Dienstag, 4. September 2018

Über die 117. Bayreuther Festspiele


Ortrud und Telramund sangen einst in Mannheim

Die 107. Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth sind am 29. August nach 32 ausverkauften Aufführungen zu Ende gegangen. Premiere hatte die Oper „Lohengrin“ in der Inszenierung von Yuval Sharon und unter der musikalischen Leitung Christian Thielemanns. Das Besondere sind die weitgehend blauen Bühnenbilder von Neo Rauch und Rosa Loy – dass es Festspielchefin Katharina Wagner gelungen ist, das weltberühmte Malerehepaar für die Festspiele zu gewinnen, verdient ebenso Anerkennung wie die Besetzung der Solistenrollen. Der polnische Heldentenor Piotr Beczala in der Titelrolle ist die Entdeckung dieses Festspielsommers. Die gesamte 3:48,47 Stunden lange Aufführung kann man unter https://www.youtube.com/watch?v=iCy8 53CfyRY im Internet genießen.
Zwei Hauptrollen wurden von Künstlern auf grandiose Weise ausgefüllt, die ihre Karrieren am Nationaltheater Mannheim begonnen hatten. Die Würzburgerin Waltraud Meier (62), als Mezzosopran die größte deutsche Sängerin nach Martha Mödl (1912-2001), gab nach 18-jähriger Bayreuth-Absenz ihr Rollendebüt als Ortrud und verzauberte die 2000 Besucher im Festspielhaus mit einer wunderbaren Interpretation dieser schweren Rolle. Von 1976 bis 1978 hatte Waltraud Meier, die 1983 als Kundry im „Parsifal“ in Bayreuth debütiert hatte, in Mannheim Triumphe gefeiert. Ihre Bayreuther Isolde an der Seite von Siegfried Jerusalem als Tristan in der Inszenierung Heiner Müllers hat Kultstatus.
Meiers Ehemann auf der Festspielbühne war Tomasz Konieczny in der Rolle des Lohengrin-Gegenspielers Friedrich von Telramund. Der 46-jährige, im polnischen Lodz geborene Wahl-Österreicher hatte sein erstes Engagement von 2001 bis 2005 am Nationaltheater Mannheim, wo er unter Generalmusikdirektor Adam Fischer die großen Bariton-Partien von König Marke, Wotan und Amfortas einstudierte und 2004 den Arnold-Petersen-Preis als bester Nachwuchssänger erhielt. Nun ein höchst respektables Debüt auf dem Grünen Hügel.
Mareike Morr, ein Mezzosopran aus Rotenburg an der Fulda, gab in Bayreuth den 2. Knappen im „Parsifal“. Morr war Meisterschülerin von Professor Rudolf Piernay an der Staatlichen Musikhochschule Mannheim. Der Stuttgarter Tenor Christopher Kaplan gab den Würzkrämer Ulrich Eisslinger in „Die Meistersinger von Nürnberg“, nachdem er kürzlich in Mozarts C-moll-Messe in Heidelberg gastiert hatte. Vom Badischen Staatstheater Karlsruhe kam Kammersänger Armin Kolarczyk als Spenglermeister Konrad Nachtigall nach Bayreuth und vervollständigte Hans Sachsens Meisterschar.
Zweihundert Musiker bildeten in diesem Sommer das Festspiel-Orchester, darunter die Mannheimer Anne Hütten (Harfe), Wolfgang Hammar (Violine), Alexander Michael Petersen (Viola), Georg Lustig (Oboe und Englischhorn), Martin Jakobs (Klarinette), Matthias Gromer (Posaune) und Siegfried Jung (Kontrabasstuba).
Der fantastische Festspielchor unter der Leitung von Eberhard Friedrich erhielt nach jeder Aufführung Ovationen. Die Soprane Stefanie Dasch aus Speyer, Nelly Palmer aus Ludwigshafen und Tatjana Petersen aus Mannheim, die Altistin Hemi Kwon aus Karlsruhe, der Tenor Gimoon Cho aus Mannheim und der Bass Oliver Pürckhauser aus Ludwigshafen trugen ebenso zum Gelingen der Festspiele bei wie die Schneiderin Dorothée Lachnit aus Mannheim und die beiden „blauen Mädchen“ Hana Cho aus Mannheim und Sabine Schnellberg aus Karlsruhe. „Blaue Mädchen“ in Bayreuth sind nie betrunken, sondern geleiten die Besucher auf charmante Weise ins Festspielhaus.
Bayreuth-Sänger werden übrigens nicht als Stars geboren, sondern müssen sich ihr Können erarbeiten. Nicht selten haben sie andere Berufe erlernt. Catherine Foster aus Nottingham, die als Brünnhilde im „Ring des Nibelungen“ Wotans ungehorsame Tochter verkörpert, hatte als Hebamme 257 Babys zur Welt gebracht, bevor sie Sängerin wurde.
 
(Kulturreportage am 30. August 2018)

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