Zur Erinnerung an Heidelbergs große Schwimmerin und Trainerin Ursel Wirth-Brunner, die mit 83 Jahren gestorben ist
Deutschlands „Sportlerin des Jahres 1963“ ist tot. Ursel Wirth-Brunner starb, wie die Familie am 5. Oktober bekannt gab, bereits am 18. September im Alter von 83 Jahren und fand ihre Ruhestätte auf dem Friedhof in Handschuhsheim.
Als Ziegelhausen noch eine eigenständige Gemeinde war, erblickte Ursel Brunner dort am 30. Januar 1941 das Licht der Welt. Kaum war der Zweite Weltkrieg vorüber, warf ihr Vater die Vierjährige in den Neckar, um zu sehen, ob sie schon schwimmen konnte. „Ich konnte hundeln und bin nicht untergegangen“, freute sich Ursel Wirth-Brunner über ihr Talent, und am 4. Juli 1954, als die deutschen Fußballer in Bern-Wankdorf erstmals Weltmeister wurden, gewann das 13-jährige schmächtige Mädchen im Terrassenbad in Neckargemünd ihre erste Kreismeisterschaft.
Wie der langjährige Wassersport-Mitarbeiter der RNZ, Claus Bastian aus Karlsruhe, als Archivar des Deutschen Schwimm-Verbandes ermittelt hat, gewann Ursel Brunner zwischen 1957 und 1964 27 deutsche Meistertitel im Freistil-, Delfin- und Rückschwimmen und stellte 99 deutsche Rekorde auf. Auf des Reporters Frage, ob es nicht vielleicht doch 100 Rekorde gewesen seien, antwortete Ursel Wirth-Brunner Jahrzehnte später: „Nein, nein, Claus hat sich sicher nicht verzählt. Auf seine Akribie konnte man sich verlassen!“
Weil sich Ursel Brunner im Frühling, Sommer und Herbst viele Stunden eines jeden Tages im Freien aufhielt und sich selbst gnadenlos zu einer ebenso schnellen wie ausdauernden „Wasserratte“ ausbildete, wurde sie von der Sonne geküsst und mit der Zeit so braun, dass der Reutlinger Radioreporter Sepp Scherbauer sie mit den Sportlerinnen aus Abessinien (heute: Äthiopien und Eritrea) verglich und „Mohrle“ taufte. Sie fand das klasse.
Ganz Heidelberg war auf sein „Mohrle“ stolz, als Ursel Brunner, mittlerweile trainiert von dem Heidelberger Hautarzt Dr. Hanns Wirth, als einzige Westdeutsche bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom in den 4x100-m-Freistil- und 4x100-m-Lagenstaffeln schwimmen durfte und mit den drei Mädchen aus der Sowjetischen Besatzungszone als Schlussschwimmerin zwei Bronzemedaillen gewann. Die beste deutsche Schwimmerin ihrer Zeit wurde von den Sportjournalisten 1963 zu Deutschlands „Sportlerin des Jahres“ gewählt.
Obwohl sie ihren gütigen Trainer Hanns Wirth 1975 als Lehrerin an der Neuenheimer Mönchhofschule heiratete, hatte sie schon in Rom ihre erste (unerwiderte) Liebe gefunden. Bei einem Tanzabend im Olympischen Dorf verguckte sie sich in den ein Jahr jüngeren schlanken, leichtfüßig und elegant tanzenden Cassius Clay, der sich bald nach seinem Olympiasieg von Rom Muhammad Ali nannte und als Profiboxer zum „Größten“ aller Zeiten wurde.
So erfolgreich wie als Schwimmerin wurde Ursel Wirth-Brunner als Nachfolgerin ihres Ehemannes als Trainerin des SV Nikar Heidelberg, wo sie 14 Schützlinge – unter anderen Marion Aizpors, Uta Schütz, Angelika Knipping, Heike Kurz (heute: Hahn), Gabi Reha (heute: Ottke), Stefan Peter, Peter Knust und Miroslav Rolko – zu deutschen Meisterschaften und sieben Athletinnen und Athleten zu Olympischen Spielen führte. Stefan Peter gewann 1984 in Los Angeles Bronze mit der Lagenstaffel. Sieben Mal wurden die Nikar-Frauen, einmal die Männer mit Trainerin Ursel Wirth-Brunner deutscher Mannschaftsmeister.
Die Rektorin an der Internationalen Gesamtschule im Hasenleiser war eine disziplinierte und konsequente Frau. Wenn ihr etwas nicht gefiel, sagte und erklärte sie es. Sie hörte 1984 nach L.A. als Trainerin auf, weil es im deutschen Schwimmen den ersten Dopingfall gegeben hat. Betrug im Sport duldete sie nicht. Die Kommunalpolitikerin, die von 1989 bis 1994 im Heidelberger Gemeinderat mitarbeitete, trat aus der CDU aus, als Bundeskanzler Helmut Kohl sein Ehrenwort für wertvoller hielt als die Gesetze der Republik, und sie verzichtete auf das tägliche Schwimmen im Thermalbad, als die Stadtverwaltung die von Oberbürgermeister Reinhold Zundel verliehene Ehrenkarte für die Bäder zurückforderte. Mit ihr zu plaudern, war lehrreich. Ein kurzer Anruf konnte drei, vier Stunden dauern.
Nachdem ihr Sohn Henning sie für das Fechten begeistert hatte, widmete sich Ursel Wirth-Brunner mit ihrer ganzen Kraft der neuen Aufgabe als Trainerin im Heidelberger Fechtclub/TSG Rohrbach, und als es dort zwischen ihr und dem Vorstand knirschte, gründete sie 2009 den Fechtverein Heidelberg. Heute sind Henning Wirth, Waheed Shafiq, Tobias Brodkorn und Robert Schwefel oft dekorierte deutsche Senioren-Meister, auch Beate Christmann und Jonas Gudera wurden Topfechter.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen