Samstag, 27. März 2021

Einsam durch Japans Straßen

Über den olympischen Fackellauf

Wer neben einer Kindertagesstätte lebt, hat das ganze Drama im Herbst 2020 aus nächster Nähe miterlebt. Schon im Frühling hatten Tante Ruth, wie die nette Kita-Leiterin heißt, und ihre Kolleginnen Singstunden ins Betreuungsprogramm eingebaut. Denn Kinder, die beim Martinszug im November Mama und Papa, Oma und Opa und die großen Geschwister begeistern wollen, üben gern und fangen früh damit an.

 

Schon kurz vor acht, als Phöbe aus dem Porsche Panamera Turbo S ihrer Mutter Luisa-Christelle gehievt und mit einem Küsschen in den Tag entlassen worden war, krähte das Mädchen aus vollem Hals: „Ich geh mit meiner Laterne, und meine Laterne mit mir...“ Mein Papagei, der gerne ein halbes Stündchen länger schläft, stöhnte: „Muss das sein? Mitten in der Nacht?“

 

So, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, ging das den ganzen Sommer über bis in den späten Herbst hinein. Phöbe und ihre lieben Freundinnen und Freunde übten die alten Lieder zu Ehren St. Martins mit Herzenslust und bastelten mit Eifer und guten Ideen ihre Laternen, die bunt sein sollten und stabil und mit wilden Fratzen bemalt, damit die bösen Geister noch vor dem Wintereinbruch Reißaus nehmen.

 

Der böse Geist, man hatte ihn unterdessen „Corona“ getauft, verschwand aber nicht. Zwar plärrten Phöbe und ihre Freundinnen weiterhin das Martinslied. Sie trällerten mit leuchtenden Augen den Refrain „Rabimmel, rabammel, rabumm“, und Phöbe hatte ganz lieb den Wunsch ihrer in den Gesprächen mit anderen Müttern für eine gesunde Umwelt kämpfenden Mama erfüllt und in ihre Laterne eine batteriebetriebene LED-Leuchte hineingebastelt.

 

Doch der Martinszug fiel aus, und die Buben und Mädchen hatten keine Chance, den lieben Verwandten zu zeigen, was sie gemeinsam gelernt und gebastelt hatten. Tränen flossen, nicht zu knapp.

 

So wie Phöbe und ihren Freundinnen und Freunden geht es nun auch den rund 10 000 Japanerinnen und Japanern, die die olympische Fackel 121 Tage und Nächte lang durch die 47 Präfekturen des Inselreiches bis ins Olympiastadion von Tokio tragen sollen, nicht „Rabimmel, rabammel, rabumm“ singend, aber lächelnd und mit beschwingten Schritten – wie es das IOC von olympischen Feuertragenden seit 1936 erwartet, als die Fackel erstmals im Heiligen Hain von Olympia entzündet und, ohne zu erlöschen, ins Berliner Olympiastadion getragen worden war.

 

Das Feuer für Olympia 2021 ist schon im Frühling 2020 entfacht worden und lodert seither in einem Museum, wobei sich mein Papagei schon länger fragt, auf welchem Transportweg es nach Nippon gelangt ist: „Ich dachte, in Flugzeugen sei offenes Feuer verboten, aber das gilt wohl nur für irdisches Geflügel und nicht für die olympischen Überflieger!“ Die Fackelträger jedenfalls sind gegenwärtig ziemlich einsame Menschen, denn die um die Gesundheit der Bevölkerung besorgte japanische Regierung hat Zuschauende am Straßenrand streng verboten. Man darf den Fackellauf nur vom Balkon aus betrachten, die Laufenden aber nicht beklatschen, denn das könnte verseuchte Aerosole aufwirbeln.

 

Sie merken schon, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, Olympia 2020 im Sommer 2021 soll etwas ganz Besonderes werden. Daniel Strigel, der weitsichtige Leiter des Olympiastützpunktes Metropolregion Rhein-Neckar, spricht nicht mehr von Olympischen Spielen, sondern von „Olympischen Wettkämpfen“ und weiß noch nicht, ob überhaupt alle Qualifikationswettbewerbe rechtzeitig stattfinden können.

 

Da passt es ins Bild, dass Japans Regierung keine Zuschauer aus dem Ausland ins Kaiserreich einreisen lassen wird. Auf den Tribünen dürfen nur japanische Bürger und edle IOC-Mitglieder sitzen. Dumm ist nur, dass rund 80 Prozent der japanischen Bürgerinnen und Bürger gar keine olympischen Wettkämpfe in ihrem Land mehr haben wollen. Der eindeutige Bürgerwille wird allerdings kaum zur Absage der Wettkämpfe führen. Demokratie in Japan ist etwas anderes als in Hamburg, wo sich 51,6 Prozent der Hanseaten gegen Olympia 2024 ausgesprochen hatten und diese Minimehrheit ausreichte, um das teure Projekt zu stoppen.

 

Wie mein Papagei sich erinnert, ist es in der olympischen Geschichte erst einmal vorgekommen, dass ausländische Gäste am Veranstaltungsort nicht willkommen waren: 1956 in Melbourne. Weil die australischen Quarantänegesetze vorschrieben, dass Pferde nach der Einreise ein halbes Jahr in Isolation müssen, konnten die Reitersleute aus aller Welt ihre Rösser nicht nach Down Under fliegen. Den Vorschlag, auf australischen Pferden zu reiten, die den Reiterinnen und Reitern zugelost werden sollten, lehnten die Europäer und US-Amerikaner als unzumutbar ab.

 

Daraufhin vergab das IOC die olympischen Reiterspiele 1956 nach Stockholm. Dort fühlten sich besonders die deutschen Vierbeiner sehr wohl und gewannen sechs Medaillen: Gold durch Halla unter Hans Günter Winkler und die Springreiter-Mannschaft (Halla mit Meteor unter Fritz Thiedemann und Ala unter Alfred Lütke-Westhues), Military-Silber durch Trux von Kamax unter August Lütke-Westhues, das Vielseitigkeits-Team und die Dressur-Mannschaft sowie Bronze durch Adular unter der majestätischen Dressurreiterin Liselott Linsenhoff. Das ist lange her, doch vielen noch präsent.



Schneller schlauer mit der Rhein-Neckar-Zeitung! 

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