Donnerstag, 15. Dezember 2022

Mildes Urteil: Zweieinhalb Jahre Gefängnis

Über das Strafverfahren gegen einen Heidelberger Rugby-Trainer

Das Urteil ist gesprochen, aber noch nicht rechtskräftig. „Im Namen des Volkes“, so behauptete der Vorsitzende Richter André Merz von der Jugendschutzkammer des Landgerichts Heidelberg, wurde ein Rugby-Jugendtrainer aus Heidelberg wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes, sexuellen Missbrauchs mehrerer Kinder und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen nach § 176 des Strafgesetzbuches zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Der 48-jährige Fahrlehrer aus dem Pfaffengrund, der früher Karatetrainer und einige Jahre lang bis zu seiner Amtsenthebung auch Jugendleiter eines 1898 gegründeten Rugby-Bundesligavereins war und seit dem 20. Juni 2022 in Untersuchungshaft sitzt, kann binnen einer Woche nach Zustellung des Urteils Revision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe einlegen. Das Gericht ordnete die Fortdauer der Haft an. Der Verurteilte trägt die Kosten des Verfahrens, seiner Verteidigung und die der Nebenkläger.

Das am 2. Dezember 2022 eröffnete Strafverfahren, für das ursprünglich vier Verhandlungstage bis zum 5. Januar 2023 terminiert waren, fand weitgehend in nichtöffentlicher Sitzung statt, um die Privatsphäre der geschädigten Jungen zu schützen, und deshalb am 14. Dezember 2022 ein rasches Ende, weil der Angeklagte ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte. Nur die Urteilsverkündung am 14. Dezember um 16 Uhr sowie die etwa 40 Minuten dauernde und sehr detaillierte Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richters waren öffentlich. Das Verfahren fand bei den Medien ein reges Interesse, die bereits über die Anklage und den ersten Prozesstag ausführlich berichtet hatten.

Das Gericht führte aus, dass dem Angeklagten fünf Taten an jungen Rugbyspielern im Alter von zwölf bis 15 Jahren zweifelsfrei nachgewiesen worden sind, die er zwischen 2019 und 2021 bei Spielreisen nach Irland und in die Niederlande sowie bei einem Trainingslager im vereinseigenen Klubhaus begangen und eingeräumt hat. Fünf Jungen haben in richterlichen Vernehmungen, die dem Gericht als Videoaufnahmen vorgeführt wurden, von ihren Erlebnissen berichtet. Es blieb den Jungen deshalb erspart, im Gerichtssaal auszusagen.

In einem Fall hat sich der Angeklagte an einem neben ihm in einem Schlafsack ruhenden Jungen vergangen, in anderen Fällen animierte er die Jungen im Rahmen eines häufiger vor der Nachtruhe gespielten Spiels („Wahrheit oder Pflicht“) zu sexuellen Handlungen von zum Teil Ekel erregenden Ausmaßen. Und schließlich habe er in einer Toilette gemeinsam mit einem Jungen Selbstbefriedigung betrieben.

Das Gericht rügte scharf, dass der Angeklagte häufig – entgegen der im Sport seit Jahren geltenden Verhaltensrichtlinien für Trainerinnen und Trainer – gemeinsam mit seinen jugendlichen Spielern geduscht und dabei unbemerkt Fotos und Videoaufnahmen mit seinem Handy gemacht habe. Diese Filme fand die Kriminalpolizei bei einer Wohnungsdurchsuchung. Es wurde festgestellt, dass der Angeklagte sie nicht im Internet verbreitet oder an andere Personen mit ähnlichen Neigungen versandt hat.

Die von Polizei und Untersuchungsrichter befragten Jungen schilderten ihren Trainer als hoch engagierten, freundlichen und liebenswerten Menschen, dem es gelungen ist, über etliche Jahre ein von Freundschaft geprägtes Vertrauensverhältnis zu seinen Spielern und deren Eltern aufzubauen, weshalb der vielfache Vertrauensbruch besonders schwer wiege. Es sei ihm sogar gelungen, die missbrauchten Jungen zur Verschwiegenheit zu verdonnern. Die Taten wurden allesamt erst ruchbar, als sich einer der Jungen einem jungen Co-Trainer anvertraute, der sofort die Abteilungsführung informierte. Die Eltern dieses Jungen erstatteten Strafanzeige.

Das Gericht konnte sich bei der Urteilsfindung am gesetzlichen Strafrahmen von zwei bis 15 Jahren orientieren und sprach ein nach dem Urteil mehrerer Prozessbeobachter sehr mildes Urteil, das sogar vier Monate unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft lag.

Das Gericht hielt dem Angeklagten zugute, dass er noch nie straffällig geworden sei, seit 23 Jahren ein offenbar harmonisches Familienleben mit Ehefrau und zwei Töchtern geführt habe, seine verhängnisvolle Neigung zu männlichen Kindern und Jugendlichen erst vor wenigen Jahren bemerkt habe, in der Untersuchungshaft wegen des ihm zur Last gelegten Delikts unangenehme Erfahrungen gemacht und – als besonderer strafmindernder Pluspunkt – schon vor der Polizei ein Geständnis abgelegt habe. Außerdem habe er einem Täter-Opfer-Ausgleich mit der Familie eines geschädigten Jungen zugestimmt. Insgesamt stellte das Gericht dem Verurteilten, der schnellstens eine Psychotherapie beginnen möchte, eine günstige Resozialisierungsprognose aus.

Rechtsanwalt Kian Fathieh, der Verteidiger des Verurteilten, und die Anwälte der Nebenkläger wollten sich zu diesem Urteil nicht äußern, nachdem der Rugby-Trainer in Fußfesseln von den Justizbeamten via Gefängnis abgeführt worden war. Man darf gespannt sein, wie sich der Verein der geschädigten Kinder zu dieser verstörenden Angelegenheit äußern wird, durch die der gesamte Heidelberger Rugbysport mit insgesamt sechs Vereinen und über 2000 Mitgliedern monatelang unter schweren Verdacht geraten und in seinem Ansehen geschädigt worden ist.

Dienstag, 13. Dezember 2022

Ferreira und Parkinson kehren ins Nationalteam zurück

Die deutsche Rugby-Nationalmannschaft ist am grünen Tisch in die EM-Division 1 zurückgekehrt

Heidelberg. Weil das experimentierfreudige Rugby Europe (RE) wieder einmal den Austragungsmodus der Männer-Europameisterschaft geändert hat und Russland suspendiert wurde, spielt die Auswahl von Rugby Deutschland (RD), wie sich der 1900 gegründete Deutsche Rugby-Verband neuerdings nennt, in der Doppelsaison 2023/24 wieder einmal in der Division 1 (= Championship) und möchte den Abstieg in die Division 2 (= Trophy) vermeiden.

Dieses Ziel verkündete Nationaltrainer Mark Kuhlmann (Heilbronn), nachdem er mit 35 Spielern in Heidelberg bereits das dritte intensive Vorbereitungs-Wochenende verbracht und festgestellt hatte: „Die Spieler sprühen vor Ehrgeiz.“

Nach dem Abstieg aus der Division 1 im Mai 2019 dümpelte das Nationalteam, das – weil das traditionelle Fünfzehnerrugby nicht olympisch ist – von der Sportförderung ausgenommen ist, ein wenig vor sich hin, und der Verband war mit dem Klassenverbleib in der Division 2 zufrieden. Der 53-jährige Kuhlmann, ein starker Nationalspieler und mehrfacher deutscher Meister des DRC Hannover und später Bundesliga-Trainer in Neuenheim, Neckarsulm und Handschuhsheim, und seine beiden Assistenten Kehoma Brenner (Sturm) und Lars Eckert (Dreiviertelreihe/beide Heidelberg) konnten in Gesprächen mit der RD-Führung erreichen, dass dem Team wieder Aufmerksamkeit gewidmet wird. Kuhlmann: „Wir machen in jedem Monat einen Lehrgang und trainieren ab Januar jeden Sonntag im Landesleistungszentrum Heidelberg.“

Damit ist sichergestellt, dass die „Schwarzen Adler“ seriös vorbereitet in die fünf EM-Spiele des Jahres 2023 gehen werden, die schwerer nicht sein könnten. Am 4. Februar spielt Deutschland, gegenwärtig auf Platz 31 der Weltrangliste, in Tiflis gegen Titelverteidiger Georgien (Rang 13), ehe am 12. Februar um 14.30 Uhr der Heidelberger Fritz-Grunebaum-Sportpark Schauplatz des Klassikers zwischen Deutschland und Spanien (16) sein wird (Tickets im Vorverkauf bei www.reservix.de). Die Gruppenspiele enden am 18. Februar im Stadion der Sportunion Neckarsulm gegen die Niederlande (29). Es folgen ein Überkreuz- und ein Platzierungsspiel. In der Staffel 2 sind Portugal (18), Rumänien (20), Belgien (26) und Polen (30) versammelt. Mark Kuhlmann ist Realist: „An einem guten Tag können wir die Niederlande schlagen und dann sicherlich auch Polen.“ Wer nach der Saison 2024 Achter und Letzter ist, muss absteigen.

Bei den Weltranglistenspielen dieses Herbstes schuf Georgien mit einem 13:12-Sieg im Principality Stadium von Cardiff gegen Wales die größte Überraschung. Die Franzosen eroberten durch ein 30:29 gegen Australien, ein 30:26 gegen Südafrika und ein 35:17 gegen Japan Platz zwei der Weltrangliste und sind nun seit 13 Länderspielen siegreich – das ist als Vorbereitung auf die WM im eigenen Land nicht schlecht und macht Fabien Galthié zum erfolgreichsten Nationaltrainer in der Geschichte der Equipe Tricolore.

Mark Kuhlmann und seine beiden Kollegen konnten erreichen, dass der famose Zweite- und Dritte-Reihe-Stürmer Sebastian Ferreira, Deutschlands Kapitän bis 2019 und nun beim Nottingham RFC aktiv, ebenso ins Nationalteam zurückkehren wird, wie der beim deutschen Meister SC Frankfurt 1880 unter Vertrag stehende Spielmacher Raynor Parkinson. Neu sind der bei der British Army dienende und spielende Gedrängehalb und Schlussmann Michael McDonald, ein englischer U20-Nationalspieler mit deutscher Mutter, und der aus Australien kommende Dritte-Reihe-Stürmer Shawn Ingle von der Cambridge University – auch er mit mütterlichen Wurzeln in Deutschland. Kapitän ist und bleibt Erste-Reihe-Stürmer Jörn Schröder vom Heidelberger Ruderklub.

