Wenn die
Fairness so wichtig ist wie der Sieg
Zehn
Minuten vor dem ersten Match griff Martin Walla zum Mikrofon und berichtete den
ersten fünf von später 35 Zuschauern, dass der Besuch im Physiotherapeuten-Zelt
sich gelohnt habe „und meine Waden jetzt super locker sind.“ Für einen
53-jährigen Sportler ist es ja nicht schlecht, wenn der ganze Körper gut
funktioniert und auch noch die Waden locker sind.
Walla
erhielt Beifall, und kaum hatte das Spiel zwischen Heidelberg und Berlin
begonnen, hinkte ein anderer Crack ins Massagezelt, wo sich Anne, Sophie,
Fabian und Ferdinand von der Physiotherapieschule der Orthopädischen Uniklinik
sofort um den Verletzten kümmerten. Der arme Mann, rein äußerlich noch ganz gut
erhalten, hatte „Muskel“, wollte wegen der neuen Datenschutzgrundverordnung
aber nicht mehr dazu sagen, und auch der behandelnde Fabian hüllte sich in
Schweigen.
Gestern
erfuhr die RNZ nach hartnäckiger Recherche, dass der an einem
Oberschenkelmuskel verletzte Berliner der einzige Geschädigte eines deutschen
Meisterschaftsturniers war, das vier Mannschaften der Great Grandmasters im
Ultimate Frisbee im Heidelberger Sportzentrum Ost über zwei Tage ausgetragen
haben. Great Grandmasters sind besonders alte, aber eben auch besonders gute
Frisbeespieler. Sie müssen mindestens 48 Jahre alt sein, um überhaupt
mitspielen zu dürfen. Derartig betagte Frauen durften die Teams ergänzen oder
die Spiele auf dem sonnenüberfluteten Kunstrasen mit seinen fröhlich-bunten
Linien als Zuschauerinnen genießen. Jüngere Sportler waren auch willkommen und
wurden zum Kaffeekochen und Getränkeausschank eingeteilt. Dem netten Verkäufer
war es nicht peinlich, kein Mineralwasser zu haben, dafür bot er fröhlich ein
Bier an.
Fröhlichkeit
und Fairness sind die herausragenden Eigenschaften von Frisbeespielern gleich
welchen Alters, von denen rund 7000 im Deutschen Frisbeesport-Verband (DFV) mit
Sitz in Köln organisiert sind. Frisbee kann man in jedem Alter spielen, sofern
man bereit ist, Spaß am Sport zum Spielen mitzubringen, und man sich vornimmt,
alle Gegenspieler anständig zu behandeln und nicht am Trikot zu zupfen, ans
Bein zu treten oder über den Haufen zu rennen, wie es Rüpel in anderen Sparten
gerne tun. Frisbeespieler sind so unverschämt fair, dass sie selbst bei Kämpfen
um die deutsche Meisterschaft der Great Grandmasters, dem edelsten Wettkampf
überhaupt, keine Schiedsrichter brauchen – und es deshalb keine Rudelbildung,
keinen Videobeweis und keine Störenfriede in einem Kölner Keller gibt.
Bei
Turnieren wird neben den Silbertellern für die besten drei Teams ein
Spirit-Preis vergeben, den nach demokratischer Abstimmung im Internet jene
Mannschaft erhält, die sich fairer als fair verhalten hat. Bei der Siegerehrung
ging der Kristallpokal an die grau-schwarzen Spieler aus Kamen, die ein
wieherndes Pferdchen auf ihren Hemden trugen und sich offiziell „Gaul“ nannten.
Das Votum sei einstimmig ausgefallen, verriet Martin Walla und fand das gut.
Walla
– Linkshänder mit gewieften Würfen und Sichelbeinen wie Stan Libuda selig – ist
Abteilungsleiter des TV Schlierbach und organisierte die Titelkämpfe gemeinsam
mit seinen Vereinskameraden, von denen viele nach Feierabend auch im
SAP-Firmenteam spielen, und mit Martin Rasp, der für Frisbee in der TSG 78
Heidelberg zuständig ist. Für Rasp war es eine kleine Organisationsübung, denn
er ist lokaler Hauptorganisator der U23-Weltmeisterschaft mit 1500 Sportlern,
die vom 13. bis 20. Juli 2019 in Heidelberg mit dem Finale im
Fritz-Grunebaum-Sportpark stattfinden wird.
Die
Doppelaufgabe der Ausrichtung und Ausübung haben die Schlierbacher problemlos
bewältigt, alle Zuschauer konnten sich an den leckeren Kuchenstücken für 50
Cent sattessen. Obwohl sich die Schlierbacher mit Mark Kendall, einem seit 1990
in die Heilbronner Gesellschaft integrierten Texaner, verstärkt hatten und sich
das blau-schwarz gekleidete Team unter dem Kampfnamen „Altimates“ zu
Höchstleistungen aufschwang, wurden die weiß-schwarzen Berliner Meister.
Während
die meisten Spieler Baseball-Kappen trugen, bevorzugte der Berliner Spielmacher
ein grünes Schweißband, so dass die senkrecht herabscheinende Sonne direkten
Zugang zu seiner Glatze hatte. Ob die auf diese Weise gespeicherte Energie, die
in besonders gescheiten Pässen zum Ausdruck kam, den Ausschlag zu den beiden
Siegen über Heidelberg (13:7 in der Vorrunde, 13:6 im Halbfinale) sowie dem
13:4-Endspieltriumph über die grünen Braunschweiger gegeben hat?
Die
Heidelberger profitierten von den raffinierten Zuspielen ihres Texaners, dem
dieses variantenreiche Spiel mit der flachen Scheibe im Blut liegt, und waren
beim Fünf-gegen-Fünf über maximal 75 Minuten oder 13 Punkte besser als
erwartet. Sie feierten einen unerwarteten 13:12-Sieg über Kamen und waren auch
nicht enttäuscht, dass im kleinen Finale Martin Wallas Wade hart wurde und die
Kraft nicht mehr reichte, um „Gaul“ abermals zu bezwingen. Das 12:13, das Rang
vier bedeutete, ist die knappste im Frisbee mögliche Niederlage.
Berlin
feierte ausgelassen. Die Spieler tanzten schneller und schneller im Kreis, ihr
Captain trieb sie an, die anderen Teams klatschten dazu.
Und Martin Walla wird heute heldenhaft
zur Arbeit humpeln.
(Sportreportage am 10. September 2018)
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