Bei Bouillabaisse und Andouillette
Frankreich ist blockiert. Aus Protest über
die Benzinpreis-Erhöhung und die Kürzung von Sozialleistungen haben fast
300 000 Bürgerinnen und Bürger in gelben Signalwesten rund 2080
Verkehrsknotenpunkte im ganzen Land besetzt. Die Aktionen zeigen Wirkung, zumal
die Sonntagsfrage eines Nachrichtensenders ergeben hat, dass nur 25 Prozent der
Franzosen ihren Staatspräsidenten Emmanuel Macron noch mögen. „Hauptsache, das
Essen schmeckt!“, flötet mein Papagei angesichts der gut frequentierten
Restaurants im Alten Hafen von Marseille und fügt ein bisschen altklug hinzu:
„Zum Demonstrieren braucht man Kraft.“
Zum Rugbyspielen auch, weshalb es kein
Wunder ist, dass während der WM-Qualifikation in Europas größter Hafenstadt
immer wieder Gruppen von Nationalspielern den Quai des Belges oder den Quai du
Port entlangschlendern. Den Anfang machten die Spieler aus Hongkong, die vom
Weltverband in Marseille einquartiert wurden, weil sie vor dem Turnier in der
Weltrangliste am besten platziert waren. Hongkong hat mit Yiu Kam Shing nur
einen einzigen Spieler mit chinesischen Wurzeln im 30-er Team, alle anderen
Akteure kommen aus Australien, Großbritannien, Neuseeland oder Südafrika.
„Einer heißt Max Denmark“, weiß man Papagei, „das verrät doch alles!“ Die
Spieler Hongkongs sind fröhlich und bevölkern gerne die Filialen des
Fußballklubs Olympique, dessen weiß-blaue Trainingsanzüge tatsächlich todschick
sind.
Am Sonntagabend marschierten die etwas
außerhalb wohnenden Hünen aus Kanada an den gut 2 000 großen und kleinen
Yachten vorbei, angeführt von Jamie Cudmore (40), dem berühmtesten kanadischen
Rugbystürmer, der mit seinen 118 Kilogramm auf 1,96 Meter bei seinen
europäischen Klubs in Llandovery, Llanelli und Grenoble einen tiefen Eindruck
hinterlassen hatte und 2010 mit dem AS Clermont-Auvergne als erster Kanadier
französischer Meister geworden war. Cudmore führte seine am Vorabend gegen
Deutschland siegreichen jungen Landsleute – in einen Irish Pub...
Dabei hat der starke Mann gewiss gewusst,
dass in Marseille Besonderes geschieht. Hier geht die Küche des Mittelmeers mit
den leckeren Gemüsen, der würzigen Bouillabaisse, den zarten Goldbrassen und
den frischen Krustentieren mit den Spezialitäten aus der Provence, den
Schinkenbraten, den Kalbsnieren oder den Andouilletten, dicken Würstchen aus
Darm und Magen von Schweinen, eine glückliche Ehe ein. Nicht von ungefähr sind
die Griechen um 600 vor Christus hier angelandet, und dass zum Anwärmen des
Magens der Pastis de Marseille erfunden wurde, ist auch kein Zufall.
Misserfolg wird im Rugby bestraft. Weil
die meisten deutschen Asse die fünf Spiele der Europameisterschaft 2018
bestreikt hatten, war das Team auf Ranglistenplatz 29 abgesunken und erhielt
wie Kenia ein Quartier im Novotel von Aix-en-Provence, gute anderthalb Stunden
vom Alten Hafen entfernt. „Wir haben es dort gut“, versicherte Teamchef Kobus
Potgieter, zumal es ihm gelungen sei, den Küchenchef etwas umzuschulen:
„Weniger Pommes frites und nicht so viel Weißbrot, mehr Sportlernahrung.“ Die
Spieler, obwohl alle schon über 18, trinken nur Wasser, Orangina oder
Apfelsaftschorle, die Trainer dürfen ihre Zungen durchaus auch mal im Merlot
oder dem zu Meeresfrüchten besonders gut passenden Picpoul de Pinet baden.
Am Dienstag freilich, als mein Papagei
über dem Hafen kreiste und seinen Freundinnen, den Möwen mit den gelben
Schnäbeln, zusah, wie sie sich auf den Beifang der Fischer stürzten, spazierten
auch die deutschen Nationalspieler durch Marseille. Nach dem kräftezehrenden
Spiel gegen Kanada und zwei Analyse- und Pflegetagen hatten sie ihren freien
Tag und genossen in der Drei-Millionen-Stadt das sonnige Wetter. Im Hafen gab’s
Erfrischungen und ein leckeres Mittagessen, aber keinen „Beifang“, schließlich
ist der deutsche Nationalspieler ein durch und durch anständiger Mensch und
wird, sofern zur Unterstützung auch im dritten Spiel ans Mittelmeer gereist,
von seiner Ehefrau oder Lebensabschnittsgefährtin begleitet.
Gestern Abend aber, nach dem
abschließenden Match gegen Kenia, war es endlich soweit: Michael Poppmeier und
seine Kameraden durften ein Glas Bier oder einen Wein genießen. Wenn es nach
Kobus Potgieter ging, „sogar zwei oder drei...“
RNZ, Aufgespielt am 24. November 2018
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen