagten sich InspektorBarnaby, seine Ehefrau Joyce undConstable Troy gegen halb zwei in unserWohnzimmer – ein willkommenerKontrast nach achtzehneinhalb StundenOlympiagucken!
Erstaunt hat uns,dass die BBC das Sportprogramm mitder 6:7 (6:8), 6:7 (14:16)-Niederlage desbritischenOlympia-DoppelsAndyundJamie Murray gegen die BrasilianerThomazBellucci und Andre Sa fortsetzteund nicht mit des InspektorsMordermittlungen. 

Zu einer überraschenden Aufforderungsah sich Wolf-Dieter Poschmanngenötigt, als es nach 85 Minutenim Fußballmatch zwischen denGastgebern und dem Irak noch immer0:0 stand. Bei Neymar müssten sich„nun endlich die Ventile öffnen, diebisher verstopft waren“, sagte derLeichtathletik-Fuchs unter denMainzelmännchen. „Hoffentlich hältNeymarnocheinpaarMinutendurch“,seufzte mein Papagei und durfte kurzvor dem Einschlafen nochmiterleben,was man im Fußball unter einemHeimvorteil versteht. Obwohl dasSpiel nicht unfairer verlaufen war alsandere Begegnungen und das Einfangeneines Flitzers nur wenige Sekundendauerte, wurden der Seleçaosiebeneinhalb Minuten Nachspielzeitgewährt. Es blieb aber beim 0:0.

Adidas war auf Zack

Die„Kleinen“ im Fußball überraschen.Nigeria schlug den U21-EuropameisterSchweden mit 1:0. Ohne dieHand vor den Mund zu halten, disputiertendie Trainer Brasiliens unddes Irak heftig. „In welcher Sprachestreiten sie denn?“, wollte mein Papageiwissen.
Auch auf der Spielerbank an derCopacabanawurdemitteninderNachtunverhüllt geplaudert. DoaaElghobashyund Nada Meawad zeigten, dasssie am Beach vorzüglich Volleyballspielen können. Beim Match gegen dieTopfavoriten Laura Ludwig und Kira
Walkenhorst trafen zwei Welten aufeinander.Diesseits des Netzes baggertendie beiden Deutschen, derengrößtes Kleidungsstück die SonnenbrilleKira Walkenhorsts war, jenseits des Netzes pritschten die beiden 19-jährigen Ägypterinnen, die nach denweltanschaulichen Vorschriften ihresHeimatlandes gekleidet waren und ihreKörper in einen todschicken Ganzkörperanzugin den Modefarben Türkisund Schwarz hüllten. Wieder einmal war ein namhafter Sportartikel-Hersteller aus Herzogenaurach aufZack und hat mit diesen modischenSpielanzügen den arabischen Marktgestürmt. Ob Thomas Bach, lange Zeit Präsident der Ghorfa, einer Vereinigungzur Förderung deutsch-arabischerWirtschaftskontakte, an dieserspeziellen Förderung des Volleyballsmitgewirkt hat, weiß mein Papageileider nicht.

Sven Voss war begeistert vom Siebenerrugbyder Frauen und sagte: „Invielen Ländern kann man den Leutenden Fußball auf den Bauch binden, siebegeistern sich lieber für Rugby“, verkündeteder Moderator mit leuchtendenAugen, bevor die neuseeländischenBlack Ferns ihr Viertelfinalegegen die US Girls mit 5:0 gewannen.Voss ist mit dem Rugbyspiel vertraut, nachdem er 2011 in Frankfurt/Maindas Grüne Band für vorbildliche Talentförderung gemeinsam mit demheutigen IOC-Chef an einen HeidelbergerVerein überreicht hatte. Der Kommentator Daniel Pinschower liefertezunächst eine perfekte filmischeRugby-Einführung, bevor er in zweiMal sieben Minuten die Lebensgeschichtenmehrerer Spielerinnen erzählte.

Angesichts der spürbaren Siebenerrugby-Begeisterung, die im ZDFausgebrochen ist, muss man bedauern,dass die deutschen TV-Sender vonder Olympiaqualifikation, bei der die deutschen Männer in Monaco bis insHalbfinale vorgedrungen waren, keineSekunde übertragen hatten.
 
(Ferngesehen am 9. August 2016)

Olympische Sommerspiele 2016 in Rio de Janerio, Tag 2


Unterwasserrudern auf der Lagune

Lesen bildet. Fernsehen auch. Am erstenSporttag der Olympischen Spielewaren die aus den ARD-Funkhäusernausgeschwärmten Reporter unsereLehrer,meinPapageiundichsindbeim
Mitschreiben kaum nachgekommen.Der Tag war lang, deshalb hier nur dieHöhepunkte aus der Flimmerkiste:

Beim Bogenschießen – die MännerSüdkoreas wurden Olympiasieger vorden USA und Australien – wirktenkeine Deutschen mit, obwohl das einSport ist, bei dem man sich kaum bewegenmuss. Wir bewunderten deshalbunsere französischen Nachbarnmit dem Europameister Jean-CharlesValladont, dem EM-Dritten PierrePlihon und Lucas Daniel in ihremKampf gegen Malaysia (6:2). BeideTeams hielten sich streng an die Regelnund stellten einen Hänfling, einenrichtigen und einen vollschlankenAthleten auf. Der 26-jährige Plihon,ein Rugbykind aus Nizza, brachtebei der 3:5-Niederlage gegen Australien130 Kilo auf die Waage, waralso geschwächt. Er hatte in einemFastfood-Restaurant gearbeitet und extra für Olympia 20 kg abgespeckt.

Für die 29-jährige DegenfechterinTiffany Géroudet aus dem schweizerischenSitten war das olympischeTurnier ein kurzer Spaß. Nach einer3:0-Führung verlor die Eidgenossingegen die Brasilianerin Rayssa Costamit 13:15 und schied in der Runde derbesten 64 aus. Mehr Frauen warennicht zugelassen, deutsche Frauennicht dabei. Britta Heidemann, dieSiegerin von Peking 2008 und Zweitevon London 2012, war beim „Turnierder letzten Hoffnung“ ausgeschieden– gegen Tiffany Géroudet.
 
 
Wie schmeckt eine Medaille?
Moderator Alexander Bommes, derim gläsernen Studio den Überblicküber all die verwirrenden Ereignissebehalten sollte und nicht recht wusste,woereinenGewehrschussdurchdasDach des Zentrums der Reitsport-Journalisten im Medaillenspiegel einordnen sollte, unterstrich im Laufe desTages mehrfach, dass Greg van Avermaetdas Straßenrennen der Männergewonnen hat. Dass der Belgier einMann ist, war daran zu erkennen, dass er nicht im gestrigen Rennen der Frauenan den Start gegangen ist und nachder Siegerehrung in seine Medaillebiss. „Guten Appetit!“, stöhnte meinPapagei, den solche Momente des Glücks immer wieder begeistern.

Weniger heiter war die Information,dass der Bund Deutscher RadfahrerMühe gehabt hatte, vier Fahrerfür das olympische Straßenrennenaufzutreiben. Offenbar hat BDR-Präsident
Rudolf Scharping unter den136 962 Mitgliedern seiner 2500 Vereinenicht kraftvoll genug verkündet,dass das Dabeisein alles ist. Offenbarhatte man auch vergessen, unter den
155 000 Mitgliedern des AllgemeinenDeutschen Fahrrad-Clubs nach interessierten
Sportfreunden zu fragen.„Warum ist Scharping nicht selbstmitgefahren?“, fragtemeinPapagei.Eskam ja nicht darauf an, das schwereRennen durchzuhalten. Von den vier Deutschen sind drei vorzeitig ausgeschieden.Das hätte der BDR-Präsidentauch gekonnt.

Heiterkeit schüttelte meinen Papagei,als das Unterwasserrudern aufeiner von toten Fischen bevölkertenLagune als neue Disziplin eingeführtwurde und als der Tennisexperte wissen
ließ, dass ein deutscher Studentkurzfristig als Balljunge engagiertworden sei und schnell festgestellt habe,dass er mit seinen 25 Jahren einerder jüngsten olympischen Balljungen
sei. Man merkt: Olympia prägt nichtnur Ethik und Moral, sondern verändert
auch Begrifflichkeiten. Ein Altersheimkönnte künftig Jungenanstaltheißen.

Überhaupt das Tennis: Heldenhafthat Andrea Petkovic versucht, denkleinen gelben Filzball über das Netzzu spielen und den ersten Satz gegendie Ukrainerin JelinaSwitolina deshalb
gewonnen, weil dies zu 70 Prozentgelungen ist. Nach dem 1:6, 3:6in den folgenden Sätzen rechnete derReporter flink aus, dass PetkovicsTrefferquote beim ersten Aufschlag
unter 50 Prozent gesunken sei. Er sagtedann: „Switolinas Aufschlag warauch nicht gut, aber besser“ und liefertedie sportfachliche Begründung:„Das ist bei Frauen oft so.“ „Hört, hört!“, empörte sich mein Papagei, derfrauenfeindliche Äußerungen imFernsehen – und in derRNZ! – seit Jahrenin sein Vokabelheft einträgt.

