Sonntag, 9. Juni 2024

Es lebe der Mannschaftssport!

Dass der Sport viele Geheimnisse birgt und sich auch sehr erfahrene und besonders schlaue Sportfreunde in ihren Erwartungen hin und wieder täuschen, hat man in jüngster Zeit häufiger beobachten können. Nie und nimmer hätten es Uli Hoeneß und der kaum weniger allmächtige Karl-Heinz Rummenigge für möglich gehalten, dass es auch nur einen Trainer auf unserem blauen Planeten geben könnte, der nicht sofort Trainer des FC Bayern München werden möchte. Mit Vincent Kompany hat schließlich Kandidat Nummer sechs oder sieben oder acht – wer weiß das schon genau? – zugesagt.

Uli Hoeneß und mit ihm 95 Prozent aller deutschen Fußball-Fans hätten vor zwölf Monaten kaum einen Eurocent darauf gewettet, dass Bayer Leverkusen ohne jede Niederlage deutscher Meister werden und der Titelverteidiger und Rekordmeister mit peinlichen 18 Punkten Rückstand als Tabellendritter durchs Ziel humpeln würde.

Irritiert reagierten die Leistungsplaner des deutschen Sports, als sich für die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro nur fünf deutsche Mannschaften qualifizieren konnten. „Das ist eine hundertprozentige Ausbeute, mehr Erfolg geht kaum!“, jubelte hingegen mein Papagei, nachdem die Fußballer, die Fußball-Frauen, die Handballer, die Hockey-Herren und die Hockey-Damen allesamt Medaillen gesammelt hatten und im Beachvolleyball, das der Deutsche Olympische Sportbund kurioserweise nicht zu den Teamsportarten zählt, durch Laura Ludwig und Kira Walkenhorst sogar eine weitere goldene Plakette heraussprang.

Fünf Jahre später waren die Medaillenzähler im für den Leistungssport zuständigen Bundesinnenministerium sogar ratlos, als sich wieder nur fünf der 16 Nationalmannschaften durch die komplizierten Qualifikationen schlängeln konnten, allesamt aber ohne Halsschmuck nach Hause zurückkehren mussten. Nicht wenige Schlauberger kamen auf die absurde Idee, die gesellschaftliche Bedeutung des Mannschaftssports zu ignorieren und die Sportfördermittel der Republik auf die Individualsportarten zu konzentrieren. Deren Argumente mögen Bürokraten sogar einleuchten: Pro Teamsport kann man bei Olympia maximal zwei Medaillen gewinnen, in der Leichtathletik, im Turnen, Rudern oder Kanufahren viele Plaketten mehr. Entsprechend häufiger können sich Politiker und Sportfunktionäre neben siegreichen Athletinnen und Athleten fotografieren lassen. „Nur darum geht es ja“, hat mein Papagei schon lange erkannt.

Die bedeutendsten Durchblicker waren in der Potas-Kommission tätig, die die Fachverbände genau durchleuchtet und dem BMI/DOSB empfohlen haben, welche Sportart Erfolgspotenziale hat und deshalb 2024 in Paris und auf dem Weg dorthin erfolgreich sein könnte. Die Basketball-Männer landeten im Potas-Ranking ganz hinten. Dem Verband wurden komplette Ahnungslosigkeit, ein untaugliches Talentfördersystem und lauter Flaschen in den Nationalteams attestiert. Am 10. September 2023 aber besiegten die Flaschen Serbien mit 83:77 und wurden Weltmeister. Glücklicherweise hört seither kaum noch jemand auf die Potas-Kommission.

Und nun das: Nicht nur die Basketball-Weltmeister, sondern erstmals überhaupt auch die Basketball-Damen als Siegerinnen bei der Weltqualifikation in Brasilien dürfen an die Seine reisen, auch die Fußball-Frauen, beide Handball-Mannschaften, beide Hockey-Teams, die Volleyball-Männer und die Frauen im 3x3-Basketball sind bei Olympia 2024 dabei. Neun Mannschaften vertreten den deutschen Sport beim Kampf um Medaillen – so viele wie seit Jahrzehnten nicht.

Jürgen Barth (66), seit 20 Jahren und bis zum Herbst im DOSB für die Förderung des Teamsports zuständig und 40 Jahre lang erfolgreicher Basketball-Trainer im TV Langen, ist darüber sehr erleichtert, hofft übrigens, dass sich auch drei Beachvolleyball-Paare zur Teilnahme empfehlen können und verweist darauf, dass es für europäische Mannschaften sehr viel schwerer ist, sich für Olympia zu qualifizieren, als für Teams von Kontinenten, auf denen es bedeutend weniger Nationen gibt und der Sport (noch) eine untergeordnete Rolle spielt.