Über Olympische Spiele in Zeiten einer Pandemie
Helau, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein! Sofern Sie die nächtlichen Belastungen des schmutzigen Donnerstags besser verkraftet haben sollten als unser auf dem Land lebender Kollege, den der Büroschlaf am Freitag schon gegen 13 Uhr übermannt hat, könnten Sie Ihrer RNZ entnommen haben, dass am Wochenende in der Kurpfalz kaum Sport getrieben wurde. Die Sportlerinnen und Sportler, die ja gerne öffentlich schwitzen und spucken und sich beim Jubeln auch eng aneinander kuscheln, waren ausnahmsweise mal vernünftig und blieben zuhause. Die Nachrichten über die vielen Opfer des Coronavirus machen ängstlich, zumal sich der winzige Erreger offenbar schneller fortbewegt als mancher hoch dotierte Bundesliga-Kicker.
Mein Papagei hält es wie damals, als die Vogelgrippe seiner geliebten Roswitha, der schicken Amsel aus Nachbars Garten, das Leben gekostet hatte: Er bleibt in seinem Käfig und hat sich in die Schar der Sportfernsehgucker eingereiht. Das Schlittenfahren mit Bauchplatscher lässt ihn begeistert die Flügel schlagen. Und Biathlon guckt er auch immer – er ist ja schon ein bisschen älter. Die freiwillige Quarantäne schmerzt ihn sehr, denn er hat sich in eine junge Elster verliebt, die seit ein paar Tagen um das Vogelhäuschen herumflattert; wer aber weiß, ob die nicht aus China eingeflogen ist?
Virus hin oder her
Mein Papagei liebt das Neue und Unbekannte, das zwar fremd ist, aber neugierig macht und oft auch so bezaubernd ist wie seine neue Liebe. Er sagt: „Wer das Unbekannte fürchtet oder hasst, bleibt einsam und endet als Rassist!“ Das ist kein dummer Gedanke in diesen närrischen Zeiten.
Liebhaber der Fastnacht sind neuerdings auch Sportler, denn der Badische Turnerbund (BTB) hat beschlossen, dass der karnevalistische Tanz eine Sparte des Turnens ist (was Turnvater Jahn nur nicht richtig kapiert hatte). BTB-Präsident Gerhard Mengesdorf ist generell der Auffassung, dass alle Lebewesen, die – mit oder ohne Krückstock – das Bein heben können, Turnbrüder oder Turnschwestern sind. Warum auch nicht? Schließlich beugen die Übungen der schicken Funkenmariechen und Gardisten der Vereinsamung vor: Lieber gemeinsam Can Can tanzen als alleine versauern, ist das gesunde Motto der Fassenachter.
Die jedenfalls nutzten sofort ihre Chance und bevölkern bis Dienstagabend die verödeten Sporthallen mit mehr oder weniger lustigem Treiben. Dort, wo sonst Turnmatten, Barren und Böcke vor sich hin müffeln, sind schummrige Bars, wo sich Narren mit ihren Pappnasen – Virus hin oder her – gefährlich nahe kommen. Und in Heidelberg, wo vieles verspätet geschieht, zieht der Rosenmontags-Narrenwurm am Dienstag durch die Hauptstraße, und die Leute rufen nicht „Helau!“ wie im Rest der Welt, sondern etwas Vornehmeres: „Hajo!“
Ein führender japanischer Epidemiologe – das ist jetzt nicht mehr lustig! – warnt davor, dass Ärzte und Forscher sich noch lange mit dem Coronavirus beschäftigen müssten. Olympia in Tokio, sagt Hitoshi Oshitani, sei in diesem Jahr nicht möglich. Das IOC wird dieser Wissenschaftler kaum beeindrucken. Im Zirkel der Sportfürsten gilt seit 1972 der Satz des Avery Brundage: „The show must go on!“
Der US-amerikanische Sporthistoriker Allen Guttmann vom Amherst College in Massachusetts hat in seinem Olympiabuch übrigens nachgewiesen, dass Brundage, der fünfte IOC-Präsident, ein Juden- und Kommunisten-Hasser und Verehrer Adolf Hitlers gewesen sei. Brundage, Bauunternehmer aus Detroit, habe von der braunen Reichsregierung sogar den Auftrag zum Bau der Deutschen Botschaft in Washington erhalten. Zur Errichtung des Hauses sei es nur deshalb nicht gekommen, weil die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten und die deutschen Pläne verwarfen.
Claus-Peter Bach am Rosenmontag (24. Februar 2020) in der Rhein-Neckar-Zeitung
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