Über den Sport in Zeiten der Corona-Pandemie
Während der Sport auf der Erde ruht, werden auf Wolke sieben Neuzugänge begrüßt. Dieser Tage, liebe Leserin, lieber Leser und liebes Leserlein, nahmen zwei ganz Große auf der Ehrentribüne Platz, nachdem Petrus an der Einlasskontrolle sie abgetastet und gelobt hatte: Sie wollten keine Pyrotechnik ins Paradies schmuggeln. Hartwig Gauder, der als gebürtiger Schwabe 1980 in Moskau die Marathon-Goldmedaille für die DDR gewonnen hatte, nahm dort Platz, wo man den besten Blick auf das Olympiastadion von Tokio hat. Weil die deutschen Läuferinnen, Läufer und Läuferlein nun ein Jahr länger trainieren dürfen, rechnen die Auguren im Deutschen Olympischen Sportbund dem Vernehmen nach mit einer Medaillenflut auf allen Langstrecken; Plaketten, die für Olympia 2020 – so kurzfristig! – nie zu erreichen gewesen wären.
Norbert Blüm, der Kugelblitz aus Rüsselsheim, setzte sich zielstrebig auf einen der besseren Plätze und zu den Fußballern, aber weit weg von Sportfreund „Helle“ aus Oggersheim, der ihm schon zu gemeinsamen Regierungszeiten trotz seines Durstes nicht besonders sympathisch war. „Jetzt haut ihm doch endlich auf die Schnauze!“, feuert der Kanzler der Einheit die tapferen Virologen Brinkmann, Drosten, Kekelé, Krause und Streeck an, die im ungleichen Kampf mit dem tückischen Virus schon um vier Uhr in der Frühe die Arbeit aufnehmen, um abends pünktlich bei Illner, Maischberger, Will oder Lanz sein zu können.
Fritz Walter, der die verbalen Ausfälle des Sportkameraden „Helle“ seit Jahren nur schwer erträgt, wendet sich entsetzt seiner Italia zu und murmelt: „Schatz, hasch’n widder ghört? Er soll doch Schorle drinke und net des starke Manna!“
Von Wolke sieben können die sportbegeisterten Engel im Manna-Rausch nicht nur ungeniert „Hosianna!“ singen und babbeln, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Sie sitzen quasi in der ersten Reihe und beobachten, wie das Coronavirus die Welt verändert. Mit einem Blick auf Heidelberg stellen sie fest, dass die Neckarwiese, zu ihren irdischen Lebzeiten ein beliebtes Terrain für Freizeitkicker, Boys und Girls am Volleyball-Beach und Trockenangler, ausschließlich von Grau- und Nilgänsen bevölkert ist. Diese werden aufmerksam von Ordnungshütern bewacht, damit sie mehrmals am Tag in aller Ruhe ihr Geschäft verrichten können. Dass auf all diesen grünen und braunen Würstchen Menschen irgendwann einmal wieder ein Sonnenbad genießen oder Sport treiben wollen, scheint im Gesundheitsamt niemanden zu interessieren – auch dort fahndet man verbissen nach dem Coronavirus, für bekanntere Infektionskrankheiten hat man keine Zeit. Das verstehen wir.
Wie mein Papagei feststellen durfte, der beim Flug auf Wolke sieben kaum Gegenverkehr hatte, weil die Lufthansa-Störche auf der Erde parken, haben die Grau- und Nilgänse inzwischen auch die stillgelegten Sportplätze im nördlichen Heidelberg in Besitz genommen, so dass den Kindern und Jugendlichen, die dort nach den Sommerferien wieder Fußball, Hockey, Lacrosse oder Rugby spielen sollen, ernste gesundheitliche Gefahren drohen. Denn auch dort – man mag es kaum glauben – erledigt das Federvieh sein Geschäft in freier Natur, obwohl es während der Coronavirus-Krise präzise behördliche Handlungsvorschriften für den Toilettengang gibt. „Und den Abstand halten sie auch nicht ein“, schimpft mein Papagei, der eine Nilgans beim Schnäbeln mit einem Storch beobachtet hat. Offenbar sind Störche auch nicht mehr das, was sie einmal waren.
In der Hauptstraße, Heidelbergs früherer Einkaufsmeile, kann man von Wolke sieben aus sehen, dass anstelle der Fußgänger nun besonders viele Radfahrer ihre Olympia-Vorbereitungen in hohem Tempo durchführen. Auch sie haben von Herrn Dr. Thomas Bach ein volles Jahr geschenkt bekommen, das sie auf dem Kopfsteinpflaster bestmöglich nutzen wollen. Man muss die Pedaleure verstehen, schließlich sind die Rennbahnen in Oberhausen und bei Endspurt Mannheim wie die Neckarwiese gesperrt. Und man muss als strammer Radler auch keine Angst haben, geschnappt zu werden, wenn man einem patroullierenden Paar in Uniform in der Eile mal hurtig den Mittelfinger zeigt. Neuzugang Blüm regt sich unheimlich über diese Frechheiten auf und kann sich erst beruhigen, als Sportfreund „Helle“ ruft: „Mensch, Nobby, halt die Klapp, dei Rente war doch sicher!“
Bei einem Kurzbesuch in Lausanne hat mein Papagei erfahren, dass das IOC schon für Tokio 2021 eine neue Disziplin ins Wettkampfprogramm aufnehmen möchte: Jammern – „auf höchstem Niveau!“. Die Chefs von Bayer, Commerzbank, VW und ein paar andere Nieten in Nadelstreifen sollen Wild Cards erhalten. „Dann ist Olympia wieder so wie 1896, als auch nur reiche Müßiggänger teilnehmen durften“, findet mein Papagei.
Claus-Peter Bach am 2. Mai 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung
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