Zum 80. Geburtstag von Ursel Wirth-Brunner, Deutschlands „Sportlerin des Jahres von 1963“
Ursel Wirth-Brunner, langjährige Rektorin der Internationalen Gesamtschule Heidelberg, war einst Deutschlands beste Schwimmerin. Am 30. Januar 2021 feiert die Baden-Württembergerin in Heidelberg-Rohrbach bei bester Gesundheit ihren 80. Geburtstag.
Frau Wirth-Brunner, Sie sind Deutschlands „Sportlerin des Jahres 1963“. Ihr Schwimmkollege Gerhard Hetz aus Hof gewann die Sportlerwahl im gleichen Jahr. Warum stand der Schwimmsport damals so hoch im Kurs?
Weil es damals noch keine Profi-Sportarten gab. Die Amateursportler aus der Leichtathletik und aus dem Schwimmen waren international erfolgreich und deshalb in Deutschland sehr beliebt.
Warum sind Sie eine so gute Schwimmerin geworden?
Durch mein Talent und durch Fleiß. Ich habe ein ideales spezifisches Gewicht: Meine Knochen sind so leicht, dass ich auf dem Wasser liegen konnte, ohne mich zu bewegen. Mit viereinhalb Jahren konnte ich hundeln. Mein Vater hat mich in Ziegelhausen in den Neckar geworfen, damit ich schwimmen lerne. Fortbewegt habe ich mich wie ein kleiner schwarzer Pudel. Im Strandbad in Ziegelhausen habe ich mir von den Schwimmern des SV Nikar die richtige Technik abgeguckt. Ich bin im Sternzeichen Wassermann geboren und habe mir alles – Kraul, Delfin, die Atemtechnik, die Rollwende und die Disziplin – selbst beigebracht. Wenn ich etwas erreichen wollte, habe ich solange geübt, bis ich es konnte. Bundestrainer Paul Andreas stellte fest: Du machst zwar alles falsch, bist aber die Schnellste.
Sie haben bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom zwei Bronzemedaillen mit der gesamtdeutschen 4 x 100-m-Freistil- und der 4 x 100-m-Lagenstaffel gewonnen. Welche Erinnerungen haben Sie an Olympia?
Es war eine große Freude, in einer so wunderbaren Stadt mit der Antike verbunden zu sein und bei der Eröffnungsfeier so viele frohe Menschen erleben zu dürfen. Als einzige Bundesdeutsche mit drei ostdeutschen Schwimmerinnen eine Staffel zu bilden, hat mich unheimlich motiviert. Ich bin im Lagenfinale zwei Sekunden schneller geschwommen als je zuvor. Ich habe unsere Sprinter Armin Hary, Martin Lauer, Charly Kaufmann und Manfred Germar angefeuert und bei einem Jazztanz-Abend im Olympischen Dorf einen unheimlich eleganten Tänzer beobachtet. Ich dachte: Der ist so geschmeidig, das muss ein Boxer sein. Er hieß Cassius Clay und kam aus den USA.
Sie haben 27 deutsche Meistertitel gewonnen und 99 deutsche Rekorde aufgestellt. Warum keine 100?
Ich habe mich immer über einen Sieg oder eine Meisterschaft gefreut. Rekorde haben mich nicht so interessiert. Die Rekordliste des Deutschen Schwimm-Verbandes wurde von Claus Bastian in Karlsruhe geführt, dem ich vertraut habe. Wenn er 99 Rekorde notiert hat, waren es keine hundert. Ich bin die damals üblichen Strecken 100, 400 und 1500 Meter geschwommen. Hätte es damals schon Rennen über 50, 200 und 800 Meter gegeben, wären es wohl deutlich über 100 Rekorde geworden. Ich war ja einzigartig: Grundschnell für die 100 Meter und ausdauernd für die 400 und 1500 Meter. So etwas gibt es heute nicht mehr.
Wie viele Schützlinge haben Sie als Trainerin zu Olympischen Spielen geführt?
1968 in Mexico-City waren es Lutz Stoklasa, der Sechster über 100 Meter wurde, und fünf Buben aus Essen, deren Trainer gesperrt war. 1972 in München habe ich Helmi Boxberger, Uta Schütz und Helga Wagner betreut, die neunte und zehnte Plätze belegt haben. 1976 in Montreal waren es Barbara Gellrich und Barbara Schwarzfeld. 1980 haben meine Athleten Marion Aizpors, mit 55,8 Sekunden die drittbeste Kraulerin der Welt, und Peter Knust Olympia in Moskau wegen des Boykotts verpasst, worüber ich noch heute erbost bin. Und 1984 in Los Angeles erreichte Stefan Peter vom SV Nikar Bronze mit der Lagenstaffel.
Nach den Spielen in L.A. haben Sie Ihren Schlüssel zum Bundesleistungszentrum Heidelberg abgegeben. Warum?
Ich habe sofort auf den ersten Dopingfall im bundesdeutschen Schwimmen reagiert. Als Trainer Claus Vandenhirtz in Aachen des Dopings beschuldig wurde, wollte ich mit dem Schwimmen nichts mehr zu tun haben. Ich habe nie gedopt, meine Athleten auch nicht. Ich wusste aber: Ein nicht gedopter Athlet kann einen gedopten Athleten niemals schlagen. Es hat also keinen Sinn mehr gemacht.
Bis heute sind Sie in Heidelberg als „Mohrle“ bekannt. Haben Sie sich jemals diskriminiert gefühlt?
Nein, warum auch? Der Fernsehjournalist Sepp Scherbauer, Experte im Boxen, Schwimmen und Turnen, hat mir diesen Kosenamen gegeben, als ich mit 15 Jahren in Speyer positiv auffiel. Er sagte, ich sei mit Haut und Haaren so schwarz wie Athletinnen aus Abessinien. Das war doch ein Kompliment! Auch bei Wettkämpfen in Mexiko war ich sehr beliebt. Die Leute sagten: Das kann doch keine Deutsche sein, das ist doch eine von uns.
Sie sind Ihrem Sohn Henning (43) zum Fechten gefolgt, waren Trainerin der TSG Rohrbach und Mitbegründerin des Heidelberger Fechtvereins. Was ist aus dem von Ihnen initiierten Talentcup der Degenkinder geworden?
Den Talentcup gibt es noch, er ist aber nicht sehr bedeutend. Henning kam durch meinen Mann Dr. Hans Wirth zum Fechten, der der schlagenden Burschenschaft Vineta angehörte. Henning hat seinem Vater begeistert zugehört und fand beim Fechten viele Freunde. Henning ficht nun bei den Veteranen der TSG. Ich habe mich als Trainerin da gut hineingefuchst, gebe aber keine Lektionen mehr.
Jahrzehnte haben Sie sich durch Schwimmen in den Heidelberger Bädern fit gehalten. Und heute?
Ich leide sehr darunter, dass alle Bäder geschlossen sind. Nun trainiere ich zu Hause mit dem Hüpfseil und mit Hanteln. Und ich schwimme in der Badewanne. Nachdem mir die Stadtverwaltung meine Ehrenkarte für die Bäder entzogen hat, fühle ich mich übrigens nicht mehr als Heidelbergerin, sondern bin nur noch Baden-Württemberg emotional verbunden.
Interview: Claus-Peter Bach am 30. Januar 2021 in der Rhein-Neckar-Zeitung
Bildtexte
Ursel Brunner bei der Olympiaqualifikation 1960 in Leipzig und heute beim Hanteltraining mit Perlenkette in ihrem Haus in Heidelberg-Rohrbach. Fotos: Pfeifer
Schneller schlauer mit der Rhein-Neckar-Zeitung!