Donnerstag, 15. Dezember 2022

Mildes Urteil: Zweieinhalb Jahre Gefängnis

Über das Strafverfahren gegen einen Heidelberger Rugby-Trainer

Das Urteil ist gesprochen, aber noch nicht rechtskräftig. „Im Namen des Volkes“, so behauptete der Vorsitzende Richter André Merz von der Jugendschutzkammer des Landgerichts Heidelberg, wurde ein Rugby-Jugendtrainer aus Heidelberg wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes, sexuellen Missbrauchs mehrerer Kinder und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen nach § 176 des Strafgesetzbuches zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Der 48-jährige Fahrlehrer aus dem Pfaffengrund, der früher Karatetrainer und einige Jahre lang bis zu seiner Amtsenthebung auch Jugendleiter eines 1898 gegründeten Rugby-Bundesligavereins war und seit dem 20. Juni 2022 in Untersuchungshaft sitzt, kann binnen einer Woche nach Zustellung des Urteils Revision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe einlegen. Das Gericht ordnete die Fortdauer der Haft an. Der Verurteilte trägt die Kosten des Verfahrens, seiner Verteidigung und die der Nebenkläger.

Das am 2. Dezember 2022 eröffnete Strafverfahren, für das ursprünglich vier Verhandlungstage bis zum 5. Januar 2023 terminiert waren, fand weitgehend in nichtöffentlicher Sitzung statt, um die Privatsphäre der geschädigten Jungen zu schützen, und deshalb am 14. Dezember 2022 ein rasches Ende, weil der Angeklagte ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte. Nur die Urteilsverkündung am 14. Dezember um 16 Uhr sowie die etwa 40 Minuten dauernde und sehr detaillierte Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richters waren öffentlich. Das Verfahren fand bei den Medien ein reges Interesse, die bereits über die Anklage und den ersten Prozesstag ausführlich berichtet hatten.

Das Gericht führte aus, dass dem Angeklagten fünf Taten an jungen Rugbyspielern im Alter von zwölf bis 15 Jahren zweifelsfrei nachgewiesen worden sind, die er zwischen 2019 und 2021 bei Spielreisen nach Irland und in die Niederlande sowie bei einem Trainingslager im vereinseigenen Klubhaus begangen und eingeräumt hat. Fünf Jungen haben in richterlichen Vernehmungen, die dem Gericht als Videoaufnahmen vorgeführt wurden, von ihren Erlebnissen berichtet. Es blieb den Jungen deshalb erspart, im Gerichtssaal auszusagen.

In einem Fall hat sich der Angeklagte an einem neben ihm in einem Schlafsack ruhenden Jungen vergangen, in anderen Fällen animierte er die Jungen im Rahmen eines häufiger vor der Nachtruhe gespielten Spiels („Wahrheit oder Pflicht“) zu sexuellen Handlungen von zum Teil Ekel erregenden Ausmaßen. Und schließlich habe er in einer Toilette gemeinsam mit einem Jungen Selbstbefriedigung betrieben.

Das Gericht rügte scharf, dass der Angeklagte häufig – entgegen der im Sport seit Jahren geltenden Verhaltensrichtlinien für Trainerinnen und Trainer – gemeinsam mit seinen jugendlichen Spielern geduscht und dabei unbemerkt Fotos und Videoaufnahmen mit seinem Handy gemacht habe. Diese Filme fand die Kriminalpolizei bei einer Wohnungsdurchsuchung. Es wurde festgestellt, dass der Angeklagte sie nicht im Internet verbreitet oder an andere Personen mit ähnlichen Neigungen versandt hat.

Die von Polizei und Untersuchungsrichter befragten Jungen schilderten ihren Trainer als hoch engagierten, freundlichen und liebenswerten Menschen, dem es gelungen ist, über etliche Jahre ein von Freundschaft geprägtes Vertrauensverhältnis zu seinen Spielern und deren Eltern aufzubauen, weshalb der vielfache Vertrauensbruch besonders schwer wiege. Es sei ihm sogar gelungen, die missbrauchten Jungen zur Verschwiegenheit zu verdonnern. Die Taten wurden allesamt erst ruchbar, als sich einer der Jungen einem jungen Co-Trainer anvertraute, der sofort die Abteilungsführung informierte. Die Eltern dieses Jungen erstatteten Strafanzeige.

Das Gericht konnte sich bei der Urteilsfindung am gesetzlichen Strafrahmen von zwei bis 15 Jahren orientieren und sprach ein nach dem Urteil mehrerer Prozessbeobachter sehr mildes Urteil, das sogar vier Monate unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft lag.

Das Gericht hielt dem Angeklagten zugute, dass er noch nie straffällig geworden sei, seit 23 Jahren ein offenbar harmonisches Familienleben mit Ehefrau und zwei Töchtern geführt habe, seine verhängnisvolle Neigung zu männlichen Kindern und Jugendlichen erst vor wenigen Jahren bemerkt habe, in der Untersuchungshaft wegen des ihm zur Last gelegten Delikts unangenehme Erfahrungen gemacht und – als besonderer strafmindernder Pluspunkt – schon vor der Polizei ein Geständnis abgelegt habe. Außerdem habe er einem Täter-Opfer-Ausgleich mit der Familie eines geschädigten Jungen zugestimmt. Insgesamt stellte das Gericht dem Verurteilten, der schnellstens eine Psychotherapie beginnen möchte, eine günstige Resozialisierungsprognose aus.

Rechtsanwalt Kian Fathieh, der Verteidiger des Verurteilten, und die Anwälte der Nebenkläger wollten sich zu diesem Urteil nicht äußern, nachdem der Rugby-Trainer in Fußfesseln von den Justizbeamten via Gefängnis abgeführt worden war. Man darf gespannt sein, wie sich der Verein der geschädigten Kinder zu dieser verstörenden Angelegenheit äußern wird, durch die der gesamte Heidelberger Rugbysport mit insgesamt sechs Vereinen und über 2000 Mitgliedern monatelang unter schweren Verdacht geraten und in seinem Ansehen geschädigt worden ist.

Dienstag, 13. Dezember 2022

Ferreira und Parkinson kehren ins Nationalteam zurück

Die deutsche Rugby-Nationalmannschaft ist am grünen Tisch in die EM-Division 1 zurückgekehrt

Heidelberg. Weil das experimentierfreudige Rugby Europe (RE) wieder einmal den Austragungsmodus der Männer-Europameisterschaft geändert hat und Russland suspendiert wurde, spielt die Auswahl von Rugby Deutschland (RD), wie sich der 1900 gegründete Deutsche Rugby-Verband neuerdings nennt, in der Doppelsaison 2023/24 wieder einmal in der Division 1 (= Championship) und möchte den Abstieg in die Division 2 (= Trophy) vermeiden.

Dieses Ziel verkündete Nationaltrainer Mark Kuhlmann (Heilbronn), nachdem er mit 35 Spielern in Heidelberg bereits das dritte intensive Vorbereitungs-Wochenende verbracht und festgestellt hatte: „Die Spieler sprühen vor Ehrgeiz.“

Nach dem Abstieg aus der Division 1 im Mai 2019 dümpelte das Nationalteam, das – weil das traditionelle Fünfzehnerrugby nicht olympisch ist – von der Sportförderung ausgenommen ist, ein wenig vor sich hin, und der Verband war mit dem Klassenverbleib in der Division 2 zufrieden. Der 53-jährige Kuhlmann, ein starker Nationalspieler und mehrfacher deutscher Meister des DRC Hannover und später Bundesliga-Trainer in Neuenheim, Neckarsulm und Handschuhsheim, und seine beiden Assistenten Kehoma Brenner (Sturm) und Lars Eckert (Dreiviertelreihe/beide Heidelberg) konnten in Gesprächen mit der RD-Führung erreichen, dass dem Team wieder Aufmerksamkeit gewidmet wird. Kuhlmann: „Wir machen in jedem Monat einen Lehrgang und trainieren ab Januar jeden Sonntag im Landesleistungszentrum Heidelberg.“

