Über das Strafverfahren gegen einen Heidelberger Rugby-Trainer
Das Urteil ist gesprochen, aber noch nicht rechtskräftig. „Im Namen des Volkes“, so behauptete der Vorsitzende Richter André Merz von der Jugendschutzkammer des Landgerichts Heidelberg, wurde ein Rugby-Jugendtrainer aus Heidelberg wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes, sexuellen Missbrauchs mehrerer Kinder und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen nach § 176 des Strafgesetzbuches zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.
Der 48-jährige Fahrlehrer aus dem Pfaffengrund, der früher Karatetrainer und einige Jahre lang bis zu seiner Amtsenthebung auch Jugendleiter eines 1898 gegründeten Rugby-Bundesligavereins war und seit dem 20. Juni 2022 in Untersuchungshaft sitzt, kann binnen einer Woche nach Zustellung des Urteils Revision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe einlegen. Das Gericht ordnete die Fortdauer der Haft an. Der Verurteilte trägt die Kosten des Verfahrens, seiner Verteidigung und die der Nebenkläger.
Das am 2. Dezember 2022 eröffnete Strafverfahren, für das ursprünglich vier Verhandlungstage bis zum 5. Januar 2023 terminiert waren, fand weitgehend in nichtöffentlicher Sitzung statt, um die Privatsphäre der geschädigten Jungen zu schützen, und deshalb am 14. Dezember 2022 ein rasches Ende, weil der Angeklagte ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte. Nur die Urteilsverkündung am 14. Dezember um 16 Uhr sowie die etwa 40 Minuten dauernde und sehr detaillierte Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richters waren öffentlich. Das Verfahren fand bei den Medien ein reges Interesse, die bereits über die Anklage und den ersten Prozesstag ausführlich berichtet hatten.
Das Gericht führte aus, dass dem Angeklagten fünf Taten an jungen Rugbyspielern im Alter von zwölf bis 15 Jahren zweifelsfrei nachgewiesen worden sind, die er zwischen 2019 und 2021 bei Spielreisen nach Irland und in die Niederlande sowie bei einem Trainingslager im vereinseigenen Klubhaus begangen und eingeräumt hat. Fünf Jungen haben in richterlichen Vernehmungen, die dem Gericht als Videoaufnahmen vorgeführt wurden, von ihren Erlebnissen berichtet. Es blieb den Jungen deshalb erspart, im Gerichtssaal auszusagen.
In einem Fall hat sich der Angeklagte an einem neben ihm in einem Schlafsack ruhenden Jungen vergangen, in anderen Fällen animierte er die Jungen im Rahmen eines häufiger vor der Nachtruhe gespielten Spiels („Wahrheit oder Pflicht“) zu sexuellen Handlungen von zum Teil Ekel erregenden Ausmaßen. Und schließlich habe er in einer Toilette gemeinsam mit einem Jungen Selbstbefriedigung betrieben.
Das Gericht rügte scharf, dass der Angeklagte häufig – entgegen der im Sport seit Jahren geltenden Verhaltensrichtlinien für Trainerinnen und Trainer – gemeinsam mit seinen jugendlichen Spielern geduscht und dabei unbemerkt Fotos und Videoaufnahmen mit seinem Handy gemacht habe. Diese Filme fand die Kriminalpolizei bei einer Wohnungsdurchsuchung. Es wurde festgestellt, dass der Angeklagte sie nicht im Internet verbreitet oder an andere Personen mit ähnlichen Neigungen versandt hat.
Die von Polizei und Untersuchungsrichter befragten Jungen schilderten ihren Trainer als hoch engagierten, freundlichen und liebenswerten Menschen, dem es gelungen ist, über etliche Jahre ein von Freundschaft geprägtes Vertrauensverhältnis zu seinen Spielern und deren Eltern aufzubauen, weshalb der vielfache Vertrauensbruch besonders schwer wiege. Es sei ihm sogar gelungen, die missbrauchten Jungen zur Verschwiegenheit zu verdonnern. Die Taten wurden allesamt erst ruchbar, als sich einer der Jungen einem jungen Co-Trainer anvertraute, der sofort die Abteilungsführung informierte. Die Eltern dieses Jungen erstatteten Strafanzeige.
Das Gericht konnte sich bei der Urteilsfindung am gesetzlichen Strafrahmen von zwei bis 15 Jahren orientieren und sprach ein nach dem Urteil mehrerer Prozessbeobachter sehr mildes Urteil, das sogar vier Monate unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft lag.
Das Gericht hielt dem Angeklagten zugute, dass er noch nie straffällig geworden sei, seit 23 Jahren ein offenbar harmonisches Familienleben mit Ehefrau und zwei Töchtern geführt habe, seine verhängnisvolle Neigung zu männlichen Kindern und Jugendlichen erst vor wenigen Jahren bemerkt habe, in der Untersuchungshaft wegen des ihm zur Last gelegten Delikts unangenehme Erfahrungen gemacht und – als besonderer strafmindernder Pluspunkt – schon vor der Polizei ein Geständnis abgelegt habe. Außerdem habe er einem Täter-Opfer-Ausgleich mit der Familie eines geschädigten Jungen zugestimmt. Insgesamt stellte das Gericht dem Verurteilten, der schnellstens eine Psychotherapie beginnen möchte, eine günstige Resozialisierungsprognose aus.
Rechtsanwalt Kian Fathieh, der Verteidiger des Verurteilten, und die Anwälte der Nebenkläger wollten sich zu diesem Urteil nicht äußern, nachdem der Rugby-Trainer in Fußfesseln von den Justizbeamten via Gefängnis abgeführt worden war. Man darf gespannt sein, wie sich der Verein der geschädigten Kinder zu dieser verstörenden Angelegenheit äußern wird, durch die der gesamte Heidelberger Rugbysport mit insgesamt sechs Vereinen und über 2000 Mitgliedern monatelang unter schweren Verdacht geraten und in seinem Ansehen geschädigt worden ist.
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