Der Heidelberger Ruderklub
–
Keimzelle des
Leistungssports
Wenn der
Leistungssport-Vizepräsident des Badischen Sportbundes Nord gebeten
wird, eine Festrede zum 150. Gründungstag des Heidelberger Ruderklub
von 1872 zu halten, dann muss er über Leistungssport sprechen und
erläutern, warum der Jubilar als Keimzelle des Leistungssports –
zumindest in Heidelberg und Baden – bezeichnet werden muss.
Wir wissen nicht, ob im
Heidelberger Schützenverein von 1490, dem ältesten Heidelberger
Sportverein, schon in den Gründerjahren wirklich Sport getrieben
wurde. Höchstwahrscheinlich haben sich im ausgehenden Mittelalter
Männer in diesem Verein hauptsächlich deshalb zusammengefunden, um
die Jagd auf Hirsche und Wildschweine zu üben oder mit Pfeil und
Bogen und mit der damals ultramodernen Armbrust für das
Kriegshandwerk zu trainieren. Schießstände für die olympische
Schnellfeuerpistole oder die Jagd auf den Laufenden Keiler gab es
damals noch nicht – erst später nahmen Heidelberger Schützen in
diesen Disziplinen an internationalen Meisterschaften und Olympischen
Spielen teil. Einer von ihnen war mein Lehrer in Neuenheim, er liebte
das Zielwasser sehr.
Im HRK von 1872, dem ersten
Sportverein in der damals eigenständigen Gemeinde Neuenheim, wurde
von Anfang an auf dem noch wilden Neckar mit seinen tückischen
Stromschnellen gerudert und ab 1874 auch einem ovalen Ball nachgejagt
– beides löste in der Bevölkerung Staunen, Begeisterung und Liebe
aus. Ja, verehrte Ehrengäste und Gäste, die Heidelberger lieben
ihre Ruderer und Rugbyspieler und dürfen mit Recht stolz auf sie
sein.
Dass diese beiden Sportarten
und mit ihnen der HRK eine überregionale Bedeutung erhielten, liegt
an vielen Menschen, die sich in den vergangenen 150 Jahren stark
engagierten, vor allem aber an Professor Dr. Edward Hill Ullrich.
Der am 1. Januar 1854 in der
Friedrich-Ebert-Anlage geborene Sohn des Heidelberger Sprachlehrers
Dr. Silvester Ullrich und der Engländerin Sarah war ein über seinen
40. Geburtstag hinaus begeisterter und erfolgreicher Ruderer, wurde
Lehrer für Sprachen und Mathematik an Heidelberger Schulen und
unterrichtete bis zu seiner Pensionierung am Neuenheim College, das
heute Heidelberg College heißt. Ullrichs Lieblingsfächer waren
Rudern und Rugby, und auch als Pensionär, der sein abendliches Bier
im „Kyffhäuser“ in der Ladenburger Straße genoss, dozierte er
gerne über die Disziplin und den eisernen Willen, die rudernde
Menschen aufbringen müssen, und über die Feinheiten des
Rugbyspiels.
Als sich der 1872 gegründete
Heidelberger Flaggenklub aufgelöst hatte, gründete der entsetzte
„Eddy“ Ullrich am 17. Juli 1875 sofort den Ruderklub, dessen
Präsident er in drei Amtszeiten insgesamt 28 Jahre lang war und als
dessen Instruktor er dank der Verbindungen seiner Mutter Ruderboote,
Rugbybälle und Spielregeln aus England importierte. Die Regeln
übersetzte er ins Deutsche, seine College-Schüler und seine
HRK-Jungen instruierte er mit solcher Begeisterung, dass diese starke
Spieler und von den „Sumen“ aus Neuenheim und der Altstadt
neidisch beobachtet wurden. Den Migranten unter den Anwesenden sei
kurz erläutert, dass „Sumen“ die im Neckar herumflitzenden
kleinen Fische sind, die man in toto in heißem Öl braten, tüchtig
salzen und mit Kopf, Schwanz und Gräten verzehren kann, aber auch
die Jungen, die sich zu allen Zeiten gerne die Nachmittage auf dem
Neckarvorland mit Ballspielen oder in Booten auf dem Fluss vertrieben
haben. Einige „Sumen“ sind heute unter uns. Gerhard Menold,
Eckhard Schierbaum und Ulrich Zwissler, auch Holger Xandry und Volker
Wilz seien namentlich genannt.
Edward Hill Ullrich war nicht
nur die prägende Persönlichkeit des HRK und ein Motor im Deutschen
Ruderverband, er gründete auch den Süddeutschen Rugby-Verband und
im Jahr 1900 in Kassel gemeinsam mit Ferdinand-Wilhelm Fricke von
Hannover 78 den Deutschen Rugby-Verband, dessen Präsident er in zwei
Amtszeiten von 1902 bis 1903 und von 1906 bis 1907 war. Deshalb darf
er heute würdig auf uns herabblicken. Seiner Initiative ist es auch
zu verdanken, dass seit 1909 die deutsche Rugby-Meisterschaft
ausgetragen wird.
Leistungssport ist es, wenn
man um Titelehren kämpft und sich ganz besonders anstrengt, um
Meisterschaften zu gewinnen. Der neuseeländische Gedrängehalb Syd
Going aus Kawakawa sagte 1977 nach dem letzten seiner 29 Länderspiele
für die All Blacks den bemerkenswerten Satz: „Ein Rugbyspiel ist
völlig sinnlos, wenn man es nicht gewinnt.“ Das hatten Ullrich und
die anderen HRK-Instruktoren im Rudern und im Rugby auch schon
gewusst.
Breitensport ist schön und
gut. Ruderwanderfahrten fördern die Freundschaft und den Durst, und
wenn man am Abend nach vielen Stunden auf dem Wasser ein Gasthaus
ansteuert und sich das eine oder andere Elektrolytgetränk in den
Schlund gießt, steigt die Stimmung ebenso wie in der dritten
Halbzeit, in der abgekämpfte Rugbyspieler ihre Heldentaten rühmen
und die Kameradschaft pflegen. Meistens ahnt man am nächsten Morgen,
wenn der Magen flau und der Kreislauf instabil sind, welches
Körperteil der Kopf sein könnte…
Heutzutage wird nicht mehr nur
auf dem Wasser gerudert, sondern auch an Land. Das Ergometerrudern
stärkt Herz und Muskulatur und hat gerade auch in pandemischen
Zeiten für die Erhaltung der Fitness gesorgt. Der HRK hat einige
bundesweit erfolgreiche Trockenskullende in seinen Reihen, und
Heinrich Drügemöller hat mir unlängst berichtet, dass er durch
tägliches Rudern zu Hause so sehr an Gesundheit, Kraft, Vitalität
und Appetit gewonnen habe, dass seine Ehefrau neuerdings ganz
begeistert von ihm sei.
Leistungssport war es
natürlich, als der HRK-Skuller Fritz Graf deutscher Meister im Einer
wurde und nach neun Regattasiegen binnen eines Jahres bei der
Europameisterschaft 1913 im belgischen Gent den ersten
internationalen Meistertitel und die erste Goldmedaille nach
Heidelberg holte. Der starke Wind und der heftige Wellengang kamen
ihm im Finalrennen zugute, denn seinen drei Konkurrenten erging es so
wie vielen Athletinnen und Athleten bei den Olympischen Spielen 2016
auf der Lagune von Rio de Janeiro: Sie gerieten unter Wasser. Fritz
Graf erreichte als Einziger das Ziel.
Durch diesen großartigen
Erfolg, zu dem sogar Großherzog Max von Baden und Kaiser Wilhelm II
gratulierten, waren die Heidelberger Sportler total motiviert. Rudern
boomte, und im Rugby wurde ein Verein nach dem anderen gegründet,
der sich mit dem HRK messen wollte.
Das erste Heidelberger
Rugby-Derby der beiden Vereine HRK und SC Neuenheim fand übrigens am
10. Januar 1907 statt, war nach den Aufzeichnungen im Neuenheimer
„Protokoll- und Wettspielbuch“ hart umkämpft und endete mit
einem 7:4-Sieg des HRK.
Der Ruderklub war zwar nicht
der erste Heidelberger Verein, der deutscher Meister werden konnte,
aber 1927 und 1928 der erste deutsche Klub, der das zwei Mal in Folge
schaffte. „Meister werden ist nicht schwer, Meister sein dagegen
sehr.“ Der HRK setzte diese Weisheit außer Kraft und hatte –
hier sprechen wir nun von Hochleistungssport – mit Fritz und Hans
Leipert, Hans Botzong und Heinrich Pfersdorf vier Spieler in jener
deutschen Nationalmannschaft, die am 17. April 1927 in Stade Colombes
in Paris das erste deutsche Länderspiel überhaupt bestritt und mit
5:30 verlor. Nur vier Wochen später aber wirkten „Jimmy“
Leipert, Hans Botzong und Heinrich Pfersdorf in jenem Team mit, das
vor 12.000 Zuschauern in Frankfurt den Spieß umdrehte und mit 17:16
gewann.
Frankreich hatte nicht
irgendeine Mannschaft an den Main geschickt, sondern genau jene
Formation, die kurz zuvor im Fünf-Nationen-Turnier mit 3:0 gegen
England gewonnen hatte – mit Kapitän André Behotéguy aus Cognac,
der als Zeichen seiner landsmannschaftlichen Zugehörigkeit auch in
den Spielen stets eine Baskenmütze trug.
Die Vergleiche mit den
mächtigen Nachbarn wurden fortan zur Tradition, und beim EM-Spiel
zwischen Deutschland und Frankreich 1982 im Heidelberger Sportzentrum
Nord wirkten mit Peter Gruber und Michael Liebig wiederum zwei
HRK-Asse mit. Diese französische Mannschaft gewann mit 53:15 und
wurde fünf Jahre später in Neuseeland auch Vizeweltmeister. Mit
Gruber und Liebig durfte ich in der süddeutschen Auswahl spielen, an
Heinrich Pfersdorf habe ich ebenfalls lebhafte Erinnerungen. Wenn wir
als kleine Kinder mit den Eltern über die Theodor-Heuss-Brücke
watschelten, um bei „Salamander“ in der vorderen Hauptstraße
neue Schuhe zu kaufen, bedienten uns der Seniorchef und seine liebe
Frau Lilo persönlich. Herr Pfersdorf erkundigte sich fürsorglich,
ob die neuen Schuhe – oft waren es Rugbystiefel – auch nicht
drückten, und zum Abschied beschenkte er uns mit einem Buch:
„Lurchis neue Abenteuer“ – der Weg in die Stadt hatte sich also
gelohnt!
Siro Asinelli, Bertl Almstedt,
Adolf Gottermeier, Walther Schäfer, Karl und Dietrich Häberle,
Karla Löschmann und Gerda Ott, Thomas Palm, Mathias Wiesinger und
Harald Punt führten ihre Schützlinge zu unzähligen
Meisterschaften, zuletzt zu den deutschen Sprinttiteln im Achter.
Harald Punt, der fröhliche Niederländer, war übrigens mein
beruflicher Lieblings-Gesprächspartner, denn wenn man ihm eine
Interview-Frage stellte, musste man Zeit haben und konnte mit seiner
fachkundigen und präzisen Antwort eine ganze Zeitungsseite füllen.
Im Rugby haben sich die
Jüngeren ein Beispiel an Trainer Daniel Michael, dem Meistermacher
von 1927 und 1928, genommen und große Mannschaften geformt. Ich
erinnere an den lautstarken Handschuhsheimer Schulmeister Martin
Schuster, den Meistertrainer von 1971, an den rumänischen
Weltklassespieler Aurel Barbu, der 1973 für die Meisterschaft und
den Pokalsieg gesorgt hat, und an Karl Lachat, der – und da sind
wir wieder beim HRK als Keimzelle des Leistungssports – als
Vorsitzender des Leistungsausschusses des Rugby-Verbandes
Baden-Württemberg 1973 das Landesleistungs-zentrum gegründet und
beim HRK angesiedelt hat. Im Frauenrugby ist der HRK ebenfalls
spitze, was auf den unermüdlichen Einsatz von Alfred Jansen und
seinen Vorgängern und Nachfolgern zurückzuführen ist.
Zwei Prädikate möchte ich
dem HRK an seinem Ehrentag gerne anbieten: 1976 haben Sie unter
Trainer Karl Lachat die beste deutsche Amateurmannschaft aller Zeiten
auf den grünen Rasen gebracht. Das 36:6 im deutschen Pokalfinale und
das 35:0 im Endspiel der deutschen Meisterschaft – jeweils gegen
den deutschen Rekordmeister Victoria Linden – sind unvergessen. Und
in den 2010-er Jahren hatte der HRK unter den Trainern Kobus
Potgieter und Pieter Jordaan die bis heute beste deutsche
Profimannschaft; auch deren Leistungen, besonders im Europapokal,
werden nie verblassen. Dass der HRK heute mit 14 Meistertiteln der
Männer und sieben Titelgewinnen der Frauen der erfolgreichste
süddeutsche Rugbyverein ist, möge Sie mit Stolz erfüllen.
Als Sume von der Neckarwiese
habe ich natürlich auch das Rudern kennen und lieben gelernt. Ich
erinnere mich an zahllose Regatten, bei denen Boote des HRK keine
Konkurrenz scheuen mussten. Der vielfache deutsche Hochschulmeister
im Zweier Werner Mannsperger, der gemeinsam mit meinem Vater in der
Rugby-Nationalmannschaft gestürmt hatte, ist mir in früher Jugend
ebenso zu einem Begriff geworden wie die deutschen Meister Peter Hinz
und Wolfgang Schäfer, der großartige Peter Tesarz, der sich mit uns
beim Krafttraining im Olympiastützpunkt so unglaublich quälen
konnte, und natürlich die Weltmeisterinnen und
Olympia-Teilnehmerinnen Claudia Engels, Claudia Fachinger, Heike
Grunert, Antje Rehaag oder Kristiane Zimmer. Die waren so gut, dass
man immer dann, wenn am Regattamorgen der internationale
Schiedsrichter Werner Baas von der Rudergesellschaft Heidelberg „Seid
Ihr bereit? – Los!“ ins Megafon brüllte, in der Werderstraße
senkrecht im Bett stand und hurtig auf die Wiese eilte, um ja kein
Rennen dieser fabelhaften Frauen zu verpassen. Dass es für den HRK
eine große Ehre ist, mit Ben Landis einen rudernden Studenten in
seinen Reihen zu haben, der 2019 im Achter der Oxford University am
Boat Race auf der Themse teilgenommen und nur knapp gegen die Uni aus
unserer Partnerstadt Cambridge verloren hat, ist sonnenklar.
Gerne erinnere ich mich
übrigens an 1973, an die Regatta um den „Martini-Achter“, zu der
HRK-Pressewart Georg Thönnissen ein sehr informatives Programmheft
erarbeitet hatte. Wochen vor dem großen Ereignis mit allen führenden
Nationalmannschaften der Welt spazierte „Onkel Schorsch“ über
die Neckarwiese und fragte meinen Freund Karl Ehrmann und mich, ob
wir Lust hätten, die Programmhefte zum Preis von zwei Mark pro Stück
bei der Regatta den Zuschauenden anzubieten. Wir willigten gerne ein,
und weil uns „Onkel Schorsch“ mit 50 Pfennigen pro verkauftem
Programmheft belohnte, waren wir am Sonntagabend reiche Jungs.
Lassen Sie mich abschließend
hervorheben, dass der HRK zu allen Zeiten Mitglieder hatte und von
Persönlichkeiten geführt wurde, die es auch im Leben und im Beruf
zu etwas gebracht haben – vielleicht haben der Fleiß und der
Kampfgeist im Sport den professionellen Erfolg sogar gefördert. Wer
im Sport kämpfen gelernt hat, kann das auch im Beruf. Conrad Clemm
wurde als Geheimer Regierungsrat 1908 zum Direktor des
Nationaltheaters Mannheim berufen, Ferdinand Kehrer war Dekan der
Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg, Ernst Walz war
Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg, Fritz Hilkert war Direktor
der Deutschen Bank, Hermann von Neuenstein war Oberstudiendirektor
des Tulla-Gymnasiums Mannheim, Willy und Rudolf Wild, Dr. Rainer und
Dr. Hans-Peter Wild haben die Menschheit mit köstlichen Fruchtaromen
begeistert und dem Rugbysport im HRK, in Deutschland und in
Frankreich wertvolle Impulse gegeben. Paul Schlatter war
Vorstandsmitglied der Rechtsanwaltskammer Nordbaden, Götz Werner war
Gründer der DM-Drogeriemärkte, Gerhard Menold war Geschäftsführer
der Benckiser-Wassertechnik und weiterer Unternehmen und Hans-Jörg
Schröder ist ein weithin bekannter Architekt, dem die Kurfürsten
ganz gewiss den Bau des Heidelberger Schlosses anvertraut hätten,
wäre er damals schon aktiv gewesen.
Ich hoffe und wünsche, dass
die in diesem „Achter“ versammelte HRK-Gesellschaft gesund und
kraftvoll dem dritten Jahrhundert der Vereinsgeschichte
entgegenrudern und entgegendrängeln möge und die Abzeichen vieler
weiterer Erfolge auch in Zukunft ihre Klubhäuser schmücken. –
Vielleicht schon ab morgen, mal sehen… Claus-Peter
Bach