Dienstag, 17. November 2020

Bayern wichtiger als Deutschland?

 Über Stammtisch-Gespräche von Sportlern in diesen Zeiten

Kürzlich hat uns eine Nachricht des Instituts für Management- und Wirtschaftsforschung in Hamburg erstaunt. Darin wurde, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, behauptet, dass der „FC Bayern München auch an den Stammtischen auf Platz eins“ liege, was die Forscher dadurch herausgefunden haben wollen, dass sie 430 Millionen Online-Quellen belauscht hatten. Damit haben die Wissenschaftler auf unerhört rüde Weise dem DFB-Manager Oliver Bierhoff widersprochen, der vor dem Mittwochs-Kick gegen Tschechien kühn behauptet hatte, die deutsche Nationalelf sei „die wichtigste Fußballmannschaft Deutschlands“.

 

Da RNZ-Journalisten grundsätzlich jede Meldung auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen und mein Papagei seit dem Eintritt in den Ruhestand noch viel mehr herumflattern kann, haben wir bis zum Beginn des November-Lockdowns unseren beliebtesten Stammtisch regelmäßig besucht. Interessant war: Über die Bayern wurde so gut wie nie debattiert. Sie sind gut, das haben auch Nichtfußballer begriffen, was sollte man darüber streiten? Themen waren Schalke und der Metzger Tönnies, Aufsteiger VfB Stuttgart und die neuen Nöte des Karlsruher SC und des SV Sandhausen. Nach den Nations League-Spielen der DFB-Elf knurrte Gérard, der Altinternationale mit dem knirschenden Hüftgelenk, nach vier Vierteln und zwei 600-ern Ibuprofen: „Jogi, Jogi, genug ist genug!“ Nach dem 1:0 gegen Tschechien schlüpfte mein Papagei in Gérards Rolle und fragte: „Welchen Sinn hat ein Vorbereitungsspiel, wenn alle Stammspieler fehlen?“

 

Vor dem Lockdown waren auch dies Stammtisch-Themen: Erstens das nette Wesen der neuen Klubhauswirtin und zweitens Bibiana Steinhaus. Walter, der sich „Walt“ nennt, seit er mit seiner fünften Ehefrau im Camper durch den nordamerikanischen Mittelwesten gebrettert war, brachte die Rede wieder einmal auf die 41-jährige Polizeihauptkommissarin, die ihre Schiedsrichter-Laufbahn nach je einem WM- und Olympiafinale der Frauen und 36 Einsätzen in der Bundesliga und 2. Liga der Männer aus freien Stücken beendet hat – als freie Frau und mit Applaus, nachdem sie erkannt hatte, dass Fußball nicht alles ist. „Walt“ erinnerte sich daran, dass Stammtischfreunde das Ende der Welt prophezeit hatten, als Bibiana Steinhaus vor ihrem ersten Einsatz bei den tätowierten Männern gestanden hatte. „Jetzt kommt auch noch diese Seuche über uns“, hatte „Walt“ damals recht unreflektiert beigepflichtet.

 

Dass „Walt“ die blonde Frau mit einer Seuche verglichen hatte, ist ihm heute peinlich, aber dadurch zu erklären, dass er von vier Ehefrauen schuldhaft geschieden worden ist. So etwas ist teuer, es trübt die Laune. Nun wissen wir, dass die Schiedsrichterin weit weniger gefährlich gewirkt hat als die aktuelle Pandemie, denn an den 36 Bundesligaspielen der Frau Steinhaus ist kein Mensch gestorben. Weil auch die Stammtischbrüder weiterleben wollen, bleiben sie gegenwärtig brav zuhause und gucken Fußball mit Mund- und Nasenbedeckung, die sie nur kurz lüpfen, um die trockene Wohnzimmerluft zu befeuchten.

 

Eine rasche Telefonumfrage unter den Stammtischfreunden hat ergeben, dass sie sich in einem Schockzustand befinden, seit bekannt wurde, dass immer mehr der stressgeplagten Hoffenheimer Fußballer aus heiterem Himmel am Coronavirus erkranken und dass Heintjes „Mama“, die berühmteste Holländerin der späten 1960-er Jahre, mit Covid-19 gestorben ist.

 

Vielleicht geben diese ebenso bedrohlichen wie traurigen Nachrichten den „Querdenkern“ zu denken – falls diese dazu überhaupt in der Lage sein sollten...

 

Claus-Peter Bach am 14. November 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen