Dienstag, 31. August 2021

Eine starke moralische Kraft

Zur Erinnerung an IOC-Präsident Jacques Graf Rogge

Jacques Rogge ist tot. Der neunte Präsident in der 125-jährigen Geschichte des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), der in zwei Wahlperioden von 2001 bis 2013 amtierte, ist am 29. August 79-jährig verstorben.

 

In der Reihe seiner Vorgänger und seines Nachfolgers sticht der belgische Arzt Jacques Rogge, ein gebildeter, feinsinniger, bescheidener und liebenswürdiger Mann, deutlich heraus. Er verkörperte einen Anführer des Weltsports, der sich ebenso wie der zweite IOC-Präsident Pierre Baron de Coubertin für Anstand und Fairness einsetzte. Der moralisch felsenfeste Schüler eines Genter Jesuitenkollegs hat die Seuche des Sportbetrugs durch Doping härter bekämpft als jeder andere Sportfunktionär, die Weltantidopingagentur (Wada) hat er finanziell und vor allem dadurch unterstützt, dass er sie ihre Arbeit tun ließ, ohne sich ungefragt einzumischen. Für seine Haltung wurde er schon 2002 von König Albert II zum Grafen ernannt.


 

Bei einer Begegnung im Mai 2010 an der Technischen Universität Darmstadt machte Jacques Rogge deutlich, dass das IOC aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung des Sports und seines unermesslichen Reichtums nicht nur die Aufgabe habe, alle zwei Jahre Olympische Sommer- und Winterspiele zu organisieren und den Besten Medaillen um den Hals zu hängen: „Wir haben außersportliche Ziele: Die Beseitigung von Armut und Hunger, die Förderung der Gleichheit von Mann und Frau, die Bekämpfung von Aids, die Förderung von Bildung für alle und die nachhaltige Umweltverträglichkeit des Sports.“ Dass das IOC zu einer Gelddruckmaschine verkommen ist, hat ihm nicht gefallen, obwohl das viele Geld half, sich seinen Zielen zu nähern.

 

Jacques Rogge, 1964, 1968 und 1972 Olympiateilnehmer im Segeln und Rugby-Nationalspieler, hat als junger Arzt drei Monate zur Fortbildung bei Professor Horst Cotta an der Orthopädischen Universitätsklinik in Heidelberg-Schlierbach verbracht. „Das war eine wunderbare Zeit, die ich sehr genossen habe. Ich habe neue Operationstechniken gelernt“, erinnerte sich Jacques Rogge.

 

Nachdem er im Oktober 1964 in Hürth ein Rugby-Länderspiel gegen Deutschland mit 3:11 verloren hatte, wusste er, dass es seinen Sport auch in Heidelberg gibt. Ein anderer junger Arzt namens Gisbert Schumacher – der Vater der Meistertriathletin Katja – kümmerte sich um den hageren Stürmer aus Belgien und nahm ihn mehrfach mit zum Training beim Sportclub Neuenheim. 2010 in Darmstadt sprach er die Hoffnung aus, dass sich die Deutschen im Siebenerrugby für Olympia in Rio qualifizieren würden. Das ist leider nicht geglückt, für Tokio 2021 auch nicht.

 

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IOC-Präsident Jacques Graf Rogge (1942 – 2021). Foto: dpa



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Sonntag, 29. August 2021

Michael Volle ist der beste Hans Sachs der Welt

Ein Fazit nach den 109. Bayreuther Festspielen


Bei den 109. Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth, die am 25. August zu Ende gegangen sind, haben drei Frauen Ovationen des Publikums erfahren. Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv, die als erste Frau überhaupt eine Oper im Festspielhaus dirigieren durfte und den „Fliegenden Holländer“ ebenso flott wie feinfühlig anbot, die litauische Sopranistin Asmik Grigorian, die sich mit ihrer Interpretation der Senta in die Reihe der ganz großen Wagner-Sängerinnen einreihte, und Lise Davidsen aus Norwegen, die in der konzertant dargebotenen „Walküre“ eine Sieglinde verkörperte, die man nie vergessen wird. Beide Sängerinnen stehen am Anfang einer Weltkarriere: Grigorian wurde bei den International Opera Awards 2019 als „Sängerin des Jahres“ ausgezeichnet, Davidsen wurde diese Ehre 2021 zuteil.

 

Künstlerinnen und Künstler, die während ihrer prägenden Engagements an nordbadischen Bühnen bleibende Eindrücke hinterlassen hatten, wurden von den pandemiebedingt nur 911 Besuchern im Festspielhaus gefeiert. Der 61-jährige Freudenstädter Michael Volle ist – das darf man nach Bayreuth 2021 feststellen – gegenwärtig der beste Hans Sachs der Welt. Ausgebildet von Kammersänger Josef Metternich in Köln und Professor Rudolf Piernay an der Musikhochschule Mannheim, hatte Michael Volle sein erstes Engagement am Nationaltheater Mannheim, wo er sich in den 1990-er Jahren die großen Bariton-Rollen der Wagner-Welt erarbeitet hat. In Bayreuth zählt Michael Volle seit 2007 zu den „Meistersinger“-Solisten, zunächst als Stadtschreiber Sixtus Beckmesser und seit 2017 als Schustermeister Sachs.

 

Der aus Trento in Südtirol stammende Bariton Armin Kolarczik, der sich nach dem ersten Staatsexamen auch Magister Juris nennen darf, ist seit 2007 am Badischen Staatstheater Karlsruhe engagiert und feierte dort als Wolfram von Eschenbach im „Tannhäuser“, Beckmesser in den „Meistersingern“ und Kurwenal in „Tristan und Isolde“ Erfolge. In Bayreuth ist er seit 2017 als Spenglermeister Konrad Nachtigal zu erleben – musikalisch und komödiantisch ein Vergnügen.

 

Der im polnischen Lodz geborene Bariton Tomasz Konieczny, dessen Stammhaus seit 2009 die Wiener Staatsoper ist und der im Bayreuther „Lohengrin“ von 2018 den Friedrich von Telramund gab, musste Ende Juli eine ganz schwierige Aufgabe meistern. Nachdem Walküren-Wotan Günther Groissböck in der Generalprobe Stimm- und Textprobleme hatte, sprang Konieczny ein und erntete reichen Dank des Publikums. Tomasz Konieczny war von 2002 bis 2005 Ensemblemitglied des Nationaltheaters Mannheim und hatte als bester Nachwuchssänger den vom Intendanten ausgelobten Arnold-Petersen-Preis erhalten.

 

Anfang der 2000-er Jahre war Mannheim ein Sprungbrett für Talente, zu denen von 2001 bis 2007 auch der 52-jährige Bariton Markus Eiche aus St. Georgen zählte, der neben seinem Engagement in Wien und seinen Gastspielen in aller Welt seither auch immer wieder in Bayreuth singt. Seit 2019 verkörpert er den Wolfram von Eschenbach im „Tannhäuser“ – man darf von einer Idealbesetzung sprechen.

 

Die Sopranistin Daniela Köhler wurde während ihres Studiums bei Professor Ingrid Haubold an der Musikhochschule Karlsruhe vom Zonta Club Karlsruhe und dem Lions Club Durlach gefördert und gab nun die Walküre Helmwige. Am Nationaltheater Mannheim wird sie in der neuen Spielzeit als Senta im „Holländer“ zu erleben sein.

 

Die Sopranistinnen Nelly Palmer aus Ludwigshafen und Tatjana Petersen aus Mannheim, die Altistin He Mi Kwon aus Karlsruhe, Tenor Gimoon Cho aus Mannheim und Bass Oliver Pürckhauer aus Ludwigshafen sangen im fabelhaften Festspielchor, und im Festspielorchester trugen die beiden Nationaltheater-Musiker Orlando Fellows in den 2. Violinen und Alexander Michael Petersen mit der Viola zum großartigen Klang bei.

 

Der Richard-Wagner-Verband Heidelberg, der den Sopran Felicity Förster aus Frankfurt/Main, den südkoreanischen Bariton Joonyeop Kim von der Musikhochschule Mannheim und die aus Peru stammenden Brüder Lorenzo Costa (Violine) und Leonardo Costa (Cello) mit Stipendien zur Festspiel-Teilnahme ausgestattet hatte, feiert am 19. September im Palais Prinz Carl sein 100-jähriges Bestehen mit Musik und Festvorträgen – man darf sich vorfreuen.



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Sonntag, 8. August 2021

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Kritisch ferngesehen (V)

Die XXXII. Olympischen Sommerspiele 2020 in 2021 in Tokio sind Geschichte. Sie waren – da nehmen wir dem IOC-Präsidenten Dr. Thomas Bach die Lobesworte frech von der Zunge – die besten Coronavirus-Spiele aller Zeiten. Die deutschen Athletinnen und Athleten haben ihre Wettkämpfe tapfer durchgestanden, ihre Siege in würdiger Bescheidenheit gefeiert und ihre Enttäuschungen (wie der Skuller Oliver Zeidler, der Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul und die Speerwurf-Asse Christin Hussong und Johannes Vetter) geschickt hinter den Hoffnungen auf Paris 2024 verborgen. Die Kampfrichtenden sind so gut wie nie unangenehm aufgefallen, und die Funktionierenden haben erwartungsgemäß funktioniert und wurden nur dann vorzeitig nach Hause geschickt, wenn sie sich rassistisch geäußert oder ein fremdes Pferd, das eselhafte Sturheit an den Tag legte, mit einem Fausthieb auf den Popo bestraft hatten.

Die Angehörigen der vom scheidenden DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann umsichtig angeführten deutschen Equipe haben sich stark bemüht, Platz fünf im Medaillenspiegel von 2016 in Rio de Janeiro aber nicht halten können. Rang neun wurde in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Niederlanden, Italien und Frankreich auf den Plätzen sieben, acht und zehn belegt. 17 Goldmedaillen gab es in Rio, diesmal nur zehn. Elfmal glitzerte das Edelmetall diesmal silbern, das ist ebenso besser als an der Copa Cabana (10) wie die Ausbeute der Bronzemedaillen: Rio 15, Tokio 16 – insgesamt gab es 42 Plaketten in Brasilien und 37 in Japan.

Man kann also nicht behaupten, dass die 2015 eingeleitete Spitzensportreform schon sichtbare Verbesserungen gezeitigt hätte. Das mag aber auch daran liegen, dass der ehemalige Bundessportminister Thomas de Maizière (CDU) und seine überforderten BMI-Beamten dem Sport den dringend benötigten Mittelaufwuchs zu lange verweigert haben und erst der gegenwärtige Sportminister Horst Seehofer (CSU) die zwischen Politik und Sport vereinbarten Fördergelder gewährt hat. Ihm war bewusst, dass der, der Medaillen und persönliche Bestleistungen fordert, auch wirksam fördern muss. In drei Jahren in Paris sollte sich der neue Geldsegen aus der Staatskasse aber positiv auswirken – die Hoffnung stirbt zuletzt.

Interessant am Rande: Nicht weniger als 93 Nationen haben in Tokio Edelmetall gewonnen, Botswana, Burkina Faso, die Elfenbeinküste, Ghana, Grenada, Kuwait, Moldawien und das vom Krieg zerstörte Syrien haben jeweils eine Bronzemedaille erkämpft. Olympiasieger 2021 wurden die USA mit 39 Gold-, 41 Silber- und 33 Bronzemedaillen (= 113 Plaketten) vor China (38/32/18 = 88) und Gastgeber Japan (27/14/17 = 58). Den Ausschlag im erbitterten Zweikampf an der Spitze gaben die Siege der US-amerikanischen Basketball- und Volleyball-Frauen. Die wenigen russischen Sporttreibenden, die in den letzten drei Jahren nicht beim Doping erwischt wurden, sind Vierte (20/26/23 = 69).