Damit ist sichergestellt, dass die „Schwarzen Adler“ seriös vorbereitet in die fünf EM-Spiele des Jahres 2023 gehen werden, die schwerer nicht sein könnten. Am 4. Februar spielt Deutschland, gegenwärtig auf Platz 31 der Weltrangliste, in Tiflis gegen Titelverteidiger Georgien (Rang 13), ehe am 12. Februar um 14.30 Uhr der Heidelberger Fritz-Grunebaum-Sportpark Schauplatz des Klassikers zwischen Deutschland und Spanien (16) sein wird (Tickets im Vorverkauf bei www.reservix.de). Die Gruppenspiele enden am 18. Februar im Stadion der Sportunion Neckarsulm gegen die Niederlande (29). Es folgen ein Überkreuz- und ein Platzierungsspiel. In der Staffel 2 sind Portugal (18), Rumänien (20), Belgien (26) und Polen (30) versammelt. Mark Kuhlmann ist Realist: „An einem guten Tag können wir die Niederlande schlagen und dann sicherlich auch Polen.“ Wer nach der Saison 2024 Achter und Letzter ist, muss absteigen.

Bei den Weltranglistenspielen dieses Herbstes schuf Georgien mit einem 13:12-Sieg im Principality Stadium von Cardiff gegen Wales die größte Überraschung. Die Franzosen eroberten durch ein 30:29 gegen Australien, ein 30:26 gegen Südafrika und ein 35:17 gegen Japan Platz zwei der Weltrangliste und sind nun seit 13 Länderspielen siegreich – das ist als Vorbereitung auf die WM im eigenen Land nicht schlecht und macht Fabien Galthié zum erfolgreichsten Nationaltrainer in der Geschichte der Equipe Tricolore.

Mark Kuhlmann und seine beiden Kollegen konnten erreichen, dass der famose Zweite- und Dritte-Reihe-Stürmer Sebastian Ferreira, Deutschlands Kapitän bis 2019 und nun beim Nottingham RFC aktiv, ebenso ins Nationalteam zurückkehren wird, wie der beim deutschen Meister SC Frankfurt 1880 unter Vertrag stehende Spielmacher Raynor Parkinson. Neu sind der bei der British Army dienende und spielende Gedrängehalb und Schlussmann Michael McDonald, ein englischer U20-Nationalspieler mit deutscher Mutter, und der aus Australien kommende Dritte-Reihe-Stürmer Shawn Ingle von der Cambridge University – auch er mit mütterlichen Wurzeln in Deutschland. Kapitän ist und bleibt Erste-Reihe-Stürmer Jörn Schröder vom Heidelberger Ruderklub.

Portugal ist das 20. und letzte Team, das sich für die X. Rugby-Weltmeisterschaft qualifizieren konnte, die vom 8. September bis zum 28. Oktober 2023 in Frankreich stattfinden wird. Die Mannschaft des französischen Trainers Patrice Lagisquet (60), Vizeweltmeister 1987 und Außendreiviertel in Bègles, Bayonne und Biarritz, gewann das finale Qualifikationsturnier in Dubai mit 42:14 gegen Hongkong, 85:0 gegen Kenia und 16:16 gegen die USA aufgrund des deutlich besseren Spielpunktekontos vor den Amerikanern. Das WM-Eröffnungsspiel im Stade de France bestreiten Frankreich und Neuseeland.

Für die WM wurden vier Vorrundengruppen mit jeweils fünf Nationen ausgelost.

Gruppe A: Neuseeland (Rang 3), Frankreich (2), Italien (12), Uruguay (17), Namibia (21).

Gruppe B: Titelverteidiger Südafrika (4), Irland (1), Schottland (7), Tonga (15), Rumänien (20).

