Dienstag, 14. April 2020

„Vereine bleiben die sozialen Tankstell unseres Landes

DOSB-Präsident Alfons Hörmann über die Coronavirus-Krise und deren Auswirkungen auf den Sport
  
Alfons Hörmann (59) aus Sulzberg im Oberallgäu ist seit 2013 Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Im Exklusivinterview mit der RNZ äußert er sich zur Coronavirus-Pandemie und deren Folgen auf den Sport.

Die Coronavirus-Pandemie hat den gesamten deutschen Sport zu einer Zwangspause gezwungen, um Menschenleben zu retten. Sind Sie mit der Krisenbewältigung der Behörden einverstanden?

Ja. Wir akzeptieren die Maßnahmen der Bundesregierung vollumfänglich und tragen diese verantwortungsbewusst mit. Wir haben durch die komplette Einstellung des Sport-, Trainings- und Wettkampfbetriebs in unseren Vereinen aus voller Überzeugung unseren Beitrag zur Eindämmung der Pandemie geleistet.

Ist die totale Sperrung der Sportplätze, Hallen und Bäder angemessen?

In dieser akuten Krisenzeit halten wir das für angemessen. Wir alle müssen alles tun, um die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Da gehört diese Sperrung für eine gewisse Zeit leider auch dazu.

Die Fußballprofis klagen am lautesten über die Zwangspause, obwohl sie einen Honorarverlust am ehesten länger verkraften könnten. Muss man sich nicht eher um die vielen „kleinen“ Angestellten der Vereine und deren Zulieferer sorgen?

Die Krise trifft alle Gesellschaftsbereiche, also auch den gesamten Sport über die verschiedenen Sportarten und Ebenen hinweg. Wir stellen mit Freude fest, dass der Sport sich weitestgehend sehr vernünftig und solidarisch verhält.

Seit letzten Dienstag dürfen die Fußball-Bundesligisten unter gewissen Auflagen wieder trainieren, andere Sportarten nicht. Was halten Sie von dieser Ungleichbehandlung?

Das führt naturgemäß zu intensiven und verständlicherweise auch sehr kritischen Diskussionen innerhalb der großen Sportfamilie. Alle möchten nach Möglichkeit ihren Sport so schnell wie möglich wieder ausüben. Dabei gilt es aber weiterhin, die behördlichen Auflagen vollumfänglich einzuhalten. Erfreulicherweise können ja viele Sportarten aktiv ausgeübt werden, weil ein direkter Körperkontakt nicht erforderlich ist und somit die wichtige soziale Distanz gut sichergestellt werden kann.

Nicht weit vor den Toren Heidelbergs darf der SV Sandhausen wieder trainieren, der FC Sandhausen 300 Meter weiterhin nicht. Was sagen Sie dazu?

Wenn das so ist, dann wäre das ein typisches Beispiel für einen Zustand, der aus meiner Sicht so nicht lange haltbar ist. Wir sollten sehen, dass diese unterschiedliche Behandlung schnellstens aufgehoben wird und alle wieder die Möglichkeit erhalten, ihren Sport bestmöglich und sicher auszuüben.

Sportvereine haben Einnahmeverluste durch fehlende Spieleinnahmen, fehlende Pachteinnahmen wegen behördlich verschlossener Klubhäuser, und manchem Sportsponsor geht langsam die Luft aus. Welche Ratschläge können Sie den Funktionären an der Basis zur Rettung ihrer Vereine geben?

Das Wichtigste ist nun ein sehr professionelles Krisenmanagement und damit die intensive Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Liquidität bestmöglich gesichert werden kann. Zahlreiche Hilfsprogramme sind aufgesetzt, und die Landessportbünde und Fachverbände sind aus unserer Wahrnehmung sehr aktiv dabei, die Vereine bestmöglich bei der Bewältigung dieser Krise zu unterstützen. Seitens des DOSB arbeiten wir mit den 100 Mitgliedsorganisationen sehr intensiv und partnerschaftlich daran, die Probleme von Sportdeutschland professionell zu analysieren und uns auf der politischen Ebene für die 90 000 Vereine und die Verbände einzusetzen.

Die Fachverbände lassen den Spielbetrieb ruhen, müssen Länderspiele und internationale Turniere absagen. Niemand weiß, wann internationaler Sport wieder stattfinden darf. Haben Sie Kenntnisse aus den internationalen Verbänden?

Die Frage kann derzeit weltweit niemand zuverlässig beantworten. Letztlich kann es dazu nur eine logische Entwicklung geben: Erst muss die Pandemie weltweit beherrscht werden, dann können wieder Medaillen im Vordergrund stehen.

Wie kann den Fachverbänden geholfen werden?

Die Politik agiert über alle Ebenen sehr partnerschaftlich und auch pragmatisch in der Umsetzung. Schnelle Hilfsprogramme auf der einen Seite und sehr flexible Anpassungen in der täglichen Umsetzung helfen bereits jetzt ganz erheblich, die unerwarteten Probleme durch die Krise zu meistern. Die Szenarien in den verschiedenen Mitgliedsorganisationen sind völlig unterschiedlich, und wir werden zeitnah versuchen, ein deutschlandweites Bild zu den Auswirkungen der Krise zu ermitteln. Daneben haben wir für unsere Mitgliedsorganisationen einen eigenen Unterstützungsfonds über eine Million Euro aufgelegt, um schnelle Überbrückungen von Liquiditätsengpässen zu ermöglichen. Wir wollen alles daransetzen, die so wertvolle Vielfalt des deutschen Sports zu erhalten, um die uns die ganze Welt beneidet.

Olympia und die Paralympics 2020 finden 2021 statt. Ist das gut oder schlecht?

In der aktuellen Situation halten wir es für eine richtige und wichtige Entscheidung. Damit haben vor allem die Athletinnen und Athleten wertvolle Klarheit und sind in der weitgehend trainingsfreien Zeit vom Druck der möglicherweise nahenden Spiele in wenigen Monaten befreit.

Welche wirtschaftlichen Konsequenzen muss das IOC befürchten?

Das wird aktuell ermittelt und ist noch nicht konkret zu beziffern, weil das Ganze elementar mit den Details und den finanziellen Auswirkungen der Verschiebung der Spiele in Tokio zusammenhängt.

Wie wirkt sich die Verlegung finanziell auf den DOSB aus?

Auch das wird sich erst in den kommenden Monaten im Detail zeigen, aber wir sind zuversichtlich, das gut meistern zu können. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr solide gewirtschaftet und uns wertvolle Rücklagen für den Krisenfall aufgebaut. Genau diese kaufmännisch solide Vorgehensweise bewährt sich nun erkennbar.

Welche Folgen aus der Coronavirus-Krise ergeben sich für den DOSB?

Die Folgen sind heute allein deshalb noch nicht absehbar, weil das sehr stark von der weiteren Entwicklung des Krisenszenarios in unserem Land abhängt. Wann wird es wieder möglich sein, „normalen Vereinssport“ in unseren Vereinen zu genießen? Wann werden wieder sportliche Wettkämpfe – regional, national und international – umsetzbar sein? Werden geplante Großsportveranstaltungen bald wieder weitgehend normal ablaufen können oder in diesem Jahr nicht mehr? Fragen über Fragen also, deren Beantwortung am Ende ganz entscheidende Auswirkungen darüber haben wird, wie stark sich Sportdeutschland kurz-, mittel- und langfristig verändern wird. Aktuell fahren wir im DOSB – wie die Politik auch – auf Sicht und sind im aktiven Krisenmanagement gebunden, aber parallel dazu arbeiten wir natürlich schon an den entscheidenden Fragen der Zukunft des Sports. Wir sind sicher: Der Sport wird auch und gerade nach dieser Krise ein unverzichtbarer Bestandteil unserer gesellschaftlichen Entwicklung bleiben. Die 90 000 Vereine sind und bleiben die sozialen Tankstellen unseres Landes!

Müssen Ihre Mitarbeiter kurzarbeiten? Drohen sogar betriebsbedingte Entlassungen?

Unsere Mitarbeiter arbeiten aktuell überwiegend im Homeoffice. Entlassungen sind aktuell nicht geplant, aber mit möglichen Kurzarbeitsszenarien für die Sommermonate setzt sich der Vorstand im Moment sehr aktiv auseinander.

Womit können Sie den 27 Millionen DOSB-Mitgliedern Mut machen?

Vor allem damit, dass sich gerade in diesen Zeiten zeigt, wie wichtig der Sport für uns alle ist und welch hohes Ansehen er in der Gesellschaft und in der Politik genießt. Es ist ein großartiges Signal, wie solidarisch, besonnen und wertebasiert Sportdeutschland bisher dieser Krise begegnet. Denn die einschneidenden Maßnahmen, gerade was das Sporttreiben betrifft, werden nahezu ausnahmslos vorbildlich umgesetzt. Mut macht auch, wie vielschichtig und kreativ die Angebote gerade der Vereine und der Verbände zur Bewältigung der Krise sind: Zum Beispiel die von vielen angebotene Einkaufshilfe oder regelmäßige Telefonate von Übungsleitenden mit ihren Trainingsgruppen. Vor allem aber zeigt sich Sportdeutschland äußerst kreativ durch viele pfiffige digitale Sportangebote im Netz. Die Gemeinschaft als besondere Stärke des Sports zeigt sich auf eindrucksvolle Weise – die Sportvereine bieten sozialen Kitt für unsere Gesellschaft. Das macht uns für die Zukunft zuversichtlich.

Das Interview von Claus-Peter Bach erschien am 14. April 2020 exklusiv in der Rhein-Neckar-Zeitung

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