Montag, 10. September 2018

Über die deutsche Frisbee-Meisterschaft Ü48

Wenn die Fairness so wichtig ist wie der Sieg

Zehn Minuten vor dem ersten Match griff Martin Walla zum Mikrofon und berichtete den ersten fünf von später 35 Zuschauern, dass der Besuch im Physiotherapeuten-Zelt sich gelohnt habe „und meine Waden jetzt super locker sind.“ Für einen 53-jährigen Sportler ist es ja nicht schlecht, wenn der ganze Körper gut funktioniert und auch noch die Waden locker sind.

Walla erhielt Beifall, und kaum hatte das Spiel zwischen Heidelberg und Berlin begonnen, hinkte ein anderer Crack ins Massagezelt, wo sich Anne, Sophie, Fabian und Ferdinand von der Physiotherapieschule der Orthopädischen Uniklinik sofort um den Verletzten kümmerten. Der arme Mann, rein äußerlich noch ganz gut erhalten, hatte „Muskel“, wollte wegen der neuen Datenschutzgrundverordnung aber nicht mehr dazu sagen, und auch der behandelnde Fabian hüllte sich in Schweigen.

 Gestern erfuhr die RNZ nach hartnäckiger Recherche, dass der an einem Oberschenkelmuskel verletzte Berliner der einzige Geschädigte eines deutschen Meisterschaftsturniers war, das vier Mannschaften der Great Grandmasters im Ultimate Frisbee im Heidelberger Sportzentrum Ost über zwei Tage ausgetragen haben. Great Grandmasters sind besonders alte, aber eben auch besonders gute Frisbeespieler. Sie müssen mindestens 48 Jahre alt sein, um überhaupt mitspielen zu dürfen. Derartig betagte Frauen durften die Teams ergänzen oder die Spiele auf dem sonnenüberfluteten Kunstrasen mit seinen fröhlich-bunten Linien als Zuschauerinnen genießen. Jüngere Sportler waren auch willkommen und wurden zum Kaffeekochen und Getränkeausschank eingeteilt. Dem netten Verkäufer war es nicht peinlich, kein Mineralwasser zu haben, dafür bot er fröhlich ein Bier an.

 Fröhlichkeit und Fairness sind die herausragenden Eigenschaften von Frisbeespielern gleich welchen Alters, von denen rund 7000 im Deutschen Frisbeesport-Verband (DFV) mit Sitz in Köln organisiert sind. Frisbee kann man in jedem Alter spielen, sofern man bereit ist, Spaß am Sport zum Spielen mitzubringen, und man sich vornimmt, alle Gegenspieler anständig zu behandeln und nicht am Trikot zu zupfen, ans Bein zu treten oder über den Haufen zu rennen, wie es Rüpel in anderen Sparten gerne tun. Frisbeespieler sind so unverschämt fair, dass sie selbst bei Kämpfen um die deutsche Meisterschaft der Great Grandmasters, dem edelsten Wettkampf überhaupt, keine Schiedsrichter brauchen – und es deshalb keine Rudelbildung, keinen Videobeweis und keine Störenfriede in einem Kölner Keller gibt.

Bei Turnieren wird neben den Silbertellern für die besten drei Teams ein Spirit-Preis vergeben, den nach demokratischer Abstimmung im Internet jene Mannschaft erhält, die sich fairer als fair verhalten hat. Bei der Siegerehrung ging der Kristallpokal an die grau-schwarzen Spieler aus Kamen, die ein wieherndes Pferdchen auf ihren Hemden trugen und sich offiziell „Gaul“ nannten. Das Votum sei einstimmig ausgefallen, verriet Martin Walla und fand das gut.

 Walla – Linkshänder mit gewieften Würfen und Sichelbeinen wie Stan Libuda selig – ist Abteilungsleiter des TV Schlierbach und organisierte die Titelkämpfe gemeinsam mit seinen Vereinskameraden, von denen viele nach Feierabend auch im SAP-Firmenteam spielen, und mit Martin Rasp, der für Frisbee in der TSG 78 Heidelberg zuständig ist. Für Rasp war es eine kleine Organisationsübung, denn er ist lokaler Hauptorganisator der U23-Weltmeisterschaft mit 1500 Sportlern, die vom 13. bis 20. Juli 2019 in Heidelberg mit dem Finale im Fritz-Grunebaum-Sportpark stattfinden wird.

 Die Doppelaufgabe der Ausrichtung und Ausübung haben die Schlierbacher problemlos bewältigt, alle Zuschauer konnten sich an den leckeren Kuchenstücken für 50 Cent sattessen. Obwohl sich die Schlierbacher mit Mark Kendall, einem seit 1990 in die Heilbronner Gesellschaft integrierten Texaner, verstärkt hatten und sich das blau-schwarz gekleidete Team unter dem Kampfnamen „Altimates“ zu Höchstleistungen aufschwang, wurden die weiß-schwarzen Berliner Meister.

 Während die meisten Spieler Baseball-Kappen trugen, bevorzugte der Berliner Spielmacher ein grünes Schweißband, so dass die senkrecht herabscheinende Sonne direkten Zugang zu seiner Glatze hatte. Ob die auf diese Weise gespeicherte Energie, die in besonders gescheiten Pässen zum Ausdruck kam, den Ausschlag zu den beiden Siegen über Heidelberg (13:7 in der Vorrunde, 13:6 im Halbfinale) sowie dem 13:4-Endspieltriumph über die grünen Braunschweiger gegeben hat?

 Die Heidelberger profitierten von den raffinierten Zuspielen ihres Texaners, dem dieses variantenreiche Spiel mit der flachen Scheibe im Blut liegt, und waren beim Fünf-gegen-Fünf über maximal 75 Minuten oder 13 Punkte besser als erwartet. Sie feierten einen unerwarteten 13:12-Sieg über Kamen und waren auch nicht enttäuscht, dass im kleinen Finale Martin Wallas Wade hart wurde und die Kraft nicht mehr reichte, um „Gaul“ abermals zu bezwingen. Das 12:13, das Rang vier bedeutete, ist die knappste im Frisbee mögliche Niederlage.

Berlin feierte ausgelassen. Die Spieler tanzten schneller und schneller im Kreis, ihr Captain trieb sie an, die anderen Teams klatschten dazu.

Und Martin Walla wird heute heldenhaft zur Arbeit humpeln.


(Sportreportage am 10. September 2018)

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