Sonntag, 8. August 2021

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Kritisch ferngesehen (V)

Die XXXII. Olympischen Sommerspiele 2020 in 2021 in Tokio sind Geschichte. Sie waren – da nehmen wir dem IOC-Präsidenten Dr. Thomas Bach die Lobesworte frech von der Zunge – die besten Coronavirus-Spiele aller Zeiten. Die deutschen Athletinnen und Athleten haben ihre Wettkämpfe tapfer durchgestanden, ihre Siege in würdiger Bescheidenheit gefeiert und ihre Enttäuschungen (wie der Skuller Oliver Zeidler, der Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul und die Speerwurf-Asse Christin Hussong und Johannes Vetter) geschickt hinter den Hoffnungen auf Paris 2024 verborgen. Die Kampfrichtenden sind so gut wie nie unangenehm aufgefallen, und die Funktionierenden haben erwartungsgemäß funktioniert und wurden nur dann vorzeitig nach Hause geschickt, wenn sie sich rassistisch geäußert oder ein fremdes Pferd, das eselhafte Sturheit an den Tag legte, mit einem Fausthieb auf den Popo bestraft hatten.

Die Angehörigen der vom scheidenden DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann umsichtig angeführten deutschen Equipe haben sich stark bemüht, Platz fünf im Medaillenspiegel von 2016 in Rio de Janeiro aber nicht halten können. Rang neun wurde in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Niederlanden, Italien und Frankreich auf den Plätzen sieben, acht und zehn belegt. 17 Goldmedaillen gab es in Rio, diesmal nur zehn. Elfmal glitzerte das Edelmetall diesmal silbern, das ist ebenso besser als an der Copa Cabana (10) wie die Ausbeute der Bronzemedaillen: Rio 15, Tokio 16 – insgesamt gab es 42 Plaketten in Brasilien und 37 in Japan.

Man kann also nicht behaupten, dass die 2015 eingeleitete Spitzensportreform schon sichtbare Verbesserungen gezeitigt hätte. Das mag aber auch daran liegen, dass der ehemalige Bundessportminister Thomas de Maizière (CDU) und seine überforderten BMI-Beamten dem Sport den dringend benötigten Mittelaufwuchs zu lange verweigert haben und erst der gegenwärtige Sportminister Horst Seehofer (CSU) die zwischen Politik und Sport vereinbarten Fördergelder gewährt hat. Ihm war bewusst, dass der, der Medaillen und persönliche Bestleistungen fordert, auch wirksam fördern muss. In drei Jahren in Paris sollte sich der neue Geldsegen aus der Staatskasse aber positiv auswirken – die Hoffnung stirbt zuletzt.

Interessant am Rande: Nicht weniger als 93 Nationen haben in Tokio Edelmetall gewonnen, Botswana, Burkina Faso, die Elfenbeinküste, Ghana, Grenada, Kuwait, Moldawien und das vom Krieg zerstörte Syrien haben jeweils eine Bronzemedaille erkämpft. Olympiasieger 2021 wurden die USA mit 39 Gold-, 41 Silber- und 33 Bronzemedaillen (= 113 Plaketten) vor China (38/32/18 = 88) und Gastgeber Japan (27/14/17 = 58). Den Ausschlag im erbitterten Zweikampf an der Spitze gaben die Siege der US-amerikanischen Basketball- und Volleyball-Frauen. Die wenigen russischen Sporttreibenden, die in den letzten drei Jahren nicht beim Doping erwischt wurden, sind Vierte (20/26/23 = 69).

Die drei Dressur-Damen und Jessica von Bredow-Werndl in der Einzelwertung, Vielseitigkeitsreiterin Julia Krajewski, Wildwasserkanutin Ricarda Funk, Ringerin Aline Rotter-Fokken, die Frauen des Bahnrad-Vierers und Weitspringerin Malaika Mihambo eroberten sieben der zehn Goldmedaillen für den DOSB. Dem stehen die Olympiasiege von Alexander Zverev im Tennis, von Florian Wellbrock im Freiwasserschwimmen und der Männer des Kajak-Vierers gegenüber. Wollte man nun behaupten, Frauen in Deutschland seien stärker als Männer, so wäre dies, lieber Leser, liebe Leserin und liebes Leserlein, ausnahmsweise mal nicht sexistisch und politisch völlig korrekt. Die Äußerung der ZDF-Expertin Christina Vogel, die unter Wert geschlagenen deutschen Keirin-Frauen bräuchten jetzt halt mal ein paar Eier, hat nicht nur meinen Papagei verwirrt. „So sagt man bei uns Radfahrern“, erläuterte Vogel. „Aha!“, sagte mein Papagei.

Über das Abschneiden der deutschen Spielsportmannschaften ist mein Papagei sprachlos. Die Fußballer, Basketballer und Handballer, beide Hockeyteams und die Beachvolleyballer haben keine Medaillen gewonnen. Die Frauen im Basketball, Fußball, Handball, Siebenerrugby, Volleyball und Wasserball und die Männer im Siebenerrugby, Volleyball und Wasserball hatten sich nicht für Tokio qualifiziert.

Mein Papagei ist außerordentlich froh, am vorletzten Wettkampftag endlich, endlich den IOC-Präsidenten im Fernsehen entdeckt zu haben. Thomas Bach hatte den streng bewachten Hotelturm seines edlen Clubs verlassen und sich, eskortiert von seinem wahrscheinlichen Nachfolger Lord Sebastian Coe, unter das Volk begeben, um den Marathonläuferinnen beim Zieleinlauf zu applaudieren. Der oberste Sportler der Welt trug vorschriftsgemäß eine Mund-Nasen-Bedeckung, um sich vor dem Virus zu schützen und von den wenigen Menschen an der Strecke nicht erkannt zu werden.

Bach hatte sich im Vorfeld der Spiele, obwohl er Abitur und studiert hat, gegenüber den Gastgebern ziemlich ungeschickt geäußert und zu schlechterletzt die Bitte der japanischen Regierung ignoriert, die Wettkämpfe am Jahrestag des Atombombenaufwurfs auf Hiroshima für eine Gedenkminute zu unterbrechen. Thomas Hahn, der für die Süddeutsche Zeitung sehr kluge Artikel schreibt, hat in Tokio eine Bevölkerungsbefragung durchgeführt und ermittelt, dass der IOC-Präsident im Land der aufgehenden Sonne so beliebt sei wie Auric Goldfinger. Ältere Zeitgenossen werden wissen, dass dieser von Gert Fröbe verkörperte Bösewicht 1964 in der ersten James-Bond-Verfilmung der Gegenspieler von 007 Sean Connery gewesen ist.

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