Dienstag, 23. April 2019

Über den zurückgetretenen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel


Milchkühe dürfen weiterbimmeln

Am letzten Mittwoch hat das bayerische Oberlandesgericht in München entschieden, dass ein paar Milchkühe in Holzkirchen weiterhin Glocken tragen und damit auch am frühen Morgen und späten Abend bimmeln dürfen. Diese Stärkung der Grundrechte von Kühen hat meinen Papagei sehr gefreut, der sich schon immer auch für das Schicksal von Vierbeinern interessiert.

Reinhard Grindel, der Leitstier des Deutschen Fußball-Bundes, hat ausgebimmelt, und auch das, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, findet mein Papagei gut. Der 57-jährige Niedersachse, dessen Wahl zum DFB-Präsidenten sich am heutigen Montag zum dritten Mal jährt und dem wir diese Laudatio widmen, hat es in seiner kurzen Amtszeit weit gebracht: Wenn man bei Google „Reinhard“ eintippt, erscheint als Erster der Liedermacher Reinhard Mey (der wie Grindel „Über den Wolken...“ schwebte), dann aber schon der Ikarus aus der DFB-Zentrale im Frankfurter Stadtwald. Der hat sich – auf den ersten Blick – bei seinem Steigflug in höchste nationale und internationale Fußballämter die Flügel an einer Schweizer Uhr verbrannt, die ihm ein ukrainischer Fußballfunktionär namens Grigori Surkis als Zeichen der Freundschaft, Küsschen rechts, Küsschen links, geschenkt haben soll. 6000 Euro, so Grindel, sei der schicke Armschmuck wert, doch der Hersteller Ulysse Narcisse stellte schnell klar, es seien 2017 schon 11 800 Euro gewesen, obwohl die Uhr einen Mangel hat: Sie zeigt den richtigen Zeitpunkt für einen Rücktritt nicht an.

Die falsche Wertangabe kann man Reinhard Grindel nicht zum Vorwurf machen, schließlich hat ein DFB-Präsident oft mit viel höheren Summen zu hantieren, die – neben den Bezügen von Fifa und Uefa – in die eigenen Taschen zu schaufeln sind. Mein Papagei fragt sich übrigens, warum Grindel bei seinen Besuchen in der Kurpfalz nicht den RNZ-Uhrenexperten Manfred Fritz zu Rate gezogen hat...

Wir wissen auch nicht, was Herr Surkis mit seinem Geschenk bezweckt hat. Vielleicht ist es ja wirklich so, dass ehemalige Bundestagsabgeordnete der CDU neuerdings mit ukrainischen Oligarchen befreundet sind. Wir ahnen aber, dass Grindel den Kampf der Fifa für Ethik, Transparenz und Good Governance nicht richtig ernst genommen hat. Nach dem Gesetz, darauf hat Baden-Württembergs Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) erst kürzlich hingewiesen, dürfen Mitglieder von eingetragenen und gemeinnützigen Vereinen (solche sind der kleine SC Gaiberg wie der große DFB) nur aus besonderen Anlässen und in bescheidenem Maße beschenkt werden. Der Wert solcher Geschenke dürfe 60 Euro nicht überschreiten. Ob der Ministerin damals schwante, dass Herr Grindel von einer DFB-Tochter 78 000 Euro zusätzlich zu seiner Aufwandsentschädigung als Präsident, zu Sitzungsgeldern, Fahrtkostenersatz und Dienstlimousine eingestrichen hatte?

In den Klubhäusern wird schon lange vermutet, dass hohe Funktionäre ihr Ehrenamt falsch verstehen und weniger Leitstiere als Trüffelschweine sind. Im Vereinsrecht aber heißt es wörtlich: „Die Mitglieder dürfen keine Zuwendungen aus Mitteln des Vereins enthalten. Dies ist eine satzungsmäßige Voraussetzung der Gemeinnützigkeit. Nur Zuwendungen im Rahmen einer angemessenen Mitgliederpflege (zum Beispiel das Weihnachtsessen oder die Getränke bei der Jahreshauptversammlung) sind gemeinnützigkeitsrechtlich unschädlich.“

Vor diesem Hintergrund ist der DFB gut beraten, seine Rechtsform zu ändern. Der DFB ist eine Firma mit Millionenumsätzen und sollte in allen Aspekten als solche behandelt werden. Der nächste Leitstier muss eine GbR, eine GmbH oder eine AG führen und sollte, findet mein Papagei, „kein Hornochse sein.“ Dann kann er kassieren, so viel man ihm zubilligt.

Aus: RNZ vom 15. April 2019

Über Fußball-Übertragungen im Fernsehen


 Die Begeisterung der Reporter

Es ist ein bisschen rührend und auf jeden Fall sympathisch, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, dass unser zum EM-Qualifikationsspiel zwischen den Niederlanden und Deutschland entsandter Kollege nach dem 3:2-Erfolg unserer „Löwlinge“ so entzückt war, dass er, obwohl ganz aufgewühlt, brav zu Bett gegangen ist, um anderntags durch die Stadt zu „flanieren“ und sich – sicher zur Verwunderung seiner Ehefrau – in Amsterdam zu verlieben. Dienstreise ja, auch über mehrere Tage, aber das?

