Mittwoch, 29. Juli 2020

Sabine Kusterer hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben

Über eine deutsche Gewichtheberin, die 2021 bei Olympia in Tokio starten möchte


Sabine Kusterer aus Karlsruhe lebt in Leimen und ist Gewichtheberin in der Bundesliga-Staffel des KSV Durlach. Die 29-Jährige ist Berufssoldatin und Studentin der Volkswirtschaftslehre. Sie dient als Oberfeldwebel in der Sportfördergruppe der Bundeswehr in Bruchsal, und als wir uns im Grün vor dem Olympiastützpunkt Rhein-Neckar treffen, hat sie sich schon ein paar Stunden auf eine Klausur an der Uni Heidelberg vorbereitet.

 

Die vielfache deutsche Meisterin der Gewichtsklassen bis 58 und bis 63 Kilogramm hat eine große internationale Erfahrung: 2008 war sie Jugend-Europameisterin, bei den Frauen-Europameisterschaften 2011 und 2013 belegte sie siebte Plätze, und bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro schaffte sie ihre persönlichen Bestleistungen mit 90 Kilogramm im Reißen und 110 Kilogramm im beidarmigen Stoßen; damit gewann sie in der Klasse bis 58 Kilogramm die B-Gruppe und belegte im Gesamtklassement den zehnten Rang.

 

Die Olympiasiegerin Sukanya Srisurat ist inzwischen lebenslang gesperrt worden. Die Thailänderin, bereits 2013 des Dopings überführt und für zwei Jahre suspendiert, hatte in Rio 110 und 130 Kilogramm zur Hochstrecke gebracht und sich 2017 bei einem anderen Wettkampf erneut beim Betrug erwischen lassen. Das Olympia-Gold durfte sie behalten. „Das macht mich wütend“, sagt Sabine Kusterer, zumal die International Weightlifting Federation (IFW) lapidar erklärt hat: „So ist das System, und so sind die Regeln.“



Sabine Kusterer hat in ihrem langen Sportlerleben schon viel Betrug und viele Ungerechtigkeiten erlebt und sagt: „Es ist ganz schlecht, dass im internationalen Gewichtheben permanent gegen das Fairplay und die Werte des Sports verstoßen wird, denn Doping hat im Training und in den Wettbewerben nichts zu suchen. Leider wissen diese Betrüger nicht, was sie sich und anderen Athleten antun.“ Für viele Konkurrenten stehe der Erfolg über allem. Da gebe es zum Beispiel den viermaligen Weltmeister Ilya Ilyin aus Kasachstan, der bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking und 2012 in London wegen Dopings disqualifiziert wurde, aber auf Instagram immer noch Millionen Follower habe. Ein Betrüger als Volksheld? Im Gewichtheben ist das in manchen Ländern möglich.

 

Sabine Kusterer, die über den Tellerrand ihres Sports hinausblickt, seit September 2018 auch ehrenamtliche Vizepräsidentin des Badischen Sportbundes Nord ist und als Botschafterin eines regelgerechten und anständigen Sports in die Vereine hinein wirkt, lässt das nicht kalt: „Wer betrügt und erwischt wird, gehört geächtet. Denn er zerstört den Ruf unseres Sports und vernichtet die Trainingsarbeit seiner Konkurrenten und bringt deren Leben in Gefahr. Denn wer permanent betrogen wird, gerät in Gefahr, sein inneres Gerüst zu verlieren.“ Die deutschen Antidopingregeln müssten weltweit gelten: Wer betrügt, verliert seinen Kaderstatus, wird ausgeschlossen und muss die Zuwendungen der Stiftung Deutsche Sporthilfe und alle Prämien komplett zurückzahlen.“

Diese Bedingungen müssen Athletinnen und Athleten unterschreiben, wenn sie in einen Bundeskader aufgenommen werden. Sabine Kusterer gehört gegenwärtig dem „Topteam Future“ der Sporthilfe an und wird mit monatlich 300 Euro als Zulage zu ihrem Bundeswehr-Sold unterstützt: „Davon kann man leben“, sagt sie und freut sich auf das in einer halben Stunde beginnende Krafttraining im OSP.

 

„Topteam Future“ heißt, dass man von Sabine Kusterer – wenn sie gesund bleibt und weiterhin konzentriert trainieren kann – noch einiges erwartet. Trainingsziel ist die erneute Qualifikation für die Olympischen Spiele, bei denen sie 2021 in der Gewichtsklasse bis 63 Kilogramm antreten möchte. Neue Gegnerinnen, neue Herausforderungen – es ist nicht möglich, ein konkretes Leistungsziel zu formulieren. Die hundert Kilogramm im Reißen möchte Sabine Kusterer aber schon irgendwann noch schaffen.

 

Immerhin hat sie ganz leise Hoffnungen, dass der Sport in der IWF künftig ein wenig sauberer und fairer wird: „Ich glaube nicht, dass Gewichtheben jemals dopingfrei sein wird. Aber mit richtiger Schulung der jungen Athletinnen und Athleten in aller Welt und mit einem durchgreifenden Kontrollsystem könnte der Betrug stark minimiert werden. Es mag eine Utopie sein, aber die IWF muss endlich zeigen, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher.“

 

Hoffnung verleiht der schonungslose Report des kanadischen Jura-Professors Richard McLaren (75), der das Geschäftsgebaren der IWF in den letzten 25 Jahren untersucht und im Rahmen einer ARD-Dokumentation am 7. Juni dieses Jahres öffentlich gemacht hat: Unter dem Ungarn Tamas Aján (81) aus Ungarn, der nach 25 Jahren als Generalsekretär seit 2000 als IWF-Präsident amtierte, Council-Mitglied der Wada und IOC-Mitglied war, gab es alles: Wahlbetrug, Vertuschung von rund 40 prominenten Doping-Fällen gegen Geldleistung, Bedrohung, Erpressung und Abservierung von Andersdenkenden wie den deutschen Verbandspräsidenten Dr. Christian Baumgartner aus IWF-Gremien und persönliche Vorteilsnahme. McLaren hat ausgerechnet, dass unter Aján 9,27 Millionen Euro aus der Kasse des Weltverbandes verschwunden und nicht mehr aufzufinden sind. Für diese großartigen Leistungen hat Tamas Aján am 28. Februar 2010 den Olympischen Orden, die höchste Auszeichnung des IOC, erhalten. Da war IOC-Präsident Thomas Bach noch im Anflug auf den olympischen Thron, doch schon 2011 ließ er sich, von Aján umarmt, ohne jedes Schamgefühl ablichten.

 

Die Hoffnung Sabine Kusterers und ihrer Kolleginnen und Kollegen in aller Welt ruhen nun auf der US-Amerikanerin Ursula Papandrea, die nach Lektüre des McLaren-Reports als Interimspräsidentin der IWF versprochen hat, die „klar benannten Probleme“ anzugehen: „Wir wollen in eine neue Ära der Transparenz, Verantwortung und guten Unternehmensführung eintreten“, versprach Ursula Papandrea in der ARD. Sabine Kusterer wünscht ihr viel Kraft, Glück und Erfolg.

 

Claus-Peter Bach am 27. Juli 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

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