Über das Verhalten von Sportlern in der Coronavirus-Krise
Der Sonntag ist wunderschön und macht seinem Namen alle Ehre, denn nach einem kühlen Regentag feuert die Sonne ihre Strahlen aus wolkenfreien Himmel zur Erde. Gut, es ist ein bisschen kühl, damit wir Deutschen wenigstens ein bisschen was zu meckern haben. Zeit also, alleine die Wohnung zu verlassen, ins Auto zu steigen und zu schauen, wo überall Sport getrieben wird – trotz der Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus, das ja auch vor Athleten keinen großen Respekt hat.
Bei der kurzen Rundfahrt bei halb geöffnetem Fenster – ist das klug? kann das Virus ins Auto hereinflattern wie eine kleine chinesische Fledermaus? – sieht man sogar alte Bekannte. Auf dem Seitenweg an der Speyerer Straße radeln Liesel und Kurt in schicken gefütterten Lederjacken, Liesel mit drei Metern Sicherheitsabstand hinter Kurt – die Frau hinter dem Mann wie in Indien, nicht der Mann hinter der Frau wie in England. „Seid Ihr gesund?“, brülle ich durchs Fenster, doch Kurt winkt lachend ab: „Mir halte uns fit, an uns geht des Ding net dran!“ Es blüht die Zuversicht, und das ist gut so. Kurt ist 74, Liesel auch schon 69, aber sie haben ihr Leben lang Sport getrieben...
Plötzlich haben Liesel und Kurt Gegenverkehr und wenden ihre Gesichter dem Felde zu, wo ein Bauer auf einer großen Tafel die Frage stellt, ob die Menschen sich künftig von Beton oder von frischem Gemüse ernähren wollen. Das Schild ist schön gemalt, der Landwirt hat sich Mühe gegeben, die Sache ist ihm wichtig. Auf dem Radweg nähert sich ein Mann, der in einem Fahrrad liegt und am Gepäckträger einen Stock mit einer Deutschland-Flagge befestigt hat. Wir nehmen an, dass er sein Heimatland auch in Zeiten der Pandemie liebt und die Vorsichtsmaßnahmen der 17 deutschen Regierungen symbolisch gutheißt. Kurt und Liesel winkt er zu, man radelt aneinander vorbei, ohne zu husten.
Am Kirchheimer Weg zeigt ein geduldiger Vater seinem Töchterlein, wie man Fahrrad fährt. Das kann man auf autoarmen Straßen jetzt richtig üben, zumal das Kind begeistert und voll konzentriert ist und ausnahmsweise mal keine Fragen stellt. Papa fährt voraus, das Mädchen hinterher – es werden offenbar indische Bräuche gelebt.
Im Harbigweg nutzt kein Mensch die vielen Sportplätze und die Alla-Hopp-Anlage, weil überall weiße Zettel mit einer städtischen Anordnung im Kerchemer Wind flattern. Darauf teilt der Hallen- und Sportplatzkoordinator Rama Aithal den Bürgern mit, dass die Anlagen wegen der Ansteckungsgefahr gesperrt seien. Die Osterglocken blühen trotzdem weiter.
Nun wird die Situation komplizierter. Mitten auf der Straße joggt eine junge Frau in blau-grünem Outfit, die ganz, ganz tief in die Klänge aus ihrem Headset (das sind kleine Lautsprecher in jedem Ohr) vertieft ist. Ob sie Beethoven hört oder eher Mozart? Nein, dem Tempo ihrer Schritte nach müssten es Schubert-Balladen sein, die sie vollauf gefangen nehmen. Denn sie sieht nicht, dass der Gehweg völlig frei von Menschen und Viren ist, und sie hört nicht, dass sich ein Fahrzeug nähert. Das macht nichts. Wir haben es nicht eilig, es ist Sonntag, und die Sonne scheint. Heidelberger sind kompliziertere Verkehrssituationen gewohnt.
Am kleinen Messplatz, wo das fahrende Volk und etliche Lastwagen eine vorübergehende Bleibe gefunden haben und ausnahmsweise mal kein Flohmarkt ist, kicken Antonio und Michele, acht und zehn, mit einem Fußball, der schon bessere Zeiten hatte. Die Buben tragen nagelneue Kickschuhe und machen sich einen Spaß daraus, den Ball unter den Lastern durch zu schlenzen. Dabei bleiben sie auf Distanz, wie es die abendliche Regierungsverordnung fordert.
Auf dem Weg nach Neuenheim wundert man sich, dass am Hauptbahnhof offenbar viel Sport getrieben wird, jedenfalls stehen dort ein paar tausend Fahrräder und glänzen, soweit nicht völlig verrostet, in der Frühlingssonne. Auf der Neckarwiese aber herrscht das schiere Chaos: Wo sonst die Sonntagskicker ihre durchaus ernsthaften Spiele austragen, wo schicke Mädchen und trendige Jungs zu normalen Zeiten im Sand hüpfen und Beachvolleyball so lustvoll zelebrieren als spielten sie am Strand von Ipanema, wo kleine Kinder sonst auf der Wippe schaukeln oder im Kasten mit Sand und Wasser (heidelbergerisch: Babbel) panschen, zählen wir zwischen Ernst-Walz- und Theodor-Heuss-Brücke zwei Einheimische, vier Asiaten, die vor der barbarisch abgeholzten Neckarinsel etliche Selfies schießen, und rund 250 Graugänse.
Die beiden Heidelberger – es sind Berthold Quast vom städtischen Verkehrsmanagement und Martin Geißler vom Landschafts- und Forstamt, die Streife laufen und die Sperrung der Wiesen überwachen – schreiten den fröhlichen Touristen entgegen, halten den Sicherheitsabstand von drei Metern ein und setzen die Räumung des Rasens mit Handzeichen durch. Die Gäste aus Fernost waren nicht informiert, weil sie keine RNZ gelesen hatten oder weil die RNZ noch nicht in chinesischer Schrift erscheint. Nur die Gänse stellen sich stur. Mit aller Renitenz widersetzen sie sich den Aufforderungen der städtischen Mitarbeiter, und auch die beiden Polizisten, die die Szenerie aufmerksam beobachten, sind letztlich machtlos. Martin Geißler und Berthold Quast lassen aber wissen, dass sie den ganzen Tag über keinen anderen Problemfällen begegnet seien. Die Leute seien vernünftig und gingen nur spazieren. Was sollten sie sonst auch tun an diesem herrlichen Sonntag?
Auf dem Trottoir der Theodor-Heuss-Brücke wird es ein bisschen eng, denn zwei junge Mütter starten, natürlich Seite an Seite, ein Kinderwagenrennen im Stile der alten Römer, nehmen unter dem quiekenden Beifall ihrer Babys gehörig Fahrt auf und zwingen Fußgänger, auf die Radspur und die Straße auszuweichen. Das aber ist nicht schlimm, denn es ist kaum jemand unterwegs.
Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer und Wagenlenkerinnen kommen prima miteinander aus – und das in unserem Heidelberg!
Claus-Peter Bach am 24. März 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung
Bildtext:
Aushang an den Sportanlagen in Heidelberg. Foto: CPB
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen