Sie wollen doch nur
spielen
Der Kampf tobt wild.
Immerhin: Für den 1. Dezember 2018 wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Wie
lange er halten wird, ob ein Friedensschluss möglich ist, steht in den Sternen.
Sie erinnern sich, liebe
Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein? Nach Wochen der Verhandlungen, der
Annäherungen und Entfernungen, war „Jamaika“ im Bund mausetot. Nächtelang
debattiert wurde über ein Politikziel der FDP, die deutschen Lande flächendeckend
und gerecht zu digitalisieren, so dass nicht nur der Bürger in der Hauptstadt
und die Bürgerlein in den 16 Landeshauptstädten rund um die Uhr eSport
betreiben können, sondern wir alle – also auch Sportler in Heidelberg, in
Sandhausen oder auf dem Waldhof. An diesem Diskussionspunkt – das wissen wir
nun sicher – ist „Jamaika“ nicht gescheitert, denn ein paar Wochen später haben
die Großkoalitionäre in seltener Einmütigkeit in ihren Koalitionsvertrag
geschrieben, dass die Digitalisierung eines der wichtigsten Regierungsziele und
eSport dem Sport, so wie ihn Turnvater Jahn verstand und Sportvater Hörmann
gegenwärtig versteht, gleichzustellen sei.
Wir wissen nicht, ob die
Frau Bundeskanzlerin, die eigentlich dafür berühmt ist, Probleme und deren
Lösungen vom Ende, also vom Ergebnis, her zu durchdenken, in den Minuten, in
denen über das Thema eSport gesprochen wurde, weggedämmert oder einfach nur mal
schnell die Nase pudern war, denn sie, wenigstens sie!, hätte ahnen müssen,
dass dieser eine kleine Satz im Koalitionsvertrag Unruhe in der ganzen Republik
auslösen würde. Und Unruhe ist etwas, das die Frau Bundeskanzlerin noch weniger
mag als Horst Seehofer und Andreas Scheuer. Letzteren aber hat sie zum
Bundesminister für Digitalisierung ernannt.
Die Kernfrage lautet:
Ist eSport Sport? Und: Muss dieses aus Amerika ins Land geschwappte neumodische
Zeug von der Regierung – letztendlich von der Steuerzahlerin, dem Steuerzahler
und dem Steuerzahlerlein – so gefördert werden wie der edle Fechtsport, das
Turnen, Schwimmen und die Leichtathletik, die sich gerne „Kernsportarten“
nennen, um ganz tief in den Steuertopf greifen zu dürfen, wie die populäreren
Ballspiele Basketball, Fußball, Handball und Volleyball oder die ähnlich
schweißtreibenden Spiele Eishockey, Hockey und Beachball?
Die Regierung, oft mutig
mit Postulaten und feige bei deren Umsetzung, weicht inzwischen aus. Auf eine
Kleine Anfrage mehrerer FDP-Abgeordneter des Deutschen Bundestages (die
Drucksachen 19/3768 und 19/4060 liegen der RNZ vor), die im August 2018 einfach
mal wissen wollten, wie weit die Anerkennung des eSports als Sport in dieser
Legislaturperiode gediehen ist, ist zwar ein gewisser guter Wille zu erkennen
und das Begehren des eSport-Bundes Deutschland (ESBD) auf Gleichstellung mit
dem Deutschen Turnerbund, dem Deutschen Basketball-Bund oder dem Deutschen
Leichtathletik-Verband nicht rundweg abgelehnt worden, aber Entscheidungen
wurden noch nicht getroffen.
Ist eSport Sport?
Das erzürnt den
ESBD-Präsidenten Hans Jagnow, der sagt: „Die Antworten der Bundesregierung sind
in der Gesamtbetrachtung aufschlussreich, aber von Indifferenz geprägt.“ Ob der
Mann Diplomat ist?
Die Regierung,
insbesondere der für den Sport zuständige Innenminister, haben den
FDP-Fragestellern nämlich geantwortet, für die Anerkennung eines Sports – zum
Beispiel in Fragen der Spitzensportförderung, der Gemeinnützigkeit und der
steuerlichen Behandlung von Vereinen und Profisportlern – sei nicht die
Regierung, sondern einzig und allein der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB)
zuständig, der für die Beleuchtung tausender Aspekte eine Kommission eingesetzt
hat, die am 1. Dezember auf den Düsseldorfer Rheinterrassen bei der
DOSB-Mitgliederversammlung Handlungsempfehlungen aussprechen soll. Und danach –
Prost Mahlzeit! – sollen die Sportler gefälligst selbst entscheiden, ob sie
eSportler in ihrem Dachverband haben wollen.
Die gegenwärtigen
Debatten darüber, ob man eSport als Sport im klassischen Sinne mit
Trainingsstunden, Übungsleitern, Aufwärmen, Schwitzen, Reingrätschen,
Hipp-hipp-hurra und Siegesgesängen im Duschraum betrachten solle, zielen am
Thema vorbei.
Möglicherweise kommt
man, wenn man sechs Stunden vor der Spielkonsole sitzt und dabei zehntausend
Finger- und Handbewegungen macht, auch mal ins Schwitzen. Ganz sicher ist man
nach derartiger Tortur müde und durstig. Manche eSportler werden das Bedürfnis
nach einer heißen Dusche haben, bevor sie zum Siegesbier greifen. Zweifellos
wird sich unter denen, die im eSport-Team des SV Sandhausen oder des SV Waldhof
am weltweiten Wettbewerb teilnehmen oder – im Gegensatz zu ihren im Auf- und
Abstiegskampf auf dem Rasen herumhechelnden Vereinskameraden – um einen
Europacup kämpfen dürfen, Teamgeist, Zusammenhalt und Kameradschaft entwickeln,
und ganz sicher werden die Schiedsrichter beim elektronisch betriebenen Sport
weniger heftig beschimpft, sofern man sie überhaupt benötigt.
Diese Überlegungen,
lieber eSportler und liebe Sportlerin, sind müßig. eSport existiert, ist –
sofern man nicht die blödsinnigen und im wahrsten Wortsinn unsportlichen
Shooter Games betreibt – genauso Sport wie das lange schon anerkannte Schach
und hat allein deshalb seine Berechtigung, weil es einer zunehmenden Anzahl von
Menschen auch hierzulande Spaß macht.
In Wirklichkeit geht es
gegenwärtig ums Geld. Muss dieser unser Staat Menschen, die Wettkämpfe nicht
auf Sportplätzen, in Stadien und in Hallen austragen, sondern zu Hause und in
Klubhäusern, indem sie auf ihren vier Buchstaben sitzen und Daumen und
Zeigefinger bewegen, Steuergelder gewähren, um sie bei ihrem Tun zu
unterstützen? Muss er ausländischen eSport-Profis dauerhaften Aufenthalt
gewähren? Muss er Vereinen gestatten, steuermindernde Spenden zu sammeln? Muss
es Förderprogramme für besonders talentierte eSportler geben? Alle diese Fragen
kann man so oder so beantworten.
Stets bedenken muss man
allerdings, dass es ein Gleichbehandlungsgebot im Grundgesetz gibt. Die Artikel
3 und 19 gelten für alle Bürger. Mein Papagei, der über den Dingen flattert,
erkennt in den eSportlern übrigens keine Gefahr. Die meisten seien nicht
militant, liebenswert und ganz gemütlich. Er sagt: „Sie wollen doch nur
spielen.“
RNZ vom 6./7. Oktober
2018
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen