Über das Olympische Basketball-Turnier 1972 mit Center Dietrich Keller
Bei den Olympischen Spielen 2020, die 2021 in Tokio ausgetragen werden, steht zum 20. Mal ein Basketball-Turnier auf dem Programm. Bei den Wettkämpfen um die 19 bisher vergebenen Goldmedaillen waren Nationalmannschaften des Deutschen Basketball-Bundes (DBB) nur fünfmal beteiligt: Für 1984 in Los Angeles mit Teamchef Hans Leciejewski (Heidelberg) und Platz acht, 1992 in Barcelona (Platz 7) und 2008 in Peking (Platz 10) hatten sich die Deutschen auf sportliche Weise qualifiziert. Bei den ersten olympischen Basketballspielen 1936 in Berlin (Platz 15 gemeinsam mit Ägypten, China und Lettland) und 1972 in München (Platz 12) waren die Teams als Gastgeber automatisch dabei.
Der 2,08 Meter lange Center Dietrich Keller, der im olympischen Sommer 1972 vom deutschen Meister TuS 04 Leverkusen zum USC Heidelberg gewechselt war, erinnert sich sehr gut an die größte sportliche Herausforderung seines Lebens: „Es waren wundervolle Spiele, doch nach dem Attentat auf die israelische Mannschaft war alles zerstört. Wir Athleten dachten: Hoffentlich brechen sie ab, doch nach der Trauerfeier ging es weiter – nicht munter, sondern in schrecklich gedämpfter Stimmung. Das Attentat war im Olympischen Dorf 50 Meter von unserer Unterkunft entfernt verübt worden. Bis zum Schluss lebten wir wie in einer Kaserne. Keiner hat sich mehr herausgetraut“, sagt der nun 76-jährige Keller, den alle „Didi“ nennen und der mit seiner Ehefrau Ute in Eppelheim lebt und die Coronavirus-Krise lesend und werkelnd zuhause im Garten aussitzt: „Das macht mir nichts aus, das muss jetzt sein.“
Keller, der große, humorvolle Mainzer Bub, wusste seit 1968, dass er eine Olympiade später vielleicht zum Olympiateam gehören würde, denn DBB-Sportwart Anton Kartak (Heidelberg) hatte frühzeitig 50 Spieler nominiert und den tschechischen Bundestrainer Miloslav Kriz mit der Bildung einer starken Mannschaft beauftragt. Mit den Männern von der „Kartak-Liste“ schied Kriz aber bei der EM-Qualifikation 1968 in Saloniki nach einem „Skandalspiel“ (Keller) gegen Griechenland aus. „Am Schluss hatten wir nur noch drei Spieler auf dem Feld“, kann sich Keller über „den Beschiss“ noch heute prima aufregen. Auf Kriz, „einen gutmütigen Mann und zerstreuten Professor“ (Keller), folgte Bundestrainer Theodor Schober, der als Spieler mit dem Turnerbund Heidelberg mehrmals deutscher Meister und inzwischen als Trainer des USC Mainz ein Freund und Förderer „Didi“ Kellers geworden war. „Torry“ Schober war Sportdozent an der Uni Mainz, und als Abiturientin Ute dort die Aufnahmeprüfung für das Sportstudium absolvierte und einem hilfsbereiten Studenten Defizite im Fach Basketball signalisiert, antwortete Keller: „Ich könnte Dir helfen...“
Mit Schober, der 91-jährig in Mainz lebt, das Autofahren freiwillig aufgegeben hat und von Keller regelmäßig besucht wird, kam der Erfolg. 1971 bei der Europameisterschaft in Essen belegte das Team den neunten Platz, und die Olympia-Vorbereitung verlief gut, allerdings nicht für alle. Der aus Mannheim stammende Heidelberger Playmaker Hans Riefling, seit 1967 im Nationalteam, verletzte sich ebenso wie der junge Osnabrücker Spielmacher Harald Rupp. Handblessuren verhinderten deren Olympia-Teilnahme.
„Didi“ Keller aber qualifizierte sich als klassischer Center neben dem Leverkusener Norbert Thimm – nach dem Urteil des Autors Michael Rappe („Magic Basketball“) bester Mann im deutschen Team und mit 143 Punkten fünftbester Korbjäger – für Olympia in München und hatte auch Pech. Nach den Auftaktniederlagen gegen Puerto Rico (74:81) und den späteren Olympiasieger Sowjetunion (63:87) war Keller am 93:74-Sieg über die Philippinen beteiligt, doch in diesem Spiel hatte er ein schmerzhaftes „Meeting“ mit einem kleinen gegnerischen Spieler, der ihn beim Sprung mit dem Knie mit voller Wucht am Oberschenkel traf. Den Muskelfaserriss auszukurieren, dauerte bis zum vorletzten Spiel gegen Australien, das mit 69:70 verloren wurde. Keller versäumte die beiden Niederlagen gegen Italien (57:68) und Jugoslawien (56:81) sowie die beiden Siege gegen Polen (67:65) und den Senegal (72:62) sowie das Spiel um Platz elf, das eine 83:84-Niederlage gegen Spanien brachte.
Das Endspiel gewannen die Sowjets mit 51:50 gegen die USA, die nach sieben Goldmedaillen geschlagen waren. Die Amerikaner waren der Meinung, dass Alexander Belows Siegeskorb nach der Schlusssirene erzielt worden sei, doch ihr Protest wurde verworfen, worauf sie nicht an der Siegerehrung teilnahmen. Bronze holte Kuba.
„Die Philippinen, die Amerikaner und wir waren in diesem Turnier die einzigen Amateure“, sagt Dietrich Keller, dem es nach einem katastrophalen Fahrradunfall 2017 wieder gut geht, der alle USC-Teams – besonders gerne aber die Damen – als Zuschauer unterstützt und der in engem Telefonkontakt mit seinen Olympia-Kameraden Norbert Thimm, Holger Geschwindner und Karl Ampt steht. Sie halten zusammen – wie damals.
Claus-Peter Bach am 6. April 2020 in der Rhein-Neckar-Zeitung
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