Portugal ist das 20. und letzte Team, das sich für die X. Rugby-Weltmeisterschaft qualifizieren konnte, die vom 8. September bis zum 28. Oktober 2023 in Frankreich stattfinden wird. Die Mannschaft des französischen Trainers Patrice Lagisquet (60), Vizeweltmeister 1987 und Außendreiviertel in Bègles, Bayonne und Biarritz, gewann das finale Qualifikationsturnier in Dubai mit 42:14 gegen Hongkong, 85:0 gegen Kenia und 16:16 gegen die USA aufgrund des deutlich besseren Spielpunktekontos vor den Amerikanern. Das WM-Eröffnungsspiel im Stade de France bestreiten Frankreich und Neuseeland.

Für die WM wurden vier Vorrundengruppen mit jeweils fünf Nationen ausgelost.

Gruppe A: Neuseeland (Rang 3), Frankreich (2), Italien (12), Uruguay (17), Namibia (21).

Gruppe B: Titelverteidiger Südafrika (4), Irland (1), Schottland (7), Tonga (15), Rumänien (20).

Gruppe C: Wales (9), Australien (6), Fidschi (14), Georgien (13), Portugal (18).

Gruppe D: England (5), Japan (10), Argentinien (8), Samoa (11), Chile (22).



Bildtext

Sie sehen der EM 2023 gespannt entgegen, v.l.n.r.: Sturmtrainer Kehoma Brenner, Nationaltrainer Mark Kuhlmann und Dreiviertelreihe-Trainer Lars Eckert. Foto: F&S 

Freitag, 2. Dezember 2022

Missbrauchsprozess in Heidelberg eröffnet

Vor dem Landgericht Heidelberg ist am 2. Dezember 2022 um 8.30 Uhr der Prozess gegen Herrn XYZ (der Name ist dem Autor bekannt und war auch im Aushang vor der Tür zu Verhandlungssaal 01 im Gerichtsgebäude angeschlagen), den ehemaligen mehrjährigen Jugendleiter und Nachwuchstrainer der Rugby-Abteilung eines 1898 gegründeten Heidelberger Sportvereins, eröffnet worden (Az.: 3KLs270Js). Der Mann ist des schweren sexuellen Missbrauchs mehrerer Kinder aus seiner Mannschaft angeklagt. 

Einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft Heidelberg zufolge soll der Beschuldigte vier Taten im Jahr 2019 und eine im Jahr 2021 begangen haben. Die betroffenen Jugendlichen waren zum Zeitpunkt der Taten zwischen zwölf und 15 Jahre alt. Der Beschuldigte, ein 48-jähriger Fahrlehrer aus Heidelberg, sitzt seit einigen Monaten in Untersuchungshaft und wurde zu Prozessbeginn von Justizbeamten in den Gerichtssaal geführt. Dabei trug er eine Baseball-Cap und einen blauen Pullover und verbarg sein Gesicht hinter einer Zeitschrift. Nach wenigen Minuten schickte der Vorsitzende Richter Merz die Fotografen und Kameraleute aus dem Saal. Der Prozess stößt auf großes Medieninteresse.

Auf Antrag der Nebenkläger-Anwälte ordnete die Jugendschutzkammer des Landgerichts nach etwa zehnminütiger Beratung den Ausschluss der Öffentlichkeit an, um die Interessen der laut Anklage geschädigten jugendlichen Schutzbedürftigen zu wahren. Der Vorsitzende Richter erklärte allerdings, dass Urteilsverkündung und Urteilstenor in öffentlicher Sitzung stattfinden werden. Als weitere Verhandlungstage wurden der 14. und 22. Dezember 2022 und der 5. Januar 2023 angesetzt.

Da es in Heidelberg sechs konkurrierende Rugby-Vereine gibt, von denen fünf im deutschen Rugby einen hohen Stellenwert haben, herrscht unter den nicht betroffenen Klubs und in der Führung des in Heidelberg ansässigen Rugby-Verbandes Baden-Württemberg (RBW) eine zunehmende Irritation und Verärgerung darüber, dass der Verein des Angeklagten in der seit den Sommermonaten 2022 schwelenden Affäre zu keinem Zeitpunkt Stellung genommen und es dadurch zugelassen hat, dass der gesamte Heidelberger Rugbysport unter Verdacht gestellt und in Misskredit gebracht wurde.

Dabei engagieren sich der Verband und etliche Vereine seit Jahren sehr konsequent in der Prävention vor sexualisierter Gewalt. Im RBW gibt es eine entsprechende Richtlinie als Teil der Satzung und einen Verhaltenskodex, mit Bo Pernter vom MTV Ludwigsburg einen sorgfältig geschulten Ombudsmann, an den sich Betroffene vertraulich wenden und Rat einholen können, und die Verpflichtung, dass alle in der Jugendarbeit engagierten Menschen vor Beginn ihrer Tätigkeit ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis bei der Vereins- bzw. Verbandsführung vorlegen müssen.    

Dienstag, 15. November 2022

Erfreulicher Auftakt für AC St. Ilgen

Über den ersten Wettkampftag der 2. Gewichtheber-Bundesliga

Rolf Feser ist zufrieden. Der Trainer des AC Germania St. Ilgen hat seine junge Heberstaffel im Auftakt-Wettkampf der 2. Gewichtheber-Bundesliga zu einem 624,8:609,6-Sieg beim TSV Heinsheim geführt. Feser sagte: „Es war ein sehr schöner Wettkampf in stimmungsvoller Atmosphäre. Es war offen und spannend bis zum Schluss.“

 

Gut 100 Zuschauer – diese Kulisse gilt im Zweitliga-Gewichtheben als erfreulich – sahen eine Heinsheimer Staffel, in der nur der mit 196 Kilopunkten herausragende Bozhidar Andreev einen fehlerfreien Wettkampf ablieferte. Sechs gültige Versuche ergaben 155 Kilogramm im Reißen und 195 kg im beidarmigen Stoßen, dabei wiegt der bulgarische Weltklasseathlet nur 77,4 kg.

 

Die St. Ilgener hingegen hatten mit dem 36-jährigen Altmeister Robby Behm, dem 16-jährigen ukrainischen Neuzugang Maksym Kara, der das Gymnasium besucht, um das Abitur zu machen, und dem 19-jährigen Etienne Benz drei Heber, die makellose Leistungen anboten. Der mit 96,9 kg wahrscheinlich schon ausgewachsene Behm riss 138 kg, stieß 173 kg und kam auf 119 Punkte. Talent Kara, der behutsam aufgebaut wird, ist nur 68,6 kg schwer und kam mit 103 im Reißen und 122 im Stoßen auf 95 Kilopunkte, und der 91,6 kg schwere Benz erntete mit 121 im Reißen, 155 im Stoßen und 92,8 Punkten Rolf Fesers Respekt. „Auch die anderen haben sehr achtbar gekämpft“, sagte der Trainer.

 

Das gilt für Etiennes Zwillingsschwester Cecile Benz mit 88 Punkten und vor allem für den bulgarischen Gastheber Valentin Gentschev, der mit 163 Kilopunkten zweitbester Heber des Abends war. Der 22-Jährige wiegt 71,3 kg, schaffte 132 im Reißen und 170 kg im Stoßen und kann ein Erfolgsgarant für den ersten Heimwettkampf am 3. Dezember gegen Liga-Neuling KAK Osnabrück sein. 100 Fans wären dann gut.

 

TSV Heinsheim 609,6: Bozhidar Andreev (77,4 kg Körpergewicht) 155 kg im Reißen + 195 kg im Stoßen = 350 kg im Zweikampf/196 Kilopunkte; Nikolay Georgiev (81,7) 125 + 160 = 285/121,6; Christian Martens (83,5) 110 + 148 = 258/91; Sophie Piller (47,4) 43 + 60 = 103/73; Robin Künzel (95,4) 117 + 139 = 256/65; Melanie Günther (69,7) 56 + 79 = 135/63.

AC St. Ilgen 624,8: Valentin Genchev (71,3) 132 + 170 = 302/163; Robby Behm (96,9) 138 + 173 = 311/119; Maksym Kara (68,6) 103 + 122 = 225/95; Etienne Benz (91,6) 121 + 155 = 276/92,8; Cecile Benz (56,7) 58 + 73 = 131/88; Eugen Hrabrov (73,4) 90 + 120 = 210/67.


Die KTG Heidelberg saust auf Rang drei ins Ziel

 Über das Saisonfinale der 2. Kunstturn-Bundesliga Süd

Nachdem Tomoya Kashiwagi zwei Salti über der Stange gewagt und für seine brillante Übung am Hochreck 13,50 Wettkampfpunkte und fünf Scorepunkte erhalten hatte, war die Saison in der 2. Kunstturn-Bundesliga Süd leider zu Ende. Die KTG Heidelberg hatte den Tabellenletzten TG Allgäu mit 49:19 Punkten besiegt, mit 305,75 Wettkampfpunkten das beste Saisonergebnis erzielt und sich aufgrund des hauchdünn besseren Gerätepunktekontos auf den dritten Tabellenplatz vorgeschoben.

 

Deshalb sprangen die KTG-Turner über ihren erschöpft am Boden liegenden japanischen Spitzenathleten und bildeten einen großen zappelnden roten Haufen, während die rund 250 Zuschauer stehenden Beifall für eine sehr gute Finalleistung und eine insgesamt erfreuliche Saison spendeten.

„Vor dem Saisonbeginn war ich ja etwas skeptisch gewesen, aber heute bin ich richtig glücklich. Wir haben uns von Wettkampf zu Wettkampf verbessert und haben heute eine sehr stabile und erfreuliche Leistung gezeigt“, sagte der 29-jährige Trainer Michael Wilhelm, der bei der stimmungsvollen Siegerehrung seinen seit 2000 für die KTG turnenden Co-Trainer und „besten Freund“ Moritz Ehrhardt aus der aktiven Laufbahn verabschiedete. Auch Birgit Sudhoff, die sieben Jahre lang die Medienarbeit des Vereins gut und pünktlich erledigt hatte, erhielt einen Blumenstrauß.

