Ihr Nahziel ist der Weltcup-Wettkampf im aserbaidschanischen Baku ab dem 9. März 2023. Ihr Jahresziel ist das belgische Antwerpen, wo vom 30. September bis zum 8. Oktober die Kunstturn-Weltmeisterschaft stattfinden wird. Danach geht es zu den Asien-Spielen, deren erfolgreichste Turner sich für die Olympischen Spiele 2024 in Paris qualifizieren werden.
Doch soweit denken Enkhtuvshin Damdindorj und Usukhbayar Erkhembayar (beide 20), die beiden besten Kunstturner der Mongolei, gegenwärtig noch nicht. Sie weilen seit dem 26. Februar und bis zum 7. März in Heidelberg, sind Gäste der Kunstturngemeinschaft (KTG) Heidelberg im Turnzentrum in Kirchheim und erholen sich von den Strapazen und kleineren Verletzungen, die sie beim Weltcup in Cottbus erlitten haben.
Der querschnittgelähmte ehemalige Weltklasse-Turner Ronny Ziesmer (43) aus Cottbus konnte als Zuschauer bei den Wettkämpfen in seiner Heimatstadt mit dem Thema „Turnen in der Mongolei“ überhaupt nichts anfangen, bescheinigte den beiden Athleten aber beste Perspektiven. Unter den rund 50 Athleten aus aller Welt belegte der größere, aber einige Monate jüngere Enkhtuvshin Damdindorj am Boden Platz 14 mit 13,566 Punkten und am Pauschenpferd Rang 21 mit 13,700 Punkten, ehe er beim Einturnen an den Ringen nach einem Doppelsalto-Abgang mit zweieinhalb Schrauben eine Knieverletzung erlitt und danach auf den Sprung verzichten musste. Am Barren gab es für den gehandicapten Turner 11,666 Punkte und Rang 36 und am Reck 12,333 Punkte und Platz 21. Mit Lucas Kochan aus (22, SC Cottbus) und Pascal Brendel (19, KTV Wetzlar) lagen am Königsgerät auf den Rängen neun und elf nur zwei deutsche Turner vor dem Mongolen.
Usukhbayar Erkhembayar lag im Schnitt 0,4 bis 0,6 Wertpunkte hinter seinem Landsmann und erzielte seine besten Noten mit 13,366 Punkten am Sprung und mit 12,366 Punkten am Barren, was jeweils zu Platz 30 in der Weltelite reichte. Ihre 56-jährige Trainerin Oyuntuya Davaasuren, die an den Olympischen Spielen 1980 in Moskau teilgenommen hatte, ist eine gütige und freundliche Frau, mit der – da sie weder der deutschen noch einer anderen europäischen Sprache mächtig ist und der Autor Mongolisch oder Russisch nicht so gut beherrscht – eine Kommunikation mit Händen und Gesten problemlos möglich war. „Ja, die beiden Jungs sind gut und fleißig. Sie entwickeln sich prima.“ Der Aufenthalt in Heidelberg sei wunderbar, KTG-Präsidiumsmitglied Klaus Kreutz ein lieber und unheimlich aufmerksamer Gastgeber, und: „Ja, das gemeinsame Training mit den KTG-Athleten macht richtig Spaß und bringt meine Turner weiter.“ Außerdem: Heidelberg sei wunderschön.
Das Kunstturnen hat in der Mongolei, der zwischen Russland im Norden und der Volksrepublik China im Süden eingezwängten Demokratie in Ostasien, keine große Tradition. Die rund drei Millionen Einwohner eines Staates, der viereinhalbmal so groß wie Deutschland und damit das am dünnsten besiedelte Land der Welt ist, sind Experten im Bogenschießen, Pistolenschießen, in Wettrennen auf dem Rücken von Pferden, im Tanzen und im Ringen - neuerdings auch im Sumo-Ringen; die besten Talente werden sogar in den Kampfkunst-Schulen Japans ausgebildet und verdienen dann unter den Sumo-Ringern Nippons ihren Lebensunterhalt. Seit 1956 ist das Nationale Olympische Komitee des Landes IOC-Mitglied.
Klaus Kreutz (63), ein Lehrer für Sport und Geografie aus der Studierendengruppe von Professor Dr. Hermann Rieder, hatte von 2001 bis 2004 als Mitarbeiter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Mongolei zu tun und ist in der KTG für die Integration der aus dem Ausland gekommenen Athleten zuständig. Er betreut auch den für die KTG in der 2. Bundesliga brillierenden japanischen Spitzenturner Tomoya Kashiwagi und den Iraner Amir Gholazagedan Balakhiaban. Beide wollen in Heidelberg heimisch werden, nehmen fleißig Sprachunterricht und können sich schon prächtig verständigen.
Wer gesehen hat, mit welcher Hingabe Kashiwagi die acht- bis zehnjährigen KTG-Kinder trainiert, der weiß, dass dieses Integrationsprojekt vollauf gelingt.
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