Dienstag, 1. September 2020

Ein Sommer in Bayreuth

Was geschieht in einer Festspielstadt, wenn keine Festspiele stattfinden dürfen?

 

Obwohl die 109. Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth, die vom 25. Juli bis zum 30. August geplant waren und bei denen ein neuer „Ring des Nibelungen“ hätte geschmiedet werden sollen, dem Conoravirus zum Opfer gefallen sind, ist das Festspielhaus auf dem Grünen Hügel nicht ganz verschlossen. Und an Opern-Fans herrscht in der Bezirkshauptstadt Oberfrankens kein Mangel. Dreimal täglich öffnet sich eine Tür an der westlichen Flanke des Hauses, und eine junge Frau begrüßt jeweils maximal zwölf Gäste, die sich telefonisch anmelden und selbstverständlich eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen, zu einer 45-minütigen Führung. Erwachsene zahlen sieben Euro und dürfen im fast 2000 Besucher fassenden hölzernen Resonanzraum des Hauses auf Klappstühlen der ersten Reihen Platz nehmen. Bei einer Festspiel-Aufführung kostet solch ein Platz 590 Euro. Es handelt sich um die dritte Bestuhlung seit der Einweihung des Festspielhauses mit dem „Ring“ im Jahr 1876 – damals hatte Hans Richter, ein Trauzeuge des dichtenden Komponisten, das vierteilige Mammutwerk im verdeckten Orchestergraben drei Mal dirigiert.

 

Dort erklimmt nun ein Besucher den Dirigentenstuhl, schaut so grimmig wie einst Hans Knappertsbusch und fuchtelt ein bisschen mit den Armen herum – leider herrscht im ganzen Haus ein unerbittliches Fotografier-Verbot. Durch das Königsportal, das 1882 zu Ehren von Wagners treuestem Mäzen Ludwig II. anbaut worden ist, verlassen die Besucher das Festspielhaus und schwärmen hinaus in die Stadt.

 

Dort ist kaum weniger los als in den früheren Festspiel-Sommern. Touristen aus aller Welt bummeln durch die historischen Straßen, viele Geschäfte haben bis 20 Uhr geöffnet, die Restaurants aber müssen um 22 Uhr schließen; offenbar ist das Virus im Frankenland nachtaktiv. In den angesagten Speisehäusern, dem „Oskar“, dem „Miammiam glouglou“, dem „Dötzer“, dem „Liebesbier“ und selbst im „Bürgerreuth“ ganz oben auf dem Grünen Hügel, bekommt man ohne Reservierung keinen Platz. In die „Lamperie“, die früher „Vogels Kartoffelkäfer“ hieß und ein angenehm ruhiger Biergarten ist, lockt ein Filmfestival – Zutritt nur mit im Vorverkauf erworbenen Tickets –, schräg gegenüber im Hof der Pianoforte-Manufaktur Steingräber gibt es ein täglich wechselndes Kulturprogramm mit Klaviermusik von Beethoven und Wagner mit dem Pianisten Hans Martin Gräbner und der Sopranistin Gesche Geier. Uwe Hoppe, der jahrelang mit seinen humoristischen Versionen von Wagners Werken ein begeistertes Publikum gefunden hatte, bietet „Lili Marleen – das Leben der Lale Andersen in Liedern und Texten“ an. Am letzten Tag der Steingräber-Festspiele 2020 gibt’s „Die Nibelungen“, einen Kinofilm von Fritz Lang von 1924. Wer Bayreuth mit dem Auto besucht, findet etliche attraktive Parkhäuser. Am Rotmain-Center kostet eine Parkstunde 80 Cent. Nach vier Stunden zahlt man den Tageshöchstbetrag von 2,80 Euro und darf 24 Stunden parken.


 

An der Stadthalle, Bayreuths drittem Konzerthaus nach dem zum Weltkulturerbe zählenden barocken Opernhaus der Markgräfin Wilhelmine – der kleinen Schwester des Preußenkönigs Friedrich II. ist auch das Sommerschloss Eremitage mit schattigem Park zu verdanken – und Wagners Festspielhaus, wird seit Jahren renoviert. Nun werkelt man am neuen Dachstuhl, mit donnernden Hammerschlägen wie man sie aus dem „Rheingold“ kennt. Man erinnert sich an die begeisternden Einführungsvorträge, die der Bayreuther Journalist und Mundart-Schriftsteller Erich Rappl bis in die 1990-er Jahre und danach der Klaviervirtuose Stefan Mickisch aus Schwandorf über die zehn Wagner-Opern, die periodisch in Bayreuth aufgeführt werden, gehalten haben.

 

Auch das Festspielhaus wird immer repariert, diesmal im Bereich der Hinterbühne und der Probenräume, denn Proben gibt es keine. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreises war auf dem Platz vor der ehemaligen Markgrafen-Buchhandlung, wo mit viel Lärm das Pflaster erneuert wird, zu erfahren, dass Festspielleiterin Katharina Wagner wieder gesund sei und die Vorbereitungen für die ersten Festspiele nach Corona beginnen könnten. Da in diesem Jahr nicht gesungen und gespielt, nicht geklatscht und gebuht wird, ist auch das Steigenberger-Festspielrestaurant verrammelt. Stets offen ist nur die Tür zum Büro der „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth“, wo Ina Besser-Eichler und Pierre Soldatenko die spendablen Mitglieder begrüßen und viel Zeit zum Waafen (fränkisch: Plaudern) haben. Ein Cellist aus Weimar hofft, „dass 2021 wieder alles wie immer ist“, schließlich haben alle Musiker unter der Pandemie sehr zu leiden. Er trifft sich mit Orchester-Kollegen zum Essen.

 

Wer erfahren will, wie „Bayreuth“ klingt und wirkt, ist im neu errichteten Kiosk links des Wolfgang-Wagner-Platzes willkommen, wo man für kleines Geld DVDs denkwürdiger Produktionen erwerben kann. Katharina Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ von 2007 oder die „Meistersinger“ von Barrie Kosky von 2017 – jeweils mit Klaus-Florian Vogt als Stolzing sowie Franz Hawlata und Michael Volle als Sachs. Oder den „Lohengrin“ von 2010, inszeniert von Hans Neuenfels und verkörpert von Jonas Kaufmann mit Annette Dasch als Elsa und Georg Zeppenfeld als König Heinrich. Sogar Harry Kupfers „Fliegenden Holländer“ von 1985 mit dem monumentalen Simon Estes in der Titelrolle, mit Matti Salminen als Daland und dem walisischen Rugby-Gedrängehalb Graham Clark als Steuermann – legendäre Momente, die jetzt für 19,90 Euro zu haben sind. Dass das wie das Festspielhaus mit roten Backsteinen gebaute „Häusel“ auch eine hypermoderne Toilettenanlage hat, werden besonders ältere Opernfreunde zu schätzen wissen, die nach fünfeinhalb Stunden „Götterdämmerung“ nicht nur Rücken, sondern auch hohen Druck haben...

 

An den schönen Sommertagen im August lohnen ein Besuch in der Lohengrin-Therme oder im Kreuzsteinbad. Ein Ausflug zum Fichtelsee, zum Waldschwimmbad in Warmensteinach mit seinem herrlich kühlen Wasser aus dem Roten Main, in das Café der Eremitage, wo Windbeutel mit Heidelbeeren der Geheimtipp sind, oder nach Bad Berneck bieten Abwechslung. Vor dem „Schwarzen Ross“ in Goldmühl parkt der 911-er mit dem amtlichen Kennzeichen „B - CT....“, und Maestro Christian Thielemann – gesellig und fröhlich wie immer – genießt mit Freunden den Zwiebelrostbraten und das Schäufele, das mit Semmelklos, Dunkelbiersoße und Krautsalat serviert wird. Dazu munden ein großes Helles aus einer der vielen lokalen Brauereien oder ein Silvaner im Bocksbeutel.

 

Im Bayreuther Stadtbild ist Richard Wagner weniger präsent als sonst. In den Schaufenstern sieht man kaum Büsten des Meisters, in den gepflegten Parks nur wenige Plastik-Nachbildungen von Wagners Hund „Russ“, den der Künstler Ottmar Hörl einst vielhundertfach ausgesetzt hatte. Die Parsifal-Apotheke hat sich wegen Corona aber ebenso wenig umbenannt wie die Nachtbar „Mohrenstübchen“ am Bahnhof oder die Mohren-Apotheke in einem der schönsten Wilhelminischen Häuser in der Sofienstraße. Auch wenn am Grünen Hügel keine Musik erklungen ist, gibt es die Brünnhildenstraße und die Lohengrinstraße und die Tannhäuserstraße noch, und Harald Kaiser tischt in der „Eule“, Wagners Lieblingslokal, Evchens Senfsüppchen und Wotans Hirschragout auf. Das wird auch nach Corona so sein.

 

Claus-Peter Bach am 29. August 2020 im „Magazin“ der Rhein-Neckar-Zeitung 

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