Montag, 17. Dezember 2018

Über die Heidelberger Masters-Schwimmer


Die Freude am Wettkampf bleibt

Waren Sie schon einmal bei einem Schwimmfest, bei dem Athleten mit Bärenfellmützen zum Startblock schreiten? Christine Comtesse hat das erlebt, weshalb es nicht verwundert, dass die Athletin des SV Nikar Heidelberg – und mit ihr vier rüstige junge Männer und eine junge Frau – so gut wie keine Gelegenheit auslassen, zu internationalen Schwimmfesten zu reisen, um das zu erleben, dass den Sport abseits von Profitum und Kommerz so reizvoll macht: Spaß am Wettkampf und an der Begegnung mit Sportlern aus aller Welt.

Christine Comtesse, weniger berühmt als Ursel Wirth-Brunner, aber vom Schwimmen genauso begeistert wie Deutschlands „Sportlerin des Jahres 1963“ und Olympia-Medaillengewinnerin 1960 in Rom, hatte mit ihrem Hobby Schwimmen auch begonnen, als man noch bedenkenlos in den Neckar hüpfen und sich als Wasserratte von den Schleppkähnen flussaufwärts transportieren lassen konnte. „1950 bin ich in den SV Nikar eingetreten, und 2017 habe ich bei der Weltmeisterschaft in Sofia fünf Goldmedaillen gewonnen“, erzählt Christine Comtesse, nippt am Wasserglas und fügt mit einem entschuldigenden Schulterzucken hinzu: „2018 bei der Europameisterschaft in Slowenien waren es nur drei Bronzemedaillen.“ Dabei ist es der früheren Pflegepädagogin der Universität Heidelberg, die unzählige gesunde Krankenschwestern ausgebildet hat, eigentlich nicht so wichtig, ob sie bei einem Schwimmfest Medaillen aus dem Becken fischen kann.

„Hauptsache, ich habe Spaß gehabt und viele Eindrücke sammeln können“, betont Christine Comtesse, denn wer eine Reise tut und sich in der Altersklasse 75 der Masters-Schwimmer mit zehn hartnäckigen Konkurrentinnen aus Australien, Japan, Kanada und den USA gemessen hat, möchte seinen beiden Kindern und zwei Enkelkindern auch etwas erzählen: Die russischen Schwimmer mit den Bärenfellmützen hatten großen Eindruck gemacht, und berichtenswert ist es auch, dass Masters-Schwimmer, die als Letzte anschlagen, vom Publikum immer besonders herzlich beklatscht werden.

Die vier jungen Männer, die Christine Comtesse bei ihren Ausflügen begleiten, sind Lars Kalenka (45), Adrian Görler (50), Stephan Klevenz (50) und Marc Vaupel, der in der Altersklasse 55 antritt. Lars Kalenka, 1991 für die TG Heddesheim Deutschlands bester Rückenschwimmer und 2013 für den SV Nikar „Seniorensportler des Jahres“ in Heidelberg, ist in jungen Jahren so gerne international gestartet, dass er das einfach immer weiter macht und 2017 in Budapest mit dem Weltmeistertitel über 400 m Freistil und Silber in seiner Spezialdisziplin 200 m Rücken belohnt wurde. Bei der EM 2018 im slowenischen Kranj gab’s für den Personalberater Gold über 50, 100 und 200 m Rücken sowie über 400 m Freistil, obwohl er seinen Sport „nur noch zum Spaß und längst nicht mehr so zwanghaft wie früher“ ausübt. Dass er bei den Masters-Titelkämpfen immer wieder großen Schwimmern früherer Zeiten wie dem vierfachen Olympiasieger Wladimir Salnikow aus Leningrad begegnet, ist ihm eine große Freude und Leistungsanreiz. Man will schon beweisen: Was der kann, kann ich auch. Und im menschlichen Miteinander der Masters-Schwimmer gilt der Grundsatz: Vor dem Wettkampf sind wir Freunde, im Rennen wird gefightet, bis man blau anläuft, und nach dem Rennen wird geflachst, erzählt und das eine oder andere anregende Getränk verkostet.

Adrian Görler und Stephan Klevenz, als Software-Entwickler Kollegen in Walldorf, blicken ebenfalls auf schöne Erlebnisse zurück. Görler startete in Kranj über 100 m Freistil und belegte den für ihn höchst befriedigenden zehnten Platz, während Klevenz bei der deutschen Freiwasser-Meisterschaft 2017 in Hamburg den fünften Rang eroberte. Im gleichen Jahr schwamm er von Asien nach Europa, denn er nahm mit 2400 Schwimmern am Rennen durch den Bosporus teil und wurde nach 6,5 Kilometern 23. im Gesamtklassement und Sieger seiner Altersklasse 50. „Das Bosporus-Rennen ist das größte Schwimmereignis der Welt, und wie bei vielen Schwimmfesten gab es neben der Medaille ein nützliches Präsent für die Besten: ein Handtuch“, freut sich Stephan Klevenz und trainiert bereits für den nächsten Sommer.

Kaufmann Marc Vaupel ist als Schwimmer viel beschäftigt, denn er genießt ein Zweitstartrecht für den SCW Eschborn. Bei den deutschen Mannschaftsmeisterschaften im November in Gelsenkirchen glänzte er mit zwei deutschen Schmetterlingsrekorden, bei der Rheinland-Pfalz-Meisterschaft in Gaualgesheim schwamm er im Januar drei deutsche und zwei europäische Rekorde.

Das Nesthäkchen unter den Nikar-Masters ist Julia Dammann, die in der Altersklasse 25 bis 29 ähnlich erfolgreich ist wie Christine Comtesse – Weltmeisterin 2017 und Europameisterin 2018 über 200 m Brust. Die Rostockerin kam als junges Mädchen an den Olympiastützpunkt Rhein-Neckar, besuchte das Willy-Hellpach-Wirtschaftsgymnasium, entwickelte sich bei Trainerin Uta Brandl zur Topathletin im Brustschwimmen und arbeitet nun als Erzieherin. Die Freude am Schwimmen und am Wettkampf hat sie nie verloren. Wie ihren Masters-Freunden hat ihr eine Sportpause diese Freude nicht genommen.

RNZ vom 15./16. Dezember 2018


Montag, 26. November 2018

Über das Abschneiden der Rugby-Nationalmannschaft bei der WM-Qualifikation in Marseille

„Schwarze Adler“ haben sich Respekt verschafft

Die deutsche Rugby-Nationalmannschaft wurde mit viel Beifall ihrer Schlachtenbummler und angemessenem Lob der Fachleute aus der zweiwöchigen WM-Qualifikation in Marseille entlassen. Das Team von Kapitän Michael Poppmeier (SC Frankfurt 1880) hat zwar wegen der 10:29-Niederlage gegen Turniersieger Kanada das drittgrößte Sportereignis nach der Fußball-WM und Olympia verpasst, sich aber mit allen drei Turnierspielen und vor allem mit dem abschließenden 43:6-Erfolg gegen Kenia Respekt verschafft.

Im Rugby zählt jeder Sieg und wirkt sich direkt auf die Weltrangliste aus. Die Deutschen sind auf Platz 29 ins Turnier gestartet und werden am heutigen Montag erfahren, was der Lohn ihrer Mühen ist. World Rugby wird die neueste Rangliste veröffentlichen. Im Rugby ist es bei einer Tournee im Ausland aber auch von Bedeutung, die Serie zu gewinnen, was den Spielern von Bundestrainer Mike Ford (England) mit 2:1 gelungen ist.

Bill Beaumont (66) hätte seine Serie auch gerne gewonnen. Der englische Zweite-Reihe-Hüne, der sein Nationalteam 1980 zum Grand Slam im Fünf-Nationen-Turnier geführt hatte, war im gleichen Jahr Kapitän der British & Irish Lions, die bei ihrer Südafrika-Tournee mit 0:3 scheiterten und von den „Springboks“ drei Mal bezwungen wurden. Heute ist Bill Beaumont Präsident von World Rugby und sagte in Marseille: „Die deutsche Mannschaft hat mich beeindruckt und keinesfalls enttäuscht. Das Team ist auf einem guten Weg und hat mit Mike Ford, den ich sehr gut kenne, einen exzellenten Trainer. Ich hoffe, dass sie ihren Weg weiter gehen können und dass es dem Verband gelingen wird, Rugby gut zu entwickeln.“ Und Gilbert Celli (San Marino), seit zwei Jahren Generalsekretär von Rugby Europe, sagte: „Gegen Kenia hat mich das deutsche Team begeistert. Leider waren die Kanadier noch einen Tick besser. Sie haben es verdient, bei der WM 2019 in Japan zu spielen.“

Darüber gab es in Marseille keine zwei Meinungen. Das deutsche Team, nach der Nachnominierung von Steffen Liebig (Heidelberger Ruderklub) für den verletzten Jamie Murphy (Bridgend Ravens) 31 Spieler und 16 Mitglieder des Funktionsstabes, hatte in jedem ihrer drei Turnierspiele sehr starke, aber auch einige unglückliche Spielphasen. Beim 26:9 gegen Hongkong war die erste Halbzeit (6:6) von überhastetem Spiel geprägt, ehe Ruhe einkehrte und der Knoten platzte. Bei der Verteidigungsschlacht gegen Kanada waren die ersten Minuten der zweiten Halbzeit fehlerhaft und spielentscheidend, als aus dem 7:10 ein 7:17 wurde. Und gegen Kenia wurden in der ersten Halbzeit (zu) viele Chancen vergeben, ehe die Afrikaner unter den Augen ihres kontinentalen Präsident Abdelaziz Bougja (Marokko) dem deutschen Powerplay nicht mehr gewachsen waren und klassisch ausgespielt wurden. Als Fazit bleibt: Wenn die „Schwarzen Adler“ viel verteidigen müssen und kontern können, sind sie gut. Wenn sie das Spiel machen müssen und der Gegner nur wenige Chancen zulässt, haben sie Steigerungspotenzial.

In Marseille war Flankenstürmer Sebastian Ferreira, in Chambéry unter Vertrag, der beste Spieler aller vier Teams und hat sich das Prädikat „Weltklasse“ verdient. Bester Punktesammler war Verbinder Raynor Parkinson vom SC Frankfurt 1880 mit 26 der insgesamt 79 deutschen Punkte aus vier Straftritten und sieben Erhöhungen. Ferreira erzielte mit drei Versuchen 15 Punkte, Hakler Kurt Haupt zehn Punkte, Matthias Schösser, Dash Barber, Jacobus Otto, Steffen Liebig und Harris Aounallah jeweils fünf und Christopher Hilsenbeck drei Punkte.

Ob Mike Ford die Fünfzehn weiter betreuen darf, wird sich am 8. Dezember entscheiden, wenn DRV-Präsident Robin Stalker (Nürnberg) den Führungsgremien seinen Geschäftsplan, den Personalplan und das Budget vorlegen wird. Kapitän Poppmeier (36) sagte zu seiner Zukunft: „Ich bin dabei, wenn Ford weitermacht.“ Das gilt auch für andere.


RNZ am 26. November 2018

Über die WM-Qualifikation im Rugby in Marseille


Bei Bouillabaisse und Andouillette

Frankreich ist blockiert. Aus Protest über die Benzinpreis-Erhöhung und die Kürzung von Sozialleistungen haben fast 300 000 Bürgerinnen und Bürger in gelben Signalwesten rund 2080 Verkehrsknotenpunkte im ganzen Land besetzt. Die Aktionen zeigen Wirkung, zumal die Sonntagsfrage eines Nachrichtensenders ergeben hat, dass nur 25 Prozent der Franzosen ihren Staatspräsidenten Emmanuel Macron noch mögen. „Hauptsache, das Essen schmeckt!“, flötet mein Papagei angesichts der gut frequentierten Restaurants im Alten Hafen von Marseille und fügt ein bisschen altklug hinzu: „Zum Demonstrieren braucht man Kraft.“

Zum Rugbyspielen auch, weshalb es kein Wunder ist, dass während der WM-Qualifikation in Europas größter Hafenstadt immer wieder Gruppen von Nationalspielern den Quai des Belges oder den Quai du Port entlangschlendern. Den Anfang machten die Spieler aus Hongkong, die vom Weltverband in Marseille einquartiert wurden, weil sie vor dem Turnier in der Weltrangliste am besten platziert waren. Hongkong hat mit Yiu Kam Shing nur einen einzigen Spieler mit chinesischen Wurzeln im 30-er Team, alle anderen Akteure kommen aus Australien, Großbritannien, Neuseeland oder Südafrika. „Einer heißt Max Denmark“, weiß man Papagei, „das verrät doch alles!“ Die Spieler Hongkongs sind fröhlich und bevölkern gerne die Filialen des Fußballklubs Olympique, dessen weiß-blaue Trainingsanzüge tatsächlich todschick sind.

Am Sonntagabend marschierten die etwas außerhalb wohnenden Hünen aus Kanada an den gut 2 000 großen und kleinen Yachten vorbei, angeführt von Jamie Cudmore (40), dem berühmtesten kanadischen Rugbystürmer, der mit seinen 118 Kilogramm auf 1,96 Meter bei seinen europäischen Klubs in Llandovery, Llanelli und Grenoble einen tiefen Eindruck hinterlassen hatte und 2010 mit dem AS Clermont-Auvergne als erster Kanadier französischer Meister geworden war. Cudmore führte seine am Vorabend gegen Deutschland siegreichen jungen Landsleute – in einen Irish Pub...

Dabei hat der starke Mann gewiss gewusst, dass in Marseille Besonderes geschieht. Hier geht die Küche des Mittelmeers mit den leckeren Gemüsen, der würzigen Bouillabaisse, den zarten Goldbrassen und den frischen Krustentieren mit den Spezialitäten aus der Provence, den Schinkenbraten, den Kalbsnieren oder den Andouilletten, dicken Würstchen aus Darm und Magen von Schweinen, eine glückliche Ehe ein. Nicht von ungefähr sind die Griechen um 600 vor Christus hier angelandet, und dass zum Anwärmen des Magens der Pastis de Marseille erfunden wurde, ist auch kein Zufall.

Misserfolg wird im Rugby bestraft. Weil die meisten deutschen Asse die fünf Spiele der Europameisterschaft 2018 bestreikt hatten, war das Team auf Ranglistenplatz 29 abgesunken und erhielt wie Kenia ein Quartier im Novotel von Aix-en-Provence, gute anderthalb Stunden vom Alten Hafen entfernt. „Wir haben es dort gut“, versicherte Teamchef Kobus Potgieter, zumal es ihm gelungen sei, den Küchenchef etwas umzuschulen: „Weniger Pommes frites und nicht so viel Weißbrot, mehr Sportlernahrung.“ Die Spieler, obwohl alle schon über 18, trinken nur Wasser, Orangina oder Apfelsaftschorle, die Trainer dürfen ihre Zungen durchaus auch mal im Merlot oder dem zu Meeresfrüchten besonders gut passenden Picpoul de Pinet baden.

Am Dienstag freilich, als mein Papagei über dem Hafen kreiste und seinen Freundinnen, den Möwen mit den gelben Schnäbeln, zusah, wie sie sich auf den Beifang der Fischer stürzten, spazierten auch die deutschen Nationalspieler durch Marseille. Nach dem kräftezehrenden Spiel gegen Kanada und zwei Analyse- und Pflegetagen hatten sie ihren freien Tag und genossen in der Drei-Millionen-Stadt das sonnige Wetter. Im Hafen gab’s Erfrischungen und ein leckeres Mittagessen, aber keinen „Beifang“, schließlich ist der deutsche Nationalspieler ein durch und durch anständiger Mensch und wird, sofern zur Unterstützung auch im dritten Spiel ans Mittelmeer gereist, von seiner Ehefrau oder Lebensabschnittsgefährtin begleitet.