Gruppe C: Wales (9), Australien (6), Fidschi (14), Georgien (13), Portugal (18).

Gruppe D: England (5), Japan (10), Argentinien (8), Samoa (11), Chile (22).



Bildtext

Sie sehen der EM 2023 gespannt entgegen, v.l.n.r.: Sturmtrainer Kehoma Brenner, Nationaltrainer Mark Kuhlmann und Dreiviertelreihe-Trainer Lars Eckert. Foto: F&S 

Freitag, 2. Dezember 2022

Missbrauchsprozess in Heidelberg eröffnet

Vor dem Landgericht Heidelberg ist am 2. Dezember 2022 um 8.30 Uhr der Prozess gegen Herrn XYZ (der Name ist dem Autor bekannt und war auch im Aushang vor der Tür zu Verhandlungssaal 01 im Gerichtsgebäude angeschlagen), den ehemaligen mehrjährigen Jugendleiter und Nachwuchstrainer der Rugby-Abteilung eines 1898 gegründeten Heidelberger Sportvereins, eröffnet worden (Az.: 3KLs270Js). Der Mann ist des schweren sexuellen Missbrauchs mehrerer Kinder aus seiner Mannschaft angeklagt. 

Einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft Heidelberg zufolge soll der Beschuldigte vier Taten im Jahr 2019 und eine im Jahr 2021 begangen haben. Die betroffenen Jugendlichen waren zum Zeitpunkt der Taten zwischen zwölf und 15 Jahre alt. Der Beschuldigte, ein 48-jähriger Fahrlehrer aus Heidelberg, sitzt seit einigen Monaten in Untersuchungshaft und wurde zu Prozessbeginn von Justizbeamten in den Gerichtssaal geführt. Dabei trug er eine Baseball-Cap und einen blauen Pullover und verbarg sein Gesicht hinter einer Zeitschrift. Nach wenigen Minuten schickte der Vorsitzende Richter Merz die Fotografen und Kameraleute aus dem Saal. Der Prozess stößt auf großes Medieninteresse.

Auf Antrag der Nebenkläger-Anwälte ordnete die Jugendschutzkammer des Landgerichts nach etwa zehnminütiger Beratung den Ausschluss der Öffentlichkeit an, um die Interessen der laut Anklage geschädigten jugendlichen Schutzbedürftigen zu wahren. Der Vorsitzende Richter erklärte allerdings, dass Urteilsverkündung und Urteilstenor in öffentlicher Sitzung stattfinden werden. Als weitere Verhandlungstage wurden der 14. und 22. Dezember 2022 und der 5. Januar 2023 angesetzt.

Da es in Heidelberg sechs konkurrierende Rugby-Vereine gibt, von denen fünf im deutschen Rugby einen hohen Stellenwert haben, herrscht unter den nicht betroffenen Klubs und in der Führung des in Heidelberg ansässigen Rugby-Verbandes Baden-Württemberg (RBW) eine zunehmende Irritation und Verärgerung darüber, dass der Verein des Angeklagten in der seit den Sommermonaten 2022 schwelenden Affäre zu keinem Zeitpunkt Stellung genommen und es dadurch zugelassen hat, dass der gesamte Heidelberger Rugbysport unter Verdacht gestellt und in Misskredit gebracht wurde.

Dabei engagieren sich der Verband und etliche Vereine seit Jahren sehr konsequent in der Prävention vor sexualisierter Gewalt. Im RBW gibt es eine entsprechende Richtlinie als Teil der Satzung und einen Verhaltenskodex, mit Bo Pernter vom MTV Ludwigsburg einen sorgfältig geschulten Ombudsmann, an den sich Betroffene vertraulich wenden und Rat einholen können, und die Verpflichtung, dass alle in der Jugendarbeit engagierten Menschen vor Beginn ihrer Tätigkeit ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis bei der Vereins- bzw. Verbandsführung vorlegen müssen.