Handre Pollard entschied den Kampf der Rugby-Titanen beim 12:11-Sieg über Neuseeland mit vier Straftritten
Das eiskalte Kalkül des südafrikanischen Teammanagers Rassie Erasmus (50) ist voll aufgegangen. Nachdem sich der für die Kubota Spears in Tokio hakelnde Malcolm Marx zu WM-Beginn am Bein verletzt hatte, nominierten Erasmus und Cheftrainer Jacques Nienaber (51) keinen Stürmer nach, sondern holten den 29-jährigen Verbindungshalb Handre Pollard von den englischen Leicester Tigers ins WM-Team nach Frankreich, der die Springboks 2019 in Japan zum Weltmeistertitel gekickt und danach bis 2022 in Heidelbergs Partnerstadt Montpellier einen Ball nach dem anderen zwischen die Malstangen gekickt hatte. Erasmus und Nienaber beherzigten die Feststellung des Heidelberger Steuerberaters und Rugby- Samstagabend Historikers Rudolf S. Eberle, der immer wieder gesagt hatte: „Rugbyspieler gewinnen einzelne Spiele, Kicker aber entscheiden Meisterschaften.“
Am Samstag vor 80 000 Zuschauern im Stade de France in St. Denis, unter ihnen die Tennis-Asse Roger Federer und Novak Djokovic, gewann Südafrika das Endspiel der X. Rugby-Weltmeisterschaft gegen Neuseeland mit 12:11 (12:6) Punkten und eroberte den goldenen Webb-Ellis-Cup nach 1995, 2007 und 2019 zum vierten Mal. Die Springboks sind damit alleiniger Rekord-Weltmeister vor Neuseeland (3 Titelgewinne), Australien (2) und England (1). Alle zwölf Punkte des alten und neuen Weltmeisters erzielte Handre Pollard durch vier Straftritte in der 3., 13., 19. und 34. Spielminute.
Eine konkrete Versuchschance hatte Südafrika über die gesamten 80 Minuten des super-spannenden, weitgehend fairen und von dem Engländer Wayne Barnes (44) korrekt geleiteten Endspiels nicht, aber die Springboks begingen kaum gröbere Fehler und verteidigten ihren permanenten Vorsprung mit eiserner Disziplin. Kapitän Siya Kolisi, der sein Team zum zweiten WM-Titel nach 2019 in Tokio geführt und am späten Samstag den Pokal von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron überreicht bekam, und Flügelflitzer Cheslin Kolbe übertrieben zwar den körperlichen Einsatz und wurden in der 46. und 74. Minute mit zehnminütigen Abkühlungspausen bestraft, doch brachten ihre Teamkameraden den Ein-Punkte-Triumph über die Zeit. Kolbe, bereits 2019 Weltmeister, durfte den Cup an seinem 30. Geburtstag in den Pariser Nachthimmel recken.
Neuseeland lag stets zurück, war in der zweiten Spielhälfte die bessere Mannschaft und erzielte durch Schlussmann Beauden Barrett in der 58. Minute auch den einzigen Versuch dieses Endspiels zum 12:11, nachdem Kicker Richie Mounga in den 17. und 38. Minute mit zwei Strafkicks getroffen hatte. Doch zum einen mussten die All Blacks ab der 29. Minute ohne ihren Flankenstümer und Kapitän Sam Cane auskommen, und zum anderen verfehlten Moungas Erhöhungskick und Jordie Barretts weiter Straftritt, die den nicht unverdienten Sieg der Neuseeländer hätten bringen können, knapp das Goal.
Dass Sam Cane nach einem unbeabsichtigten Schulterstoß gegen den Kopf eines Südafrikaners vom Referee mit einer gelben Karte bestraft wurde, geht vollkommen in Ordnung. Dass eine anonyme Disziplinarkommission die Zeitstrafe binnen acht Minuten in einen dauerhaften Platzverweis umwandelte, obwohl der Springbock quietschfidel weiterspielen konnte, zählt zu den Merkwürdigkeiten dieser WM.
Die Bronzemedaille gewann am Freitagabend England durch ein 26:23 (16:10) gegen Argentinien, und auch in diesem Match sorgte ein Kicker für die Entscheidung. Beide Teams legten zwei Versuche – England durch Ben Earl und Theo Dan, die Pumas durch Tomas Cubelli und Santiago Carreras – und trafen durch Owen Farrell und Emiliano Boffelli auch mit beiden Erhöhungen, doch hatte Englands Kapitän mit vier Straftritten und zwölf Punkten Erfolg, während die Argentinier Boffelli (6 Punkte) und der nach seinem letzten Rugbyspiel bittere Tränen vergießende Nicolas Sanchez (3) eine mögliche Verlängerung verpassten.
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