Gestern Abend aber, nach dem abschließenden Match gegen Kenia, war es endlich soweit: Michael Poppmeier und seine Kameraden durften ein Glas Bier oder einen Wein genießen. Wenn es nach Kobus Potgieter ging, „sogar zwei oder drei...“

RNZ, Aufgespielt am 24. November 2018


Samstag, 20. Oktober 2018

Über das VIII. Ballspielsymposium in Karlsruhe


Gewaltige Herausforderung für die Spielsportarten

Weil man die Zukunft gemeinsam besser meistern kann und die Sorgen ähnlich sind, haben sich die baden-württembergischen Verbände im Basketball, Fußball, Handball und Volleyball 2002 zum Verein Ballspielsymposium Karlsruhe zusammengeschlossen; später kam der Rugby-Verband dazu. Am 28. und 29. September 2018 trafen sich rund 250 Ballspielende aus elf Fachverbänden im Karlsruher Institut für Technologie (KIT), um beim VIII. Ballspielsymposium bei Hauptvorträgen, in einer Podiumsdiskussion und in 22 sportpraktischen und theoretischen Workshops zu untersuchen, ob die kühne These „Ballsport hat Zukunft!“ wirklich stimmt.

Nach zwei Tagen, von den Volleyballern Harald W. Schoch und Daniel Kraft federführend organisiert und von allen elf Verbänden partnerschaftlich unterstützt, fasste Heinz Janalik, der Ehrenpräsident des Badischen Sportbundes, die Ergebnisse der Tagung zusammen: „Die Zukunft des Ballsports und seiner Vereine ist gesichert, wenn die Toleranz des Establishments für Neues und für Veränderungen gegeben ist.“ Die Ballsportler seien – wie der von Professor Christoph Breuer von der Deutschen Sporthochschule Köln interpretierte Sportentwicklungsbericht für Deutschland beweist – auf die Herausforderungen besser eingestellt als die Individualisten, aber nicht frei von Sorgen. Janalik hielt als wesentlichen Punkt der seit 2002 in die deutsche Sportentwicklungspolitik einfließenden „Karlsruher Thesen“ fest: „Nur Vereine, die die Not jetzt erkennen, und bereit sind, sich zu wenden, wenn sie also den Notwendigkeiten gerecht werden, werden überleben.“

Die Herausforderungen: Durch die geburtenschwachen Jahrgänge gibt es weniger Kinder, um die die Vereine in über 50 baden-württembergischen Fachverbänden buhlen. Die Chance: Wer sich um den Nachwuchs bemüht und ihn pädagogisch und didaktisch wertvoll fördert, muss sich keine Sorgen machen.

Es sind immer weniger junge Menschen bereit, ehrenamtlich als Übungsleiter und Trainer zu wirken. Der staatliche Zuschuss von 2,50 Euro pro Stunde (maximal 500 Euro im Jahr) lockt kaum. Die Chance: Wer darin geschickt ist, junge Menschen zu motivieren und sie vom Wert ihrer Aufgabe zu überzeugen, wird das Problem lösen. Wer eine adäquate Belohnung anbieten kann, ist besser dran.

Die Aufgabe der Vereinsführung wird immer komplexer, von Bürokratieabbau kann leider keine Rede sein. Etliche Vorstandsposten sind in den Vereinen unbesetzt. Die Chance: Wem es gelingt, jüngere Menschen, insbesondere Frauen – die viel mehr können als sie selbst glauben! – und fitte Senioren anzusprechen und durch die klugen und vielfältigen Programme der Sportbünde zu qualifizieren, ist nicht allein im Vorstand und muss unter der Last der Verantwortung auch nicht ächzen.

Die Finanzierung der Vereinsarbeit ist nicht einfach. Oft decken die Beiträge der Mitglieder die Kosten der Sportausübung nicht. Die Chance: Wer ein vernünftiges Vereinskonzept vorweisen und beweisen kann, dass er nicht ins Blaue hinein plant und trainiert, wer Ziele formuliert und die Wege zum Erfolg beschreibt, ist bei der Suche nach Sponsoren und Zuschüssen sicher erfolgreich.

Die Ganztagesschule, die Unterricht bis 17 Uhr bietet und danach Hausaufgaben fordert, zieht Kinder und Jugendliche aus den Vereinen. Die Bereitschaft der Schulen, Übungsleiter der Vereine zur Unterstützung des drögen Sportunterrichts in die Schulen zu locken und adäquat zu entlohnen, ist flächendeckend nicht gegeben. Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Chance: Das Ministerium ist offen für Verbesserungsvorschläge. 

Die Bundesregierung fördert Individualsportarten viel besser als den Teamsport, weil man dadurch mehr olympische Medaillen erreichen kann. Das besorgt vor allem die Spitzenverbände, wirkt sich aber auch auf die Nachwuchsarbeit im Lande aus. Die Chance: Keine, eine Lösung ist weithin nicht in Sicht.
     
 Heinz Janalik empfiehlt Netzwerkpflege: Der Verein allein ist schwach. Gemeinsam mit der Kommune, dem Verband, der Schule, der Wissenschaft und Sponsoren kann er bärenstark sein.


Über eSport in der Sportwelt von heute


Sie wollen doch nur spielen
Der Kampf tobt wild. Immerhin: Für den 1. Dezember 2018 wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Wie lange er halten wird, ob ein Friedensschluss möglich ist, steht in den Sternen.
Sie erinnern sich, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein? Nach Wochen der Verhandlungen, der Annäherungen und Entfernungen, war „Jamaika“ im Bund mausetot. Nächtelang debattiert wurde über ein Politikziel der FDP, die deutschen Lande flächendeckend und gerecht zu digitalisieren, so dass nicht nur der Bürger in der Hauptstadt und die Bürgerlein in den 16 Landeshauptstädten rund um die Uhr eSport betreiben können, sondern wir alle – also auch Sportler in Heidelberg, in Sandhausen oder auf dem Waldhof. An diesem Diskussionspunkt – das wissen wir nun sicher – ist „Jamaika“ nicht gescheitert, denn ein paar Wochen später haben die Großkoalitionäre in seltener Einmütigkeit in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, dass die Digitalisierung eines der wichtigsten Regierungsziele und eSport dem Sport, so wie ihn Turnvater Jahn verstand und Sportvater Hörmann gegenwärtig versteht, gleichzustellen sei.
Wir wissen nicht, ob die Frau Bundeskanzlerin, die eigentlich dafür berühmt ist, Probleme und deren Lösungen vom Ende, also vom Ergebnis, her zu durchdenken, in den Minuten, in denen über das Thema eSport gesprochen wurde, weggedämmert oder einfach nur mal schnell die Nase pudern war, denn sie, wenigstens sie!, hätte ahnen müssen, dass dieser eine kleine Satz im Koalitionsvertrag Unruhe in der ganzen Republik auslösen würde. Und Unruhe ist etwas, das die Frau Bundeskanzlerin noch weniger mag als Horst Seehofer und Andreas Scheuer. Letzteren aber hat sie zum Bundesminister für Digitalisierung ernannt.
Die Kernfrage lautet: Ist eSport Sport? Und: Muss dieses aus Amerika ins Land geschwappte neumodische Zeug von der Regierung – letztendlich von der Steuerzahlerin, dem Steuerzahler und dem Steuerzahlerlein – so gefördert werden wie der edle Fechtsport, das Turnen, Schwimmen und die Leichtathletik, die sich gerne „Kernsportarten“ nennen, um ganz tief in den Steuertopf greifen zu dürfen, wie die populäreren Ballspiele Basketball, Fußball, Handball und Volleyball oder die ähnlich schweißtreibenden Spiele Eishockey, Hockey und Beachball?
Die Regierung, oft mutig mit Postulaten und feige bei deren Umsetzung, weicht inzwischen aus. Auf eine Kleine Anfrage mehrerer FDP-Abgeordneter des Deutschen Bundestages (die Drucksachen 19/3768 und 19/4060 liegen der RNZ vor), die im August 2018 einfach mal wissen wollten, wie weit die Anerkennung des eSports als Sport in dieser Legislaturperiode gediehen ist, ist zwar ein gewisser guter Wille zu erkennen und das Begehren des eSport-Bundes Deutschland (ESBD) auf Gleichstellung mit dem Deutschen Turnerbund, dem Deutschen Basketball-Bund oder dem Deutschen Leichtathletik-Verband nicht rundweg abgelehnt worden, aber Entscheidungen wurden noch nicht getroffen.
Ist eSport Sport?
Das erzürnt den ESBD-Präsidenten Hans Jagnow, der sagt: „Die Antworten der Bundesregierung sind in der Gesamtbetrachtung aufschlussreich, aber von Indifferenz geprägt.“ Ob der Mann Diplomat ist?
Die Regierung, insbesondere der für den Sport zuständige Innenminister, haben den FDP-Fragestellern nämlich geantwortet, für die Anerkennung eines Sports – zum Beispiel in Fragen der Spitzensportförderung, der Gemeinnützigkeit und der steuerlichen Behandlung von Vereinen und Profisportlern – sei nicht die Regierung, sondern einzig und allein der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) zuständig, der für die Beleuchtung tausender Aspekte eine Kommission eingesetzt hat, die am 1. Dezember auf den Düsseldorfer Rheinterrassen bei der DOSB-Mitgliederversammlung Handlungsempfehlungen aussprechen soll. Und danach – Prost Mahlzeit! – sollen die Sportler gefälligst selbst entscheiden, ob sie eSportler in ihrem Dachverband haben wollen.
Die gegenwärtigen Debatten darüber, ob man eSport als Sport im klassischen Sinne mit Trainingsstunden, Übungsleitern, Aufwärmen, Schwitzen, Reingrätschen, Hipp-hipp-hurra und Siegesgesängen im Duschraum betrachten solle, zielen am Thema vorbei.
Möglicherweise kommt man, wenn man sechs Stunden vor der Spielkonsole sitzt und dabei zehntausend Finger- und Handbewegungen macht, auch mal ins Schwitzen. Ganz sicher ist man nach derartiger Tortur müde und durstig. Manche eSportler werden das Bedürfnis nach einer heißen Dusche haben, bevor sie zum Siegesbier greifen. Zweifellos wird sich unter denen, die im eSport-Team des SV Sandhausen oder des SV Waldhof am weltweiten Wettbewerb teilnehmen oder – im Gegensatz zu ihren im Auf- und Abstiegskampf auf dem Rasen herumhechelnden Vereinskameraden – um einen Europacup kämpfen dürfen, Teamgeist, Zusammenhalt und Kameradschaft entwickeln, und ganz sicher werden die Schiedsrichter beim elektronisch betriebenen Sport weniger heftig beschimpft, sofern man sie überhaupt benötigt.
Diese Überlegungen, lieber eSportler und liebe Sportlerin, sind müßig. eSport existiert, ist – sofern man nicht die blödsinnigen und im wahrsten Wortsinn unsportlichen Shooter Games betreibt – genauso Sport wie das lange schon anerkannte Schach und hat allein deshalb seine Berechtigung, weil es einer zunehmenden Anzahl von Menschen auch hierzulande Spaß macht.
In Wirklichkeit geht es gegenwärtig ums Geld. Muss dieser unser Staat Menschen, die Wettkämpfe nicht auf Sportplätzen, in Stadien und in Hallen austragen, sondern zu Hause und in Klubhäusern, indem sie auf ihren vier Buchstaben sitzen und Daumen und Zeigefinger bewegen, Steuergelder gewähren, um sie bei ihrem Tun zu unterstützen? Muss er ausländischen eSport-Profis dauerhaften Aufenthalt gewähren? Muss er Vereinen gestatten, steuermindernde Spenden zu sammeln? Muss es Förderprogramme für besonders talentierte eSportler geben? Alle diese Fragen kann man so oder so beantworten.
Stets bedenken muss man allerdings, dass es ein Gleichbehandlungsgebot im Grundgesetz gibt. Die Artikel 3 und 19 gelten für alle Bürger. Mein Papagei, der über den Dingen flattert, erkennt in den eSportlern übrigens keine Gefahr. Die meisten seien nicht militant, liebenswert und ganz gemütlich. Er sagt: „Sie wollen doch nur spielen.“
RNZ vom 6./7. Oktober 2018


Mittwoch, 26. September 2018

Zur Entwicklung der deutschen Rugby-Nationalteams

„Auf einem guten Weg nach Olympia 2020“
Gespräch mit Michael Schnellbach, Vizepräsident des Deutschen Rugby-Verbandes
Die deutschen Rugby-Nationalmannschaften haben 2018 außergewöhnliche Erfolge gefeiert. Die Männer belegten in der Europameisterschaft im klassischen Fünfzehnerrugby den dritten Rang und haben die Siebenerrugby-EM nach dem vierten und letzten Turnier in Lodz mit dem zweiten Rang im Gesamtklassement abgeschlossen. Nur Irland war besser. Die Fünfzehnerrugby-Frauen haben bei der EM in Brüssel Bronze gewonnen. Da ist es zu verschmerzen, dass die Siebenerrugby-Frauen nach nur einem Jahr aus der EM-Division 1 abgestiegen sind.
Michael Schnellbach ist nach der Strukturreform des Deutschen Rugby-Verbandes (DRV) vom Juli 2018 als Leistungssport-Vizepräsident für alle Nationalteams zuständig. Der 54-jährige Geschäftsführer der Bundesgartenschau 2023 in Mannheim lebt in Edingen-Neckarhausen.
> Herr Schnellbach, zwei Mal Bronze und einmal Silber in der EM – ist Deutschland plötzlich eine Rugby-Topnation?
Wir sind auf einem guten Weg, den wir 2012 eingeschlagen haben und der uns zu den Olympischen Spielen 2020 in Japan führen soll. Die Ergebnisse 2018 sind die Früchte einer langfristig angelegten Aufbauarbeit, aber ein bisschen Glück gehört auch dazu.
> Das Siebenerrugby-Team ist das Aushängeschild Ihres Verbandes. Wie bewerten Sie diese Vize-Europameisterschaft?
Ich bin unheimlich glücklich darüber, weil es unserem Team mit Sportdirektor Manuel Wilhelm und den Trainern Vuyo Zangqa und Clemens von Grumbkow endlich gelungen ist, sich für gute Leistungen selbst zu belohnen. Wir haben bei drei der vier EM-Turniere das Endspiel bestritten und liegen im Gesamtklassement vier Punkte vor dem drittplatzierten Titelverteidiger Russland, sechs Punkte vor Vizeweltmeister und Olympiafinalist England, zwölf Punkte vor dem siebenfachen Europameister Portugal, 14 Punkte vor Frankreich, 30 Punkte vor Italien und 36 Punkte vor Ex-Weltmeister Wales und Olympia-Teilnehmer Spanien. Wir haben uns in einem Jahr um drei Ränge verbessert.
> Welches sind die nächsten Aufgaben Ihrer Himmelsstürmer?
Wir haben demnächst eine Sichtung mit 31 Spielern, von denen wir drei zu einer dreimonatigen Intensivausbildung an die Stellenbosch Academy nach Südafrika schicken. Das Team bestreitet Turniere im Oktober in Chester, im Dezember in Dubai, im Januar in Argentinien, Chile und Uruguay, im Februar in Durban, im März in Italien und im April in Hongkong, wo wir uns für die World Sevens Series qualifizieren möchten. Dann folgen vier EM-Turniere und die Olympia-Qualifikation.
> Der jahrelang beste deutsche Spieler Fabian Heimpel von der RG Heidelberg war in Lodz nicht mit dabei. Warum?
Die Trainer haben das so entschieden, um andere Spieler zu belohnen. Fabs ist weiter im Kader, aber die Konkurrenz ist größer und besser geworden. Als Beispiel möchte ich den 21-jährigen Tim Lichtenberg von der RGH nennen, der als neuer Kapitän sofort überzeugt und eine unglaublich gute Saison gespielt hat.

> Wie setzt sich Ihr Team zusammen?
Wir können inzwischen aus 45 guten Spielern auswählen und haben semiprofessionelle Strukturen. Elf Spieler sind Sportsoldaten, drei sind Landespolizisten in Niedersachsen. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe unterstützt die Spieler gut. Wir haben aber auch ganz fleißige Studenten wie Fabian Heimpel und Carlos Soteras-Merz, die mitten im EM-Stress ihren Master gemacht haben und nun arbeiten werden.
> Dank der Betrügereien der Belgier, Rumänen und Spanier ist das Fünfzehnerrugby-Team auf EM-Platz drei geklettert und darf im November in Marseille um die erstmalige WM-Teilnahme spielen. Wie sind die Chancen?
Unser großer Trainerstab unter der Leitung des neuen Bundestrainers Mike Ford arbeitet daran, den besten Kader zusammenzustellen. Hongkong und Kenia haben wir früher schon geschlagen, Kanada oder wir werden zur WM nach Japan reisen. Das spielen wir im direkten Kräftemessen aus. Ich bin gespannt.
> Mike Ford ist im Weltrugby ein großer Name, er war mit England Vizeweltmeister 2007. Wie kamen Sie an diesen Toptrainer heran?
Mit Unterstützung von World Rugby und Dr. Hans-Peter Wild. Mike hatte Interesse und Zeit.
RNZ vom 15. September 2018

Montag, 10. September 2018

Über die deutsche Frisbee-Meisterschaft Ü48

Wenn die Fairness so wichtig ist wie der Sieg

Zehn Minuten vor dem ersten Match griff Martin Walla zum Mikrofon und berichtete den ersten fünf von später 35 Zuschauern, dass der Besuch im Physiotherapeuten-Zelt sich gelohnt habe „und meine Waden jetzt super locker sind.“ Für einen 53-jährigen Sportler ist es ja nicht schlecht, wenn der ganze Körper gut funktioniert und auch noch die Waden locker sind.

Walla erhielt Beifall, und kaum hatte das Spiel zwischen Heidelberg und Berlin begonnen, hinkte ein anderer Crack ins Massagezelt, wo sich Anne, Sophie, Fabian und Ferdinand von der Physiotherapieschule der Orthopädischen Uniklinik sofort um den Verletzten kümmerten. Der arme Mann, rein äußerlich noch ganz gut erhalten, hatte „Muskel“, wollte wegen der neuen Datenschutzgrundverordnung aber nicht mehr dazu sagen, und auch der behandelnde Fabian hüllte sich in Schweigen.

 Gestern erfuhr die RNZ nach hartnäckiger Recherche, dass der an einem Oberschenkelmuskel verletzte Berliner der einzige Geschädigte eines deutschen Meisterschaftsturniers war, das vier Mannschaften der Great Grandmasters im Ultimate Frisbee im Heidelberger Sportzentrum Ost über zwei Tage ausgetragen haben. Great Grandmasters sind besonders alte, aber eben auch besonders gute Frisbeespieler. Sie müssen mindestens 48 Jahre alt sein, um überhaupt mitspielen zu dürfen. Derartig betagte Frauen durften die Teams ergänzen oder die Spiele auf dem sonnenüberfluteten Kunstrasen mit seinen fröhlich-bunten Linien als Zuschauerinnen genießen. Jüngere Sportler waren auch willkommen und wurden zum Kaffeekochen und Getränkeausschank eingeteilt. Dem netten Verkäufer war es nicht peinlich, kein Mineralwasser zu haben, dafür bot er fröhlich ein Bier an.

 Fröhlichkeit und Fairness sind die herausragenden Eigenschaften von Frisbeespielern gleich welchen Alters, von denen rund 7000 im Deutschen Frisbeesport-Verband (DFV) mit Sitz in Köln organisiert sind. Frisbee kann man in jedem Alter spielen, sofern man bereit ist, Spaß am Sport zum Spielen mitzubringen, und man sich vornimmt, alle Gegenspieler anständig zu behandeln und nicht am Trikot zu zupfen, ans Bein zu treten oder über den Haufen zu rennen, wie es Rüpel in anderen Sparten gerne tun. Frisbeespieler sind so unverschämt fair, dass sie selbst bei Kämpfen um die deutsche Meisterschaft der Great Grandmasters, dem edelsten Wettkampf überhaupt, keine Schiedsrichter brauchen – und es deshalb keine Rudelbildung, keinen Videobeweis und keine Störenfriede in einem Kölner Keller gibt.

Bei Turnieren wird neben den Silbertellern für die besten drei Teams ein Spirit-Preis vergeben, den nach demokratischer Abstimmung im Internet jene Mannschaft erhält, die sich fairer als fair verhalten hat. Bei der Siegerehrung ging der Kristallpokal an die grau-schwarzen Spieler aus Kamen, die ein wieherndes Pferdchen auf ihren Hemden trugen und sich offiziell „Gaul“ nannten. Das Votum sei einstimmig ausgefallen, verriet Martin Walla und fand das gut.

 Walla – Linkshänder mit gewieften Würfen und Sichelbeinen wie Stan Libuda selig – ist Abteilungsleiter des TV Schlierbach und organisierte die Titelkämpfe gemeinsam mit seinen Vereinskameraden, von denen viele nach Feierabend auch im SAP-Firmenteam spielen, und mit Martin Rasp, der für Frisbee in der TSG 78 Heidelberg zuständig ist. Für Rasp war es eine kleine Organisationsübung, denn er ist lokaler Hauptorganisator der U23-Weltmeisterschaft mit 1500 Sportlern, die vom 13. bis 20. Juli 2019 in Heidelberg mit dem Finale im Fritz-Grunebaum-Sportpark stattfinden wird.

 Die Doppelaufgabe der Ausrichtung und Ausübung haben die Schlierbacher problemlos bewältigt, alle Zuschauer konnten sich an den leckeren Kuchenstücken für 50 Cent sattessen. Obwohl sich die Schlierbacher mit Mark Kendall, einem seit 1990 in die Heilbronner Gesellschaft integrierten Texaner, verstärkt hatten und sich das blau-schwarz gekleidete Team unter dem Kampfnamen „Altimates“ zu Höchstleistungen aufschwang, wurden die weiß-schwarzen Berliner Meister.

 Während die meisten Spieler Baseball-Kappen trugen, bevorzugte der Berliner Spielmacher ein grünes Schweißband, so dass die senkrecht herabscheinende Sonne direkten Zugang zu seiner Glatze hatte. Ob die auf diese Weise gespeicherte Energie, die in besonders gescheiten Pässen zum Ausdruck kam, den Ausschlag zu den beiden Siegen über Heidelberg (13:7 in der Vorrunde, 13:6 im Halbfinale) sowie dem 13:4-Endspieltriumph über die grünen Braunschweiger gegeben hat?

 Die Heidelberger profitierten von den raffinierten Zuspielen ihres Texaners, dem dieses variantenreiche Spiel mit der flachen Scheibe im Blut liegt, und waren beim Fünf-gegen-Fünf über maximal 75 Minuten oder 13 Punkte besser als erwartet. Sie feierten einen unerwarteten 13:12-Sieg über Kamen und waren auch nicht enttäuscht, dass im kleinen Finale Martin Wallas Wade hart wurde und die Kraft nicht mehr reichte, um „Gaul“ abermals zu bezwingen. Das 12:13, das Rang vier bedeutete, ist die knappste im Frisbee mögliche Niederlage.

Berlin feierte ausgelassen. Die Spieler tanzten schneller und schneller im Kreis, ihr Captain trieb sie an, die anderen Teams klatschten dazu.

Und Martin Walla wird heute heldenhaft zur Arbeit humpeln.


(Sportreportage am 10. September 2018)

Zur Leichtathletik-Europameisterschaft 2018 in Berlin

Gibt es „deutsche“ Disziplinen?

Dank Jacob und Wilhelm Grimm kennen wir seit 1812 den deutschen Märchenschatz. Wie Journalisten sind die Brüder durch Hessen getigert und haben alle guten und bösen Geschichten aufgeschrieben, die sie von der Bevölkerung aufschnappen konnten – Hauptsache, es war spannend und ein bisschen gruselig. Grimms Märchen sind keine Gute-Nacht-Geschichten für Kinder, und politisch korrekt sind sie auch nicht. Mein Papagei liebt Grimms Märchen aber, weil immer wieder Kollegen aus dem Tierreich eine Hauptrolle haben: Das Erdmännchen, das Eselein, das Meerhäschen, der Wolf und die sieben jungen Geißlein, das Kätzchen des armen Müllerburschen und natürlich der Froschkönig, der eine sagenhafte Karriere hinlegt. Dass das Rotkäppchen vom bösen Wolf angeknabbert wird, findet mein Papagei allerdings schlimm und empfiehlt dem Mädchen, sich der #MeToo-Bewegung anzuschließen.

Kein Grimmsches Märchen und dennoch märchenhaft war die Leichtathletik-Europameisterschaft in Berlin im Rahmen der European Championships. Zwar nahmen daran nicht nur Froschkönige teil, sondern auch Diskus-Olympiasieger Christoph Harting, der seinem ungeliebten Bruder Robert dadurch aus dem Wege ging, dass er im Vorkampf ausschied. Oder der Dreisprung-Titelverteidiger Max, der Heß heißt, obwohl er aus Chemnitz in Sachsen stammt, und im Vorkampf auch keine vernünftige Weite zustande brachte. Oder Raphael Holzdeppe, der Stabhochsprung-Weltmeister von 2013, der drei Mal unter der Latte durchsprang und im Finale zuschauen durfte, wie der 18-jährige Schwede Armand Duplantis mit 6,05 Metern Junioren-Weltrekord sprang und Gold gewann.

Von Speerwerfern und Zehnkämpfern

„Gibt es eigentlich deutsche Disziplinen?“, wollte mein Papagei wissen. Ich vermutete hinter dieser Frage einen Gedanken von Gaulandscher Blässe und sperrte meinen Papagei sofort in seinem Käfig ein, ohne Wasser und Haferflöckchen, denn man muss bei derartigen Ideen den Anfängen wehren. Mein Papagei argumentierte aber aus dem Käfig heraus mindestens so gut wie damals Uli Hoeneß. Ihm sei aufgefallen, dass deutsche Athletinnen und Athleten im Speerwurf und im Mehrkampf oft erfolgreich seien, während die Männer in all den beschwerlichen Disziplinen, bei denen man laufen muss, anderen vornehm den Vortritt ließen. Das hat mich überzeugt und neugierig gemacht. Deshalb schenkte ich meinem Papagei nach zwanzig Minuten die Freiheit, und gemeinsam machten wir uns an die Recherche.

Es stimmt! Im Speerwurf gab es, Frauen und Männer auf sittsame Weise kumuliert, seit Gerhard Stöck 1936 schon acht Olympiasieger, Ruth Fuchs hat 1972 und 1976 sogar zwei Mal gewonnen. Christin Hussong und Thomas Röhler sind die Europameister Nummer elf und zwölf. Klaus Wolfermann (94,08 m), Uwe Hohn (104,80 m, beide mit altem Speer) sowie Klaus Tafelmeier (85,74 m mit neuem Speer) sind deutsche Weltrekordler. Erinnert sei an die Studenten-Weltmeister Hermann Rieder (1951 und 1955) und Helmut Schreiber (1979 mit 92,72 m). Der Gaiberger Professor Rieder war Wolfermanns Trainer beim Olympiasieg 1972 in München, bei jenem prickelnden Duell mit dem Letten Janis Lusis.

Im Zehnkampf ist der Ulmer Arthur Abele der dritte Europameister nach Hans-Heinrich Sievert (1934) und Werner Graf von Moltke (1966). Olympiasieger sind Willi Holdorf (1964), Christian Schenk (1988) und Thorsten Voss (1987). Die beiden Letztgenannten zählten zu den Hauptfeinden der westdeutschen Sportpolitik vor der Wiedervereinigung; sie waren DDR-Athleten.

Den Weltrekord haben deutsche Königsathleten sechs Mal verbessert: Hans-Heinrich Sievert (7147 Punkte) 1934 in Hamburg, Kurt Bendlin (8235) am 13. und 14. Mai 1967 im Heidelberger Uni-Stadion, Guido Kratschmer (8667) 1980 in Filderstadt und der unvergleichliche Jürgen Hingsen, der 1982 in Ulm 8741 Punkte erreichte, 1983 in Filderstadt 8825 Punkte und 1984 im Mannheimer MTG-Stadion 8832 Punkte, ehe er bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul drei Fehlstarts über 100 Meter hatte.

„Warum wohl?“, stellt mein Papagei eine Frage, die man westdeutschen Athleten eigentlich nicht stellen sollte, um das Märchen von den „Guten“ nicht auszuradieren.
 
(Aufgespießt am 18. August 2018)

Dienstag, 4. September 2018

Über die 117. Bayreuther Festspiele


Ortrud und Telramund sangen einst in Mannheim

Die 107. Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth sind am 29. August nach 32 ausverkauften Aufführungen zu Ende gegangen. Premiere hatte die Oper „Lohengrin“ in der Inszenierung von Yuval Sharon und unter der musikalischen Leitung Christian Thielemanns. Das Besondere sind die weitgehend blauen Bühnenbilder von Neo Rauch und Rosa Loy – dass es Festspielchefin Katharina Wagner gelungen ist, das weltberühmte Malerehepaar für die Festspiele zu gewinnen, verdient ebenso Anerkennung wie die Besetzung der Solistenrollen. Der polnische Heldentenor Piotr Beczala in der Titelrolle ist die Entdeckung dieses Festspielsommers. Die gesamte 3:48,47 Stunden lange Aufführung kann man unter https://www.youtube.com/watch?v=iCy8 53CfyRY im Internet genießen.
Zwei Hauptrollen wurden von Künstlern auf grandiose Weise ausgefüllt, die ihre Karrieren am Nationaltheater Mannheim begonnen hatten. Die Würzburgerin Waltraud Meier (62), als Mezzosopran die größte deutsche Sängerin nach Martha Mödl (1912-2001), gab nach 18-jähriger Bayreuth-Absenz ihr Rollendebüt als Ortrud und verzauberte die 2000 Besucher im Festspielhaus mit einer wunderbaren Interpretation dieser schweren Rolle. Von 1976 bis 1978 hatte Waltraud Meier, die 1983 als Kundry im „Parsifal“ in Bayreuth debütiert hatte, in Mannheim Triumphe gefeiert. Ihre Bayreuther Isolde an der Seite von Siegfried Jerusalem als Tristan in der Inszenierung Heiner Müllers hat Kultstatus.
Meiers Ehemann auf der Festspielbühne war Tomasz Konieczny in der Rolle des Lohengrin-Gegenspielers Friedrich von Telramund. Der 46-jährige, im polnischen Lodz geborene Wahl-Österreicher hatte sein erstes Engagement von 2001 bis 2005 am Nationaltheater Mannheim, wo er unter Generalmusikdirektor Adam Fischer die großen Bariton-Partien von König Marke, Wotan und Amfortas einstudierte und 2004 den Arnold-Petersen-Preis als bester Nachwuchssänger erhielt. Nun ein höchst respektables Debüt auf dem Grünen Hügel.
Mareike Morr, ein Mezzosopran aus Rotenburg an der Fulda, gab in Bayreuth den 2. Knappen im „Parsifal“. Morr war Meisterschülerin von Professor Rudolf Piernay an der Staatlichen Musikhochschule Mannheim. Der Stuttgarter Tenor Christopher Kaplan gab den Würzkrämer Ulrich Eisslinger in „Die Meistersinger von Nürnberg“, nachdem er kürzlich in Mozarts C-moll-Messe in Heidelberg gastiert hatte. Vom Badischen Staatstheater Karlsruhe kam Kammersänger Armin Kolarczyk als Spenglermeister Konrad Nachtigall nach Bayreuth und vervollständigte Hans Sachsens Meisterschar.
Zweihundert Musiker bildeten in diesem Sommer das Festspiel-Orchester, darunter die Mannheimer Anne Hütten (Harfe), Wolfgang Hammar (Violine), Alexander Michael Petersen (Viola), Georg Lustig (Oboe und Englischhorn), Martin Jakobs (Klarinette), Matthias Gromer (Posaune) und Siegfried Jung (Kontrabasstuba).
Der fantastische Festspielchor unter der Leitung von Eberhard Friedrich erhielt nach jeder Aufführung Ovationen. Die Soprane Stefanie Dasch aus Speyer, Nelly Palmer aus Ludwigshafen und Tatjana Petersen aus Mannheim, die Altistin Hemi Kwon aus Karlsruhe, der Tenor Gimoon Cho aus Mannheim und der Bass Oliver Pürckhauser aus Ludwigshafen trugen ebenso zum Gelingen der Festspiele bei wie die Schneiderin Dorothée Lachnit aus Mannheim und die beiden „blauen Mädchen“ Hana Cho aus Mannheim und Sabine Schnellberg aus Karlsruhe. „Blaue Mädchen“ in Bayreuth sind nie betrunken, sondern geleiten die Besucher auf charmante Weise ins Festspielhaus.
Bayreuth-Sänger werden übrigens nicht als Stars geboren, sondern müssen sich ihr Können erarbeiten. Nicht selten haben sie andere Berufe erlernt. Catherine Foster aus Nottingham, die als Brünnhilde im „Ring des Nibelungen“ Wotans ungehorsame Tochter verkörpert, hatte als Hebamme 257 Babys zur Welt gebracht, bevor sie Sängerin wurde.
 
(Kulturreportage am 30. August 2018)

Zum Auftakt der Fußball-Bundesliga 2018/19

Die Gänsehaut ist wieder da

Gespannt sind wir, nach diesem heftigen Wintereinbruch, von Freitagabend bis am späten Sonntagnachmittag vor dem Fernseher gesessen und haben die vielen Rückkehrer begrüßt. Wie sehr haben wir sie vermisst, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, vor allem die Schwalbenkönige, die es – verkleidet als Franck Ribéry – schon im ersten Bundesligaspiel der Saison geschafft haben, in unser Wohnzimmer zu flattern.

Dass diese frechen Sportbetrüger selten erkannt und noch seltener bestraft werden, war immer ärgerlich. Dass Schwalbenkönige auch im Jahr zwei nach Einführung des Blindenhilfswerks im „Kölner Keller“ ungestraft auf Höhenflug gehen dürfen, ist aber empörend. Erneut wurde auf allen TV-Kanälen erörtert, warum sich DFB und DFL in seltener Eintracht um Video-Unterstützung für Schiedsrichter bemühen, wenn diese sie nicht in Anspruch nehmen wollen. 75 021 Besucher der Allianz Arena – in den VIP-Logen und auf den billigen Plätzen, sogar der Bayern-Trainer Niko Kovac in seiner Coaching-Zone! – haben gesehen und akzeptiert, dass der HoffenheimerHavardNordtveit den fliegenden Franck Ribéry nicht gefoult hatte und sich über den Elfmeterpfiff des Schiedsrichters gewundert. Ganz unabhängig davon, ob Referees die Video-Unterstützung nutzen oder nicht, empfiehlt mein Papagei, sie mögen doch immer dann, wenn sie ein Spiel leiten, „die Schlafspatzen abwaschen.“

Zurück ist auch Dunja Hayali. Die 44-jährige für kritischen Journalismus mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete ZDF-Moderatorin ist vom „Heute-Journal“ über das „Morgenmagazin“ ins „Aktuelle Sportstudio“ gewechselt und hat alles richtig gut gemacht. 04 gehörte zum FC Schalke, 05 zum FSV Mainz, und die Fragen an den knorrigen Bundesliga-Rückkehrer Friedhelm Funkel waren so kritisch, dass der Düsseldorfer Trainer fundamentale Kritik am lustigen Leben seiner kickenden Werbetreibenden übte, Jogi Löw und die Nationalelf streng lächelnd rügte, sich mutig mehr Zuschauer im Fortuna-Stadion wünschte und insgesamt fünf Mal beteuerte, dass ihm der Fußball noch immer Spaß mache und in ihm ein Feuer brenne. Am Ende hatten sich Frau Hayali und Herr Funkel (64) fragend und antwortend so gut aufeinander eingespielt, dass meinem Papagei ein sorgenvolles „Oh, oh!“ entfuhr und das Antlitz des ewigen Trainers glatt wie ein Kinderpopo war.

Einen unerwarteten Rückkehrer gab es bei einem Spiel, bei dem einer Mannschaft tatsächlich ein Tor gelungen war. „Die Gänsehaut ist zurück in der Bundesliga!“, jubelte der Reporter und weckte damit eine gewisse Vorfreude auf den 29. August, an dem der Bundestrainer mit Kompetenzteam (!) seine sechswöchige Analyse der Grusel-WM öffentlich machen wollen.
 
(Linksaußen am 27. August 2018)

Mittwoch, 29. August 2018

Die 1. European Championships in Berlin und Glasgow

Die Heimat der Champions

 Nur wenige Wochen nach dem Amtsantritt des neuen Sportministers ist die Welt für die deutschen Athleten, Trainer und Fachverbände fast wieder in Ordnung. Horst Seehofer ist in bayerischen Bierzelten ein bejubelter Kraftmeier, die von ihm geförderten Sportler haben in den Arenen von Berlin und Glasgow sowie im kühlen Nass des Loch Lomond mehr Medaillen gesammelt als sein heillos überforderter Vorgänger Thomas de Maizière je zu erträumen gewagt hatte.

Mit einem schiefen Vergleich an den Olympischen Spielen 2016 in Rio gemessen, haben sich die Beckenschwimmer von null auf acht Plaketten gesteigert, die Leichtathleten haben ihre Bilanz um 633 Prozent (3 auf 19) verbessert. De Maizière hatte durch die Spitzensportreform nur 30 Prozent mehr Medaillen haben wollen, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein. „Was macht der Minister nun mit so viel Edelmetall?“, fragt mein Papagei und glaubt eigentlich kaum, dass Seehofer der Frau Bundeskanzlerin eine glitzernde Kette schmieden lässt.

