Ortrud und Telramund sangen einst in Mannheim
Die 107. Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth sind am
29. August nach 32 ausverkauften Aufführungen zu Ende gegangen. Premiere hatte
die Oper „Lohengrin“ in der Inszenierung von Yuval Sharon und unter der
musikalischen Leitung Christian Thielemanns. Das Besondere sind die weitgehend
blauen Bühnenbilder von Neo Rauch und Rosa Loy – dass es Festspielchefin
Katharina Wagner gelungen ist, das weltberühmte Malerehepaar für die Festspiele
zu gewinnen, verdient ebenso Anerkennung wie die Besetzung der Solistenrollen.
Der polnische Heldentenor Piotr Beczala in der Titelrolle ist die Entdeckung
dieses Festspielsommers. Die gesamte 3:48,47 Stunden lange Aufführung kann man
unter https://www.youtube.com/watch?v=iCy8 53CfyRY im Internet genießen.
Zwei Hauptrollen wurden von Künstlern auf grandiose
Weise ausgefüllt, die ihre Karrieren am Nationaltheater Mannheim begonnen
hatten. Die Würzburgerin Waltraud Meier (62), als Mezzosopran die größte
deutsche Sängerin nach Martha Mödl (1912-2001), gab nach 18-jähriger
Bayreuth-Absenz ihr Rollendebüt als Ortrud und verzauberte die 2000 Besucher im
Festspielhaus mit einer wunderbaren Interpretation dieser schweren Rolle. Von
1976 bis 1978 hatte Waltraud Meier, die 1983 als Kundry im „Parsifal“ in
Bayreuth debütiert hatte, in Mannheim Triumphe gefeiert. Ihre Bayreuther Isolde
an der Seite von Siegfried Jerusalem als Tristan in der Inszenierung Heiner
Müllers hat Kultstatus.
Meiers Ehemann auf der Festspielbühne war Tomasz
Konieczny in der Rolle des Lohengrin-Gegenspielers Friedrich von Telramund. Der
46-jährige, im polnischen Lodz geborene Wahl-Österreicher hatte sein erstes
Engagement von 2001 bis 2005 am Nationaltheater Mannheim, wo er unter
Generalmusikdirektor Adam Fischer die großen Bariton-Partien von König Marke,
Wotan und Amfortas einstudierte und 2004 den Arnold-Petersen-Preis als bester Nachwuchssänger
erhielt. Nun ein höchst respektables Debüt auf dem Grünen Hügel.
Mareike Morr, ein Mezzosopran aus Rotenburg an der
Fulda, gab in Bayreuth den 2. Knappen im „Parsifal“. Morr war Meisterschülerin
von Professor Rudolf Piernay an der Staatlichen Musikhochschule Mannheim. Der
Stuttgarter Tenor Christopher Kaplan gab den Würzkrämer Ulrich Eisslinger in
„Die Meistersinger von Nürnberg“, nachdem er kürzlich in Mozarts C-moll-Messe
in Heidelberg gastiert hatte. Vom Badischen Staatstheater Karlsruhe kam
Kammersänger Armin Kolarczyk als Spenglermeister Konrad Nachtigall nach
Bayreuth und vervollständigte Hans Sachsens Meisterschar.
Zweihundert Musiker bildeten in diesem Sommer das
Festspiel-Orchester, darunter die Mannheimer Anne Hütten (Harfe), Wolfgang
Hammar (Violine), Alexander Michael Petersen (Viola), Georg Lustig (Oboe und
Englischhorn), Martin Jakobs (Klarinette), Matthias Gromer (Posaune) und
Siegfried Jung (Kontrabasstuba).
Der fantastische Festspielchor unter der Leitung von
Eberhard Friedrich erhielt nach jeder Aufführung Ovationen. Die Soprane
Stefanie Dasch aus Speyer, Nelly Palmer aus Ludwigshafen und Tatjana Petersen
aus Mannheim, die Altistin Hemi Kwon aus Karlsruhe, der Tenor Gimoon Cho aus
Mannheim und der Bass Oliver Pürckhauser aus Ludwigshafen trugen ebenso zum
Gelingen der Festspiele bei wie die Schneiderin Dorothée Lachnit aus Mannheim
und die beiden „blauen Mädchen“ Hana Cho aus Mannheim und Sabine Schnellberg
aus Karlsruhe. „Blaue Mädchen“ in Bayreuth sind nie betrunken, sondern geleiten
die Besucher auf charmante Weise ins Festspielhaus.
Bayreuth-Sänger werden übrigens nicht als Stars
geboren, sondern müssen sich ihr Können erarbeiten. Nicht selten haben sie
andere Berufe erlernt. Catherine Foster aus Nottingham, die als Brünnhilde im
„Ring des Nibelungen“ Wotans ungehorsame Tochter verkörpert, hatte als Hebamme
257 Babys zur Welt gebracht, bevor sie Sängerin wurde.
(Kulturreportage am 30. August 2018)
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