Freitag, 17. Mai 2019

Über den Umgang von IAAF und CAS mit Caster Semenya

Hier endet der Spaß am Sport

Darf ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, Frau Caster Semenya vorstellen: Geboren vor 28 Jahren im südafrikanischen Pietersburg, Beruf: Läuferin und Sportwissenschaftlerin, 1,78 Meter groß und 73 Kilogramm schwer, verheiratet mit ihrer Partnerin Violet Raseboya, Bestzeit: 1:54,25 Minuten, 2012 in London und 2016 in Rio de Janeiro Olympiasiegerin über 800 Meter, dreimalige Weltmeisterin, Trainerin: Maria Mutola (Mosambik, 800-m-Olympiasiegerin 2000 in Sydney, Bestzeit: 1:55,19 Minuten).


Caster Semenya hat das Glück, eine der besten und faszinierendsten Sportlerinnen unserer Zeit zu sein, und sie hat das Pech, seit ihrem ersten internationalen Auftritt bei der Junioren-WM 2008 im polnischen Bromberg unter Dopingverdacht zu stehen. Denn Caster Semenya hat einen muskulöseren Körper und breitere Schultern als die meisten anderen Frauen, sie kann im Zorn finster blicken – und sie rennt allen davon, wenn die Startpistole abgefeuert wird.

Wir wissen nicht, ob sich Caster Semenya während ihrer elfjährigen erfolgreichen Laufbahn jemals gedopt hat. Mit den 150 bis 200 Urin- und Bluttests, die sie bisher über sich ergehen lassen musste, wurde sie nicht ein einziges Mal des Sportbetrugs überführt, und der ganz böse Verdacht, Frau Semenya sei eigentlich keine Frau, wurde von den neugierigen Männern im Leichtathletik-Verband ihres Heimatlandes ausgeräumt. Denen erging es wie Siegfried in der gleichnamigen Wagner-Oper, der in der dritten Szene des dritten Aufzugs erst den von Wotan und Loge gelegten Feuerring durchschreitet, ohne sich Brandblasen zu holen, mit seinem alles könnenden Schwert die eisernen Panzerringe um Brünnhildes Oberkörper durchschneidet, den Panzer abnimmt und dann – zur Erheiterung des Publikums – ausruft: „Das ist kein Mann!“

„Ob sie eine solche Untersuchung auch bei einer weißen Frau gewagt hätten?“, fragt sich mein Papagei und freute sich für Caster Semenya, als medizinische Tests zutage förderten, dass diese Frau offenbar von Geburt an mehr Testosteron in ihrer Blutbahn hat als die meisten anderen Frauen. Biologisch ist Caster Semenya eine Frau und ganz sicher kein Mann, aufgrund ihres Hormonhaushalts gilt sie als intersexueller Mensch, als besonders sportlicher Mensch des dritten Geschlechts, den wir in dieser Kolumne stets als „liebes Leserlein“ begrüßen, weil wir ihn als liebenswerte Laune der Natur gern haben und ehren. Ein solcher Mensch hat es schwer genug und nicht verdient, von Funktionären des Leichtathletik-Weltverbandes und Richtern des Internationalen Sportgerichtshofes (CAS) diskriminiert zu werden. Genau das aber ist wieder geschehen. Drei CAS-Richter haben entschieden, dass die sogenannte „neue Testosteron-Regel“ des Weltverbandes (IAAF) zulässig und ab dem 8. Mai strikt anzuwenden sei. Demnach müssen Sportlerinnen wie Caster Semenya ab sofort so viele weibliche Hormone schlucken, dass der Grenzwert von fünf Nanomol körpereigenes Testosteron pro Liter Blut nicht überschritten wird.

Dass IAAF-Präsident Lord Coe und das IOC die CAS-Entscheidung begrüßten, ist klar. „Das sind ja auch komische Vögel, aber nicht lustig“, sagt mein Papagei, der sich in der Fauna auskennt. Andere äußern Kritik. „Furchtbar unfair“ und „prinzipiell falsch“ nennt Martina Navratilova das Urteil, die übrigens angesichts ihrer sportlichen Dominanz von Zeitgenossen auch auf diskriminierende Weise beäugt worden war. Südafrikanische Zeitungen werfen dem CAS „Rassismus“ und „Verletzung der Menschenwürde“ vor, der Heidelberger Sportrechtler Dr. Michael Lehner empfiehlt die Überprüfung des Urteils durch ein staatliches Gericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Die IAAF will gleiche Bedingungen für alle Athletinnen. Das ist gut und in den meisten Stadien gegeben: Die Bahn ist für alle Sprinter gleich lang, Kugel, Diskus und Speer sind für alle Stoßer und Werfer gleich schwer, die Latte müssen alle überspringen; unten durchhüpfen gilt nicht. Hier aber endet die Kompetenz von Sportfunktionären.

Wenn eine Frau eine Frau und nicht gedopt ist, muss sie ohne – gesundheitlich problematische – Zugaben von Hormonen ihren Sport ausüben dürfen. Dauerhafte Hormonbehandlung kann bei Frauen Brustkrebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen, Knochenbrüche bewirken und die Psyche verändern.

„Was noch?“, fragt sich mein Papagei. Müssen bald auch andere Disziplinen die natürlichen körperlichen Vorteile mancher Athleten durch medizinische Eingriffe ausgleichen? Usain Bolt war der beste Sprinter, weil er seine unglaublich langen Beine schneller bewegen konnte als die Konkurrenten. Droht ähnlich begabten Sprintern eine Unterschenkelamputation? Manche Center sind größer, andere kleiner. Soll Chancengleichheit unter dem Basketball-Korb durch hormonelle Verzwergung der Riesen erreicht werden? Im Gewichtheben beginnt das Superschwergewicht bei 109 Kilogramm. Müssen die schwereren Athleten nun zum Fettabsaugen? Und was macht man mit Fußballern, die mit zwei linken Füßen auf die Welt kommen? Da helfen keine Hormone.

Unsere Fallbeispiele mögen Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser und vor allem Ihnen, liebes Leserlein, zeigen, wie absurd das CAS-Urteil bei näherer Betrachtung ist. IAAF und IOC sind gut beraten, die ungeschriebenen Regeln des Anstands und der Moral zu beachten und Athletinnen und Athleten in allen Erdteilen so zu fördern, dass sie ihr Talent voll entfalten können. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob eine Frau schmale oder breite Schultern hat. Wenn die schändliche Manipulation von Athletinnen und Athleten durch durchgeknallte Funktionäre nicht bald ein Ende hat, verlieren wir den Spaß am Sport.

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