Freitag, 15. Oktober 2021

Das große Derby seit 70 Jahren

Am 16. Oktober 2021 spielt der SC Neuenheim gegen den TSV Handschuhsheim


Ganz ehrlich, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, heute ist mein Papagei schon beim Frühstück närrisch. Um seine Nerven zu beruhigen, hat der Ärmste seine Haferflocken und Jod-S11-Körnchen in eine Pfütze Weinbrand getaucht, denn wenn am Nachmittag des 16. Oktober 2021 neben dem Zoo das immergrüne Rugby-Derby zwischen dem Sportclub Neuenheim und dem TSV Handschuhsheim angepfiffen wird, muss er – obwohl „nur“ Zuschauer – in Hochform sein. Die 30 Spieler müssen das auch, das erwarten ihre Fans, denn Derby ist Derby.

 

„Derbys elektrisieren die Zuschauer, obwohl es eigentlich ganz normale Spiele sind“, weiß der Pädagoge Matthias Bechtel (54), Rugby-Abteilungsleiter der TSV-Löwen. In früheren Zeiten mobilisierten die Fußball-Derbys zwischen dem FC Bayern und dem TSV 1860 München oder dem 1. FC Nürnberg und der SpVgg Fürth die Anhänger, heute liegt Spannung über den Metropolen, wenn Hertha BSC gegen Union Berlin in der Bundesliga oder der FC St. Pauli gegen den Hamburger SV in der 2. Liga spielen. Im Rugby haben die Stadtduelle zwischen dem Harlequins FC und dem Saracens RFC in London oder zwischen Stade Français und dem Racing Club 92 in Paris eine besondere Bedeutung. Und im deutschen Rugby lockten Begegnungen von Eintracht Frankfurt und dem SC 1880 in den 1970-er Jahren, Victoria Linden und dem DSV von 1878 Hannover in den 1980-er Jahren sowie des Berliner RC gegen den RK 03 Berlin nach der Wiedervereinigung viele Zuschauer auf die Sportplätze.

 

Und eben SCN gegen TSV oder TSV gegen SCN seit über 70 Jahren und bis heute. „Für uns ist es das wichtigste Spiel der Bundesliga-Vorrunde, denn beide Mannschaften wollen ins Halbfinale der deutschen Meisterschaft, das nur die besten zwei süddeutschen Klubs erreichen können“, sagt Axel Moser (42), der Sportvorstand des SCN.

 

Gegen den Titelverteidiger Frankfurt haben seine Neuenheimer knapp verloren, eine zweite Niederlage in der Hinrunde täte weh. „Oft wird diesem Spiel eine zu große Bedeutung beigemessen“, findet Matthias Bechtel, der sich allerdings auch darauf freut, dass das bestbesuchte Match der Bundesliga Emotionen freisetzen wird. „Nichts dagegen, aber die Fairness muss im Vordergrund stehen“, fügt er hinzu.

 

Die sportliche Rivalität zwischen den Nachbarn im Heidelberger Norden hat Tradition. In den 1950-er und 1960-er Jahren wechselten sich die Vereine als badische und süddeutsche Meister ab. Als der TSV 1957 durch den Versuch des legendären Eberhard Megerle gegen Elite Hannover zum ersten und einzigen Mal deutscher Meister wurde, feierten Handschuhsheimer und Neuenheimer gemeinsam. Weil Erwin und Kuno Birk und Heiner Baumann wenige Wochen später zum SCN wechselten, war die Aufregung um die Tiefburg erstmals groß. Trotz gründlicher Recherche ist es meinem Papagei nicht gelungen herauszufinden, ob der kühle Wein in Christof Karchs Keller im Runden Eck oder die köstlichen Leberwurst-Brote des Klubhaus-Wirts Fritz Ehhalt d. Ä. ursächlich für den Vereinswechsel der drei Nationalspieler gewesen ist. Dem SCN hat es nicht viel genützt: Das deutsche Endspiel 1958 ging gegen Victoria Linden mit 0:21 verloren.

 

Wer diesmal gewinnt, wird sich zeigen. Die beiden Klubs sind längst nicht mehr verfeindet, sondern pflegen in der Jugendarbeit eine fruchtbare Partnerschaft. Die gemeinsamen U18-Junioren wurden kürzlich deutscher Meister, die U16-Jugend deutscher Vizemeister.

 

Einer, der während seiner 17-jährigen Bundesliga-Laufbahn rund 30 Derbys bestritten und „etwa die Hälfte“ davon gewonnen hat, ist heute nicht unter den Zuschauern. Nationalspieler Alexander Hug (37), der Sportliche Leiter des TSV, weilt mit seiner Tochter am Strand von Cuxhaven. Urlaub muss auch mal sein. „Ebi“ Megerle aber wird zuschauen, 83-jährig und topfit.

 



Schneller schlauer mit der Rhein-Neckar-Zeitung!  

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