(Ferngesehen am 8. August 2016)

Olympische Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro Tag 1


Dabei sein ist alles
Was haben wir uns darauf gefreut!Nachdem wir das Euro-Gekicke überlebthatten, haben mein Papagei undich im Büro jedes halbe Stündchen genutzt,um uns auf der alten schwarzen
Ledercouch ein bisschen aufs Ohrzu legen, und wir haben einige Grillpartysabgesagt, um tüchtig vorschlafenzu können.
Dann endlich, endlich war sie da:Unsere erste Olympianacht vor demFernseher! Damit wir uns nicht umorientierenund so seltsame Sportartenwie Basketball, Handball, Karate,Stabhochsprung oder Stricknadelboxenanschauen müssen, hat uns dasZDF überreich beschenkt und einenTraum erfüllt: Fußball mit Béla Réthy– uns schossen die Freudentränen indie Augen.
Gut, es war ein flottes Spiel zwischenHorst Hrubeschs Talenten undden mexikanischen Titelverteidigern.Die jungen Deutschen wussten sogar,wie man sich in den gegnerischen
Strafraum kombiniert, wie man Flankenschlägt, um die Stürmer zu finden,und wie man zwei Tore schießt.Ganz groß: Niklas Süle, der Riese ausHoffenheim, dem die flinken Mexikaner,

allesamt kleine Brüder vonSpeedy Gonzales, nicht ein einzigesMal durch die Beine durchgeflitzt sind. AuchBéla Réthy war in Topform, die Stimmeknarzte wie die Eingangstür einesuralten Landhauses bei „InspektorBarnaby“. Der Reporter wusste, dassder junge Süle von Karl-Heinz Förstergemanagt wird, was für einen Verteidigerkein Schaden sein kann. Er
wusste auch, dass der eine Bender zweiMinuten älter ist als der andere Bender,verriet aber nicht, ob er im Zugeseiner gründlichen Recherche bei derGeburt der Zwillinge dabei gewesenwar. Nur bei den Auswechslungen derMexikaner kam der beste Mann desSenders mal ein bisschen durcheinander.Es ist in seinem Alter und angesichtsso vieler unbesetzter türkisfarbenerSchalensitze auch nichtleicht, bei diesem ständigen Rein undRaus die Übersicht zu behalten.
Die Sause hat begonnen
Noch interessanter als dieses Fußballspielund der folgende superspannendeKick zwischen Hondurasund Algerien (3:2) war allerdings derschon zur Primetime ausgestrahlteFilmbericht, der sich mit den sozialenVerhältnissen in Rio befasste und indem zu sehen war, wie die alten Hüttenarmer Leute wegen des neuenOlympischen Dorfes abgerissen wurden,
obwohl diese Menschen bis heutekeine neue Wohnung erhalten haben.Ob sie für die Dauer der OlympischenSpiele bei Thomas Bach unter die Deckeschlüpfen dürfen?, fragte mein Papagei.Ganz am Ende des Film erfuhrenwir, dass es den Leuten in Riogar nicht so schlecht gehe, denn einGramm Kokain koste nur umgerechnetfünf Euro. „Na dann!“, rief mein
Papagei aus und wollte sich sofort insIOC wählen lassen.
Koks war zu Beginn dieses Jahrtausendseine beliebte Partydroge unterFußballtrainern, mittlerweile habensich gewiss auch Athleten aus anderenSpartendaranerinnert,dasssich
eine Leute schon zu Zeiten des seligenBarons de Coubertin während ihrerGesellschaften hin und wieder dieNase gepudert haben. „Erfrischungsraum“hießen die Toilettenumdie vorletzteJahrhundertwende. Und schon1896 in Athenund1900 in Paris istmanmit Zuckerwasser und einem morgendlichenCroissant nicht Olympiasiegergeworden. Ein kleiner Cafémusste als Aufputschmittel dienen,und die Sportschützen haben schon in dergriechischen Antike vomRetsinageschlürft, um eine ruhige Hand zuhaben, wenn der Kampf um den grünenLorbeerkranz in die entscheidende Phase trat.

Nun also Koks für fünf Euro. Datrifft es sich doch schön, dass ThomasBach beruhigend versichert hat, dieKontrollen der WADA funktioniertennicht gut, zumal unseres Wissens nur
Urin oder Blut getestet werden undkein einziger Kontrolleur jemals in dieNasen der Athleten gelinst hat. Bis esdazu kommt, kann es Jahre dauern. Eshat auch Jahre gedauert, bis die WADA die Dopingproben von Sydney,Athen oder Peking untersucht hat –angeblich waren die Geräte und Methodennicht modern genug. Modernist und bleibt das olympische Motto
Pierre de Coubertins: Dabei sein ist allesbei der großen olympischen Sause.Jetzt ahnen wir endlich, warum.

(Ferngesehen am 6./7. August 2016)