Montag, 27. April 2020

„Heidelberg ist meine Heimat“

Über den Heidelberger Leichtathleten und Speerwurf-Trainer Atef Ismail

Er ist 86 Jahre alt und wohlauf. Atef Ismail, für die Universität, die TSG 78 und den USC Heidelberg einer der besten Leichtathleten aller Zeiten, lebt mit seiner Ehefrau Uli seit 1999 in Kairo – in einer geräumigen Wohnung hoch oben in einem Hochhaus mit herrlichem Blick auf den Nil.

Auch vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie, die in Ägypten bisher nur 350 bekannte Infektionen mit allerdings 110 Todesopfern ausgelöst haben soll, hatte das Ehepaar kaum einen Grund, ihr Paradies auf der 21. Etage zu verlassen: „Uns geht es den Umständen entsprechend gut. Wir brauchen nicht aus dem Haus zu gehen, denn der Lieferservice ist gut organisiert“, sagt Atef Ismail über das Leben in einem Land, in dem gegenwärtig ein totaler Shutdown gilt: „Nur Apotheken und Polizeistationen sind geöffnet. Ab 18 Uhr gilt ein striktes Ausgehverbot. Flughäfen, Bahnhöfe und Busse sind außer Betrieb. Nicht einmal Familienbesuche sind gestattet“, bedauert Ismail, der glücklich ist, „durch das Internet weltweit mit unseren Familien und Freunden verbunden“ zu sein. Nach Heidelberg sendet er herzliche Grüße: „Das ist meine Heimat. In Kairo fühle ich mich noch immer wie ein Tourist.“


Atef Ismail ist der Spross einer begüterten Familie. Sein Vater, Sheikh Mustafa Mohamed El-Mursi Ismail (1905 - 1978), war der bedeutendste Koran-Rezitator der Islamischen Welt und religionspolitischer Berater von König Farouk und den Staatspräsidenten Nasser und Sadat. Dieser kluge Mann sandte seinen 20-jährigen Filius 1953 zum Medizinstudium nach Heidelberg, wo der sportliche junge Mann schnell zu Ruhm und Ehre kam. Denn in der Vorlesung „Die plastische Anatomie“ bat ihn Professor Hermann Hoepke während des ersten Wintersemesters, im Adamskostüm auf einen Tisch zu steigen, damit er als praxisnaher Hochschullehrer die Studierenden mit einem Zeigestock darauf hinweisen konnte, auf welche Körperteile es beim Mann auch ankommt. Besonders die Studentinnen und Doktorinnen fanden das hoch interessant, ihre Begeisterung über dieses quicklebendige Ausstellungsstück war nicht geheuchelt.

Als Atef Ismail seine bescheidene Bude in Schlierbacher Hanglage bezog, war das unbeschwerte Studentenleben allerdings schnell vorüber. Dort mochte man keine Ausländer, und auch an der Ruperto Carola herrschte damals – wie die Studierenden um 1968 skandierten – „unter den Talaren der Mief von tausend Jahren.“ Ismail war der Leidtragende und wurde von Nachbarn immer wieder denunziert. Mal soll sein Zimmer ein Bordell gewesen sein, mal galt er als Rauschgifthändler, mal als Ehebrecher und schließlich als Steuersünder, doch alle Besuche von Polizisten hatten ein Ergebnis: Die Beamten fanden nichts.

Seine Anwälte Günter Heim, der Präsident der Deutschen Anwaltskammer, und Robert Weber, von 1958 bis 1966 Oberbürgermeister von Heidelberg, setzten sich immer wieder für ihn ein, doch obwohl er seit 1965 mit seiner ersten Frau verheiratet „und Vater einer süßen Tochter“ war, wurde er in Heidelberg exmatrikuliert und musste in Homburg/Saar weiterstudieren. Es bedurfte des energischen Einschreitens von Oberbürgermeister Reinhold Zundel (Ismail: „Ein Mann mit Zivilcourage“), bis der im Sport und im Geschäftsleben so erfolgreiche Ägypter 1977 endlich, endlich eingebürgert wurde. RNZ-Lokalchef Dieter Haas schrieb damals einen Vierspalter und fragte in der Schlagzeile: „Verhinderten bösartige Intrigen die Einbürgerung?“


Es war mehr als das. Es wäre ein lohnendes Promotionsthema am Juristischen Seminar, den „Fall Ismail“ gründlich zu untersuchen und aufzudecken, welche Rechtsbrüche damals zum Nachteil des Studenten von Amtsträgern begangen worden sind.
Durch die Bekanntschaft mit einem Brauereibesitzer schuf sich Atef Ismail eine berufliche Existenz und eröffnete im Januar 1960 in der Friedrich-Ebert-Anlage den „Bamboo Club“, dem 1963 das „Shepherd’s“ in der Poststraße und 1968 das „Shepherd’s Lounge“ in der Hauptstraße als erste Adressen des Heidelberger Nachtlebens folgen sollten. Dort verkehrten, nach Siegen und nach Niederlagen, auch die besten Sportler: Leichtathleten und Basketballer des USC, Schwimmer und Wasserballer des SV Nikar, Tennisspielerinnen des HTC, Hockey- und Rugbyspieler – oft ging schon die Sonne auf, als Atef Ismail zu Bett ging.

Trotz dieses anstrengenden Lebens feierte der afrikanische Speerwurf-Meister von 1959 und Fünfte der Studenten-WM von 1955 im Speerwurf (Bestweite: 69,11 m) und Dreisprung (15,28 m), der auch im Weitsprung mit 7,09 m kein Schlechter war, viele große Erfolge. Er war vier Mal deutscher Hochschulmeister und zwei Mal Vizemeister, und im Speerwerfen war er ein großartiger Trainer.

Nachdem Professor Hermann Rieder Chef des Heidelberger Sportinstituts und Bundestrainer der Speerwerfer geworden war, fungierte Atef Ismail – zunächst als Freund und inoffiziell – als technischer Berater. Er war für die Beurteilung des Anlaufs des Athleten und des Angriffswinkels des Speers zuständig und freute sich nicht wenig, als Schützling Klaus Wolfermann, ein 80-m-Mann aus dem Frankenland, rasche Fortschritte machte, 1972 in München mit 90,48 m Olympiasieger wurde und ein Jahr später in Leverkusen mit 94,08 m Weltrekord warf.

Atef Ismails Expertise sprach sich herum, weshalb auch das Heidenheimer Talent Helmut Schreiber nach Heidelberg kam und seinen Rat suchte. Der „Sportarzt des Jahres 2014“ warf 1979 in Ulm 92,72 m und wurde in Mexico-City Studenten-Weltmeister. Dann kamen Claus-Peter Schneider aus Wetzlar, Peter Schreiber aus Leverkusen oder Peter Blank aus Frankfurt. „Ich habe sie bewundert, dass sie zweimal pro Woche diese Strapazen auf sich genommen haben“, sagt Atef Ismail im Rückblick auf die vielen Trainingsstunden im Heidelberger Uni-Stadion. Für die Werfer hat es sich jedenfalls gelohnt. Sie alle wurden deutsche Meister.

Mit all seinen Athleten, auch den Heidelberger Olympioniken Günter Glasauer und Hermann Schlechter, ist Atef Ismail in Kontakt: „Ich freue mich, dass es ihnen in Zeiten von Corona gut geht“, sagt er und drückt seine Uli an sich.

Claus-Peter Bach am 25. April 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung

Bildtexte

Atef Ismail (rechts) begutachtet den Angriffswinkel des Speers beim Anlauf des Studenten-Weltmeisters Helmut Schreiber. Foto: Elfriede Winterer

Atef Ismail (86) in seiner Wohnung in Kairo mit seinem Heidelberger Gast Gregor Korn. Foto: privat  

2 Kommentare:

  1. Schöner Bericht. Nun habe ich nach über 40 Jahren erfahren, wer der Wirt vom Shepherds wirklich war. Ich habe mich immer mehr für die Gastronomie als für den Sport interessiert. Aber Du warst damals schon hautnah dabei!

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  2. Eigentlich wollte ich den Kommentar unter Kranz@sisra.de veröffentlichen und nicht unkwown.....

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