Samstag, 20. Juni 2020

So war es im Olymp doch schon immer

Über Ethik und Moral im Internationalen Olympischen Komitee

Ich hoffe sehr, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, sie können verzeihen, dass mein Papagei der vielen, vielen Stunden erst in der Quarantäne und dann im Homeoffice ein bisschen überdrüssig geworden ist. Er ist kürzlich davongeflattert und hat in einer Buchhandlung das knapp 500 Seiten dicke Werk „Percy Jackson erzählt griechische Göttersagen“ aufgestöbert.  

Der Autor Rick Riordan, ein Englisch- und Geschichtslehrer aus Boston in Trumponien, lässt den 16-jährigen New Yorker Percy die alten Geschichten erzählen, die wir von Homer römisch I (um 850 vor Christus) kennen, der sie in Hexametern aufgeschrieben hatte. Percy erzählt mehr in der Sprache von Homer II (Simpson, um 2020 nach Christus), so dass wir zwar alles prima verstehen und dennoch überrascht sind, dass Percy sich als Halbgott, als Sohn des Meeresgottes Poseidon in Menschengestalt, vorstellt.
Percy hat die Geschichten zunächst seiner Freundin Annabeth vorgelesen, die ihn immer dann, wenn es besonders grausam und blutig wurde, einbremsen konnte. Irgendwie sind 16-jährige Mädchen vernünftiger als gleichaltrige Jungs, wenngleich sie in der Schule gerne damit prahlen, mit einem Halbgott liiert zu sein...

Percy schildert detailgenau das Leben und Wirken der Götter im Olymp und lässt nichts aus, was sie zwischen Himmel und Hölle angestellt haben. Insgesamt kann man festhalten, dass die olympischen Götter der Antike mit Ausnahme der dem Bündnis 90/Die Grünen zuzuordnenden Demeter große Schlingel, ja regelrechte Gauner waren: Dionysos ein hemmungsloser Säufer, Ares ein Mörder und Vergewaltiger, Aphrodite eine Verführerin selbst minderjähriger Jungs, Hades ein einfallsreicher Folterer von Seelen der Verstorbenen bis in alle Ewigkeit, oder Hermes, der mit geflügelten goldenen Schuhen durch die Welt flitzte und die unheilvollen Strafmaßnahmen seiner Kolleg*innen (oft zu spät) ankündigte. Und dann bei allen immer diese Gier nach Glamour und Gold...

Da auch im Olymp die Weisheit „wie der Herr, so das Gescherr“ galt, war Göttervater Zeus der Übelste von allen. Er trat oft inkognito als Adler, Schlange, Schwan oder Ameise in Erscheinung, war – obwohl eigentlich für Recht und Ordnung im Universum zuständig – ein Gewalttäter, der andere das Fürchten lehrte, und wenn ihm etwas gegen den Strich ging, schleuderte er einen tödlichen Blitzstrahl aus dem Olymp; dann gab es Nachschub für Hades. Den Hashtag #greeklivesmatter ignorierte er konsequent, und als das Volk der Thessalier ihm zu wenige Tiere opferte, rottete er kurz mal die ganze Menschheit aus, indem er einen Tsunami über die Küsten schwappen ließ. Als der hochstaplerische Prinz Salmoneus mit einem goldenen Wagen poste und lauthals verkündete, er sei Zeus, traf ihn ein gezackter Blitzstrahl. Der Göttervater büxte oft aus dem Olymp aus, strich als Wanderer durch die Welt (wie es auch sein nordischer Kollege Wotan gerne tat) und hinterließ überall schwangere Frauen. Ob das auch heute noch so ist, wissen weder Percy noch mein Papagei.

„Irgendwie hat sich aber nicht viel geändert“, stellte mein Papagei fest, nachdem er „Fair Play im Sport“ aus der Schriftenreihe der Deutschen Olympischen Gesellschaft (Zweigstelle Darmstadt) studiert hatte. Wie die Redakteure Rainer Paepcke und Walter Schwebel in einem Epilog und nicht in Hexametern (!) betonen, geht es der DOG nicht nur um Fair Play, sondern auch „um Leistungsbereitschaft, Teamgeist und Völkerverständigung“, um die Kernpunkte der Charta des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) also.

Auf den Seiten 10 und 11 dieser Schrift kommen die Autoren auf die olympischen Götter der Neuzeit zu sprechen und behaupten kühn: „Das IOC heute: Bodenhaftung verloren“. Im Olymp werde vermisst: „Die Förderung und Pflege der Ethik des Sports“.
„Hoffentlich trifft die Jungs jetzt nicht ein gezackter Blitzstrahl“, betet mein Papagei für das Leben der Darmstädter, die in ihrer IOC-Kritik auch zwei namhafte Sportler zu Wort kommen lassen. Franz-Josef Kemper (72), 1972 in München Olympiavierter über 800 Meter, stellt fest: „Auf der Sportbühne werden nicht nur schöne Stücke gespielt. Die Unfähigkeit des IOC, den Spielen einen vernünftigen Umfang vorzuschreiben, bei der Vergabe der Spiele die klimatischen und ökologischen Argumente vor den ökonomischen zu berücksichtigen, die unbefriedigenden Ergebnisse der Dopingfahndung und die ungezählten Korruptionsfälle im höchsten Gremium selbst haben dessen Image stark ramponiert.“ Und Harald Pieper (80), langjähriger Chefredakteur von „Olympisches Feuer“, äußert sich explizit zu Zeus: „Dr. Thomas Bach setzt seine Ziele eher in persönlich gute Beziehungen zu Königen und Staatslenkern und drückt sich vor angemessenen Sanktionen gegen zum Beispiel Russland, von dessen Staatsdoping er die volle Kenntnis haben musste.“

Die IOC-Kritik der DOG schließt philosophisch: „,Ethik ist wichtiger als Religion’, sagt der Dalai Lama. Auf jeden Fall ist Ethik wichtiger als das Durchsetzen persönlicher Interessen, als Gewinnmaximierung und Großmannssucht im Umfeld des IOC!“
Dem hat mein Papagei ausnahmsweise mal nichts hinzuzufügen.

Claus-Peter Bach am 20. Juni 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung



Schneller schlauer mit der Rhein-Neckar-Zeitung! 

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