Die drei Dressur-Damen und Jessica von Bredow-Werndl in der Einzelwertung, Vielseitigkeitsreiterin Julia Krajewski, Wildwasserkanutin Ricarda Funk, Ringerin Aline Rotter-Fokken, die Frauen des Bahnrad-Vierers und Weitspringerin Malaika Mihambo eroberten sieben der zehn Goldmedaillen für den DOSB. Dem stehen die Olympiasiege von Alexander Zverev im Tennis, von Florian Wellbrock im Freiwasserschwimmen und der Männer des Kajak-Vierers gegenüber. Wollte man nun behaupten, Frauen in Deutschland seien stärker als Männer, so wäre dies, lieber Leser, liebe Leserin und liebes Leserlein, ausnahmsweise mal nicht sexistisch und politisch völlig korrekt. Die Äußerung der ZDF-Expertin Christina Vogel, die unter Wert geschlagenen deutschen Keirin-Frauen bräuchten jetzt halt mal ein paar Eier, hat nicht nur meinen Papagei verwirrt. „So sagt man bei uns Radfahrern“, erläuterte Vogel. „Aha!“, sagte mein Papagei.

Über das Abschneiden der deutschen Spielsportmannschaften ist mein Papagei sprachlos. Die Fußballer, Basketballer und Handballer, beide Hockeyteams und die Beachvolleyballer haben keine Medaillen gewonnen. Die Frauen im Basketball, Fußball, Handball, Siebenerrugby, Volleyball und Wasserball und die Männer im Siebenerrugby, Volleyball und Wasserball hatten sich nicht für Tokio qualifiziert.

Mein Papagei ist außerordentlich froh, am vorletzten Wettkampftag endlich, endlich den IOC-Präsidenten im Fernsehen entdeckt zu haben. Thomas Bach hatte den streng bewachten Hotelturm seines edlen Clubs verlassen und sich, eskortiert von seinem wahrscheinlichen Nachfolger Lord Sebastian Coe, unter das Volk begeben, um den Marathonläuferinnen beim Zieleinlauf zu applaudieren. Der oberste Sportler der Welt trug vorschriftsgemäß eine Mund-Nasen-Bedeckung, um sich vor dem Virus zu schützen und von den wenigen Menschen an der Strecke nicht erkannt zu werden.

Bach hatte sich im Vorfeld der Spiele, obwohl er Abitur und studiert hat, gegenüber den Gastgebern ziemlich ungeschickt geäußert und zu schlechterletzt die Bitte der japanischen Regierung ignoriert, die Wettkämpfe am Jahrestag des Atombombenaufwurfs auf Hiroshima für eine Gedenkminute zu unterbrechen. Thomas Hahn, der für die Süddeutsche Zeitung sehr kluge Artikel schreibt, hat in Tokio eine Bevölkerungsbefragung durchgeführt und ermittelt, dass der IOC-Präsident im Land der aufgehenden Sonne so beliebt sei wie Auric Goldfinger. Ältere Zeitgenossen werden wissen, dass dieser von Gert Fröbe verkörperte Bösewicht 1964 in der ersten James-Bond-Verfilmung der Gegenspieler von 007 Sean Connery gewesen ist.

Freitag, 6. August 2021

Die Bahnen werden immer schneller

Kritisch ferngesehen (IV)

Wer bei den Fernsehübertragungen von den Olympischen Spielen 2020 in 2021 so aufmerksam zuschaut wie mein Papagei, entdeckt Erstaunliches. Weil sich auch in Tokio das Coronavirus hartnäckig gegen alle möglichen Desinfektionsmittel wehrt und selbst Meister Proper ziemlich machtlos ist, tragen die Sporttreibenden und ihre Betreuenden ebenso wie die Kampfrichtenden, Zuschauenden und Reportierenden die vorgeschriebenen Mund-Nasen-Bedeckungen, und zwar ganz unabhängig davon, ob sie weiblich, männlich oder divers sind. Mein Papagei, das muss ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, ganz unverblümt berichten, war geradezu entsetzt, dass Dalera, Bella Rose und Showtime sämtliche Hygienevorschriften missachtet haben und die Goldmedaille in der Dressur ohne Coronamaske gewonnen haben. „Diese stolzen Rösser können sich wohl alles leisten“, schimpfte mein Papagei.

Mit Mund-Nasen-Bedeckung und damit vollkommen regelgerecht kommentierte Carsten Sostmeier die Reitwettbewerbe für die ARD und hat sich – wie 2016 in Rio – auch bei diesen Olympischen Spielen den Medienpreis meines Papageis verdient. Der 62-jährige gelernte Bankkaufmann aus Bad Soden-Salmünster gilt als der Poet unter den Sportreportern. Den Ritt der deutschen Dressurreiterin Dorothee Schneider auf Showtime kommentierte er - leise näselnd – sinngemäß so: „Die Schenkel der Reiterin umfangen gefühlvoll den Leib des Pferdes, so dass dieses gehorsam die Ohren spitzt und mit dem Schweif wedelt…“ Honi soit qui mal y pense – uns ist es jedenfalls ein Vergnügen, aus Sostmeiers Werken zu rezitieren.

Im Turnen hat sich viel verändert. Turnerinnen nehmen sich das Recht heraus, mit langen Hosen zu performen und haben dafür ebenso unseren Beifall verdient wie die US-Amerikanerin Simone Biles. Die beste Turnerin aller Zeiten spürte unangemessenen Erfolgsdruck und eine innere Schwäche und nahm sich die Freiheit, das Mannschaftsfinale abzubrechen und zum Mehrkampffinale nicht anzutreten. „Respekt!“, klatschte mein Papagei mit den Flügeln, der natürlich weiß, dass alle Amerikaner und insbesondere die Sponsoren der Athletin Gold, Gold und nichts anderes als Gold erwartet hatten. Zum Abschluss der Gerätefinals gewann sie Bronze am Schwebebalken – die siebte Olympiamedaille der 24-Jährigen ist für sie und für uns Gold wert.

„Turnküken“ gibt es bei Olympischen Spielen übrigens nicht mehr, seit der Weltverband entschieden hat, dass man 16 Jahre alt sein muss, um teilnehmen zu dürfen. Dass man auch als ausgewachsene Frau beste Leistungen zeigen kann, bewies die vor 27 Jahren im Heidelberger St. Elisabeth-Krankenhaus gesund zur Welt gekommene Eli Seitz, die für Stuttgart turnt und in Tokio mit Platz fünf am Stufenbarren überzeugte.

Ein bisschen älter als Seitz ist Oksana Chusovitina, die in Tokio – nach ihren achten Olympischen Spielen und im Alter von 46 Jahren – entschieden hat, ihre erfolgreiche Laufbahn zu beenden. Die 1,53 Meter große und 44 Kilogramm schwere Turnerin war 1991 Weltmeisterin am Boden und mit dem Team und 2003 Weltmeisterin im Sprung und feierte 1992 in Barcelona den Olympiasieg mit dem Team. Oksana Chusovitina startete, weil die Weltpolitik es so wollte, bei Olympia für vier Nationen: Zunächst für die Sowjetunion, dann für die GUS, später für Usbekistan, von 2006 bis 2013 für Deutschland und nun wieder für Usbekistan. Nach Deutschland kam sie ihres damals dreijährigen Sohnes wegen, der in der Uniklinik Köln wegen einer lebensgefährlichen Krankheit behandelt werden musste. Damals turnte die Mama in der Bundesliga für Toyota Köln.

In Zeiten strenger Dopingkontrollen, die freilich während der Pandemie nicht überall durchführt werden konnten, sind Weltrekorde seltener geworden. Wohlmeinende Kommentatoren führen Bestzeiten im Radsport, im Schwimmen und in der Leichtathletik hauptsächlich auf schnelle Bahnen, weiches Wasser und technische Verbesserungen an den Schuhen, Rädern, Badekappen und Helmen zurück, denn im Hochleistungssport besteht die Grundüberzeugung, dass alle Akteure hundertprozentig gut und edel sind.

Ältere Menschen werden sich daran erinnern, dass bei den Olympischen Spielen 1972 in München der deutsche Bahnrad-Vierer mit Jürgen Colombo (Stuttgart), Günter Haritz (Leimen-St. Ilgen), Udo Hempel (Düsseldorf) und Günther Schumacher (Rostock) die Goldmedaille gewonnen haben. 4:22,14 war die Siegerzeit, und Silbermedaillengewinner DDR kam nach 4:25,25 Minuten ins Ziel. 2021 in Tokio schlug sich der deutsche Bahnvierer ebenfalls prächtig und stellte mit 3:48,86 Minuten einen neuen deutschen Rekord auf. Diese Fabelzeit reichte für Domenic Weinstein (Villingen), Leon Rohde (Hamburg), Theo Reinhardt (Berlin) und Felix Groß (Feuchtwangen) aber nur zu Platz sechs. So schnell ist die – diesmal von einer deutschen Schreinerei gebaute - Fichtenholz-Bahn inzwischen geworden. Sollte Annalena Baerbock Bundeskanzlerin werden, ist allerdings – mindestens europaweit – mit einem Tempolimit zu rechnen. 

Sonntag, 1. August 2021

Kamelrennen bei Olympia 2024?

Kritisch ferngesehen (III)

 

Was haben Daniel Jasinski, Clemens Prüfer und mein Papagei gemeinsam? Ja, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, sie haben beim Finale im Diskuswerfen zugeschaut.

 

Bis zur Halbzeit in Tokio haben uns die Wildwasserkanuten, die Wasserspringer, die Judoka (jeweils m/w) und die Dressurreiter und ihre Pferde (w/d) in Entzücken versetzt, und als Alexander Zverev (m) den weltbesten Tennisspieler Novak Djokovic besiegt hatte, wurde es auf unserem Sofa nass, denn auch meinem Papagei perlten Freudentränen übers Gefieder.

 

Bei anderen Sportarten muss man bezweifeln, ob die Reform des deutschen Spitzensports, die zu einer rasanten Vermehrung teurer Sportdirektoren und Leistungssportreferenten geführt hat, während Trainer (m/w/d) noch immer schlecht bezahlt werden, schon Wirkung entfaltet hat. Die Ruderer und Schwimmer (m/w) warfen Fragen auf, weil sie – sofern überhaupt qualifiziert – in den Vorläufen schneller waren als in den Finals. Und über das Abschneiden der Fechter (m/w) und Fußballer (m) schweigt des Sängers Höflichkeit. Der DFB, größter Sportverband der Welt, schickte einen unvollständigen Kader nach Japan, weil Topklubs Olympia für Quatsch halten. Das müssen Politiker wissen, wenn der DFB wieder Sonderrechte reklamiert, für die es sportlich keine Berechtigung mehr gibt.

 

Für die neueren olympischen Sportarten – BMX, Baseball, 3 x 3-Basketball, Siebenerrugby, Skateboard, Wellenreiten – haben sich deutsche Athletinnen und Athleten entweder nicht qualifiziert oder sie nahmen unter „ferner liefen“ teil. Mein Papagei, an Neuem immer interessiert und total begeistert, wenn Menschen mit Tieren so gut harmonieren wie die Dressurreiterinnen, hat einen Brief an IOC-Präsident Thomas Bach geschrieben und für die nächsten Olympischen Spiele die Aufnahme zweier neuer Wettbewerbe in das Programm vorgeschlagen: Windhunderennen (damit die Mitglieder des IOC selbst ein bisschen Sport treiben können statt sich in einem Hotelturm zu verschanzen) und Kamelrennen, wodurch man die uralten Disziplinen Straßenrennen und Einzelzeitfahren elegant ersetzen könnte. „Dabei können unsere Radprofis sowieso nicht mithalten“, findet mein Papagei.

 

Dass man heutzutage, also bei Olympia 2020 in 2021, Worte, die einem am Stammtisch über die Lippen flitzen, nicht laut sagen und schon gar nicht brüllen darf, weiß nun auch der Rad-Sportdirektor Patrick Moster, der unter den Konkurrenten seiner Looser „Kameltreiber“ wähnte, obwohl Kamele überhaupt nicht radfahren können. In Zeiten des Respekts ist man auch gut beraten ist, Menschen nicht mit Tieren zu vergleichen. Turnflöhe, Wasserratten, Sandvipern oder Fußballmäuse sind mindestens unmodern, wenngleich Mexikos Fußballer arg an Speedy Gonzales erinnern.



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