Dienstag, 31. März 2020

Hamza Touba hat noch eine Chance

Ein Heidelberger Olympia-Boxer schmiedet neue Pläne

Hamza Touba ist ein Mensch mit klaren Vorstellungen vom Leben und der Fähigkeit, sportliche Rückschläge gut zu verkraften. Der 28-jährige Fliegengewichtsboxer, geboren in Neuss am Rhein, seit 2007 am Olympiastützpunkt Rhein-Neckar und mit seiner Ehefrau Pinar kurz vor dem Umzug von Edingen in die Heidelberger Bahnstadt, fand es am 23. März 2020 in der RNZ-Sportlerumfrage nötig, dass die Olympischen Spiele wegen der Coronavirus-Pandemie verschoben werden. Und er findet es gut, dass das Internationale Olympische Komitee auf Geheiß der japanischen Regierung die Verschiebung auf 2021 tags darauf endlich verkündet hat. „Es war die richtige Entscheidung“, findet Touba, dessen Zielsetzung sich wegen dieses einen Jahres nicht verändert hat: „Ich möchte teilnehmen und eine Medaille gewinnen.“

Hamza Touba, in der Klasse bis 52 Kilogramm Körpergewicht seit 2010 deutscher Serienmeister und Olympia-Teilnehmer 2016 in Rio de Janeiro, wo er in der ersten Runde an dem Franzosen Elie Konki mit 0:3 Richterstimmen hängen geblieben war, ist einer der besten deutschen Olympiaboxer: Sehr schnell auf den Beinen, mutig, variabel in seiner Taktik und mit gutem Auge für die Aktionen des Gegners und das Erkennen der eigenen Schlagchancen – das hat er auch bei der europäischen Olympia-Qualifikation in London zu erkennen gegeben.

Weil der Box-Weltverband gegenwärtig wegen krimineller Machenschaften auf Führungsebene von olympischen Wettkämpfen suspendiert ist, wurde das Turnier an der Copper Box vom IOC selbst organisiert, von einer Task Force, die mit ihrer Sturheit die Sportwelt entsetzt hat. Denn obwohl das Coronavirus in ganz Europa für Angst, Schrecken und Tod sorgte, ließ die Task Force das Turnier beginnen. Hamza Touba war in Hochform und schlug den Italiener Manuel Cappei mit 4:1 Richterstimmen, ehe er in der zweiten Runde vom an Punkt eins gesetzten Franzosen Billat Bennamo ebenfalls mit 4:1 geschlagen wurde. Unmittelbar nach diesem Kampf hatte die Task Force ein Einsehen und brach das Turnier ab. Resultat am Rande: Zwei türkische Boxer und deren Trainer sowie ein Boxer und zwei Trainer aus Kroatien haben sich in London angesteckt, weil IOC-Funktionäre der irrigen Meinung waren, mächtiger als das fiese Virus zu sein.
Hamza Touba ist froh, die Niederlage gegen Bennamo, „der in einem guten Kampf taktisch ein bisschen besser eingestellt war und verdient gewonnen hat“, und die gefährliche Reise gut überstanden zu haben. Er ist weder verletzt noch erkrankt und hat nun die Chance, sich bei einem Welt-Qualifikationsturnier irgendwann in Paris doch noch für Olympia 2020 im Sommer 2021 zu qualifizieren. Man müsse in der französischen Hauptstadt unter die ersten Acht kommen, um sich in Tokio den Medaillentraum erfüllen zu können.

Ob im Seuchenjahr 2020 noch einmal ernsthaft geboxt wird, ob die deutschen Meisterschaften im Dezember in Straubing stattfinden können, weiß Hamza Touba nicht, das weiß niemand. Deshalb wird der ebenso eloquente wie humorvolle Mann mit den Bundestrainern erst einmal genau überlegen, wie man die Olympia-Vorbereitungen sinnvoll aufbauen und gestalten kann. Bis dahin besteht das Training aus Jogging und Gymnastik, denn der Olympiastützpunkt ist hermetisch verriegelt; auch die Spitzensportler halten sich strikt an das Kontaktverbot und wollen andere Menschen und sich nicht gefährden.

Ohnehin steht für den Stabsunteroffizier der Bundeswehr-Sportfördergruppe bald ein neues Lebensthema an. Hamza Touba möchte dem Beispiel seiner Ehefrau Pinar folgen. Die ehemalige Boxerin hat die Fäustlinge an den Nagel gehängt und ist Lehrerin an der Landhausschule, wo sie nach der Coronavirus-Krise die Handschuhe aber wieder überstreifen wird, um die Box-AG für ihre Schülerinnen und Schüler zu leiten. Hamza Touba wird im Wintersemester 2020/21 an der Pädagogischen Hochschule ein Studium beginnen. „Ich arbeite gerne mit Kindern“, betont er, „es macht mir Spaß, sie zu motivieren.“ Dass er Sport studieren wird, ist klar, das zweite Fach könnte Ethik oder Politik sein.
Mit diszipliniertem Verhalten und gesunder Ernährung möchte Hamza Touba fit bleiben, und falls ihm das fiese Virus begegnen sollte, „gibt’s eine Links-rechts-links-Kombination. Das ist im Kampf immer ein gutes Mittel!“

Claus-Peter Bach am 30. März 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

Fünfzehn Menschen beherrschen die Welt des Sports

Über die Macht und die Finanzen des IOC

Das Internationale Olympische Komitee (IOC), das die Olympischen Sommerspiele am 24. März 2020 wegen der Coronavirus-Pandemie vom Juli und August 2020 nach reiflicher Überlegung und massiven Protesten von Athleten und Nationalen Olympischen Komitees (NOKs) aus aller Welt auf 2021 verschoben hat, ist eine ebenso mächtige wie geheimnisvolle Organisation. Das IOC ist wie der FC Basel oder Servette Genf ein Verein nach Schweizer Recht, der am 23. Juni 1894 an der Pariser Sorbonne gegründet wurde und seinen Sitz in Lausanne hat.

Erster Generalsekretär war der französische Pädagoge Pierre Baron de Coubertin, erster Präsident der Grieche Dimitrios Vikelas. Die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit fanden 1896 in Athen statt, die Spiele 2021 in Tokio werden die 32. Sommerspiele sein. Eine Olympiade bezeichnet den Zeitraum von vier Jahren zwischen Olympischen Spielen. Seit 1924 werden auch Olympische Winterspiele ausgetragen.

Wem gehören eigentlich die Olympischen Spiele? Mit dieser Frage sowie anderen Großveranstaltungen in Kultur und Sport beschäftigt sich Professor Dr. Michael Dinkel (50/Foto: privat) an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim. Dinkel hat sich mit der Struktur und den Finanzen eines Vereins befasst, in den man – anders als bei der TSG Rohrbach oder dem AC Ziegelhausen – nicht einfach eintreten kann. Das IOC hatte 13 Gründungsmitglieder, die allesamt Freunde Coubertins waren und von diesem berufen wurden. Es waren wohlhabende Sportfreunde aus elf Ländern, die so edel waren, dass sie ihre Reise- und Aufenthaltskosten bei Kongressen und Olympischen Spielen selbst trugen.

Auch gegenwärtig kann man nicht einfach zum IOC spazieren, in diesen 2019 eingeweihten 24 000-Quadratmeter-Neubau eines dänischen Architekten-Konsortiums, und die Mitgliedschaft beantragen als wäre das IOC ein Verein wie die TSG Eintracht Plankstadt. Bis heute werden neue Mitglieder von der Vollversammlung der bisherigen Mitglieder berufen. Die Zahl der IOC-Mitglieder ist auf 115 begrenzt. Auch heutzutage hat das IOC etliche Mitglieder aus dem Hochadel, manche haben gleichwohl in ihrer Jugend Sport getrieben und an Olympischen Spielen teilgenommen: Prinzessin Anne, die Herzogin von Edinburgh, 1976 im Reiten oder Fürst Albert II von Monaco, der die Konkurrenten in der Bobbahn bei fünf Olympischen Spielen zwischen 1988 und 2002 in Angst und Schrecken versetzt hatte. Fürstin Nora von Liechtenstein, Prinz Frederik von Dänemark oder Großherzog Henri von Luxemburg verleihen dem Klub der fünf Ringe ebenfalls fürstlichen Glanz.

Ehemalige Sportler bürgerlichen Geblüts sind der ukrainische Sprinter Waleri Borsow, dessen Stabhochsprung-Kollege Sergej Bubka, der französische Hürdensprinter Guy Drut, der namibische Sprinter Franky Fredericks, der kenianische Langstreckler Paul Tergat oder die kanadische Eishockeyspielerin Hayley Wickenheiser, die als einzige Kritikerin des deutschen Präsidenten Dr. Thomas Bach, einem Team-Olympiasieger von 1976 im Fechten, gilt.

Der IOC-Präsident, vier Vizepräsidenten und zehn Mitglieder werden von der Vollversammlung durch geheime Wahl in das Exekutivkomitee befördert, beim SV Waldhof heißt das Vorstand. Thomas Bach wurde 2013 für acht Jahre in das Präsidentenamt gewählt, und es besteht die Möglichkeit, dass der 66-jährige Jurist 2021 für weitere vier Jahre in seine letzte Amtszeit gehen könnte.

Das Exco koordiniert die 204 nationalen olympischen Komitees, also auch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und wählt die 35 internationalen Sportverbände aus, die sich zur olympischen Familie zählen dürfen.

Da die 15 Exco-Mitglieder keine Ehren-, sondern Wahlämtler sind, werden sie für ihre Mühen entlohnt. Der IOC-Präsident erhält eine Jahrespauschale in Höhe von 225 000 Euro, während die anderen Exco-Mitglieder aufgrund geringerer Verantwortung mit 6500 Euro pro Jahr zufrieden sein müssen; gewöhnliche IOC-Mitglieder werden mit 3250 Euro abgespeist. Außerdem erhalten alle IOC-Mitglieder für Sitzungen, Inspektionsreisen und den Besuch von Olympia eine Tagespauschale, wobei der An- und Abreisetag auch abgerechnet werden darf. Der Tagessatz für Exco-Mitglieder liegt bei 836 Euro, einfache IOC-Mitglieder kriegen 418 Euro – das reicht auch bei Sitzungen in der Schweiz für zwei, drei Tassen Kaffee und ein Geschnetzeltes.

Nun muss man nicht befürchten, dass das IOC, das sich als Besitzer der Olympischen Spiele fühlt und das Symbol der Ringe geschickt vermarktet, die Wettkämpfe selbst aber von den Fachverbänden und den ausrichtenden Staaten und Städten organisieren lässt, an den Reisespesen seiner Mitglieder und rund 500 Mitarbeiter zugrunde gehen könnte.
Wie Michael Dinkel aufgezeigt hat, hatte das IOC zwischen 2013 und 2016, also für die Winterspiele in Sotschi und die Sommerspiele in Rio de Janeiro, Einnahmen aus Fernsehrechten in Höhe von 4,157 Milliarden US-Dollar und aus dem Sponsorenpool Einnahmen in Höhe von 1,003 Milliarden USD. Daneben nehmen sich die Einnahmen der beiden Organisationskomitees für nationale Lizenzen (74 Millionen USD), den Verkauf von Eintrittskarten (527 Millionen USD) und eigenes Sponsoring (2,037 Milliarden USD) beinahe bescheiden aus.
Das IOC kassierte 66 Prozent der Einnahmen durch diese beiden Olympischen Spiele, behielt aber nur zehn Prozent für eigene Zwecke. „Wir stecken 90 Prozent unserer Einnahmen in die weltweite Entwicklung des Sports“, behauptet Thomas Bach. Michael Dinkel hat herausgefunden, dass das IOC aus seinen Einnahmen von Rio 1,531 Milliarden USD an das lokale Organisationskomitee und jeweils 540 Millionen USD an die 204 NOKs und die 35 Fachverbände ausgeschüttet hat.

Seit Sebastian Lord Coe dem Leichtathletik-Weltverband (World Athletics) vorsteht, wurde der IOC-Zuschuss in Höhe von 44 Millionen USD hälftig aufgeteilt. 22 Millionen USD blieben bei WA, 22 Millionen wurden an die nationalen Verbände ausgeschüttet. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) erhält jährlich 25 000 Euro. Auch der DOSB profitiert vom IOC. Für Rio gab es einen Zuschuss in Höhe von 815 000 Euro für die Entsendung der Olympiamannschaft.

Lord Coe, der 2012 Olympia in London als OK-Chef verantwortet hatte, legte seine Bilanzzahlen bereitwillig vor. Sein OK hatte Einnahmen durch nationale Sponsoren (1,32 Milliarden Euro), Zuschauereinnahmen (413 Mio. Euro), Lizenzgebühren (82 Mio. Euro) und den IOC-Zuschuss in Höhe von 1,374 Milliarden Euro. Dem standen Organisationskosten in Höhe von 3,1 Milliarden Euro gegenüber plus 15,1 Milliarden Euro an Infrastrukturkosten, die die britischen Steuerzahler draufgelegt haben. Darunter sind natürlich auch die Sanierungskosten für die Hafen-City, die zunächst als Olympisches Dorf diente und nun in superschicken Eigentumswohnungen die Schönen und Reichen des Vereinigten Königreiches beherbergen.

Claus-Peter Bach am 30. März 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

Mittwoch, 25. März 2020

Nur die Graugänse sind renitent

Über das Verhalten von Sportlern in der Coronavirus-Krise

Der Sonntag ist wunderschön und macht seinem Namen alle Ehre, denn nach einem kühlen Regentag feuert die Sonne ihre Strahlen aus wolkenfreien Himmel zur Erde. Gut, es ist ein bisschen kühl, damit wir Deutschen wenigstens ein bisschen was zu meckern haben. Zeit also, alleine die Wohnung zu verlassen, ins Auto zu steigen und zu schauen, wo überall Sport getrieben wird – trotz der Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus, das ja auch vor Athleten keinen großen Respekt hat.

Bei der kurzen Rundfahrt bei halb geöffnetem Fenster – ist das klug? kann das Virus ins Auto hereinflattern wie eine kleine chinesische Fledermaus? – sieht man sogar alte Bekannte. Auf dem Seitenweg an der Speyerer Straße radeln Liesel und Kurt in schicken gefütterten Lederjacken, Liesel mit drei Metern Sicherheitsabstand hinter Kurt – die Frau hinter dem Mann wie in Indien, nicht der Mann hinter der Frau wie in England. „Seid Ihr gesund?“, brülle ich durchs Fenster, doch Kurt winkt lachend ab: „Mir halte uns fit, an uns geht des Ding net dran!“ Es blüht die Zuversicht, und das ist gut so. Kurt ist 74, Liesel auch schon 69, aber sie haben ihr Leben lang Sport getrieben...

Plötzlich haben Liesel und Kurt Gegenverkehr und wenden ihre Gesichter dem Felde zu, wo ein Bauer auf einer großen Tafel die Frage stellt, ob die Menschen sich künftig von Beton oder von frischem Gemüse ernähren wollen. Das Schild ist schön gemalt, der Landwirt hat sich Mühe gegeben, die Sache ist ihm wichtig. Auf dem Radweg nähert sich ein Mann, der in einem Fahrrad liegt und am Gepäckträger einen Stock mit einer Deutschland-Flagge befestigt hat. Wir nehmen an, dass er sein Heimatland auch in Zeiten der Pandemie liebt und die Vorsichtsmaßnahmen der 17 deutschen Regierungen symbolisch gutheißt. Kurt und Liesel winkt er zu, man radelt aneinander vorbei, ohne zu husten.
Am Kirchheimer Weg zeigt ein geduldiger Vater seinem Töchterlein, wie man Fahrrad fährt. Das kann man auf autoarmen Straßen jetzt richtig üben, zumal das Kind begeistert und voll konzentriert ist und ausnahmsweise mal keine Fragen stellt. Papa fährt voraus, das Mädchen hinterher – es werden offenbar indische Bräuche gelebt.

Im Harbigweg nutzt kein Mensch die vielen Sportplätze und die Alla-Hopp-Anlage, weil überall weiße Zettel mit einer städtischen Anordnung im Kerchemer Wind flattern. Darauf teilt der Hallen- und Sportplatzkoordinator Rama Aithal den Bürgern mit, dass die Anlagen wegen der Ansteckungsgefahr gesperrt seien. Die Osterglocken blühen trotzdem weiter.

Nun wird die Situation komplizierter. Mitten auf der Straße joggt eine junge Frau in blau-grünem Outfit, die ganz, ganz tief in die Klänge aus ihrem Headset (das sind kleine Lautsprecher in jedem Ohr) vertieft ist. Ob sie Beethoven hört oder eher Mozart? Nein, dem Tempo ihrer Schritte nach müssten es Schubert-Balladen sein, die sie vollauf gefangen nehmen. Denn sie sieht nicht, dass der Gehweg völlig frei von Menschen und Viren ist, und sie hört nicht, dass sich ein Fahrzeug nähert. Das macht nichts. Wir haben es nicht eilig, es ist Sonntag, und die Sonne scheint. Heidelberger sind kompliziertere Verkehrssituationen gewohnt.

Am kleinen Messplatz, wo das fahrende Volk und etliche Lastwagen eine vorübergehende Bleibe gefunden haben und ausnahmsweise mal kein Flohmarkt ist, kicken Antonio und Michele, acht und zehn, mit einem Fußball, der schon bessere Zeiten hatte. Die Buben tragen nagelneue Kickschuhe und machen sich einen Spaß daraus, den Ball unter den Lastern durch zu schlenzen. Dabei bleiben sie auf Distanz, wie es die abendliche Regierungsverordnung fordert.

Auf dem Weg nach Neuenheim wundert man sich, dass am Hauptbahnhof offenbar viel Sport getrieben wird, jedenfalls stehen dort ein paar tausend Fahrräder und glänzen, soweit nicht völlig verrostet, in der Frühlingssonne. Auf der Neckarwiese aber herrscht das schiere Chaos: Wo sonst die Sonntagskicker ihre durchaus ernsthaften Spiele austragen, wo schicke Mädchen und trendige Jungs zu normalen Zeiten im Sand hüpfen und Beachvolleyball so lustvoll zelebrieren als spielten sie am Strand von Ipanema, wo kleine Kinder sonst auf der Wippe schaukeln oder im Kasten mit Sand und Wasser (heidelbergerisch: Babbel) panschen, zählen wir zwischen Ernst-Walz- und Theodor-Heuss-Brücke zwei Einheimische, vier Asiaten, die vor der barbarisch abgeholzten Neckarinsel etliche Selfies schießen, und rund 250 Graugänse.

Die beiden Heidelberger – es sind Berthold Quast vom städtischen Verkehrsmanagement und Martin Geißler vom Landschafts- und Forstamt, die Streife laufen und die Sperrung der Wiesen überwachen – schreiten den fröhlichen Touristen entgegen, halten den Sicherheitsabstand von drei Metern ein und setzen die Räumung des Rasens mit Handzeichen durch. Die Gäste aus Fernost waren nicht informiert, weil sie keine RNZ gelesen hatten oder weil die RNZ noch nicht in chinesischer Schrift erscheint. Nur die Gänse stellen sich stur. Mit aller Renitenz widersetzen sie sich den Aufforderungen der städtischen Mitarbeiter, und auch die beiden Polizisten, die die Szenerie aufmerksam beobachten, sind letztlich machtlos. Martin Geißler und Berthold Quast lassen aber wissen, dass sie den ganzen Tag über keinen anderen Problemfällen begegnet seien. Die Leute seien vernünftig und gingen nur spazieren. Was sollten sie sonst auch tun an diesem herrlichen Sonntag?

Auf dem Trottoir der Theodor-Heuss-Brücke wird es ein bisschen eng, denn zwei junge Mütter starten, natürlich Seite an Seite, ein Kinderwagenrennen im Stile der alten Römer, nehmen unter dem quiekenden Beifall ihrer Babys gehörig Fahrt auf und zwingen Fußgänger, auf die Radspur und die Straße auszuweichen. Das aber ist nicht schlimm, denn es ist kaum jemand unterwegs.
Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer und Wagenlenkerinnen kommen prima miteinander aus – und das in unserem Heidelberg!

Claus-Peter Bach am 24. März 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

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Aushang an den Sportanlagen in Heidelberg. Foto: CPB

Hanteltraining in Ohio statt Boat Race auf der Themse

Über den Heidelberger Ruderer Ben Landis

Ben Landis ist ein Ruderer, der im Jugendtraining der Rudergesellschaft Heidelberg erstmals in einem Boot saß, von der begnadeten Gerda Ott († 2017) beim Heidelberger Ruderklub zu einem hoch motivierten und ehrgeizigen Athleten ausgebildet wurde und als B- und A-Junior zwei Bronzemedaillen bei den deutschen Meisterschaften gewonnen hat.

Das war 2010 und 2012 auf dem windumtosten Essener Baldeneysee – einmal im Vierer ohne Steuermann des Landesruderverbandes Baden-Württemberg mit seinem Vereinskameraden David Diel, dem Stuttgarter Alexander Archner und Mark Faupel aus Überlingen, das andere Mal mit dem „Südteam-Achter“, einer Renngemeinschaft mehrerer süddeutscher Landesverbände.


Ben Landis, der am 20. März seinen 26. Geburtstag feierte, praktiziert gegenwärtig bei der internationalen Großbank HSBC in New York City, doch schon bevor Bürgermeister Bill de Blasio eine Ausgangssperre für die ganze Stadt verhängte, floh Ben Landis „aus meinem wirklich kleinen Zimmer“ nach Cincinnati im Bundesstaat Ohio, wo die Eltern seiner Freundin Grace abseits vieler Menschen ein Haus besitzen, wo sogar ein regelmäßiges Training auf einem Fahrradergometer und mit Hanteln möglich ist. „Dort arbeite ich im Homeoffice für die Bank und halte mich fit. Wir wahren die Distanz zu Nachbarn und gehen zur Zeit auch nicht in den Ruderklub“, erläutert der Athlet, der seit dem Frühling 2019 sicherlich in jedem Ruderverein der Welt willkommen wäre.

Nach dem Abitur 2013 am Englischen Institut Heidelberg ist Ben Landis dem Rat seines US-amerikanischen Vaters gefolgt und hat 2014 an der Columbia University in New York ein Studium begonnen und 2018 mit dem Bachelor of Arts in Geschichte und Politikwissenschaften beendet. Vater John ist ein bei SAP beschäftigter Philosoph, der es ganz gut fand, dass Bens Universität „einen etwas breiteren Studienansatz bietet“, man sich also nicht schon vor dem ersten Semester entscheiden muss, was man einmal werden will. Ben Landis wollte vor allem weiter rudern und schipperte fortan in einem Paradies: „An der Columbia ist der Unisport riesengroß. Sie haben dort große Ruderteams und alleine bei den Leichtgewichten vier Achter.“ Bald saß er im ersten Achter, der bei den nationalen Uni-Meisterschaften während seiner vier Jahre einmal Silber und zweimal Gold gewonnen hat. Erfolg fällt nicht vom Himmel. An der Columbia University gibt es Vollzeit-Rudertrainer und zwei Trainings pro Tag.

Mit sehr guten Noten („Ich habe mich im letzten Jahr wirklich hingesetzt und geackert“) und einigen Empfehlungsschreiben wechselte Ben Landis 2018 zum Master-Studium „Internationale Entwicklung“ nach Oxford, wo er sich mit dem höchst aktuellen Thema der menschlichen Migration beschäftigte und seine akademische Ausbildung abschloss.

Wassersportler wissen natürlich, dass es auch an der altehrwürdigen mittelenglischen Uni nicht nur ungewöhnlich viele Morde gibt, die von Inspektor Robert Lewis und Sergeant James Hathaway ruckzuck aufgeklärt werden, sondern auch ein paar ganz brauchbare Ruderboote. Einen Monat vor der ersten Vorlesung nahm Ben Landis an den knallharten Leistungstests des 1829 gegründeten Oxford University Boat Club teil, um sich – unter anderem mit Ergometertests über fünf Kilometer und zwei Kilometer, einem Ein-Stunden-Strampeln und einer Vier-Minuten-Ausbelastung, nach der man leichenartig vom Rad fällt – für den ersten Achter der Universität zu qualifizieren. Das hat Ben Landis geschafft, womit er zumindest landesweite Bekanntheit im Vereinigten Königreich erreichte.

„Weil wir einen Dickkopf im Boot hatten“, die nötige technische Harmonie also nicht erreicht wurde, waren die Trainer gezwungen, den Achter für das Boat Race gegen Cambridge am 7. April 2019 kurzfristig umzubesetzen. Der 1,90 Meter große und 86,1 Kilogramm schwere Ben aus Heidelberg behielt Sitz zwei.

Millionen Fans säumten die Themse, erlebten die frühe Führung der „Blues“ aus Oxford, den Beinahe-Zusammenstoß der beiden Boote in einer engen Flusswindung, die folgenlose Verwarnung der „Light Blues“ aus Cambridge und den knappen Sieg der Männer aus Heidelbergs Partnerstadt mit einer Länge oder zwei Sekunden Vorsprung. „Es war sehr bitter, aber wir hatten alles gegeben“, beteuert Ben Landis, der auch an diesem Samstag gerne noch einmal ein Boat Race bestritten hätte, dann als „Old Blue“ und wieder mit unbedingtem Siegeswillen.

Nun trainiert er für sich allein in Cincinnati, das Boat Race trägt einen Virus und fällt aus.

Claus-Peter Bach am 23. März 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

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Über den Dächern von Oxford: Ben Landis, Ruderer aus Heidelberg. Foto: privat

Donnerstag, 19. März 2020

Dieses IOC braucht niemand

Über die Haltung des Ringe-Ordens in Zeiten von Corona
  
Dass das IOC, jene 115 Blaublüter und ehemaligen Spitzensportler von Fürst Albert II bis zu Chinas Eisschnelllauf-Königin Zhang Hong, die sich für die Weltregierung des Sports halten, noch immer zögern, die Sommerspiele im Juli und August in Tokio zu verschieben, ist klar. Diese Leute müssen darauf achten, dass ihre Gelddruckmaschine mit den fünf Ringen im Herstellerlogo fünf Wochen lang für Olympia und die Paralympics auf Hochtouren läuft, damit all die Privilegien, die diese Damen und Herren sich gönnen, und die Zuschüsse, die das IOC den internationalen Fachverbänden überweisen, bezahlt werden können. Die Absage von Olympia 2020 wäre für das IOC der Super-GAU. Eine Verschiebung auf 2021 – wenngleich mit Mehrarbeit und Umplanungen verbunden – die Notlösung.

Ganz unabhängig davon, dass jedes Kind in Deutschland, ja jeder Goldhamster, mehr soziales Gewissen hat als der sture IOC-Präsident Thomas Bach, verletzt der suspekte Ringe-Orden selbst seine Charta, die vorschreibt, dass wenigstens bei Olympischen Spielen jeder Teilnehmende gleiche und gerechte Bedingungen vorfinden muss, um einen fairen Wettkampf zu ermöglichen.

Schon in früheren Jahren hat das IOC sich selbst ad absurdum geführt; jahrelang wurden Sporttreibende zugelassen, die schamlos gedopt und ehrliche Athleten betrogen haben. Es ist deshalb höchste Zeit, dass Regierungen, Sponsoren und die internationalen Fachverbände die Zusammenarbeit mit dem IOC aufkündigen und dessen Präsidenten heim nach Badisch-Sibirien schicken.

Die Fachverbände sollten die Organisation erdteilübergreifender Multisport-Ereignisse selbst in die Hände nehmen und zum Wohle ihrer Athleten klug terminierte Qualifikationen mit behutsam gesetzten Kriterien ansetzen. Es muss das Ziel eines humanen Sports der Zukunft sein, dass in allen Disziplinen die nationalen Meister qualifiziert sind.

Dass die Fachverbände zu organisatorischen Glanzleistungen fähig sind, haben sie mit den European Championships 2018 ja eindrucksvoll bewiesen.

Claus-Peter Bach am 19. März 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

Dr. Schwarz: „Auch bei leichter Erkältung Sport treiben

Ärztliche Verhaltenstipps in Zeiten des Coronavirus
  
Dr. Andreas Schwarz ist Allgemeinmediziner, Sportarzt, Chiropraktiker und Homöopath in Heidelberg-Handschuhsheim. Der 61-Jährige spielt Saxofon und Querflöte in der Band „Ambulant Jazz“, spielt gerne Badminton und Golf und ist Teamarzt des deutschen Rugby-Vizemeisters TSV Handschuhsheim.

Herr Dr. Schwarz, welche Tipps können Sie in der Corona-Krise den Sporttreibenden geben?

Ich empfehle allen Menschen dringend, den Empfehlungen und Anordnungen der Behörden strikt zu folgen. Solange keine Ausgangssperre verhängt ist, gilt aber auch: Wer gesund ist, sollte Sport treiben und sich täglich an der frischen Luft bewegen.

Allerdings sind alle Sport- und Spielplätze gesperrt, auch die Alla-Hopp-Anlagen in der Region. Wo soll der Sport an der frischen Luft denn stattfinden?

Man kann völlig gefahrlos durch Felder und Wälder joggen, allerdings nicht im engen Rudel, sondern mit dem empfohlenen Abstand von zwei bis drei Metern. Radfahren trainiert den Kreislauf auch ganz gut, ebenso wie Schwimmen – doch sind die Bäder geschlossen. Sehr gesundheitsfördernd sind übrigens auch längere stramme Spaziergänge, sofern der Sicherheitsabstand zu anderen Wandernden eingehalten wird.

Manche Mediziner empfehlen auch Saunagänge bei Temperaturen von 60 Grad und mehr. Was halten Sie davon?

Die Finnen, die häufig saunieren, sind ein sehr gesundes Volk. In einer 80- oder 90-Grad-Sauna wird es keine Coronaviren geben, die eine solche Hitze nicht vertragen und absterben. Allerdings: Wer das Virus in den Atmungsorganen trägt, wird es in der Sauna nicht los, denn die innere Körpertemperatur beträgt stets rund 37 Grad. Diese Überlegungen gelten nur für die Besitzer privater Saunen, denn alle öffentlichen Badeanstalten und Wellnesscenter sind ja geschlossen.

Wer soll gegenwärtig überhaupt Sport treiben?

Alle Menschen, die kein Fieber haben. Sport stärkt das Immunsystem, auch und gerade dann, wenn man leicht erkältet ist. Man sollte sich aber nicht überanstrengen und immer wieder mal den Pulsschlag kontrollieren. Sport bei einem Puls von 110 Schlägen pro Minute kann niemandem schaden, der nicht durch eine schwerere Erkrankung geschwächt ist. Für Herzkranke gibt es spezielle Corona-Sportstunden, und das Programm „Sport nach Krebs“ möchte ich auch gerne empfehlen.

Vor Sport in Gruppen oder in Mannschaften wird allerdings heftig gewarnt. Die Sportverbände und Vereine haben ihre Wettkampfprogramme und Trainingsangebote bis auf weiteres gestrichen.

Ja, klar. Wo mehrere oder viele Menschen sind, wäre die Ansteckungsgefahr zu groß. Deshalb sind die Absagen vernünftig. Spielsportarten müssen pausieren, um die Athleten, Trainer und Zuschauer nicht in Gefahr zu bringen. Aber es gibt durchaus Sportarten, die ich als ungefährlich einstufe und die man in einer solchen Situation ja mal ausprobieren könnte.

Bitte nennen Sie Beispiele?

Golf ginge, weil jeder Spielende seine eigenen Schläger und Bälle benutzt und auf einem großen 18-Loch-Platz so viel Raum ist, dass man sich nicht gefährlich nahe kommen muss. Von Minigolf hingegen würde ich eher abraten, denn man benutzt Leihschläger und hat nicht genügend Abstand zu Mitspielenden oder Konkurrenten.

Wie steht es um die Rückschlagspiele?
Tennis und Badminton, vielleicht auch Tischtennis sind aus meiner Sicht ungefährlich. Man trägt den eigenen Schläger in der einen Hand und sollte die andere Hand, mit der man den Spielball anfasst, mit einem Einweghandschuh schützen.

Welche weiteren Sportarten fallen Ihnen ein?

Leichtathletik ginge, sofern Kugelstoßer, Diskuswerfer oder Speerwerfer ihre eigenen Geräte nutzen. Inlineskating, Nordic Walking, Surfen oder Paddeln könnte ich auch empfehlen. Rudern oder Boule hingegen nicht, weil man Boot und Kugeln mit anderen Nutzern teilen müsste. Reiten geht immer, und der Hometrainer, der in manchen Häusern verstaubt, könnte nun auch reaktiviert werden. Ich selbst betreibe Herz-Kreislauf-Training durch Treppensteigen und mache meine Hausbesuche mit dem Rad.

Claus-Peter Bach in der Rhein-Neckar-Zeitung vom 19. März 2020

Dienstag, 17. März 2020

Tränen der Freude, der Wut und des Abschieds

Eigentlich, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, geschah an den letzten Tagen nicht viel Neues. Weihnachten war besinnlich, und um keine Langeweile aufkommen zu lassen, liefen im Fernsehen Biathlon, Nordische Kombination, wieder Biathlon, Langlauf und noch einmal Biathlon, außerdem „Sissi“, die „Feuerzangenbowle“, „Don Camillo“ in allen Lebenslagen und „Pater Brown“ – die älteren Fassungen mit Heinz Rühmann – immerhin! Irgendwann
stellte mein Papagei die Frage, ob die Programmdirektoren tatsächlich alle Kerzen auf dem Christbaum haben, aber für diese Frechheit gab’s einen Tadel, denn so etwas sagt man nicht – nicht an Weihnachten.


„Quax, der Bruchpilot“ haben wir in keiner Fernsehzeitschrift gefunden. „Macht nichts,“ fand mein Papagei, der bei seinem jüngsten Rundflug über Hollywood ausgespäht hat, dass der blutrünstige Quentin Tarantino eine Neuverfilmung
vorbereitet, natürlich mit Christoph Waltz in der Rolle des Otto Groschenbügel. „Nein!“, kreischt mein Papagei, „das macht der Vettel!“ Er meint jenen in Heppenheim in die Fahrschule gegangenen Wahl-Schweizer, der – als ehemaliger vierfacher Weltmeister! – die Formel-1-Saison 2019 vornehmlich dazu genutzt hat, seinen Ferrari und andere Autos zu zerstören, die Konkurrenten an Leib und Leben zu gefährden, seine Fans zu verwirren und seinen Chefs auf die Nerven zu gehen.

Vettel beendete den Zirkus mit 240 Punkten als Tabellenfünfter, ist aber, gleichauf mit Daniel Ricciardo auf Renault, Strafpunkte-Spitzenreiter. Nachdem Vettels Rowdy-Saison von den Beamten der Flensburger Verkehrssünder-
Datei nicht zur Kenntnis genommen wurde (Beamte schlafen auch oft, wenn die Formel 1 startet), hat der Motorsport-Weltverband selbst eine Sünderliste eingeführt: Vettel – seven points, steht da nun. Und mein Papagei sieht sich bestätigt: „Mercedes, made in Germany, ist ohnehin das beste Auto.“

Außer der Formel 1 hat uns der Abstieg des Uli Hoeneß von der Kommandobrücke des FC Bayern am meisten berührt. Wie der Patron am Abend des 15. November die Olympiahalle rockte, wie er im Hin und Her zwischen Eigenlob und
Tränen, zwischen Applaus und Hoch-Rufen, zwischen Erinnerungen und Treueschwüren seinen Abschied zelebrierte, ließ meinen Papagei den Kopf einziehen und flüstern: „Jetzt ist er wieder da, der Kini!“ Wir haben jeden Satz der langen Rede genossen, auch die Dankesworte an Hinz und Kunz unter dem weißblauen Sternenhimmel, und wenn der Uli eine Pause brauchte, um noch einmal herzzerreißend zu schluchzen, haben wir gelauscht, ob er es vielleicht doch noch sagen
wird: Ein klitzekleines „Vergelt’s Gott!“ für den Vorsitzenden Richter des Landgerichts München II, der ihm am 13. März 2014 unter Aufbietung aller nur in Bayern verfügbaren Gnade für eine Steuerhinterziehung in Höhe von 28,5
Millionen Euro drei Jahre und sechs Monate Gefängnis aufgebrummt hatte, wovon er als Ehrenmann, Würstelfabrikant und Wohltäter nur die Hälfte und das meiste davon im offenen Vollzug absitzen musste. Ob Sie, lieber Leser, in den
brutal harten Tagen in Landsberg auch mit der Diätkost aus Käfers Küche zufrieden gewesen wären?

In den Verfahren gegen Hoeneß und die mutmaßlichen Sünder beim „Sommermärchen 2006“ konnte übrigens kein Videobeweis zur Rate gezogen werden, denn die deutschen Fußball-Granden von damals, der Seppl aus der Schweiz
und der geheimnisvolle Edle aus dem Morgenland hatten sich bei ihren Geldgeschäften nicht filmen lassen. Mein Papagei glaubt nicht mehr daran, dass die Affäre um die 6,7 Millionen Fränkli, die vom Konto des verstorbenen Adidas-
Chefs Robert Louis-Dreyfus im Schweinsgalopp zum DFB nach Frankfurt, von dort zur Fifa, dann zu Kaiser Franz nach Österreich und schließlich zu Scheich bin Hammam nach Katar gewandert sein sollen (für eine WM-Gala,
die nie stattfand), noch einmal aufgeklärt werden wird. Die Behörden in der Schweiz lassen sich Zeit, und der Herr Generalbundesanwalt in Karlsruhe hat sich für das Ermittlungsverfahren in Deutschland noch nie interessiert. „Verjährung
schützt vor Strafe“, weiß mein Papagei, der im Gemeinschaftskunde-Unterricht seiner Baumschule gut aufgepasst hatte. Er sagt auch: „Die Kleinen henkt man, die Großen lässt man laufen“, aber dafür kriegt er wieder einen Klaps auf den
Schnabel, denn in einem Rechtsstaat darf man so etwas nicht sagen.

Der Videobeweis gilt hier und da, hier und da aber auch nicht. Für Mario Gomez hat er gegolten, denn der ehemalige Nationalstürmer hat im Spiel beim SV Sandhausen drei Tore geschossen, von denen keines der Überprüfung im Kölner
Keller Stand gehalten hat. „Ob Gomez sich über diese Art der Gerechtigkeit gefreut hat?“, fragte sich mein Papagei, freute sich aber über den 2:1-Sieg der Sandhäuser. Er trägt zwar ein buntes Federkleid und ist hereingeschneit, fühlt sich aber als Kurpfälzer.

Wir haben uns übrigens unbändig darüber gefreut, dass mit Peter Handke erstmals ein Sportjournalist mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet worden ist. Sofort hat mein Papagei dessen berühmtestes Buch „Die Angst des Tormanns
beim Elfmeter“ von 1970 aus dem Bücherschrank geholt. Seither sitzt er auf dem Sofa und versucht zu verstehen, worum es in diesem Bändchen eigentlich geht.


Was wird uns, lieber Leser, liebe Leserin und liebes Leserlein, das Sportjahr 2020 bringen? Noch mehr Biathlon, noch mehr Videobeweise, Olympische Spiele mit unseren Weltmeistern Malaika Mihambo und Niklas Kaul, mit rund 30 Athletinnen und Athleten aus der Kurpfalz und mit Thomas Bach und vielen gedopten Russen, die sich nicht haben erwischen lassen und unter neutraler Flagge starten. Außerdem gibt es Fußball, Fußball und Fußball – warum auch nicht?
Unser Lieblingssport ist ja jetzt gerecht, es lebe der Videobeweis! Einen guten Rutsch wünscht mein Papagei.

Claus-Peter Bach am 30. Dezember 2019 in der Rhein-Neckar-Zeitung

The show must go on

Über Olympische Spiele in Zeiten einer Pandemie

Helau, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein! Sofern Sie die nächtlichen Belastungen des schmutzigen Donnerstags besser verkraftet haben sollten als unser auf dem Land lebender Kollege, den der Büroschlaf am Freitag schon gegen 13 Uhr übermannt hat, könnten Sie Ihrer RNZ entnommen haben, dass am Wochenende in der Kurpfalz kaum Sport getrieben wurde. Die Sportlerinnen und Sportler, die ja gerne öffentlich schwitzen und spucken und sich beim Jubeln auch eng aneinander kuscheln, waren ausnahmsweise mal vernünftig und blieben zuhause. Die Nachrichten über die vielen Opfer des Coronavirus machen ängstlich, zumal sich der winzige Erreger offenbar schneller fortbewegt als mancher hoch dotierte Bundesliga-Kicker.

Mein Papagei hält es wie damals, als die Vogelgrippe seiner geliebten Roswitha, der schicken Amsel aus Nachbars Garten, das Leben gekostet hatte: Er bleibt in seinem Käfig und hat sich in die Schar der Sportfernsehgucker eingereiht. Das Schlittenfahren mit Bauchplatscher lässt ihn begeistert die Flügel schlagen. Und Biathlon guckt er auch immer – er ist ja schon ein bisschen älter. Die freiwillige Quarantäne schmerzt ihn sehr, denn er hat sich in eine junge Elster verliebt, die seit ein paar Tagen um das Vogelhäuschen herumflattert; wer aber weiß, ob die nicht aus China eingeflogen ist?


Virus hin oder her

Mein Papagei liebt das Neue und Unbekannte, das zwar fremd ist, aber neugierig macht und oft auch so bezaubernd ist wie seine neue Liebe. Er sagt: „Wer das Unbekannte fürchtet oder hasst, bleibt einsam und endet als Rassist!“ Das ist kein dummer Gedanke in diesen närrischen Zeiten.

Liebhaber der Fastnacht sind neuerdings auch Sportler, denn der Badische Turnerbund (BTB) hat beschlossen, dass der karnevalistische Tanz eine Sparte des Turnens ist (was Turnvater Jahn nur nicht richtig kapiert hatte). BTB-Präsident Gerhard Mengesdorf ist generell der Auffassung, dass alle Lebewesen, die – mit oder ohne Krückstock – das Bein heben können, Turnbrüder oder Turnschwestern sind. Warum auch nicht? Schließlich beugen die Übungen der schicken Funkenmariechen und Gardisten der Vereinsamung vor: Lieber gemeinsam Can Can tanzen als alleine versauern, ist das gesunde Motto der Fassenachter.

Die jedenfalls nutzten sofort ihre Chance und bevölkern bis Dienstagabend die verödeten Sporthallen mit mehr oder weniger lustigem Treiben. Dort, wo sonst Turnmatten, Barren und Böcke vor sich hin müffeln, sind schummrige Bars, wo sich Narren mit ihren Pappnasen – Virus hin oder her – gefährlich nahe kommen. Und in Heidelberg, wo vieles verspätet geschieht, zieht der Rosenmontags-Narrenwurm am Dienstag durch die Hauptstraße, und die Leute rufen nicht „Helau!“ wie im Rest der Welt, sondern etwas Vornehmeres: „Hajo!“

Ein führender japanischer Epidemiologe – das ist jetzt nicht mehr lustig! – warnt davor, dass Ärzte und Forscher sich noch lange mit dem Coronavirus beschäftigen müssten. Olympia in Tokio, sagt Hitoshi Oshitani, sei in diesem Jahr nicht möglich. Das IOC wird dieser Wissenschaftler kaum beeindrucken. Im Zirkel der Sportfürsten gilt seit 1972 der Satz des Avery Brundage: „The show must go on!“

Der US-amerikanische Sporthistoriker Allen Guttmann vom Amherst College in Massachusetts hat in seinem Olympiabuch übrigens nachgewiesen, dass Brundage, der fünfte IOC-Präsident, ein Juden- und Kommunisten-Hasser und Verehrer Adolf Hitlers gewesen sei. Brundage, Bauunternehmer aus Detroit, habe von der braunen Reichsregierung sogar den Auftrag zum Bau der Deutschen Botschaft in Washington erhalten. Zur Errichtung des Hauses sei es nur deshalb nicht gekommen, weil die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten und die deutschen Pläne verwarfen.

Claus-Peter Bach am Rosenmontag (24. Februar 2020) in der Rhein-Neckar-Zeitung

„Lächeln, lächeln, immer lächeln!

Über den Umgang der Sportler mit dem Coronavirus

Haben Sie das mitbekommen, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein? Zehn Tage lang hat unsere Bundesmutti, neugierige Wissenschaftlerin durch und durch, das Coronavirus umkreist, umzingelt und studiert. Dann schlüpfte sie in das schicke kleine Königsblaue, eilte in die Bundespressekonferenz, mutierte flugs zur Bundeskanzlerin und erklärte das Virus – wie Ihre RNZ schrieb – zur „Chefinnensache“ (ein merkwürdiges Wort, sorry!), worauf der neben ihr sitzende Gesundheitsminister Jens Spahn ein bisschen schmallippig wurde. Merkel sagte, dass nicht nur sie, sondern alle Deutschen das Virus jetzt verstehen müssten und rief das Zeitalter der Vernunft aus: „Nicht Händeschütteln, sondern lächeln, lächeln, lächeln!“



Es dauerte noch einen weiteren Tag, bis der Chef auf der anderen Seite des Atlantik bemerkte, dass es das Virus auch in seinem Land gibt. Unter Aufbietung all seiner Idiotie hat er herausgefunden, dass das kleine Teufelsding von den Europäern importiert worden sei. „Pfui!“, ruft mein Papagei empört: „So spricht man nicht über seine Vorfahren.“

So wie Jens Spahn, der nun nur noch Corona-Sous-Chef ist, müssen sich – auch im Sport – viele Menschen neu orientieren. Dietmar Hopp beispielsweise kann angesichts der Geisterspiele wieder unbeschwert Fußball gucken, ohne befürchten zu müssen, von Chaoten mit unflätigen Transparenten beleidigt zu werden. Die Chefetage des DFB kann sich wieder in Stadien wagen, ohne ausgepfiffen zu werden. Die DFB-Märchenkönige Zwanziger, Niersbach und Schmidt sind schon so krank, dass sie ihre Häuser nicht mehr verlassen können, weshalb das Schweizer Bundesgericht in Abwesenheit gegen sie verhandelt. Auch die Hass-Ultras, die nun vergeblich an den Stadiontoren rütteln, müssen mit ihrem bisschen Hirn genau überlegen, wo sie ihr „Arschlochtum“ ausleben wollen.

„Jetzt bist Du aber grob!“, schüttelt mein Papagei sein Federhaupt, dabei habe ich doch nur Sir Salman Rushdie zitiert. Der indisch-britische Schriftsteller hat in seinem neuesten Roman die Erlebnisse seines Protagonisten Quichotte und dessen Sohn Sancho geschildert, die mit dem Auto durch den von weißen Trumpianern beherrschten Rostgürtel fahren und, weil sie Andersartige und Andersdenkende mit nicht-weißer Hautfarbe sind, in Kneipen und Cafés von diesen US-Ultras angepöbelt, angespuckt, verdroschen und beinahe umgebracht werden. Gut, so schlimm ist es in den Bundesliga-Stadien vor Corona noch nicht gewesen...

Nun müssen sich die Vereine aber sorgen und wappnen. Spiele ohne Zuschauer, gar keine Spiele – das können nur die Superreichen längere Zeit verkraften. Rummenigge & Co. dürfen sich ausruhen wie der Drache Fafner in Wagners „Siegfried“: „Ich lieg und besitz – lasst mich schlafen!“ Was aber tun in den nächsten Wochen die Parkplatzwächter, Caterer, Bedienungen im VIP-Bereich und die vielen tausend Polizisten, die samstags plötzlich frei haben? Werden die Vereine ihre vielen Angestellten weiterhin entlohnen können? Erhalten auch sie Kurzarbeitergeld? Und die Profis? Gibt es Stütze von der Bundesanstalt? Werden sie auf die Solidarität der Gesellschaft pochen und als Großverdiener den Sinn der Sozialsysteme pervertieren?

„Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“, heißt ein Sprichwort aus Omas Zeiten, als Krankheiten wie Ruhr und Cholera die Menschheit geißelten. Den Empfehlungen der Gesundheitsämter zu folgen, ist nicht hysterisch, sondern verantwortungsvoll. Es geht nicht um das eigene Ego, sondern um das Wohl der anderen. Da hierzulande viele Sportveranstaltungen verschoben oder abgesagt wurden oder verschiedene Ligen den Spielbetrieb ganz eingestellt haben, überraschte am Mittwoch um 16.33 Uhr eine kleine Meldung der Deutschen Presse-Agentur: „Wegen der Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus wird das Euroleague-Basketballspiel zwischen AX Armani Exchange Mailand und Olympiakos Piräus in der Berliner Mercedes-Benz Arena ausgetragen“, stand da geschrieben. „Wahnsinn!“, entrüstete sich mein Papagei. Da Behörden in der Hauptstadt diesem möglichen Import von Viren aus Italien und Griechenland offenbar zugestimmt haben, weiß man nun, dass Idiotie ein weltumspannendes Phänomen ist.

Meine frisch verliebte Nachbarin freilich, die mit ihrem Ehemann oft lautstarke Konversation pflegt, strahlt glückselig. Sie hat dem sportbegeisterten Büffel zum 55. Geburtstag online ein gruselig originelles Geschenk besorgt: Ein Ticket für Mailand gegen Athen in Berlin. Es war sogar ziemlich preiswert.

Das nennt man, frei nach Gabriel Garcia Márquez, „die wahre Liebe in den Zeiten von Corona“.

Claus-Peter Bach am 14. März 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung