Montag, 25. Juli 2022

Zeitenwende

Über die Eröffnung der Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth

Die Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth wurden mit einer Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ eröffnet. Erstmals seit 16 Jahren fehlte beim Empfang der Ehrengäste, vom fränkischen Volksmund „Almauftrieb“ genannt, der deutsche Regierungschef. War es für Angela Merkel und Professor Joachim Sauer, ihren meist mäkelnd mit mürrischer Miene hinter der Bundeskanzlerin her schreitenden Mann, eine lieb gewordene Pflicht, das Kulturfest zu besuchen und einige Worte in die Mikrofone zu sprechen, so blieb der neue Kanzler schweigend fern.

Dem mit der Zeitenwende beschäftigten niedlichen Hanseaten blieb es so erspart, unter dem Königsportal des Festspielhauses die Pranke des riesenhaften bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder schütteln zu müssen. Der nicht zum Zuge gekommene „Kanzler der Herzen“ genießt das Blitzlichtgewitter und erträgt es lächelnd, gemeinsam mit der von ihm wenig geschätzten Kultur-Staatsministerin Claudia Roth oder Thomas Gottschalk abgelichtet zu werden. Hauptsache, am nächsten Tag in der Zeitung stehen, ist das politische Motto des Tages. Mein Papagei schätzt Roth wie Gottschalk: „Ihre Kleider sind so bunt wie mein Gefieder!“

Bei einem Spionageflug über den Grünen Hügel will mein Papagei erfahren haben, dass Katharina Wagner mit dem Gedanken spielen soll, den Hagen in der „Götterdämmerung“ 2023 mit Scholz zu besetzen. Die Festspielleiterin neigt dazu, die Werke ihres Urgroßvaters in modernem Kontext zu präsentieren. So soll Hagen den Meuchelmord an Siegfried nicht mit einem Speer, sondern mit der Bazooka wagen – keine schlechte Idee, nachdem Scholzens Angriff auf die Staatsfinanzen so gut geklappt hat.

„Halt, das geht doch nicht!“, interveniert Wolfgang Wagner von der Ehrentribüne auf Wolke sieben, wo er seit 2010 mit seinen Ehefrauen Ellen (2002) und Gudrun (2007) „Wagalaweia“ singt, die himmlischen Chöre auf die nächste „Meistersinger“-Inszenierung vorbereitet und gemeinsam mit der Mannheimer Boy Group (Jean Cox/ 2012, Heinz Feldhoff/ 2013, Karl Heinz Herr/ 2019 und Franz Mazura/ 2020) das Geschehen im Festspielhaus überwacht. „Der Zwuggel (Fränkisch für Knirps) kann niemals Hagen sein, gebt ihm Mime! Als überforderter Zwerg kann er all seine Talente entfalten, und am Ende ist er tot“, rät Wolfgang Wagner, der – obwohl grundsätzlich ziemlich tolerant – es nicht so arg gerne sieht, dass sein Vater Siegfried ( 1930) beim himmlischen CSD gemeinsam mit Erzengel Gabriel in Strapsen mitlaufen möchte.

In Richard Wagners Opern geht es um alle Formen der Liebe und des Hasses, um Mord und Totschlag und um Politik. Olaf Scholz hätte vielleicht doch hinfahren sollen, um zu lernen und zu verstehen. Denn bereits in der 1850 uraufgeführten Oper „Lohengrin“ hat Richard Wagner die heute gültige Nato-Doktrin verkünden lassen. Lohengrin singt zu König Heinrich: „Dir Reinem ist ein großer Sieg verliehn! Nach Deutschland sollen noch in fernen Tagen des Ostens Horden siegreich nimmer ziehn“.

Darauf herrscht im Volk, der Regieanweisung zufolge, „lebhafte Erregung“. Möglicherweise war bekannt geworden, dass das 100 Milliarden Euro kosten soll.



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