Die neue Liebe des Kollegen ist ein Beweis dafür, dass manche Sportreporter nicht stupide ihre Arbeit tun und ihren Artikel pünktlich kurz vor Andruck in die Redaktion senden, sondern dass sie den Sport lieben, mit den Athleten fiebern und über günstige, unerwartet erzielte Resultate glücklich sein können. In solchen Nächten beginnt eine Stadt zu leuchten, obwohl es stockdunkel ist. Die großen Radioreporter haben ihre Begeisterung auch offen gezeigt und ihre Freude hell heraus geschrien. Als Helmut Rahn 1954 im Berner Wankdorf-Stadion das 3:2-Siegtor im WM-Endspiel gegen Ungarn geschossen hatte, rief Herbert Zimmermann drei Mal hintereinander „Tooooor!“ mit fünf „o“, um seiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen. Zimmermann wäre inzwischen 101 Jahre alt, doch seinen Torjubel haben auch Fußballfans im Ohr, die bei der Heldentat der Fritz und Ottmar Walter, Helmut Rahn, Horst Eckel oder Toni Turek noch gar nicht geboren waren.

Edi Finger aus Klagenfurt ist auch so ein unvergessener Jubler. Als Hans Krankl 1978 beim WM-Spiel zwischen Deutschland und Österreich im argentinischen Córdoba das Siegtor zum 3:2 für die Alpenländler erzielte, rief Finger sogar sechs Mal „Tor!“ mit je drei Mal „o“ und fügte dann das Versprechen an: „I wer narrisch!“ Auch mein Papagei, der viel herumkommt, kann nicht sagen, in welchem Geisteszustand Edi Finger 1989 bei seinem Dahinscheiden gewesen ist. Wahrscheinlich ist, dass er bis zum letzten Atemzug von Krankls Tor beseelt war – vielleicht hatte er sich sogar in Córdoba verliebt?

Heutzutage, es ist eine lästige Erscheinung unserer Zeit, reden Reporter im Fernsehen so viel wie Radio-Journalisten. „Sie müssen für die Übertragungsrechte so viel bezahlen, dass sie die hohen Summen mit besonders vielen Worten, Analysen und Anmerkungen rechtfertigen wollen“, vermutet mein Papagei, der in der Johan Cruijff Arena auf einem warmen Plätzchen unter den Flutlichtstrahlern gesessen und schmunzelnd zugesehen hatte, wie die Reporter von RTL und France 2 und BBC und ORF und vielen weiteren Fernsehanstalten aus aller Welt jeden einzelnen Pass bewerteten, den Stammbaum eines jeden Spielers und dessen Schoßhundes vorlasen und – ganz wichtig! – alle 15 Minuten summarisch berichteten, was sich in den Köpfen der Trainer Ronald Koeman und Joachim Löw abspielte. Nach 45 Minuten glühten unsere Ohren, und wir schlossen die Augen, weil wirklich jeder Quer- und Rückpass der Holländer und jedes Dribbling der forschen Deutschen detailliert reportiert wurden.

Nach 15 Minuten – Leroy Sané hatte soeben etwas vollbracht, was im deutschen Fußball ein bisschen in Vergessenheit geraten war, und das 1:0 erzielt – fiel nach einem tiefen Schnaufer des Reporters erstmals das Wort „Wende“. Nach 34 Minuten und Serge Gnabrys 2:0 gruben die Männer am Mikrofon das verschollen geglaubte Wort „Weltklasse“ aus ihrem Reisekoffer aus, um in der Halbzeitpause im Expertengespräch die ersten Hoffnungen auf den EM-Titelgewinn im nahen Jahr 2020 zu wecken.

Ab der 48. Minute verstummte das Freudengeheul abrupt, denn Matthijs de Ligt hatte das 1:2 geschossen. Und als Memphis Depay nach 63 Minuten der Ausgleich gelungen war, wurden – mein Papagei überspitzt jetzt ein bisschen – „ernste Zweifel daran laut, dass die Löwlinge das Seuchenjahr 2018 jemals würden überwinden können“. Der Neuaufbau werde lange dauern, vielleicht jahrelang. Ob er mit diesem Trainer möglich sei, wurde von Minute zu Minute ungewisser, und die Holländer, die immer schon Weltklasse waren, dies aber nicht zeigen wollten – weshalb sie bei den letzten großen Turnieren gerne gefehlt hatten – wurden zu künftigen Europa- und Weltmeistern erklärt.
Dann schoss Nico Schulz in der 90. Minute das 3:2, ein bisschen wie Helmut Rahn 1954 oder Hans Krankl 1978 – und plötzlich waren unsere Reporter wieder fröhlich und sich so sicher wie nie zuvor, dass Fußball-Deutschland den besten Nachwuchs aller Zeiten hat. Man müsse ihn halt nur spielen lassen...

Unser Kollege war etwas weniger emotional, sondern hat seine Beobachtungen mit flinken Fingern in die Tasten gehackt. Erst dann hat er sich gefreut, ein Soda getrunken, ist spazieren gegangen und hat sich verliebt. In Amsterdam – die Ehefrau muss sich keine Sorgen machen.

Aus: RNZ vom 30. März 2019