 

Der 25-jährige Tomoya Kashiwagi ist ein Glücksfall für das nordbadische Turnen und sollte, da er längerfristig in Heidelberg bleibt und bereits die Kinder trainiert, in der nächsten Saison noch viel mehr Fans in die Kirchheimer Sporthalle locken. Mit 26 Scorepunkten war der Sechskämpfer einmal mehr der beste Turner des Abends und ist mit 139 Punkten nach sieben Wettkämpfen auch der beste Athlet der Liga vor Daniel Lee (116) und Marcus Bay (82) vom Meister VfL Kirchheim/Teck. Jeweils sieben Punkte trugen Sechskämpfer Marvin Rauprich, das 18-jährige Eigengewächs Shimon Aoki und der aus Karlsruhe stammende Lorenz Steckel zum Ergebnis der KTG bei. Bestnoten erhielten Kashiwagi mit 14,80 für einen Doppelsalto mit zweieinhalbfacher Drehung beim Sprung und Karl-Ole Gäbler mit 14,50 für eine völlig fehlerfreie, begeisternde Bodenübung.

 

Die Allgäuer waren mit drei Brüderpaaren, den Eberles, den Kirmes und den Urbins, angetreten. Die beiden Finnen Robert (3 Scorepunkte) und Oskar Kirmes (9) ragten deutlich heraus, konnten den bitteren Abstieg ihrer Riege aber nicht verhindern.

 

KTG Heidelberg - TG Allgäu 49:19 Scorepunkte, 10:2 Gerätepunkte, 305,75:291,20 Wettkampfpunkte, Boden: Joel Schauwienold - Stephan Eberle 0:0, Karl-Ole Gäbler - Robert Kirmes 0:0, Marvin Rauprich - Kilian Krapp 3:0, Tomoya Kashiwagi - Jan Schwäke 5:0 = 8:0.

Seitpferd: Rauprich - Robert Kirmes 2:0, Shimon Aoki - Maximilian Eberle 5:0, Gäbler - Julian Gottwald 0:2, Kashiwagi - Stephan Eberle 5:0 = 12:2.

Ringe: Kashiwagi - Schwäke 3:0, Carl Steckel - Maximilian Eberle 1:0, Lorenz Steckel - Krapp 1:0, Rauprich - Oskar Kirmes 0:3 = 5:3.

Sprung: Lorenz Steckel - Martin Hartner 2:0, Rauprich - Robert Kirmes 0:3, Kashiwagi - Schwäke 4:0, Aoki - Krapp 2:0 = 8:3.

Barren: Lorenz Steckel - Michael Urbin 4:0, Kashiwagi - Schwäke 4:0, Rauprich - Stephan Eberle 0:5, Aoki - Oskar Kirmes 0:4 = 8:9.

Reck: Aoki - Oskar Kirmes 0:2, Gäbler - Michael Urbin 1:0, Rauprich - Krapp 2:0, Kashiwagi - Hartner 5:0 = 8:2.


Tomoya Kashiwagi aus Heidelberg ist der beste Turner der 2. Bundesliga Süd. Foto: vaf

Sonntag, 13. November 2022

Der Jubilar ist kerngesund und voller Schwung

Über 100 Jahre Handball im TSV Handschuhsheim

Die Handballer des TSV Handschuhsheim feiern ihren 100. Geburtstag – mit jugendlichem Schwung und bei bester Gesundheit. Die Abteilung der Männer unter der Leitung von Dr. Armin Pscherer zählt gegenwärtig 163 Mitglieder, von denen 27 Kinder und Jugendliche sind. Martina Graefner ist die Leiterin der Frauen-Abteilung mit 121 Mitglieder, darunter 54 Nachwuchsspielerinnen. Eine Jugendspielgemeinschaft mit der SG Kirchheim floriert.

 

Handball ist ein Spiel, das aus der deutschen Turnbewegung entstanden ist. 1917 tauchte der Begriff „Handball“ erstmals als ein Spiel für Frauen auf, denen man das brutale Fußballspiel der Männer nicht zumuten wollte. Wie es in der gelungenen Festschrift des TSV süffisant heißt, „wurde der Handball aber schon bald von Männerhänden geworfen“, was am 4. November 1922 zur Gründung der Abteilung im 1886 entstandenen TSV Handschuhsheim führte.

 

Der Gründungsabteilungsleiter hieß Georg Gerbert, der bis 1926 amtierte und namhafte Nachfolger hatte: Valentin Klemm, Karl Halter, Georg Klemm oder Fritz Nägele, der 1949 die Neugründung der Abteilung betrieb. Wilhelm Menger gewann 1959 den Trainer Willi Kitzing, den Verwaltungschef des Heidelberger Sportinstituts, und den A-Jugendtrainer Friedrich Stern zur Mitarbeit und leitete eine gute Entwicklung der Männer hin zum Leistungshandball ein. Martin Heckmann, der 1959 Abteilungsleiter wurde, und sein gleichnamiger Sohn, der 33 Jahre lang als „Kerweschlackel“ eine Hendsemer Berühmtheit war, sowie Peter Bürgy sorgten dafür, dass das TSV-Team 1975 mit der Meisterschaft in der badischen Oberliga, die damals der 2. Liga entsprach, den größten Erfolg erreichte. Trainer der Meistermannschaft war Walter Schmitt, dem Erstliga-Handballer wie Rüdiger „Sir Felix“ Schmacke und Alfred Schmitt und Spielertrainer wie Gerhard Stern und Joachim Hafemeister folgen sollten.

 

Zum Glücksfall für die Abteilung wurde um die Jahrtausendwende das Engagement des Jonas Kari, der die im Paternoster zwischen Landesliga und 2. Kreisklasse auf und nieder sausende Mannschaft 2018 durch einen Endspielsieg über den TSV Malschenberg zum Kreispokalsieger machte und in die neu gegründete Verbandsliga Baden führte. Dort kämpfen die Männer von Trainer Jan Philipp zur Zeit um den Klassenverbleib – mit guten Aussichten, wie der 57-jährige aus der Oberpfalz stammende Molekularbiologe Armin Pscherer auf dem Regiestuhl meint.

 

1980 hatten die Handballerinnen das Gefühl, von den Männern, die das 100. Vereinsjubiläum mit einem Freundschaftsspiel (18:45) gegen die Nationalmannschaft von Bundestrainer Simon Schobel gefeiert hatten, nicht richtig ernst genommen zu werden. Sie gründeten deshalb eine eigene Abteilung, die seit zwanzig Jahren von der ehemaligen Spielerin und Trainerin Martina Graefner, einer 54-jährigen Beamtin der Stadt Heidelberg, geleitet wird.

 

Die Neuenheimerin ist „von Kindesbeinen an im TSV aktiv“ und hat wie Armin Pscherer gegenwärtig nur eine Sorge: „Wir suchen händeringend nach ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die vielfältigen Aufgaben der Abteilungsleitung, aber auch als Trainerinnen und Trainer für unseren Nachwuchs. Denn der Zulauf an Kindern und Jugendlichen ist gut, obwohl Armin Pscherer in der Lage des Sportzentrums Nord „weitab vom Stadtteil einen Standortnachteil“ sieht. Deshalb müsse man in der Jugend-Spielgemeinschaft „mehr bieten als Handball, mehr als früher.“ Deshalb hat der TSV eine Partnerschaft mit Weltmeister-Torwart Henning Fritz gegründet, der den Verein in Fragen der Entwicklung gut berät.

 

Im Jubiläumsjahr hat der TSV zwölf Teams mit den Frauen in der Landesliga und den Männern in der Verbandsliga, 1. Bezirksliga und Bezirksklasse 3/1 sowie in fast allen Nachwuchsklassen.

Super-Talente heben für den AC St. Ilgen

Über den Saisonbeginn der 2. Gewichtheber-Bundesliga

Am 12. November beginnt die Saison 2022/23 der 2. Gewichtheber-Bundesliga. Der AC Germania St. Ilgen und der AC Weinheim kämpfen in der Gruppe A und hegen die leise Hoffnung, mit dem KSV Grünstadt und dem TSV Heinsheim um den Meistertitel streiten zu können. Die Gruppe besteht aus sieben Vereinen, die in einfacher Runde jeder gegen jeden heben werden. Drei Vereine sind neu: Der KAV Osnabrück, SuS Dortmund-Derne und der AC Mutterstadt II, der seine Gewichtheber für die Reserve reaktiviert hat.

 

Bernd Börgerding, der 74-jährige Vorsitzende des AC Germania St. Ilgen, sieht dem Saisonbeginn freudig entgegen und traut seiner Heberstaffel zu, besser als im Vorjahr abzuschneiden, als man auf Platz drei ins Ziel gekommen war. „Unsere Konkurrenten sind allerdings schwer einzuschätzen. Mutterstadt setzt ganz gerne mal Heber aus der Erstliga-Mannschaft ein. Dortmund ist ein unbeschriebenes Blatt, und Osnabrück stellt eine Staffel mit lauter Crossfit-Athleten, die aus einem Mann und vielen starken Frauen besteht“, erläutert Bernd Börgerding, der dem Auftaktkampf um 20 Uhr in Heinsheim wegen eines Krankenhaus-Aufenthaltes nicht bewohnen kann. Sportlicher Leiter der „Germanen“ ist der vielfache deutsche Meister Ringo Goßmann. Als Trainer fungieren Rolf Feser und Robby Behm, der am 19. Oktober sein Diplomtrainer-Studium an der DOSB-Akademie in Köln sehr erfolgreich abgeschlossen hat.

 

In Heinsheim tritt der AC Germania aller Voraussicht nach mit diesen sechs Wettkämpfern an: Robby Behm (36), den 19-jährigen Zwillingen Cecile und Etienne Benz, Eugen Hrabrov (32), dem 22-jährigen bulgarischen Neuzugang Valentin Genchev und dem 16-jährigen Maksym Kara, einem aus Odessa in der Ukraine geflüchteten Supertalent, dem der Landestrainer Peter Immesberger eine erfolgreiche Laufbahn zutraut.

 

Etienne Benz ist ebenfalls auf einem sehr guten Weg und wurde deutscher Juniorenmeister in der Gewichtsklasse bis 96 Kilogramm. Im Laufe der Saison werden die St. Ilgener auch Lina Goßmann, die sich gegenwärtig auf die Abschlussprüfung als Rechtspflegerin vorbereitet, und die beiden bulgarischen Gastheber Angel Hriskov Rusev und Karlos Nasar, den Welt- und Europameister der Klasse bis 89 Kilogramm, einsetzen. Man sieht: 2. Bundesliga ist Spitzensport.


Reiche Beute für Baden-Württemberg

Über die Landesverbandsmeisterschaften im Siebenerrugby

Nachdem die Frauen-Auswahl des Rugby-Verbandes Baden-Württemberg (RBW) die deutsche Meisterschaft der Landesauswahlen im olympischen Siebenerrugby im September im fränkischen Hersbruck in überlegener Manier gewonnen hatten, wurden die in Heidelberg ausgetragenen Titelkämpfe der vier Nachwuchsklassen auch ein Triumph für die Baden-Württemberger. Sie gewannen alle 18 Turnierspiele mit insgesamt 575:33 Spielpunkten. Zehn Spiele wurden „zu null“ gewonnen.

 

Natürlich war der Leitende Landestrainer Jan Ceselka, der gemeinsam mit Jugendwartin Caroline Trost und Jugend-Sportwart Benjamin Merdes (alle Heidelberg) eine ganze Schar ehrenamtlich tätiger Lizenztrainer anführt, mit dem Abschneiden „sehr zufrieden“. Ceselka sagte: „Wir haben mit unseren Talenten sehr hart gearbeitet und uns exakt auf die Titelkämpfe vorbereitet. Entsprechend gut haben wir gespielt. Unser Ziel ist es, diesen Standard zu halten und möglichst viele Spielerinnen und Spieler so auszubilden und zu fördern, dass sie Plätze in den deutschen Nationalmannschaften erhalten können. Der RBW ist dem Spitzensport verpflichtet.“

 

Ein bisschen traurig waren die U18-Juniorinnen, weil sie zu Turnierbeginn nur einen Kontrahenten im Fritz-Grunebaum-Sportpark antrafen. Von den 13 Landesverbänden hatten nur die fleißigen Bayern den Weg nach Heidelberg gefunden. Es wurden drei Spiele ausgetragen, die mit 43:0, 29:0 und 63:7 für das Team der Trainer Lisa Bohrmann und Andreas Hacker endeten.

 

Mehr Konkurrenz hatten die U15-Mädchen der Trainer Andreas Malaizier, Uwe Günther und Daniel Arthur, die Bayern mit 56:0, Nordrhein-Westfalen mit 48:0 und Berlin mit 44:0 schlugen und den Cup mit 15 Punkten vor Nordrhein-Westfalen (10), Berlin (4) und Bayern (0) holten.

 

Jeff Tigere und Jan Ceselka führten die U18-Junioren durch fünf Siege zum Titelgewinn: 31:7 gegen Hessen, 28:0 gegen Hamburg, 38:5 gegen Berlin, 22:0 gegen Niedersachsen und 43:7 gegen Nordrhein-Westfalen hießen die Resultate.

 

Die U16-Jungen der Trainer Matthias Bechtel und Senzo Ngubane siegten mit 36:0 gegen Niedersachsen, 29:0 gegen Bayern, 36:7 gegen Nordrhein-Westfalen und 29:0 gegen Hessen und freuen sich schon auf die SAS Institute Heidelberg Sevens am 17./18. Juni 2023.

 

Baden-Württemberg, U18-Juniorinnen: Charlotte Malaizier (Heidelberger RK/41 Punkte im Turnier), Emilia Hacker (HRK/35), Manja Bechtel (TSV Handschuhsheim/30), Sofia Stork Budia (Heidelberger TV/10), Sonja von Appen (HTV/5), Lara Heinz (HRK/5), Emelie Anschütz (MTV Ludwigsburg/5), Charlotte Pfaffmann (HTV/5), Tabea von Appen (HTV), Lisa Thiel (Rugby Pforzheim).

 

U18-Junioren: Robin Wilk (SC Neuenheim/32), Max Schmitt (HRK/32), Cedric Eichholz (RG Heidelberg/26), Linus Meng (HRK/15), Kosta Asenov (SCN/15), Ben Surblys (TSV Handschuhsheim/15), Jaden Gliatis (HRK/5), Michael Picolo (HRK/5), Moritz Noll (SCN/5), Linus Müller (HRK), Max Zahner (HRK), Aris Smyslowski (SCN), Theo Kremoser (Handschuhsheim), Maurice Falcone (RGH).

 

U16-Jugendliche: Benjamin Schmitt (HRK/35), Finian Zöller (Handschuhsheim/35), Max Zahner (HRK/34), Haakon Oeß (HRK/25), Nils Benighaus (HRK/25), Niall Miskella (Handschuhsheim/24), Philip Buchta (Handschuhsheim/12), Rasmus Jung (HTV/10), Aurel Knorr (HRK/5), Laurin Kugel (HRK), Philipp Kraft (Handschuhsheim), Tobias Feil (Handschuhsheim), Sebastian Wellensiek (HTV), Camille Nyman (RGH), Joscha Paral (RGH).

 

U15-Mädchen: Soraya Hölzer-Castillo (RGH/50), Juli Kerber (RGH/25), Svenja Mehling (Karlsruher SV/25), Maja Krzanowski-Lorie (HRK/10), Jule Karstens (HRK/10), Nellie Roche (Karlsruher SV/5), Marja Pfaffmann (HTV/5), Pauline Faye (HRK), Anna Karapanagiotidis (HRK), Sophie Lodder (RC Worms, Anja Schestakowskaja (RC Worms), Sophie Schwalvenberg (HTV), Jimena Asorey-Vega (RGH), Letitia Falcone (RGH), Lili Schüßler (RGH).

Der Rugby-Nachwuchs Baden-Württembergs gewann in Heidelberg vier deutsche Meistertitel. Foto: Gernot Noll


Samstag, 5. November 2022

Wo Topathleten richtig stark gemacht werden

Der Olympiastützpunkt Rhein-Neckar ist 50 Jahre alt


Der 5. November 1972 war ein besonderer Tag in der Entwicklung des deutschen Sports. Denn im Neuenheimer Feld 710 wurde das Bundesleistungszentrum Heidelberg eröffnet, das durch das partnerschaftliche Zusammenwirken des Bundesinnenministeriums unter der Leitung von Hans-Dietrich Genscher, Professor Wilhelm Hahns Kultusministerium Baden-Württemberg und der Stadt Heidelberg in nur zweijähriger Bauzeit für 28,2 Millionen Mark errichtet worden war. Die Idee zum Bau dieses Förderzentrums für Basketball, Tischtennis und Volleyball und die Integration einer wettkampftauglichen Schwimmhalle sowie Räumen für das benachbarte Sportinstitut der Universität hatten Heidelbergs Oberbürgermeister Reinhold Zundel und Professor Hermann Rieder.

 

Das BLZ war einzigartig, denn erstmals wurde ein Förderzentrum gebaut, in dem Olympioniken aus mehreren Sportarten unter einem Dach trainieren und wohnen können. Bereits vor der Einweihung wurde in der bereits fertiggestellten Sporthalle, in der 2000 Zuschauer Platz fanden, mit den Weltspielen der Gelähmten, dem Vorläufer der Paralympics, eine bedeutende Veranstaltung zum Erfolg. In dieser Halle fanden der USC Heidelberg und später die MLP Academics bis 2021 ihre sportliche Heimat. Der USC feierte dort am 24. März 1973 durch einen 71:70-Endspielsieg nach Verlängerung über den MTV Gießen seine achte deutsche Basketball-Meisterschaft.

 

Leiter des BLZ, das am 28. November 1997 zum Olympiastützpunkt Metropolregion Rhein-Neckar (OSP) wurde, war von Beginn an der USC-Spieler und Meistertrainer Hans Leciejewski, den alle Welt „Lambi“ nannte und der als Leistungssport-Vizepräsident des Deutschen Basketball-Bundes (DBB) dafür sorgte, dass in Heidelberg viele Basketball-Länderspiele, aber auch internationale Wettkämpfe im Volleyball, Tischtennis und Schwimmen stattfanden. 1981 stellte der Kanadier Alex Baumann (heute 58) im BLZ-Becken einen Weltrekord über 200 m Lagen auf, ehe er 1984 in Los Angeles Olympiasieger über 200 und 400 m wurde.

 

Hans Leciejewski, der 2008 in den Ruhestand ging und von Nicolas Wucherer (Würzburg) abgelöst wurde, verstarb 2017 in Alter von 73 Jahren. Er hat den OSP geprägt und zu einem Servicezentrum des Hochleistungssports ausgebaut, an dem rund 300 Athletinnen und Athleten trainingswissenschaftlich, physiotherapeutisch, sportmedizinisch, orthopädisch, psychologisch und ernährungswissenschaftlich betreut werden.

 

Ein wichtiger Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der von Jochen Zürn und Christoph Steinbach koordinierten Laufbahnberatung, denn die Talente sollen nicht nur im Sport, sondern auch in der Schule, im Stadium und im Beruf erstklassige Leistungen erbringen können. „Duale Karriere“ heißt das Zauberwort, Hausaufgabenbetreuung, Stützunterricht, Studienplatzsuche, Ausbildungs- und Arbeitsplatzvermittlung werden angeboten.

Mitarbeitende mit Legendenstatus sind die Doctores Birgit Friedmann und Michael Weiß, die Psychologin Petra Dallmann, der Leistungsphysiologe Joachim Jost, Christel Hopf und Bärbel Heckmann als gute Geister in der Verwaltung und Krafttrainer Helmut Müller (†). Aufgrund ihres Wissens und Könnens ist der OSP weltberühmt. US-Schwimmstar Mark Spitz war ebenso zu Besuch wie fast alle Sportminister aus Afrika.

 

Nachdem Wucherers merkwürdige Tätigkeit nach nur neun Monaten zu Ende gegangen war, kehrte Hans Leciejewski kurzzeitig zurück, ehe Daniel Strigel 2010 vom Mono-OSP der Fechter in Tauberbischofsheim nach Heidelberg wechselte und seither einen der erfolgreichsten Olympiastützpunkte leitet. In Tokio 2021 gewannen die Weitspringerin Malaika Mihambo aus Oftersheim und der Kanute Max Lemke aus Mannheim Goldmedaillen und der Ringer Denis Kudla (27/Schifferstadt) seine zweite Bronzemedaille nach 2016. Kudla hat inzwischen seine Laufbahn beendet und das Abitur nachgeholt. Note: 1,0.

 

Inzwischen ist der OSP Bundesstützpunkt für die in Heidelberg angesiedelten Sparten Boxen, Ringen, Schwimmen und Siebenerrugby, die in Mannheim stationierten Hockeyspieler und Leichtathleten, die in Karlsruhe betreuten Kanuten und Tischtennis-Asse, die Golfenden in St. Leon-Rot und die Gewichthebenden in Leimen. Auch die Handballer, Fußballerinnen und Eishockeyspieler der Kurpfalz werden betreut, während Eiskunstlaufen wegen schwacher Leistungen seinen Stützpunktstatus am Jahresende verliert. Weitere etwa 300 Athleten werden bei Lehrgängen ihrer Nationalteams betreut. Daniel Strigel ist zuversichtlich, dass in Heidelberg auch künftig olympische Erfolge wahrscheinlicher gemacht werden können.

 

„Eine größere Herausforderung ist es, Trainernachwuchs zu finden und zu stärken. Und es wäre ein großer Fehler, auf attraktive Sportangebote für Kinder und Jugendliche zu verzichten“, mahnt der OSP-Leiter.

 

Während der OSP früher von einem Verein getragen wurde (Heinz Janalik und Michael Hölz waren verdienstvolle Präsidenten), so wurde im Zuge der Spitzensportreform des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) der Landessportverband Baden-Württemberg zum Träger der OSPs in Freiburg, Heidelberg und Stuttgart. LSV-Vizepräsident Gert Rudolph (Karlsruhe) führt das Leitungsgremium, dem auch Michael Hölz, Wolfgang Lachenauer, Gordon Rapp und Frank Mantek als Stellvertreter sowie Gert Bartmann (Heidelberg) und Uwe Kaliske (Mannheim) als kommunale Repräsentanten angehören.

Sonntag, 30. Oktober 2022

Alles nur eine Frage des Stils?

Über den Untersuchungsbericht zur Intrige gegen DOSB-Präsident Alfons Hörmann


Wer im sonnigen Herbst 2021 die Medienberichte über den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) verfolgte, konnte den Eindruck gewinnen, dass dessen Präsident Alfons Hörmann (62) der größte Schuft auf Erden sei. Nachdem eine „DOSB-Mitarbeiterschaft“ am 6. Mai 2021 eine zweite anonyme E-Mail an Präsidium, Vorstand und einige Medien gesandt hatte, sahen sich Hörmann und die Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker (52) schweren Vorwürfen ausgesetzt. Eine erste Nachricht war vier Monate zuvor an Betriebsräte geschickt worden, die wegen der Anonymität des Absenders aber nicht reagierten.

 

„Mehr als ein Drittel der Mitarbeitenden“, heißt es in der E-Mail vom Mai, litten unter einer „Kultur der Angst“ und begründeten, „warum wir eine/n neue/n Präsident/in brauchen“. Der Mann, der in seinen kämpferischen Auseinandersetzungen mit der Politik, manchen Medien, dem IOC und internen Widersachern im DOSB und einigen Fachverbänden stets „Klarheit und Wahrheit“ für sich reklamiert hatte, stand am Pranger. Er habe die im „Haus des Sports“ in Frankfurt geltenden Hygieneregeln verletzt und keine Mund-Nasen-Bedeckung getragen. Er sei fordernd, einschüchternd, rücksichtslos und herablassend aufgetreten, habe gegen Mitarbeitende offenen Tadel geäußert und in einem Fall einen Bleistift in Richtung einer Dame geworfen, die während einer Videokonferenz im gleichen Raum weilte und mit einer anderen Dame schwatzte.

 

Das wirft natürlich Fragen auf: Darf ein Chef heutzutage, also nach der Zeitenwende, noch laut werden? Darf er seine Mitarbeitenden zu Disziplin und Höchstleistungen animieren? Darf er Arbeitsergebnisse einfordern und Kritik äußern, wenn ihm diese zu schlecht erscheinen? Hörmann fühlt sich, wohl bis heute, keines Fehlverhaltens schuldig, zumal ihm eine Ethikkommission unter Vorsitz des vormaligen Bundesministers Thomas de Maizière verschwurbelt bescheinigte, sich zwar kritikwürdig, aber niemals strafrechtlich relevant verhalten zu haben. Fazit der Ethiker: Man könne Hörmann böse sein, aber eigentlich nur aus stilistischen Gründen.

 

Der Präsident aber war tief beleidigt und so verstört, dass er immer weniger zwischen Freund und Feind unterscheiden konnte und im Dezember 2021 seinen Rückzug vom höchsten Amt des deutschen Sports verkündete.

 

Die neue DOSB-Führung unter Präsident Thomas Weikert wollte verstehen, setzte eine „Aufarbeitungskommission“ ein und entband die Mitarbeitenden von Verschwiegenheitspflichten. Die Kommission untersuchte die Causa penibel und legte nun einen 43-seitigen Bericht vor. Sie wurde von namhaften Juristen geleitet: Von der Wiesbadener Rechtsanwältin Christa Thiel (68), der ehemaligen Präsidentin des Deutschen Schwimm-Verbandes und DOSB-Vizepräsidentin für Leistungssport (2010 bis 2014), und von Clemens Basdorf (73), von 2006 bis 2014 Vorsitzender des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in Leipzig.

 

Sie haben sich alle Mühe gegeben, Licht ins Dunkel der Intrige zu bringen. Aber auch sie – wie die von Hörmann beauftragten Anwälte, Sprachgutachter und Forensiker – konnten den/die Autor/en der E-Mails nicht identifizieren. Ob sich ihr Blick auch nach Nordrhein-Westfalen und in die Schweiz gerichtet hat, wissen wir nicht.

 

Ihr Urteil über Hörmann besagt: Hygieneverstoß ja – geschenkt. Harscher Umgangston ja – nicht schön, aber auch nicht sooo schlimm. Alle Verdächtigungen Hörmanns, was die Urheberschaft der E-Mails betrifft – nicht zu beweisen. Die Kommunikation des DOSB nach Bekanntwerden der Affäre – eine einzige Katastrophe. Besonders peinlich: Eine Ehrenerklärung des Präsidiums pro Hörmann, von der sich Unterzeichner anderntags öffentlich distanzierten.

 

Kann ein Sportbund mit rund 200 Mitarbeitenden, einer Kommunikations- und Rechtsabteilung nicht professioneller arbeiten? Muss ein Sportverband mit Justiziar „deutlich mehr als 700 000 Euro“ für Anwälte ausgeben? Deshalb: Die Attacken auf Hörmann, aber auch dessen Kampf mit Windmühlen, waren für den Sport nicht gut – und haben viel zu viel Geld gekostet.


Montag, 24. Oktober 2022

Die KTG Heidelberg hat den Klassenverbleib geschafft

Über die 2. Kunstturn-Bundesliga

Die KTG Heidelberg hat den Klassenverbleib in der 2. Kunstturn-Bundesliga Süd „endgültig geschafft.“ Das steht für den 29-jährigen Trainer Michael Wilhelm nach dem unerwartet klaren 43:23 (18:15)-Heimsieg über den Tabellenzweiten KTV Ries fest, mit dem sich die Heidelberger Riege vor 120 Zuschauern auf dem dritten Rang etablierte „und nun nach oben schauen darf“ (Wilhelm).

 

Die von Wilhelm und dem seit rund 15 Jahren mit der KTG verbundenen und aus dem zerstörten Cherson stammenden Ukrainer Oleksandr Babanko betreute Riege, in der sich die 18-jährigen Carl und Lorenz Steckel, Joel Schauwienold und Shimon Aoki prächtig entwickeln, zeigte gegen den Zusammenschluss dreier Vereine aus dem Donautal den besten Wettkampf der Saison, erzielte mit 301,25 Wettkampfpunkten eine Steigerung um acht Zähler und weckte Hoffnungen auf weitere Erfolge in den beiden letzten Wettkämpfen am Samstag bei Aufsteiger MTV Ludwigsburg und am 12. November um 18 Uhr in der Kirchheimer Sporthalle gegen die noch punktlose TG Allgäu. „Unsere starke Teamleistung macht mir Mut“, sagte Michael Wilhelm.

 

In den frühen Abendstunden des Samstags war Wilhelm fröhlich, gelöst und „zufrieden, weil ich mit einem solchen Ergebnis überhaupt nicht gerechnet habe – ich hatte eher das Gegenteil befürchtet.“ Aber gegen das Team des starken Sechskämpfers Lucas Buschmann, der wie der an fünf Geräten aufgebotene Maximilian Henning neun Scorepunkte holte, turnten die Heidelberger kontrolliert, mutig, selbstbewusst und sicher und gewannen am Boden mit 10:2, am Sprung mit 9:4, am Barren mit 8:0 und am Reck abermals mit 8:4. Am Seitpferd gab es ein 3:3, und das 5:10 an den etwas zu heftig schaukelnden Ringen war zu verschmerzen, zumal es Michael Wilhelm auf seine Kappe nahm: „Da habe ich taktisch falsch entschieden.“

 

Überhaupt herrschte in der angesichts der angebotenen spektakulären Leistungen viel zu schlecht besuchten Halle eine sehr angenehme Atmosphäre: Nach freundlichem Applaus zum 57. Geburtstag des KTG-Vorsitzenden Professor Henning Plessner kam es am Barren und Reck zu Zweikämpfen der Spitzenkräfte, die Heidelbergs Japaner Tomoya Kashiwagi gegen den Briten Euan Cox (12,80:12,65) beziehungsweise gegen Maximilian Henning (13,65:12,30) gewann, was die beiden Gäste zum Anlass nahmen, eilig etliche Geräte zu umkurven und ihrem Bezwinger mit Handschlag und kleiner Verbeugung zu gratulieren.

 

Tomoya Kashiwagi ergatterte 22 Scorepunkte, mithin mehr als die Hälfte seiner Riege, und erhielt mit 14,25 am Sprung auch die höchste Wertung. Marvin Rauprich mit einem blitzsauberen Sechskampf und Karl-Ole Gäbler (je 6), Lorenz Steckel (5), Shimon Aoki (3) sowie Joel Schauwienold (1) punkteten ebenfalls. Kashiwagi ist nach fünf Wettkämpfen mit 95 Scorepunkten bester Turner der 2. Liga Süd, Maximilian Henning aus Ries liegt mit 52 Punkten auf Rang fünf.

 

KTG Heidelberg - KTV Ries 43:23 Scorepunkte, 9:3 Gerätepunkte, 301,25:291,65 Wettkampfpunkte, Boden: Marvin Rauprich - Euan Cox 0:2, Karl-Ole Gäbler - Lukas Leonhardt 5:0, Tomoya Kashiwagi - Lucas Buschmann 4:0, Joel Schauwienold - Justus König 1:0 = 10:2.

Seitpferd: Gäbler - Buschmann 0:2, Kashiwagi - Leonhardt 3:0, Shimon Aoki - Maximilian Henning 0:1, Rauprich - Cox 0:0 = 3:3.

Ringe: Lorenz Steckel - Buschmann 0:3, Rauprich - Henning 0:4, Carl Steckel - Cox 0:3, Kashiwagi - Sven König 5:0 = 5:10.

Sprung: Aoki - Henning 0:4, L. Steckel - Buschmann 2:0, Rauprich - Cox 2:0, Kashiwagi - S. König 5:0 = 9:4.

Barren: L. Steckel - Buschmann 3:0, Rauprich - Henning 1:0, Kashiwagi - Cox 1:0, Aoki - Gustav Kern 3:0 = 8:0.

Reck: Kashiwagi - Henning 4:0, C. Steckel - Buschmann 0:4, Rauprich - Kern 3:0, Gäbler - Cox 1:0 = 8:4.

 

Die KTG Heidelberg bleibt Zweitligist, stehend v. l. n. r.: Co-Trainer Moritz Ehrhardt, Trainer Michael Wilhelm, Lorenz Steckel, Marvin Rauprich, Daniel Morres, Physiotherapeutin Jenny Stein und Co-Trainer Oleksandr Babenko; knieend v.l.n.r.: Shimon Aoki, Carl Steckel, Joel Schauwienold, Tomoya Kashiwagi und Karl-Ole Gäbler. Foto: Klaus Kreutz

Freitag, 7. Oktober 2022

"Im Paradies" ist da!

Doch, doch, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, es ist wirklich reiner Zufall, dass mein neues Buch an dem Tag erschienen ist, an dem der Literatur-Nobelpreis 2022 verliehen wurde. "Im Paradies - Eine Kindheit in Neuenheim" schildert auf 80 reich bebilderten Seiten und in acht Kapiteln das wilde Leben der Kinder in Heidelberg-Neuenheim der frühen 1960-er Jahre.


Das Buch gibt es für 15 Euro in der Buchhandlung Schmitt & Hahn (Brückenstr. 7) und bei Zeitschriften Hillenbrand (Brückenstr. 7) in Neuenheim sowie bei der Rhein-Neckar-Zeitung (Neugasse 2) in der Stadtmitte.

Ihre Bestellungen richten Sie bitte an clauspeterbach@gmail.com - Sie erhalten das Buch sodann per Post und mit Rechnung (15 Euro zuzüglich 3 Euro Versandkosten).

Außerdem  verfügbar: "Zwischenrufe eines Papageis".

Ich wünsche Ihnen ein Lesevergnügen! 
Ihr Claus-Peter Bach

Sonntag, 4. September 2022

„Die Olympischen Spiele hätten sofort abgebrochen werden müssen“

Über den Überfall des „Schwarzen September“ 1972 auf Israels Olympiamannschaft

 

Für Dietrich Keller (78) war es „ein Unding“. „Man hätte die Spiele sofort abbrechen müssen“, sagt Günter Glasauer (74). „Ich bin gleich heimgefahren“, erinnert sich Günter Haritz (73). Bei diesen drei Heidelberger Athleten stieß es auf völliges Unverständnis, dass Avery Brundage, der US-amerikanische Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), am Tag nach dem Überfall der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“ auf die israelische Mannschaft am 5. September 1972 bei der Trauerfeier im Münchener Olympiastadion erklärte: „The games must go on!“

 

Alle elf israelischen Geiseln und während der missglückten abendlichen Befreiungsaktion auf dem Flughafen in Fürstenfeldbruck auch ein bayerischer Polizist sind von den Terroristen getötet worden, ehe diese von den Sicherheitskräften erschossen wurden.

 

Günter Haritz, der Weltmeister von 1970 und 1973 und Europameister von 1974 und 1976, betreibt seit Jahrzehnten ein Fahrradgeschäft in Leimen und hat die Trauerfeier vor dem heimischen Fernseher erlebt. Am Abend des 4. September hatte der für Badenia Sandhausen fahrende Haritz mit Jürgen Colombo (Stuttgart), Udo Hempel (Büttgen) und Günther Schumacher (Berlin) den Endlauf in der 4000-m-Mannschaftsverfolgung gegen die DDR und die Goldmedaille gewonnen. Der Bahn-Vierer, für den im Viertelfinale gegen Polen der Berliner Peter Vonhof anstelle Hempels fahren durfte, wurde von Bundestrainer Gustav Kilian betreut, den die Zeitgenossen in Anlehnung an Hans Falladas berühmten Roman den „Eisernen Gustav“ nannten. „Wir haben sie beinahe überrundet“, antwortet Günter Haritz auf die Frage nach der Überlegenheit des BRD-Vierers im Olympia-Endlauf „in diesem herrlichen Radstadion, das leider abgerissen wurde.“ Die hölzerne Bahn und die Zuschauerränge waren überdacht, doch in der Mitte war das Stadion offen, so dass die Deutschen aus West und Ost bei der Siegerehrung und der Überreichung der Medaillen durch Avery Brundage die Sterne am Abendhimmel funkeln sahen.

 

„Wir sind dann noch schnell eine Ehrenrunde gelaufen, haben uns geduscht und umgezogen und sind gegen 0.30 Uhr in Schwabing eingetroffen, um unseren Sieg zu begießen. Leider waren wir zu spät, die Kneipen schon geschlossen. Als wir einem Wirt begreiflich machen konnten, dass wir gerade Olympiasieger geworden waren, hatte er ein Einsehen und gab uns was zu trinken“, erinnert sich Günter Haritz an die Hektik nach dem Sieg.

 


Die Goldjungen haben die Nacht bei ihren Frauen und Freundinnen in Hotels verbracht, und als sie am nächsten Morgen zurück in ihre Unterkunft im Olympischen Dorf wollten, war dieses hermetisch abgesperrt. „Wir haben von den Polizisten erfahren, was geschehen war, und durften erst hinein, als wir unsere Goldmedaillen vorzeigten. Wir konnten die bewaffneten Palästinenser beobachten. Ich habe Angst bekommen und bin mit meiner Frau sofort nach Hause gefahren“, fanden die so erfolgreichen Spiele für Günter Haritz ein jähes Ende.

 

Später machte sich Haritz als Sechs-Tage-König einen Namen und gewann mit Felice Gimondi, Bernard Hinault, René Pijnen, Patrick Sercu, Bernard Thévenet und Dietrich Thurau elf von 68 Six Days. Bei der Spanien-Rundfahrt trug er vier Tage lang das Rote Trikot des Führenden.

 

Weniger triumphal verlief Olympia 1972 für „Didi“ Keller. Der 2,10 Meter große Center war soeben vom deutschen Meister Leverkusen zum USC Heidelberg gewechselt, mit dem er den Titel 1973 und 1977 gewann. Der Mainzer Bundestrainer Theodor Schober hatte das baumlange Bewegungswunder in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt entdeckt, gefördert und in den Olympiakader berufen. „Torry“ Schober, ein ehemaliger USC-Meisterspieler, hatte Platz zehn als Ziel ausgegeben, am Ende sprang Rang zwölf für die Deutschen heraus, die erstmals seit Berlin 1936 an einem olympischen Basketball-Turnier teilnahmen und den 52:51-Finalsieg der Sowjetunion gegen die USA miterlebten.

 

„Natürlich war Olympia für uns alle das größte Ereignis unserer Laufbahn, allerdings habe ich sportlich schönere erlebt“, erinnert sich „Didi“ Keller, später 40 Jahre lang Lehrer an der Julius-Springer-Schule in Heidelberg. Er bestritt 98 Länderspiele, konnte in München aber nur vier Mal eingesetzt werden. „Im dritten Spiel, beim 93:74-Sieg gegen die Philippinen, habe ich das Knie eines Gegners am Oberschenkel gespürt und einen Muskelfaserriss erlitten. Erst im letzten Spiel, beim 69:70 gegen Australien, konnte ich in der letzten Minute nochmals mitspielen“, bedauert Keller, der es „echt schlimm“ fand, acht Tage lang tatenlos zusehen zu müssen.

 

Die „Katastrophe“, wie Keller den Terrorakt nennt, der rund 60 Meter von den Zimmern der deutschen Korbjäger entfernt geschah, hat „uns völlig demoralisiert. Danach ging nichts mehr. Und das IOC konnten wir überhaupt nicht verstehen“, sagt „Didi“ Keller.

 

Dessen Vereinskamerad Dr. Günter Glasauer nahm als Speerwerfer an den Olympischen Spielen in München teil, lebt mit seiner Ehefrau Dorothea Thimm, einer ehemaligen Studentin aus der Heidelberger Ingrimstraße und Apothekerin in Speyer, in Tulbingerkogel im Wienerwald und hat kürzlich „völlig begeistert“ die European Championships in München verfolgt. Der Schützling von Bundestrainer Hermann Rieder und USC-Trainer Atef Ismail war aus Wetzlar als Student nach Heidelberg gekommen, 1972 Dritter der deutschen Meisterschaft und spielte ab 1974 nach verletzungsbedingter Beendigung seiner Werfer-Karriere für den USC in der Basketball-Bundesliga – neben „Didi“ Keller.

 

Nachdem der Geografie- und Sportstudent bei einem Länderkampf gegen Ungarn 1972 seine persönliche Bestweite von 80,88 Metern erzielt hatte, warf er bei einem Qualifikationswettkampf 79,94 Meter – sechs Zentimeter zu wenig.

 

„Daraufhin setzte sich Atef, der mich in jedem Training betreut und beraten hatte, unwahrscheinlich bei den Offiziellen des Verbandes ein, was zu meiner Nominierung führte“, ist Glasauer seinem heute gesund und munter mit 89 Jahren in Kairo lebenden Trainer ewig dankbar. In München freilich schmerzte der Wurfarm wieder sehr, und 73,12 Meter reichten nur zu Platz neun im Vorkampf, weshalb Günter Glasauer das Speerwurf-Finale und den „Goldenen Sonntag“ der deutschen Leichtathletik auf der Tribüne erlebten musste.

 

Nach Bernd Kannenberg (Fürth, † 2021) im 50-km-Gehen und der Hannoveranerin Hildegard Falck über 800 Meter gewann Glasauers Disziplinkollege Klaus Wolfermann aus Altdorf bei Nürnberg mit Trainer Hermann Rieder vom USC Heidelberg mit 90,48 Metern die Goldmedaille – drei deutsche Olympiasiege an einem Nachmittag blieben im Gedächtnis. Der lettische Weltrekordler Janis Lusis, mit dem Günter Glasauer „drei Mal vom Training ins Dorf zurücklief und sich prima auf Englisch unterhielt“, war knapp geschlagen.

 

„Man hätte die Spiele sofort abbrechen müssen. Nach einem so schrecklichen Ereignis würde das heute jedenfalls passieren“, ist sich Günter Glasauer, der gerade den Jagdschein erworben, aber noch kein Tier erlegt hat, sicher.

 

Angesichts der Zustände im IOC 2022 möchte man ernste Zweifel anmelden.

Samstag, 13. August 2022

„Der größte Star ist seit 1883 tot“

Begegnung mit Dirigent Christian Thielemann in Bayreuth

Christian Thielemann, geboren am 1. April 1959 in Berlin-Wilmersdorf, ist Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden und der renommierteste Orchesterleiter in Deutschland. Bei den 110. Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth hat der in Potsdam-Babelsberg lebende Porsche-Fahrer seit 2000 alle zehn Wagner-Werke dirigiert, die nach dem Willen des Komponisten (1813 – 1883) im Festspielhaus gespielt werden dürfen. Dies war zuvor nur dem Österreicher Felix Mottl (1856 – 1911) vergönnt, der sich ab 1880 als Hofkapellmeister in Karlsruhe einen Namen gemacht hatte.

Freunde treffen Freunde“ heißt eine Veranstaltungsreihe des Vereins „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth“. Kürzlich war Christian Thielemann im Saal der Pianoforte-Fabrik Steingräber in Bayreuth zu Gast und gab Einblicke in sein Leben und Schaffen.

Christian Thielemann, Sohn einer Apothekerin und eines leitenden Angestellten in der Stahlindustrie, nahm ab dem fünften Lebensjahr Klavierunterricht und studierte Bratsche. „Der Bratsche bin ich nach wie vor sehr zugeneigt. Sie verleiht den Mittelstimmen eines Orchesters Würze“, sagt Thielemann, der seit 2018 in Bayreuth den „Lohengrin“ dirigiert und der von der internationalen Musikkritik für den idealen Klang der Streicher hoch gelobt wird. Sein „Lohengrin“ erfüllt unter allen Aspekten – Sängerinnen und Sänger, Dirigat, Orchester, Chor, Bühne und Kostüme – Bayreuths Anspruch, Weltklasse zu bieten.

Am Tag nach dem Gespräch im Steingräberhaus dirigierte Christian Thielemann zum 181. Mal im Festspielhaus. Sein Anspruch, mit seinen Musikerinnen und Musikern stets im Bestform zu sein, bedeutet für ihn: „Heute Abend kein Bier, kein Wein und früh zu Bett.“ Nur dann könne man die Belastung im verdeckten Orchestergraben durchstehen: „Das Orchester leistet Übermenschliches. Wenn draußen über 30 Grad herrschen, haben wir unten locker 37 Grad, und alle außer den Bläsern müssen Corona-Masken tragen, weil wir so eng beieinander sitzen und uns vor Infektionen schützen müssen. Das heißt natürlich: Die Säfte auffüllen und ganz viel Wasser trinken.“ Bekanntlich tragen die Musizierenden im Festspielhaus nicht Kleid, Anzug, Schlips und Kragen, sondern T-Shirts und kurze Hosen.

Das von Richard Wagner konstruierte Festspielhaus, eine einem Geigenkorpus nachempfundene Holzkonstruktion, ein weltweit einzigartiger Klangkörper, hat es Christian Thielemann, der seine Laufbahn 1978 als Assistent Herbert von Karajans bei den Berliner Philharmonikern und als Korrepetitor an der Deutschen Oper in der Berliner Bismarckstraße begonnen hat, besonders angetan. „Aber: Der Klang ist bei jeder Inszenierung ein bisschen anders. Es kommt darauf an, wie inszeniert wird und was die Bühnenbildner alles aufbauen.“ Der Orchesterklang soll aus dem Graben zur Rückwand der Bühne gehen, dort abprallen und über die Bühne, vermischt mit den Sängerstimmen und dem Chorgesang, zurück in den Zuschauerraum wandern, wo knapp 2000 Besucherinnen und Besucher den einzigartigen Klang genießen möchten. Das heißt: Das Orchester muss mit jedem Ton ein wenig früher dran sein als die Singenden. Nur dann kommen Musik und Gesang gemeinsam, kommt Harmonie im riesigen Geigenkörper an.

Wolfgang Wagner (1919 – 2010), Richard Wagners Enkel, Opernregisseur und bis 2008 Festspielleiter in Bayreuth, hat Christian Thielemann auf seine väterliche Art viele nützliche Tipps gegeben, um mit den Tücken des Hauses zurechtzukommen. 2000 vertraute Wolfgang Wagner ihm seine Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ an und hielt sich bei den Proben meistens unsichtbar hinter der Bühne auf. „Zu laut!“ oder „zu langsam!“ schallte es aus dem Dunkel, denn Wolfgang Wagner war ein strenger Chef, der den guten Rat gab, „nicht langsam oder schnell, sondern flüssig zu dirigieren. Durch seine Tipps habe ich mich nie in meiner künstlerischen Freiheit eingeschränkt oder gekränkt gefühlt. Die Verführung, mit Wagners Musik im Graben zu baden, ist in der Tat groß“, bekennt Christian Thielemann, der sich an explizit lobende Worte aus Wolfgang Wagners Mund allerdings kaum erinnern kann: „Er hat uns engagiert, damit wir gemeinsam Erfolg haben. Gelobt hat er selten. Als ihm mal etwas Anerkennendes herausgerutscht ist, hat Katharina gejammert: Mich lobt Papa nie!“

Die Opernregisseurin Katharina Wagner, Jahrgang 1978, ist Wolfgang Wagners Tochter, Urenkelin Richard Wagners und Ururenkelin Franz Liszts. Sie ist seit 2008 Geschäftsführerin der Bayreuther Festspiele. Von 2015 bis 2020 hatte sie Christian Thielemann als musikalischen Direktor engagiert.

Was den Klang anbelangt, macht Christian Thielemann darauf aufmerksam, dass das Live-Erlebnis im Festspielhaus grundlegend anders ist als eine Radio-Übertragung: „Das Festspielhaus ist ein akustisch einmaliger Ort. Die Übertragungen klingen viel gedämpfter, besonders in früheren Jahren, als nur ein Mikrofon im Zuschauerraum hing.“

Thielemann macht sehr deutlich, dass er überhaupt nichts vom Auswendig-Dirigieren hält. „Da man Orchester und Dirigent im Festspielhaus überhaupt nicht sehen kann, ist es ganz normal, mit der Partitur zu dirigieren. Auswendig dirigieren ist Schnickschnack, völliger Mist, auf den man in Bayreuth wirklich verzichten kann“, sagt Thielemann und fügt hinzu: „Natürlich muss man das Stück intus haben. Bayreuth ist für jeden Dirigenten der Lackmustest. Kann ich das? Kommt das rüber?“ Jede Aufführung sei eine neue Herausforderung, man sei jedes Mal gezwungen, mit einer neuen Version zu bestehen. „So wie immer – das darf es in Bayreuth nicht geben“, sagt Christian Thielemann, der während des Dirigats ganz genau spürt, wie das Publikum reagiert. „Manchmal sind die Leute so ergriffen, dass absolute Stille herrscht und nicht einmal das leiseste Hüsteln zu vernehmen ist.“ Das empfindet Christian Thielemann als Glücksmoment, doch auch gegen heftige Zuschauerbekundungen am Ende einer Oper hat er nichts einzuwenden. Er lacht: „Dann ist endlich mal Stimmung in der Bude. Es ist doch schön, wenn die Leute später im ,Wolffenzacher‘ oder in der ,Eule‘ über uns diskutieren.“

Nach den „Meistersingern von Nürnberg“ 2000 übernahm Christian Thielemann in Bayreuth die musikalische Leitung von „Parsifal“ 2001, „Tannhäuser“ 2002, der vier Opern des „Ring des Nibelungen“ in der Inszenierung von Tankred Dorst 2006, des „Fliegenden Holländer“ 2012, „Tristan und Isolde“ 2015 und „Lohengrin“ 2018. 2023 wird es Festspiele ohne Christian Thielemann geben, der das Dirigat eines neuen „Parsifal“ ablehnen musste. „Das ist keine Entscheidung gegen Bayreuth, sondern meiner Verpflichtung in Dresden geschuldet.“

Die Sächsische Staatskapelle, 1548 von Kurfürst Moritz gegründet, wird im nächsten Jahr 475 Jahre alt und als eines der führenden Klangkörper der Welt aus Anlass des Jubiläums eine große Tournee unternehmen. „Ich mochte es keinem Kollegen zumuten, nur für ein Jahr verpflichtet zu werden“, sagt Christian Thielemann, der immer auch an der Auswahl der Interpreten und Musiker mitwirken möchte: „Die Sängerbesetzung muss stimmen, auf Qualität muss man achten. Was ich zu verantworten habe, habe ich zu verantworten. Meinen Beruf nehme ich sehr ernst“, betont er – und dabei lacht er nicht.

Zu seinen Kolleginnen und Kollegen pflegt Christian Thielemann gerne ein freundschaftliches Verhältnis. „Ich besuche aber keine Proben anderer Dirigenten mehr, denn das könnte als Einmischung, als Störung empfunden werden.“ Er besucht aber Konzerte – etwa von Daniel Barenboim, Andris Nelsons oder Herbert Blomstedt. „Da geht man gerne hin, man muss sich ja auch bilden.“ Für Eifersüchteleien in der Musikszene hat er keinerlei Verständnis: „Wenn jemand eifersüchtig ist, hat er nicht genug Arbeit“. Jetzt lacht er wieder.

In seiner Freizeit entspannt er sich nicht mit Wagners Musik: „Ich höre eher BAP, Orgelkonzerte oder Klaviermusik mit Vladimir Horowitz und Artur Rubinstein.“ Mit Orchestern arbeitet Christian Thielemann bevorzugt langfristig zusammen, auch um ganz genau deren Eigenheiten erfahren zu können. „Die Klangtradition eines Orchesters sollte vererbt werden. Darauf achten oft die älteren Musiker, die ihre Tipps an die Jüngeren weitergeben. Wenn die Überlieferung der Traditionen abreißt, gehen diese verloren. Orchester können dann ihre Attraktivität, ihre Einzigartigkeit verlieren“, sagt Thielemann und erläutert: „Man geht ja auch nur in Restaurants, in denen es schmeckt“.

Nach dem „Lohengrin“ mit Christian Thielemann gingen wir zum Abendessen in die „Eule“. Dort hat es schon Richard Wagners Sohn Siegfried (1869 – 1930) geschmeckt. Zur eigenen Bedeutung in der Geschichte der Bayreuther Festspiele sagt Christian Thielemann, einer der Titanen am Pult, mit feinem Lächeln: „Der größte Star ist seit 1883 tot. Wir kommen nur wegen ihm hierher.“


Weltstar im geringelten Polohemd: Christian Thielemann 2022 im Steingräberhaus. Foto: CPB

Sonntag, 31. Juli 2022

Ein Meilenstein für den Behindertensport

Vor 50 Jahren fanden in Heidelberg die XXI. Weltspiele der Gelähmten statt

Dass Bundespräsident Gustav Heinemann die XXI. Weltspiele der Gelähmten vor 50 Jahren, am 1. August 1972, in Heidelberg eröffnen durfte, haben wir zwei Männern zu verdanken, die sich nicht gut leiden konnten. Der Dortmunder Basketballer und Feldhandballer Willi Daume (1913 - 1996), Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB) und des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) und damit im deutschen Sport allmächtig, hatte bereits 1968 barsch verkündet, dass die Wettkämpfe der Behindertensportler 1972 nicht nach den Olympischen Spielen in München ausgetragen werden könnten – wie es 1960 in Rom erstmals der Fall gewesen war.

 

Die Stadt München wollte Olympia flugs refinanzieren und die Wohnungen im Olympischen Dorf sofort nach der Schlussfeier verkaufen. Daume, Teilnehmer an den Olympischen Hitlerspielen 1936 in Berlin, ließ überhaupt nicht mit sich reden und Sir Ludwig Guttmann, den deutsch-britischen Motor der paralympischen Bewegung, rüde abblitzen. „Privatwirtschaftliche Zwecke“ waren wichtiger als die ordentliche Unterbringung der behinderten Athletinnen und Athleten in der „Weltstadt mit Herz“.

 

So ließ Ludwig Guttmann, 1899 im heute polnischen Toszek geboren und in Breslau und Freiburg zum Neurologen ausgebildet und Gründungsdirektor der Stoke Mandeville-Klinik für die Behandlung Gelähmter und Kriegsversehrter in der englischen Grafschaft Buckinghamshire, seine beruflichen Kontakte zu Professor Dr. Volkmar Paeslack (1925 - 1998) spielen, der an der Orthopädischen Uniklinik in Heidelberg-Schlierbach das Rehabilitationszentrum für Querschnittsgelähmte leitete und eng mit Dr. Werner Boll (1919 - 2007), dem Direktor der Stiftung Rehabilitation am Berufsförderungswerk in Wieblingen, verbunden war.

 

Die drei Herren fanden, dass Heidelberg mit seinem namhaften Sportinstitut, dem weitläufigen Uni-Stadion und dem kurz vor der Fertigstellung stehenden Bundesleistungszentrum für Basketball und Schwimmen über geeignete Sportstätten verfügte, und als Paralympisches Dorf konnte das BFW dienen. Das fand auch Heidelbergs Oberbürgermeister Reinhold Zundel: „Das machen wir“, entschied er in der ihm eigenen entschlossenen Art. Dem OB in wichtigen sportlichen Angelegenheiten zu widersprechen, wagte damals niemand.

 

Bis zum 10. August 1972 fanden im Neuenheimer Feld 187 Wettkämpfe im Bogenschießen, Bowling, Darts, Gewichtheben, Rollstuhl-Basketball, Rollstuhl-Fechten, Schwimmen, Snooker, Tischtennis und in der Leichtathletik statt. 984 Sporttreibende aus 43 Nationen kämpften um Medaillen. Die deutsche Delegation war erwartungsgemäß mit 80 Teilnehmenden am größten – und zur Freude der vielen tausend begeisterten Gastgeber auch am erfolgreichsten. 31 Nationalteams durften Medaillen mit nach Hause nehmen. Tschechien und Ungarn je eine Bronzemedaille, Deutschland auf Rang eins des Medaillenspiegels 67 Plaketten: 28-mal Gold, 17-mal Silber und 22-mal Bronze. Die USA hatten zwar sieben Medaillen mehr gewonnen, landeten aber mit „nur“ 17-mal Gold, 27-mal Silber und 30-mal Bronze auf Platz zwei vor Großbritannien (52 – 16/15/21).

 

Erfolgreichster Athlet war Edmund Weber vom Rollstuhl-Sport-Verein Frankfurt, der jeweils Gold im Kugelstoßen, Diskuswerfen und Speerwerfen und Bronze im Tischtennis an den Main holte. Die Wettkämpfe von Heidelberg waren echte Weltspiele, denn außer den europäischen Behindertensportlern nahmen viele Athletinnen und Athleten aus Afrika (Kenia, Rhodesien/heute: Namibia, Südafrika), Amerika (Argentinien, Jamaika, Kanada), Ozeanien (Australien und Neuseeland) sowie Asien (Hongkong, Indien, Japan und Südkorea) teil.

Der Autor war als 15-jähriger Zuschauer tagtäglich bei den Leichtathleten und Bogenschützen und am Abend bei den Rollstuhl-Basketballern in den überfüllten Hallen des Sportinstituts und des BLZ. In Erinnerung ist der Basketball-Knüller zwischen den USA und Israel – ein unvergessliches Match, über das auch der Sporthistoriker Daniel Westermann in seinem 2014 in der Schriftenreihe des Heidelberger Stadtarchivs erschienenen Buch berichtet hat.


 

Eberhard Bucke, ein junger Sportlehrer am Bunsengymnasium und Dozent am Sportinstitut, hatte seine Schüler (damals gab es noch keine Mädchen am Bunsen) zu den Wettkämpfen eingeladen und zählte zum 31-köpfigen Organisationsteam, das in acht Gruppen von lauter Fachleuten geleitet wurde: Der 2021 verstorbene Roland Vierneisel führte als Akademischer Direktor des Instituts die Sport-Gruppe an. Dr. Hans-Joachim Fichtner (Medizin), Gerhard Fritz (Unterkunft und Verpflegung), Jan Albers (Öffentlichkeitsarbeit), Günther Handschuh (Transporte), Niels Kroesen (Kulturelles) und Jörg Schmekel (Organisation) hießen die anderen Verantwortlichen, das Sportamt mit Walter Ochs und das OB-Referat mit Dieter Bächstädt leisteten unbürokratische Unterstützung. Nach Zundels Motto wurde nicht lange gefragt, es wurde gemacht.

 

Am Tag vor der feierlichen Eröffnung durch das Staatsoberhaupt fuhr den Organisatoren allerdings der Schreck in die Glieder. Freche Diebe hatten aus den von der städtischen Schreinerei errichteten rollstuhltauglichen Toilettenhäuschen die Kloschüsseln gestohlen. Doch Ersatz war schnell besorgt, und die Weltspiele, die als perfektes Ereignis in Erinnerung blieben, konnten pünktlich beginnen.

 

Zur Person: Sir Ludwig Guttmann

 

Ludwig Guttmann, geboren am 3. Juli 1899 im oberschlesischen Tost, gilt als Begründer der paralympischen Bewegung. Er nimmt ab 1917 als Hilfssanitäter am Ersten Weltkrieg teil und studiert ab 1918 in Breslau Humanmedizin. 1919 wechselt er an die Uni Freiburg und wird Fechter. 1923 wird er als Neurologe und Neurochirurg am Wenzel Hancke-Krankenhaus in Breslau angestellt und am 30. Juni 1933 aufgrund seines jüdischen Glaubens entlassen. Er wird Klinikleiter des Jüdischen Krankenhauses in Breslau, ehe er 1939 mit Ehefrau Else als Forschungsstipendiat nach Oxford emigriert. 1944 wird er Direktor des neu gegründeten Zentrums für Rückenmarksverletzungen in Stoke Mandeville/Buckinghamshire und 1947 britischer Staatsbürger. 1952 organisiert er die I. Stoke Mandeville Games mit Patienten der britischen und niederländischen Streitkräfte und 1954 die ersten Wettkämpfe mit deutschen Teilnehmern. 1963 wird er Präsident von Behindertensport-Verbänden und 1966 von Königin Elisabeth II zum Ritter geschlagen. Sir Ludwig, der am 18.März 1980 stirbt, erhält 1972 in Heidelberg von Bundespräsident Gustav Heinemann das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern.


 

Im Bogenschießen zeigten die Athletinnen und Athleten 1972 in Heidelberg großartige Leistungen. Archivfoto

 

Das Standbild von Sir Ludwig Guttmann vor dem Krankenhaus in Stoke Mandeville. Archivfoto