Edelmetall für die Kurpfalz

Der Samstagabend in Berlin mit Gold für MalaikaMihambo und Mateusz Przybylko, Silber für Nadine Müller und Bronze für ShaniceCraft hat die älteren Leichtathletik-Fans an den Goldenen Sonntag von München 1972 erinnert, als Hildegard Falck über 800 m, Bernd Kannenberg im 50 km Gehen und Klaus Wolfermann im Speerwurf an einem Nachmittag drei Olympiasiege gefeiert hatten. Das Berliner Publikum trug die Athleten zu diesen Erfolgen – wie am Donnerstag, als die Heidelbergerin Bettina Augenstein den Speerwurf-Triumph von Thomas Röhler und Andreas Hofmann miterleben durfte. Die Staffel-Europameisterin von 1994 in Helsinki, die damals mit „Hipp, Zipp, Hurra!“ gefeiert wurde, war einer Einladung des Deutschen Leichathletik-Verbandes (DLV) für die Champions früherer Jahre gefolgt und hat – 24 Jahre danach! – ihre Kameradinnen Melanie Paschke, Silke Knoll und Silke Lichtenhagen, die mit 42,90 Sekunden gewonnen hatten, „sofort wiedererkannt.“

„Bettina ist noch immer auf Zack“, findet mein Papagei, nachdem die Verwaltungsangestellte des Olympiastützpunkts Rhein-Neckar schon am Samstag wieder daheim war, um im Weinheimer Sepp-Herberger-Stadion die SGK Heidelberg mit ihrem Sohn Moritz anzufeuern. Sie tat das temperamentvoll wie immer, aber vergeblich. Kirchheim, ohne Moritz, verlor.

Die Kurpfalz ist wieder – auch dank der guten Leistungen von Hannah Mergenthaler und Nadine Gonska über 4x400 m – eine Hochburg der Leichtathletik, Baden-Württemberg ist es dank Arthur Abele (Gold im Zehnkampf), Marie-Laurence Jungfleisch (Bronze im Hochsprung) und den Topplatzierungen von Alina Reh über 10 000 Meter (5.) und Johannes Vetter im Speerwurf (4.) wieder. Das ist auch das Resultat einer langfristig angelegten und planmäßigen Leistungsförderung nach dem Solidarpakt III zwischen Politik und Sport, von der andere Bundesländer nur träumen können. Im Spitzensport ist es wichtig, dass Verbände, Trainer und Athleten langfristig planen, in Ruhe trainieren und testen und ohne Existenzangst arbeiten können. „Angst lässt Speere nicht weit fliegen“, weiß mein Papagei.

Insofern ist es erfreulich, dass Horst Seehofer im Einklang mit den Haushalts- und Sportausschüssen des Deutschen Bundestages die von seinem Vorgänger verantwortete Blockade der Reform blitzschnell aufgehoben und dem Sport rund 23 Millionen Euro Mehrmittel gewährt hat. Damit können nun die Trainer besser bezahlt, der Kampf gegen das Doping verstärkt und die duale Karriere der Athleten gefördert werden. Für Berlin und Glasgow konnte die bessere Ausstattung zwar noch nichts bewirken, doch im Sport muss sich Seehofer weder als „Totengräber“ noch als „Terrorist“ oder „Rassist“ beschimpfen. Hoffentlich bleibt das so.
 
(Linksaußen am 13. August 2018)

 
 

Donnerstag, 16. August 2018

Über die Sprache im Sportjournalismus

 Deutsche Sprache – schwere Sprache

 Was tun an einem Tag, an dem es nureinmal regnet? Bei „Sky Bundesliga“,in der „Sportschau“ und im „Sportstudio“gab’s wenigstens ein paar Toremit verblüffenden Kommentaren.Kurz zusammengefasst haben wir dasgehört: „In der 47. Minute spielte A nach einem unnötigen Fehlpass von Beinen langen Ball auf C, der von D aufder Strafraumgrenze gefoult wurde. Eerzielte mit dem Elfmeter, den F beinaheumden Pfosten gelenkt hätte, das1:0.“ In der Pressekonferenz sagteTrainer G Folgendes: „Obwohl meineTruppe präsenter war und auf Augenhöhegespielt hat, sind wir durchdiesen unnötigen Elfmeter in Rückstandgeraten. Meine Erwartungshaltungwurde aber nicht enttäuscht,denn die Nachwuchstalente haben gutgespielt. Dennoch tut die Niederlageweh, weil sie unnötig ist.“ Hier zappt mein Papagei zu 3sat oder ARTE.

Wirklich um Inklusion bemühteImmigranten versichern, dass diedeutsche Sprache eine sehr schwereSprachesei.Manchefürchten,Deutschmit all den Substantiven für ein unddieselbe Sache und den vermaledeitenunregelmäßigen Verben nie richtigzu lernen. Die Gefahr steigt, je häufigersie Sport im Fernsehen guckenoder dem Radio lauschen. Verwirrendesfindet man aber auch in derRNZ: Da galoppieren Nachwuchstalentewie weiße Schimmel durch dieSpalten, und aus einem Landesliga-Spielbericht erfuhren wir, dass derentscheidende Treffer per Kopf gefallensei, obwohl man Tore im Allgemeinenmit einem Ball schießt. Derallerdings ist nie lang, sondern immerrund – das wusste schon Sepp Herberger,der gelebt hatte, als man dieWahrheitenunserer Zeitnochnicht beiWikipedia googeln konnte.

"Deutsche Sprache,
schwere Sprache"
What it means:
German is hard
 
"Beschreiben Sie die deutsche Sprache!"
"Umfahren ist das Gegenteil von umfahren."

 
Von unnötigen Niederlagen
 
Das Geplapper vom unnötigen Fehlpassund dem unnötigen Foul bewegtmeinen Papagei und mich im Innersten. Es kann ja sein, dasssich eine unnötige Niederlage im Kopfeines Trainers zu einer nötigen Niederlagemausert, weil sie allzu sorglosenSpielern die Augen öffnet, denTrainingseifer erhöht und für bessereKonzentration im nächsten Matchsorgt. Doch muss man sich fragen, obes nötige Fehlpässe oder nötige Foulswirklich gibt. Das eine würde jederTrainer strikt verneinen, während wenigstenseiner aus der Zunft der Fußballlehrergegenüber dieser Zeitungkleinlaut zugegeben hat, dass er Foulsnicht grundsätzlich für unnötig hältund manchmal sogar trainieren lässt –nach dem Motto: Lieber ein Foul als einGegentor.DaswirfteinschlechtesLichtauf die Branche,denneigentlich soll derSport gut und edel sein.

Es ist schön, dass eine Mannschaftam Samstag um 15.30 Uhr präsent ist.Wäre sie nicht da, könnte das Spielnicht beginnen. „Daer“ als da kannman freilich nicht sein, präsenter als präsent auch nicht. Ja, es gibt in unsererMega-Sprache Worte, die mannicht steigern kann, wohl aber werdentagtäglich neue Begriffe erfunden.Vor einigen Jahren zog im Morgenblau die „Erwartungshaltung“ inunser Land und löste dank ihrer FürsprecherPhilipp Lahm und Jogi Löwfast unbemerkt die Jahrhunderte alte „Erwartung“ ab. Das ist vielleicht nicht so schlimm. Dann aber schlichsich die „Augenhöhe“ in unser Leben;seither ist nichts mehr, wie es war. Wurde früher mit Fußballstiefelnauf dem grünen Rasen gekickt, so spielendie Volkshelden unserer Zeit lieber„auf Augenhöhe“ – wie bei Mainzgegen Hoffenheim. Bildlich betrachtet stellen wir uns das lustig vor, wie sieda rennen und schießen und jubeln –alles einen Meter siebzig über dem Boden,also auf Augenhöhe, wobei es beiLahm und Mario Götze rund zwanzigZentimeter tiefer heiß hergeht. Das hatdie Natur so gewollt. Den Greenkeepern,
die früher Platzwart hießen, gefällt’snatürlich, wenn auf Augenhöhegegrätscht wird. Es schont den Rasen.

Wir aber fragen uns, wo bei denen,die auf Augenhöhe unnötige Foulsmachen, die Stirnhöhe liegt, und rufenvor der „Sportschau“ am nächstenSamstag verzweifelt: Herr, lass’Hirn regnen!
 
(Linksaußen am 7. Oktober 2013)