Samstag, 6. Juni 2020

Volles Verständnis für Malaika Mihambo

Über den Wechsel der Weitsprung-Weltmeisterin in die USA

Die Nachricht traf Philipp Krämer nicht völlig unerwartet. Zwar erfuhr der Präsident des Badischen Leichtathletik-Verbandes (BLV) durch eine Meldung im Videotext, dass Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo von der LG Kurpfalz ihre nächste Lebensphase in den USA bei den Trainern Leroy Burrell und Carl Lewis verbringen wird, doch hatte der 73-jährige Schönauer geahnt, dass die 26-jährige gebürtige Heidelbergerin mit ihrem nächsten großen Satz nicht in einer Sandgrube irgendwo in Deutschland landen würde. „Ich freue mich für Malaika, denn das ist eine ganz großartige Geschichte“, sagt Krämer.

Seit Deutschlands „Sportlerin des Jahres 2019“ im Oktober in Doha mit 7,30 Metern zum WM-Titelgewinn gesprungen ist, gilt die Politik- und Umweltwissenschaftlerin als größte Olympia-Hoffnung der deutschen Leichtathletik; nicht wenige Fachleute fragen sich, wer ihr in Tokio 2021 die Goldmedaille wegschnappen sollte. Malaika Mihambo ist nämlich nicht nur eine perfekte Athletin mit schnellem Anlauf, großer Sprungkraft und sicherer Technik, sondern auch besonders nervenstark. Der WM-Finaltag im Wüstenstaat ist der Beweis dafür, denn der Goldsprung gelang nach einem beunruhigend schlechten und einem ungültigen Versuch. Auf das Erfolgsjahr 2019, in dem Malaika Mihambo zur zweitbesten deutschen Weitspringerin aller Zeiten nach Heike Drechsler (7,48 m/1988) wurde, folgte 2020 mit unangenehmen Überraschungen: Trainer Ralf Weber, mit dem Mihambo „zwölf Jahre lang ein Traumpaar im TSV Oftersheim gebildet hatte“, wie Philipp Krämer weiß, musste aus gravierenden persönlichen Gründen aufhören. Die Coronavirus-Pandemie machte ein sinnvolles Training wochenlang unmöglich. Und schließlich wurden die Olympischen Spiele um ein Jahr verschoben, war das bedeutende Trainingsziel plötzlich verschwunden.

Auf die Frage, welcher deutsche Trainer die Nachfolge Ralf Webers hätte antreten können, muss Philipp Krämer lange überlegen. Uli Knapp vom Stützpunkt Saarbrücken/Zweibrücken vielleicht, eventuell auch Uwe Florczak in Paderborn. Die beiden Weitsprung-Bundestrainer haben sicher einen guten Ruf, aber Krämer hat volles Verständnis dafür, dass Malaika Mihambo sich und ihre sportliche Zukunft zwei Experten anvertraut, die zu den Größten der Leichtathletik zählen: Lewis (58) ist neunfacher Olympiasieger im Sprint, im Weitsprung und mit der US-Staffel. Burrell (53) war Staffel-Olympiasieger 1992 und lehrt Sprint und Weitsprung seit vielen Jahren an der Houston University. Seit Herbst letzten Jahres hat Malaika Mihambo zu erkennen gegeben, dass sie künftig nicht nur als Weitspringerin Medaillen aus dem Sandkasten buddeln, sondern auch als Sprinterin weit kommen möchte.
Für Philipp Krämer, der immer ein herzliches Verhältnis zu seiner erfolgreichsten Athletin gepflegt hat und Malaika „ewig dankbar“ ist, dass sie sich „stets ohne Gage für Ehrungen des badischen Nachwuchses vorbildlich zur Verfügung gestellt hat“, ist es in diesen stressigen Tagen eine wichtige Aufgabe, das badische Startrecht für die Athletin zu erhalten. „Wir möchten vermeiden, dass sich ein anderer deutscher Verein Malaikas Startrecht schnappt, und ich kann sagen: Wir sind auf einem guten Weg.“

Gegenwärtig kämpfen Krämer und sein BLV – wie alle olympischen Fachverbände – gegen die Verwüstungen, die das unbarmherzige Coronavirus in der baden-württembergischen Sportlandschaft angerichtet hat. „Wir leben noch und kämpfen mit Zuversicht“, macht Krämer sich und seinen Mitstreitern Mut, doch weil seit Anfang März der Trainings- und Wettkampfbetrieb der Läufer, Springer und Werfer ruhen musste und erst im Juli mit der Erlaubnis zu ersten kleinen Sportfesten der Vereine gerechnet werden darf, hat der BLV seine Rücklagen verzehrt und ist in die roten Zahlen geraten. „Uns fehlen die Startgelder aus rund 100 Volksläufen und größeren Sportfesten wie dem Freiburg-Marathon, so dass uns bis jetzt aus unserem 650 000-Euro-Jahreshaushalt schon 90 000 Euro fehlen. Bis Ende 2020 werden es sicher 190 000 Euro sein“, prognostiziert Philipp Krämer (73), der der Politik für eine Soforthilfe in Höhe von 9000 Euro dankt und darauf hofft, dass auch der BLV vom Zehn-Millionen-Hilfspaket der Landesregierung für den Sport profitieren kann. Sein Eindruck nach 13-wöchiger Corona-Krise: „Auf unsere Partner in der Politik ist Verlass. Die Zusammenarbeit zwischen Landessportverband und Ministerin Susanne Eisenmann ist vertrauensvoll.“ Das sagt ein jahrzehntelanger SPD-Bürgermeister über eine CDU-Ministerin. Was ihn maßlos ärgert, sind die Sonderrechte, „die der Fußball mit brutalem Druck erzwungen hat“.

Der BLV mit seinen rund 60 000 Mitgliedern hat sofort auf die Pandemie reagiert, Homeoffice und Kurzarbeit für die 4,2 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen angeordnet und verfügt, dass alle Anschaffungen, die nicht zwingend erforderlich sind, unterbleiben müssen. „Bis auf weiteres gilt eine Haushaltssperre“, sagt Präsident Krämer, der über zwei Aspekte seines Sports sehr froh ist: Sehr viele Aufgaben werden nach wie vor von ehrenamtlichen Mitarbeitern höchst professionell erfüllt, und bei der Vermarktung des BLV-Jahrbuchs 2020 ist zu spüren, dass alle Sponsoren seinem Verband treu bleiben werden.

Claus-Peter Bach am 6. Juni 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

Bildtext

Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo will auch im Sprint in die Weltelite vorstoßen. Foto: vaf

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